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Versammlungsrecht – Begründetheit

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Teil II – Die klassischen Begründetheitsprobleme einer versammlungsrechtlichen Klausur

Der zweite Teil des versammlungsrechtlichen Leitfadens konzentriert sich auf die wesentlichen Standardprobleme innerhalb der versammlungsrechtlichen Klausur und verschafft Ihnen innerhalb kurzer Zeit einen guten Überblick über dieses häufig abgeprüfte Rechtsgebiet.

Wichtig ist zunächst ein präziser Obersatz, der wie folgt lauten kann: Die nach der Erledigung als Fortsetzungsfeststellungsklage fortgesetzte Anfechtungsklage ist begründet, soweit der erledigte Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt hat.

1.Vorab: Abgrenzung des Versammlungsgesetzes von der polizeilichen Generalklausel

Weichenstellend für Ihre Klausurlösung ist, die Sperrwirkung des Versammlungsgesetzes gegenüber dem allgemeineren Polizeirecht (POR)  richtig zu erkennen. Das Versammlungsgesetz entfaltet jedoch nur Sperrwirkung, soweit es sich um versammlungsspezifische Maßnahmen handelt. Handelt es sich um keine versammlungsspezifische Maßnahme, findet das POR Anwendung.

Bitte beachten Sie, dass in den Bundesländern, die kein eigenes Versammlungsgesetz erlassen haben, das VersG des Bundes gemäß Art.125 a GG fortwirkt, solange die jeweiligen Bundesländer die Lücke nicht schließen. Da die Versammlungsgesetze der Länder dem VersG des Bundes ähneln, wird nachfolgend auch auf letzteres abgestellt.

2. Formelle Rechtmäßigkeit

Wie Sie es bereits kennen, prüfen Sie innerhalb der formellen Rechtmäßigkeit kurz (!) die Zuständigkeit,  die Einhaltung des Verfahrens und der Form. Beachten Sie, dass grundsätzlich eine Anhörung nach §28 I VwVfG erforderlich ist, dieses Erfordernis aber  bei Erlass einer Allgemeinverfügung – wie zB einer Auflösung nach §15 III VersG  – entfällt.

3. Materielle Rechtmäßigkeit

3.1 Anwendbarkeit des Versammlungsgesetzes

Der sachliche Anwendungsbereich des Versammlungsgesetzes des Bundes ist nach § 1 VersG eröffnet, wenn es sich um eine öffentliche Versammlung handelt.

Besonders vorbereiten sollten Sie sich insbesondere auf die Einschränkung von Versammlungen unter freiem Himmel, da diese dem Klausurersteller ein weiteres Problemspektrum eröffnen. Von einer Versammlung ist dann auszugehen, wenn mehrere Personen (mindestens zwei Personen) zu einem bestimmten gemeinsamen (!) Zweck an einem bestimmten Ort zusammen kommen. Beachten Sie, dass im Gegensatz zu dem als „Deutschengrundrecht“ ausgestalteten Art. 8 I GG vom Versammlungsgesetz auch Versammlungen von Ausländern erfasst sind. Dies folgt auch aus dem Wortlaut des § 1 VersG („Jedermann“).

Entscheidend ist, dass Sie den gemeinsamen Zweck herausarbeiten, um die Versammlung anhand dieses Merkmals deutlich von der bloßen Ansammlung abzugrenzen. Eine Ansammlung liegt etwa bei Zuschauern von Großveranstaltungen vor, da hierbei bloß jeder für sich einen bestimmten Zweck verfolgt.

Nach neuerer RspR, die dem engen Versammlungsbegriff folgt, wird die Teilhabe an der kollektiven Meinungskundgabe verlangt. Der bloße Ausdruck eines Lebensgefühls, wie er beispielsweise bei der „Loveparade“ zelebriert wird, genügt dem engen Versammlungsbegriff nicht.

Des weiteren muss die Versammlung öffentlich sein. Dieses Kriterium ist erfüllt, sofern sie für jedermann frei zugänglich ist, also in Abgrenzung zu Mitgliederversammlungen nicht nur einem abgeschlossenen oder individuell abgrenzbaren  Personenkreis zugänglich ist.

Bitte beachten Sie die unterschiedlichen Folgen je nach Fehlen o.g. Kriterien. Sofern bereits keine Versammlung vorliegt, ist unbeschränkt auf die polizeiliche Generalklausel zurückzugreifen. Anderes gilt jedoch, wenn eine Versammlung vorliegt, diese aber lediglich nichtöffentlicher Art, sprich, nicht für jedermann zugänglich, ist. Dann greift nicht das Versammlungsgesetz sondern die polizeiliche Generalklausel und die von der Generalklausel geschützten Rechtsgüter der öffentlichen Sicherheit (und ggf. je nach Landesrecht auch der öffentlichen Ordnung) sind im Hinblick auf Art.8 I GG einschränkend auszulegen. In der Klausur müssen Sie also beachten, dass  ein Eingriff nach der Generalklausel bei nichtöffentlichen Versammlungen nur dann gerechtfertigt ist, soweit mit dem Eingriff Grundrechte Dritter oder Werte mit Verfassungsrang geschützt werden.

Zeitlich gesehen findet auf Vorfeldmaßnahmen das POR Anwendung, da noch keine schützenswerte öffentliche Versammlung vorliegt. Während der Dauer der Versammlung ist die Anwendung des Versammlungsrechts unproblematisch.  Häufig wird der Aktenauszug jedoch mit Maßnahmen „gespickt“, die nach Beendigung der Versammlung stattfinden. Hier müssen Sie genau unterscheiden. Nach erfolgter (!) Auflösung findet das Versammlungsgesetz keine Anwendung, da dann nur noch eine Ansammlung vorliegt. Häufig laufen die Klausuren darauf hinaus, dass sich nach Auflösung der ursprünglichen Versammlung, eine zweite, nach dem BundesVersG nicht anmeldepflichtige, Spontanversammlung bildet. Wird in diese durch Maßnahmen eingegriffen, ist erneut das Versammlungsgesetz mit seiner besonderen Wertegewichtung anzuwenden.

3.2 Bestimmtheit nach § 37 VwVfG

Klassische Bestimmtheitsprobleme, die nach §37 I VwVfG zu beurteilen sind, werden häufig in die Aktenauszüge innerhalb erteilter Auflagen eingebaut. Entscheidender Maßstab ist auch hier, dass die Auflage für den Adressaten verständlich ist und ihm unzweideutig erkennbar macht, was zulässig und was verboten ist. So genügt es beispielsweise nicht dem Bestimmtheitserfordernis, wenn die Behörde die Auflage erteilt, nur den nördlichen Stadtteil für die Versammlung zu nutzen. Vielmehr ist bei örtlichen Einschränkungen eine sehr genaue Beschreibung oder die Eingrenzung anhand eines Stadtplans erforderlich.

3.3 Tatbestandliche Anforderungen

Innerhalb der tatbestandlichen Anforderungen ist zu unterscheiden, ob es sich um Maßnahmen vor Versammlungsbeginn ( §15 I, II VersG) oder nach Versammlungsbeginn (§15 III VersG) handelt.

3.3.1 Maßnahmen vor Versammlungsbeginn nach § 15 II VersG

§ 15 II VersG ist lex specialis zu §15 I VersG und daher vorrangig zu prüfen. Die Versammlung kann verboten oder von Auflagen abhängig gemacht werden, wenn sie an einer geschützten Örtlichkeit nach §15 II Nr.1 VersG stattfindet oder wenn nach §15 II Nr.2 VersG nach zur Zeit der Verfügung konkret feststellbaren Umständen die Gefahr der Beeinträchtigung der Würde des Opfers droht.

3.3.2 Maßnahmen vor Versammlungsbeginn nach §15 I VersG

Tatbestandlich setzt eine Auflage oder die Untersagung eines Aufzuges (welcher vor Versammlungsbeginn besteht) gemäß § 15 I VersG erkennbare Umstände für eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung bei der Durchführung des Aufzuges oder der Versammlung voraus.

Vorrangig zur öffentlichen Ordnung ist die öffentliche Sicherheit. Die öffentliche Sicherheit umfasst die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung, deren Schutzgüter insbesondere durch Strafgesetze (§130 StGB, 86 a StGB) und auch durch die Ordnungswidrigkeitentatbestände (§§118 ff.) geschützt sind. Die öffentliche Sicherheit umfasst aber auch Verbotstatbestände des Vereinsgesetzes (§20 I VereinsG) sowie die im VersG normierten Strafvorschriften ( Störverbot §21 VersG, Uniformverbot § 3, 28 VersG sowie Waffenführungsverbot §27 VersG). Beachten Sie auch, dass zum Zwecke der Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs – als Teil der öffentlichen Sicherheit und Ordnung – insofern Auflagen gegenüber den Versammlungsteilnehmern erlassen werden können, dass bestimmte Aufzugsrouten vorgegeben werden. Diese Auflagen müssen dem oben bezeichneten Bestimmtheitsgrundsatz nach §37 VwVfG genügen.

Das Schutzgut  ist dann unmittelbar gefährdet, wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass Güter von Verfassungsrang beeinträchtigt werden. Insofern ist der Tatbestand des §15 I GG unter Beachtung grundrechtlicher Maßstäbe (Art. 8I GG, Art. 5I GG) auszulegen. Die Gefahrenprognose muss zudem auf hinreichendes Tatsachenmaterial gestützt werden.  Bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen nach der RspR nicht aus.

Hingegen ist ausreichend, wenn gewalttätige Auseinandersetzungen den Gesamtcharakter der Veranstaltung prägen.

Häufig finden Sie in Aktenauszügen Sprechchöre, die sich mit Ihren Äußerungen wie z.B „Ausländer raus!“ im Grenzbereich zum Strafrecht (z.B. §130 StGB) bewegen. An dieser Stelle trägt die Behörde häufig vor, dass es erfahrungsgemäß in Verbindung mit Parolen dieses Inhalts zu Straftaten komme. In dem Fall müssen Sie achtsam sein. Zwar kann die Versammlung nicht wegen einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit verboten werden. Wie Sie sich sicher erinnern, ist die hinreichend hohe Wahrscheinlichkeit der Beeinträchtigung verfassungsrechtlich geschützter Rechtsgüter erforderlich. Denkbar ist aber ein Verbot wegen der Gefahr für die –  nachrangige – öffentliche Ordnung.  Ob auf dieses Schutzgut überhaupt zurückgegriffen werden kann, wenn die öffentliche Sicherheit nicht gefährdet wird, ist umstritten. Das BVerfG verbietet jedenfalls einen Rückgriff auf das Schutzgut der öffentlichen Ordnung wenn wegen derselben Meinungsäußerung die Öffentliche Sicherheit nicht auch gefährdet ist. Dieser Ansicht sollten Sie sich anschließen.

Beachten Sie bei der Meinungsäußerung mithilfe von Sprechchören, dass diese grundsätzlich von Art. 5 I GG geschützt sind. Wird ein Angriff in dem Gebrauch eines Grundrechts (hier:Art.5 I S.1 GG) gesehen, bedarf es einer sehr sorgfältigen Begründung, da die Grundrechte insgesamt eine Konkretisierungen des Prinzips der Menschenwürde darstellen. Art.5 I S.1 GG schützt – in den Schranken des Art.5 Abs.2 GG – auch rechtsextreme Meinungen. Orientieren Sie sich hier an der Rechtsprechung. Die Strafgerichte gehen bei der Parole „Ausländer raus“ nur bei Hinzutreten weiterer Begleitumstände von einem Angriff auf die Menschenwürde aus. Erforderlich ist, dass den angegriffenen Personen ihr Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeiten abgesprochen und sie als minderwertige Wesen behandelt werden. Andernfalls ist die Versammlung rechtmäßig.

3.3.3 Maßnahme nach Versammlungsbeginn gemäß  §15 III VersG

§15 III VersG müssen Sie im Blickfeld haben, wenn Maßnahmen nach Versammlungsbeginn getroffen wurden, deren Rechtmäßigkeit Sie zu beurteilen haben.  Von §15 III VersG sind insbesondere die Auflösung der Versammlung  sowie die Ihnen bekannten Standardmaßnahmen als Minus zur Auflösung abgedeckt. Auf letztere wird noch eingegangen. – Klausurrelevanter Auflösungsgrund ist insbesondere die Nichtanmeldung nach §14 VersG, so dass  Sie hierauf Ihr besonderes Augenmerk legen sollten. Die Rechtsprechung hat allerdings Ausnahmen von dieser Anmeldepflicht entwickelt. So besteht bei Spontanversammlungen keine Anmeldepflicht. Als Spontanversammlungen sind solche anerkannt, die wegen ihrer herausragenden Aktualität ohne Vorlaufzeit unmittelbar aus Anlass eines besonderen Ereignisses stattfinden und bei denen deshalb eine Anmeldung tatsächlich unmöglich ist. Bei Eilversammlungen, bei denen die 48 Stunden -Frist gemäß §14 I VersG nicht mehr einzuhalten wäre, da diese bereits angebrochen ist, reduziert sich die Anmeldefrist auf das Mögliche. Eine Anmeldepflicht besteht für diese jedoch weiterhin. Vergessen Sie dies nicht. Daneben kommt eine Auflösung in Betracht, wenn gegen erteilte Auflagen verstoßen wurde.

Weiterer Auflösungsgrund ist der Verstoß gegen §15 I oder §15 II VersG.  Häufig sind diese inzident zu prüfen (s.o.).

3.3.4 Maßnahme nach Versammlungsbeginn gemäß §15 IV VersG

Beachten Sie auch , dass eine verbotene Versammlung nach §15 IV VersG sofort aufzulösen ist.

3.4 Versammlungsrechtliche Verantwortlichkeit 

3.4.1 Grundsatzhaftung des Veranstalters

Bei der Frage gegen wen die Maßnahmen zu richten sind, prüfen Sie, von wem – mit hoher Wahrscheinlichkeit – erkennbar ein Gefahrenpotenzial für Güter von Verfassungsrang ausgeht. Versammlungsrechtlich verantwortlich ist grundsätzlich der Veranstalter nach §14 II VersG. Seine Verantwortlichkeit ist nach allgemeinen polizeirechtlichen Kriterien zu beurteilen. Das bedeutet, dass der Veranstalter als Verhaltensstörer, als Zweckveranlasser oder Notstandspflichtiger in Anspruch genommen werden kann.

3.4.2 Verantwortlichkeit als Verhaltensstörer / Zustandsstörer /Zweckveranlasser

In der Regel geht vom Lager des Veranstalters eine solche Gefährdung nicht aus, so dass eine Störereigenschaft seiner Person nicht vorliegt. Allerdings kann der Veranstalter gegebenenfalls als Zweckveranlasser in Anspruch genommen werden. Deuten Sie kurz an, dass die Figur des Zweckveranlassers gerade im Versammlungsrecht im Hinblick auf Art.8 GG stark umstritten ist, Die Rechtsprechung erkennt die Verantwortung des Zweckveranlassers jedenfalls dort an , wo er die Gefahr subjektiv bezweckt bzw. bewusst oder zwangsläufig herbeiführt.

3.4.3 Verantwortlichkeit als Notstandspflichtiger

Wenn eine Verantwortlichkeit als Zweckveranlasser ausscheidet, prüfen Sie die Verantwortlichkeit als Notstandspflichtiger. Dieser setzt voraus, dass gewalttätige Zusammenstöße zu befürchten sind, welche nicht durch Maßnahmen gegen die gewaltbereiten Demonstranten oder Gegendemonstranten abgewendet werden können. Allerdings ist die zuständige Behörde verpflichtet zu prüfen, ob durch Veränderung der Versammlungsmodalitäten der polizeiliche Notstand entfallen kann, ohne dass erstere den Versammlungszweck vereiteln.

Sind die Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes gegeben, kann ausnahmsweise gegen die ganze Versammlung vorgegangen werden. Dieses Vorgehen muss aber ultima ratio bleiben und setzt voraus, dass die Polizei auch mit einem hinreichend großen Aufgebot nicht in der Lage ist, ein gewalttätiges Aufeinandertreffen der Demonstranten zu verhindern. Meist ist der polizeiliche Notstand in Klausuren nicht gegeben.

3.5 Rechtsfolge

3.5.1 Rechtsfolge der §15 I und §15 II VersG

Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des §15 I oder II VersG vor, kann die Behörde im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens die notwendigen Maßnahmen treffen. Bei mehreren Pflichtigen steht der Behörde ein Auswahlermessen zu, gegen wen sie  die Maßnahme richtet. Entscheidend ist hierbei die Effektivität der Gefahrenabwehr. Zudem wählt die Behörde die Art der Maßnahme nach pflichtgemäßem Ermessen aus. Bedenken Sie, dass auch Standardmaßnahmen nach dem POR als Minusmaßnahmen zum Verbot zulässig sind, soweit sie nicht der Einschränkung der Versammlungsfreiheit nach Art.8 GG dienen bzw. auf eine solche hinauslaufen.

Erst als letztes Mittel (ultima ratio) kommt das Verbot nach §15 I 1. Var. VersG bzw. §15 II 1. Var. VersG in Betracht. Insbesondere müssen Sie an dieser Stelle prüfen, ob das Ermessen wegen der Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit überschritten ist.

3.5.2 Rechtsfolge des §15 III VersG

Bei einer Auflösungsverfügung nach §15 III VersG stellen sich ähnliche Rechtsfolgeprobleme wie bei einer Verfügung nach §15 I und § 15 II VersG. Innerhalb des §15 III VersG ist eine Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als Ermessensüberschreitung vor allem denkbar, wenn die Behörde eine Eilversammlung allein wegen einer Verletzung der Anmeldepflicht nach §14 I VersG auflöst. Denken Sie aber daran, dass hingegen bei einer Spontanversammlung ohnehin keine Anmeldepflicht besteht. Und denken Sie vor Allem  auch daran, dass die in §15 III VersG vorgesehene Rechtsfolge der Auflösung im Wege eines Erst-recht-Schlusses auf weniger belastende Maßnahmen beschränkt werden kann. Erinnern Sie sich hier an die Ihnen bekannten Standardmaßnahmen – wie die Einkesselung als Ingewahrsamnahme, die Sicherstellung von Spruchbändern etc., die allesamt ihre Ermächtigungsgrundlage in §15 III VersG iVm den jeweiligen polizeirechtlichen Klauseln finden.

Ich wünsche Ihnen viel Erfolg im Examen.

Vielen Dank, dass Sie diesen Beitrag gelesen haben. Wir hoffen, dass er Ihnen weiterhelfen oder zumindest Ihr Interesse wecken konnte. Hier finden Sie den Beitrag Versammlungsrecht – Begründetheit auf unserer Website Jura Individuell.


Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

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I Allgemeines

Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist ein (ungeschriebener) Teil des Rechtsstaatsprinzips. Die meiste Klausurrelevanz findet der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei den Grundrechten. Bei dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz geht es einfach ausgedrückt darum, dass die staatliche Gewalt gegenüber den Bürgern schonend und nur bei wirklicher Dringlichkeit angewandt werden soll.

Der Staat sollte also nicht härter durchgreifen, als erforderlich (deswegen wird der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz oft auch als Übermaßverbot bezeichnet) Die Rechtsgrundlage und Daseinsberechtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ergibt sich aus dem Verhältnis zwischen den Freiheitsrechten eines jeden Einzelnen und der Einbindung der betroffenen Person in die Gesellschaft. So ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ein Mittel der Abwägung, was in (Grundrechts-) Klausuren auch stets ausführlich geschehen sollte. Dabei ist es wichtig, unabhängig von der eigenen Meinung oder dem sich abzeichnenden „richtigen“ Weg, beide in Frage stehenden Rechtsgüter umfassend zu beleuchten. Es sollten möglichst für beide Rechtsgüter Pro- und Contrargumente gefunden und dargelegt werden.

II Anwendbarkeit

Sachlich gesehen gilt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz für alle Hoheitsakte. Das bedeutet, dass alle Gesetze, Verwaltungsakte, Satzungen und Verordnungen der Überprüfung der Verhältnismäßigkeit standhalten müssen.

Wie bei vielen Grundsätzen gilt auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht zwischen Staatsorganen untereinander. Er ist nur in dem Verhältnis von Staat zu Bürger anwendbar.

III Prüfungsablauf

Grob gesehen besteht die Prüfung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes aus 4 Punkten. Danach ist eine staatliche Maßnahme verhältnismäßig, wenn sie 1. einen legitimen Zweck hat, 2. geeignet, 3. erforderlich und 4. angemessen ist.

1. Legitimer Zweck

Der Prüfungspunkt des legitimen Zwecks ist relativ weit gefasst und kann schwer eingegrenzt werden. Hierbei hilft es, folgende Fragen bei der Erörterung dieses Prüfungspunktes durchzugehen:

a. Welchen Zweck verfolgt der Staat durch seine Maßnahme?

Der Zweck der staatlichen Maßnahme ist meist durch Auslegung nach dem Wortlaut, der Systematik und der Einordnung der Situation herauszufinden und stellt selten eine Schwierigkeit dar.

b. Ist der Zweck legal?

Bei der Legalität des Zwecks ist eher Aufmerksamkeit geboten. Bei der Legitimität des Zweckes ist hier zu unterscheiden zwischen der Verwaltung und der Rechtsprechung und der Gesetzgebung. Die beiden Erstgenannten sind bei der Legitimität des Zwecks an das Gesetz gebunden. Die Gesetzgebung hingegen kann auch Ziele/Zwecke verfolgen, welche nicht ausdrücklich in der Verfassung erwähnt werden. Ausgeschlossen sind dabei nur solche Zwecke, die im Widerspruch zu der Verfassung stehen. Besonders beachtet werde sollte der legitime Zweck auch bei einem Eingriff in (dem Wortlaut nach) unbeschränkbare Grundrechte. Hier muss der Zweck dem Schutz von Grundrechten Dritter oder in dem Schutz von Verfassungsgütern von Rang liegen.

c. Welches Mittel nutzt der Staat?

Anschließend ist das vom Staat benutzte Mittel herauszufinden. Auch dies ergibt sich meist leicht aus dem Sachverhalt und bedarf eher selten einer genaueren Darstellung.

d. Ist das Mittel legal?

Neben dem angestrebten Zweck muss auch das gewählte Mittel legal sein. Würde zum Beispiel beschlossen, Steuersünder in Zukunft zu steinigen um die Steuerkriminalität einzudämmen, so wäre der Zweck (= die Bekämpfung der Steuerkriminalität) legal. Das Mittel allerdings (= Todesstrafe) nicht (vgl. Art 102 GG).

2. Das Mittel muss geeignet sein

Definition: Das Mittel ist dann geeignet, wenn der damit verfolgt Zweck überhaupt erreicht (oder gefördert)  werden kann.

Ungeeignet ist das Mittel auf jeden Fall dann, wenn die Erfüllung des Zwecks mit der Maßnahme objektiv unmöglich ist. Gleiches gilt, wenn die Maßnahme unzureichend ist.

Die Beurteilung, ob das Mittel geeignet ist richtet sich immer nach dem Zeitpunkt des Erlassens. Wird die Maßnahme zu einem späteren Zeitpunkt unzureichend, so spielt dies keine Rolle. Stellt sich die Maßnahme jedoch nachträglich als ungeeignet heraus (was im häufigsten Falle bei der Gesetzgebung passieren kann) so kann der Staat zur Nachbesserung verpflichtet werden.

Beispiel: Der Gesetzgeber versucht dem illegalen Drogenhandel damit entgegenzuwirken, dass gewisse Menschen unter ärztlicher Aufsicht Drogen legal verschrieben bekommen. Dieses Mittel scheint geeignet, den illegalen Drogenhandel einzudämmen und aufgrund des weiten Spielraums der Gesetzgebung ist dieses Mittel auch nicht verfassungswidrig. Stellt sich jedoch nach einiger Zeit heraus, dass diese Maßnahme den Drogenkonsum lediglich fördert und den Drogenhandel nicht in der gewollten Form Einhalt gebietet, so kann die Gesetzgebung zur Nachbesserung des Gesetzes verpflichtet werden.

Aufgrund der Tatsache, dass der Staat einen großen Spielraum für Zukunftsprognosen hat, spielt die Geeignetheit in Klausuren häufig eine untergeordnete Rolle. Den meisten Maßnahmen kann man (zunächst) nachsagen, dass sie den angestrebten Zweck erfüllen oder fördern.

3. Das Mittel muss erforderlich sein

Definition: Das gewählte Mittel ist dann erforderlich, wenn es keine mildere Maßnahme gibt, die denselben Erfolg mit gleicher Sicherheit erzielt.

An dieser Stelle der Klausur ist Kreativität gefragt. Es ist sinnvoll eigene Lösungsansätze zum Erreichen des Ziels herauszuarbeiten oder für bereits vorhandene Lösungen eine mildere Umsetzung zu finden. Beachtet werden sollte bei diesem Prüfungspunkt aber immer, dass die Alternative gleich geeignet sein muss.

Beispiel: Die Stadt Köln möchte die Verletzungsgefahr durch herumliegende Glasflaschen nach den Karnevalstagen möglichst gering halten. Daher verbietet sie den Getränkekonsum auf den Straßen. Ein milderes und gleich geeignetes Mittel würde es aber darstellen, wenn man den Getränkekonsum nur in Pappbechern gestattet.

Würde die Stadt aber versuchen die Verschmutzung nach den Karnevalstagen zu verringern, wäre die Alternative der Pappbecher zwar immer noch ein milderes Mittel, aber nicht gleich geeignet. Eine Verschmutzung wäre durch die Becher ebenso gegeben wie durch die Glasflaschen.

4. Das Mittel muss angemessen sein

Definition: Die Maßnahme ist angemessen, wenn der beabsichtigte Zweck nicht außer Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs steht.

Dieser Punkt ist eindeutig der Schwerpunkt in jeder Verhältnismäßigkeitsprüfung, weswegen ihm große Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. Auch wenn an diesem Prüfungspunkt viel diskutiert wird, sollte man ihn klar strukturiert und sachlich aufbauen um sich nicht in der Argumentation zu verlieren.  Dieser Prüfungspunkt, der häufig auch als Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne bezeichnet wird, beschäftigt sich mit der Zumutbarkeit der gewählten Maßnahme. Hier muss also die Abwägung zwischen den betroffenen Rechtsgütern erfolgen.

Zunächst sollte der zu erreichende Zweck festgestellt und die Gewichtung des darin enthaltenen Rechtsgutes herausgearbeitet werden.

Anschließend geschieht das gleiche für den Eingriff und das durch diesen beeinträchtigte Rechtsgut.

Sind beide Rechtsgüter dargelegt und ausführlich beschrieben, folgt die Abwägung zwischen beiden. Dabei ist stets zu beachten, dass der zu Erreichende Zweck mindestens so bedeutsam sein muss wie das Rechtsgut in welches eingegriffen werden soll. In die genannte Abwägung sind grundsätzlich alle vorhandenen Rechtspositionen und Wertentscheidungen einzubeziehen, die die Maßnahme und das dadurch eingeschränkte Rechtsgut betreffen.

Somit ergeben sich für die Angemessenheit folgende Punkte die strukturiert abgearbeitet werden sollten:

a. Bennenung

Zunächst sollten die sich gegenüberstehenden Rechtsgüter oder Rechtspositionen (also sowohl das durch den Eingriff belastete Rechtsgut, als auch jenes, welches durch den Eingriff – oder die Maßnahme – geschützt oder gefördert werden soll) benannt werden.

b. Abwägung

Anschließend sind die sich widerstreitenden Interessen gegeneinander abzuwägen. Dies erfolgt wiederum in 2 Schritten:

– Der jeweilige Rang (bzw. die Gewichtigkeit) der Rechtsgüter ist zu bestimmen und anschließend

– ist die Intensität der Gefährdung des zu schützenden Rechtsgutes gegen der Schwere der Beeinträchtigung des Rechtsgutes in welches eingegriffen werden soll abzuwägen.

Gute Anhaltspunkte für diese Darstellung sind

– Dauer

– Ausmaß und

– Häufigkeit

Beispiel: L ist Lehrerin an einer staatlichen Schule und Muslimin. Auch während des Unterrichts möchte sie ihren Glauben nicht „ablegen“ und besteht daher darauf den Unterricht mit Kopftuch führen zu dürfen. Die Schulbehörde möchte ihr dies verbieten.

Zunächst sollten hier also die sich gegenüberstehenden Grundrechte herausgearbeitet werden. Ziemlich offensichtlich stehen sich hier die Religionsfreiheit der Lehrerin und die der Schüler gegenüber (Art. 4 I, II GG).

In diesem Beispielsfall sollten aber auch andere Grundrechte wie zum Beispiel das Erziehungsrecht der Eltern (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) nicht vergessen werden. Auch die Neutralität des Staates in Religionsfragen sollte hier herangezogen werden.

Bei der Prüfung der Angemessenheit darf man sich gerne des Grundsatzes „Viel hilft viel“  bedienen. Wobei stets darauf geachtet werden sollte, dass die genannten Grundrechte vernünftigerweise und zu Recht angesprochen werden.

Für die Bestimmung der Intensität des Eingriffes finden sich in den meist sehr ausführlichen Sachverhalten sehr viele Argumente und Hinweise worauf man eingehen sollte. Gerade deswegen ist es bei diesen Klausuren sehr wichtig, nahe am Sachverhalt zu arbeiten.

Die Schwierigkeit in solchen Klausuren besteht häufig darin, dass es kein eindeutiges „Richtig“ oder „Falsch“ gibt. Somit sollte man sich stets an den herausgearbeiteten Grundrechten orientieren und für jede Seite Argumente finden. Wie so häufig in juristischen Klausuren ist hier der Weg das Ziel. Wichtig ist nicht das Ergebnis an sich, sondern wie Sie auf eben dieses Ergebnis gekommen sind. In diesen Klausuren muss bewiesen werden, dass man sich in dem Dschungel der Grundrechte auskennt und diesen wissenschaftlich und argumentativ korrekt darstellen kann.

Vielen Dank, dass Sie diesen Beitrag gelesen haben. Wir hoffen, dass er Ihnen weiterhelfen oder zumindest Ihr Interesse wecken konnte. Hier finden Sie den Beitrag Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auf unserer Website Jura Individuell.

Einstweiliger Rechtsschutz nach § 80 a VwGO

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I. Einführung

II. Grundsätzlicher Umgang mit § 80 a VwGO

III. Allgemeines Prüfungsschema einstweiliger Rechtsschutz bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung nach §§ 80 V, 80 a VwGO

IV. Typische Klausurkonstellation mit Fallbeispielen zu § 80 a VwGO

I. Einführung

Es gibt in der VwGO verschiedene Arten des Eilrechtsschutzes. Einstweiliger Rechtsschutz ist über § 123 VwGO, § 80 V VwGO, § 80 a VwGO und im Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO zu erlangen.

Im Folgenden soll der vorläufige Rechtsschutz bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung nach § 80a VwGO näher betrachtet werden. Die Norm wurde mit der vierten Gesetzesänderung der Verwaltungsgerichtsordnung zum 01.01.1991 in die VwGO eingefügt.

In der Klausur ist meistens die einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO von dem Verfahren nach § 80 V VwGO oder § 80 a VwGO abzugrenzen.

Die Abgrenzung erfolgt anhand der statthaften Klageart in der Hauptsache. Immer wenn in der Hauptsache eine Anfechtungsklage statthaft ist, finden §§ 80, 80 a VwGO Anwendung.

Alle übrigen Klagearten werden von § 123 VwGO erfasst. Die Rangfolge bestimmt § 123 V VwGO: wenn nach §§ 80, 80 a VwGO vorläufiger Rechtsschutz möglich ist, ist ein Antrag nach § 123 VwGO unzulässig.

Vorläufiger Rechtsschutz kommt nicht nur für den Adressaten eines belastenden Verwaltungsaktes in Betracht, sondern auch für einen Dritten, der von diesem Verwaltungsakt betroffen ist (Verwaltungsakt mit Doppelwirkung). Nach § 80 a VwGO kann auch der Drittbelastete vorläufigen Rechtsschutz erlangen.

Dabei ist § 80 a VwGO jedoch keine selbständige Regelung, sondern eine spezielle Bestimmung für Verwaltungsakte mit Doppelwirkung. Diese ergänzt die Regelungen nach § 80 VwGO  (siehe hierzu § 80 I Satz 2 VwGO, „… das gilt auch bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung“).

Bei der Doppelwirkung handelt es sich um ein Dreiecksverhältnis zwischen dem Adressaten eines Verwaltungsaktes, der handelnden Behörde und einem Dritten. Ein Verwaltungsakt mit Doppelwirkung ist ein VA, der zugleich einen Betroffenen begünstigt und einen anderen belastet.

§ 80 a VwGO ist unterteilt:

§ 80 a I VwGO handelt die Möglichkeiten des vorläufigen Rechtsschutzes bei einem begünstigenden Verwaltungsakt mit belastender Drittwirkung ab (z. B. Baugenehmigung), § 80 a II VwGO betrifft den vorläufigen Rechtsschutz bei einem den Adressaten belastenden VA mit begünstigender Drittwirkung (z. B. Abrissverfügung).

II. Grundsätzlicher Umgang mit § 80 a VwGO

Wichtig bei § 80 a VwGO ist es, richtig einzuordnen, um welche Variante des § 80 a VwGO es sich im Fall handelt, um dann die einschlägige Variante zu prüfen und festzustellen, was für Möglichkeiten für Eilrechtsschutz bestehen. Die Behörde und auch das Gericht haben unterschiedliche Möglichkeiten zu handeln und darauf muss entsprechend reagiert werden.

1. Möglichkeiten des VA-Begünstigten gegen einen Dritten

Der erste Fall ist der, dass nach § 80 a I VwGO ein Dritter einen Rechtsbehelf (Widerspruch, Anfechtungsklage) gegen den einen anderen begünstigenden VA einlegt.

Der Begünstigte hat dann folgende Möglichkeiten (- der Begünstigte ist hierbei der ursprünglich Begünstigte des Verwaltungsakts):

a. Nach § 80 a I Nr. 1 VwGO kann die Behörde auf Antrag des Begünstigten Sofortvollzug anordnen.

Ein Meinungsstreit besteht, ob die Behörde auch ohne Antrag des Begünstigten selbständig iS des § 80 II Nr. 4 VwGO handeln darf.  Eine Meinung nimmt an, dass § 80 a VwGO eine abschließende Sonderregelung darstellt, die § 80 II Nr. 4 VwGO verdrängt. Für § 80 a VwGO wäre das Antragsprinzip maßgebend und dem Begünstigten dürfe seitens der Behörde keine „Wohltat“ aufgedrängt werden.

Nach Kopp/Schenke spricht § 80 a I Nr. 1 VwGO (und auch § 80 a I Nr. 2, II VwGO) zwar ausdrücklich von einem Antragsrecht. Daraus dürfe aber nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass die Behörde nicht von sich aus die Vollziehbarkeit anordnen könne. Das Antragsrecht in § 80 a VwGO stelle nur den Rechtsschutzcharakter des in § 80 a VwGO geregelten Rechtsbehelfes klar, habe jedoch nicht die behördliche Befugnis zum Ausspruch der sofortigen Vollziehung zum Gegenstand.

Bei sofortiger Vollziehung durch die Behörde kann sich der Dritte nach § 80 a III VwGO mit einem Antrag auf Aufhebung der behördlichen Anordnung zur Wehr setzen.

b. Nach §§ 80 a III, I Nr. 1, 80 II 1 Nr. 4 VwGO kann der Begünstigte auch einen Antrag bei Gericht auf Anordnung des sofortigen Vollzuges stellen.

Beide Anträge, der bei der Behörde nach § 80 a I Nr. 1 VwGO und der bei Gericht nach § 80 a III VwGO sind nebeneinander möglich.

Eine Ausnahme besteht bei öffentlichen Abgaben oder Kosten im Sinne des § 80 II Nr. 1 VwGO: Nach §§ 80 a III 2, 80 VI VwGO kann ein Antrag bei Gericht erst eingereicht werden, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung abgelehnt hat. § 80 a II 2 VwGO stellt eine Rechtsgrund- und keine Rechtsfolgenverweisung dar und ist daher nicht auf § 80 II Nr. 4 VwGO anwendbar.

c. Bei Aussetzung der sofortigen Vollziehung auf  den Antrag eines Dritten durch eine Behörde kann sich der Begünstigte bei Gericht nach § 80 a III, I Nr. 1 VwGO wehren. Hat das Gericht die Aussetzung angeordnet, kann der vom Verwaltungsakt Begünstigte mit einer Beschwerde nach § 146 I VwGO beim Oberverwaltungsgericht dagegen vorgehen.

2. Möglichkeiten des VA-Belasteten gegen einen Dritten

a. Ein Dreiecksverhältnis ist auch dann gegeben, wenn ein Adressat von einem Verwaltungsakt belastet und ein Dritter begünstigt wird. Der Adressat kann gegen einen von der Behörde auf Antrag des Dritten (§§ 80 a II, 80 II Satz 1 Nr. 4 VwGO) angeordneten Sofortvollzug gemäß § 80 a III VwGO bei Gericht einen Antrag auf Aussetzung stellen. Hat ein Gericht die Anordnung getroffen, kann er sich gemäß § 146 I VwGO beim Oberverwaltungsgericht mit der Beschwerde dagegen wehren.

Bei einem faktischen Vollzug durch die Behörde, kann der Adressat nach §§ 80 a III Satz 2, 80 V Satz 1 VwGO analog eine Feststellung durch das Gericht veranlassen, ob aufschiebende Wirkung bestand. Bestand eine aufschiebende Wirkung und die Behörde hat dies nicht beachtet, ist der Antrag begründet. Das Gericht nimmt bei einer faktischen Vollziehung keine Interessensabwägung vor, da kein gerichtlicher Ermessensspielraum besteht, wenn sich die Behörde rechtswidrig verhält, das heißt, sich der aufschiebenden Wirkung widersetzt.

b. Erhebt bei einem für ihn belastenden Verwaltungsakt mit begünstigender Drittwirkung der Adressat Widerspruch oder Anfechtungsklage und ist ein Fall des § 80 I Nrn. 1-3 VwGO gegeben, haben Anfechtungsklage und Widerspruch keine aufschiebende Wirkung. Der Adressat des belastenden Verwaltungsaktes kann sich dennoch gegen den Sofortvollzug wehren. Er kann bei der Behörde nach § 80 IV VwGO oder bei Gericht nach § 80 V VwGO einen Antrag auf Aussetzung des Sofortvollzugs stellen. Beide Anträge sind nebeneinander möglich. Eine Ausnahme besteht bei öffentlichen Abgaben und Kosten im Sinne des § 80 II Nr. 1 VwGO.

Ein solcher Antrag ist nach § 80 IV Satz 3 VwGO analog begründet, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen und die Vollziehung eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

3. Vorläufige Rechtsschutzmöglichkeiten des durch einen Verwaltungsakt belasteten Dritten

Dritter i.S. des § 80 a VwGO ist derjenige, der durch die Vollziehbarkeit eines an einen anderen gerichteten Verwaltungsakt belastet wird (nach Kopp/ Schenke).

Auch der Dritte, auf den der Verwaltungsakt des Begünstigten belastend wirkt, hat in diesem Dreiecksverhältnis Rechtsschutzmöglichkeiten. In Klausuren ist der Dritte meist der Nachbar im Baurecht.

Für den Antrag des Dritten auf einstweiligen Rechtsschutz muss unterschieden werden, ob die Behörde oder ein Gericht die sofortige Vollziehbarkeit angeordnet hat, oder ob der Verwaltungsakt kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist. Die Regelung des § 80 a I Nr. 2 VwGO gilt aber nur für Verwaltungsakte, die nicht an den Dritten selbst adressiert sind.

a.  Auf Antrag des Dritten nach §§ 80 a I Nr. 2, 80 II Nr. 4 VwGO kann die Behörde die (sofortige) Vollziehung aussetzen und einstweilige Maßnahmen zur Sicherung der Rechte des Dritten treffen.

b.  Nach § 80 a III VwGO kann auch das Gericht auf Antrag nach den Absätzen 1 und 2 des § 80 a VwGO anstelle der Behörde Maßnahmen treffen oder über von der Behörde getroffene Maßnahmen entscheiden. Die Rechtsgrundlage für die Befugnis des Gerichts, die Entscheidung zu treffen, folgt dann aus §§ 80 a III, I, 80 II Nr. 4 VwGO.

Hat das Gericht selbst nach §§ 80 a III, I Nr. 1, 80 II 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung angeordnet, kann der Dritte dagegen Beschwerde nach § 146 I VwGO einlegen. Hier sind dann die Einlegungsfrist gemäß § 147 VwGO von zwei Wochen und die Begründungsfrist – innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung, § 146 IV VwGO – zu beachten.

aa. Faktischer Vollzug: Wenn ein durch einen Verwaltungsakt Begünstigter trotz gerichtlicher Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung oder gesetzlichen Eintritts der aufschiebenden Wirkung nach § 80 I VwGO die aufschiebende Wirkung nicht beachtet (faktischer Vollzug), kann das Gericht in analoger Anwendung von §§ 80 a III 2, 80 V 1  VwGO auf Antrag des Dritten durch Beschluss feststellen, dass der VA aufschiebende Wirkung hat. Die analoge Anwendung wird folgendermaßen begründet: Eine Regelung für einen faktischen Vollzug gibt es nicht. Die VwGO kennt nur Eilrechtsschutz für die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, die in diesem Fall jedoch nicht weiterhilft, da die aufschiebende Wirkung bereits besteht. Den Fall einer rechtswidrigen Nichtbeachtung der aufschiebenden Wirkung regelt die VwGO nicht. Es liegt damit eine planwidrige Regelungslücke vor, denn erst recht muss bei einem faktischen Vollzug Eilrechtsschutz möglich sein. Die Interessenlage, die beim einstweiligen Rechtsschutz zur Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung zugrunde liegt, ist vergleichbar, sodass die für diesen Fall vorgesehenen Regelungen bei einem faktischen Vollzug analog zur Anwendung kommen.

bb. Darüber hinaus kann das Gericht analog §§ 80 a III, I Nr. 2, 80 V 3 VwGO die Verwaltung verpflichten gegenüber dem Begünstigten Sicherungsanordnungen, also Unterlassung oder Rückgängigmachung der Vollziehung, zu treffen.

Für die Klausur: Bei einer faktischen Vollziehung bedarf es keiner Interessensabwägung (wie sonst beim Prüfungsschema von 80 V VwGO), da bei der Entscheidung kein gerichtlicher Ermessensspielraum gegeben ist. Der faktische Vollzug ist rechtswidrig und zu Gunsten des rechtswidrig Handelnden darf nichts in die Waagschale geworfen werfen. Bei dem „Ob“ der Vollzugsanordnung ist das Gericht zur Anordnung verpflichtet.

c. Das häufigste Beispiel in Klausuren ist die Bauerlaubnis für einen Adressaten, gegen die der Dritte einen „Baustopp“ erreichen möchte. Nach § 212 a BauGB haben bei einer bauaufsichtlichen Zulassung (z. B. Baugenehmigung) Anfechtungsklage und Widerspruch des Dritten keine aufschiebende Wirkung. Bei dem Fall eines sofort vollziehbaren Verwaltungsaktes kraft Gesetztes muss der Dritte die Aussetzung der Vollziehung beantragen – nach § 80 a I Nr. 2 VwGO bei der Behörde oder nach § 80 a I Nr.2, III VwGO bei Gericht. Diese Anträge sind wieder nebeneinander möglich, die Ausnahme besteht wie oben bei Abgaben und Kosten gemäß § 80 II Nr. 1 VwGO.

Hält sich der vom Verwaltungsakt Begünstigte nicht an die Aussetzung des Sofortvollzugs und baut beispielsweise weiter, kann der Dritte nach § 80 a I Nr. 2 VwGO einstweilige Maßnahmen zur Sicherung seiner Rechte (zum Beispiel Stillegung des Bauvorhabens, Unterbindung des Betriebs einer Anlage) bei der Behörde beantragen oder nach § 80 a I Nr. 2, III VwGO bei Gericht.

Eine Rückgängigmachung eines bereits vollzogenen Verwaltungsaktes ist in analoger Anwendung der §§ 80 a III 2, 80 V 3 VwGO möglich.

3. Mögliche Rechtsschutzmöglichkeiten des durch den Verwaltungsakt begünstigten Dritten

Geht ein vom Verwaltungsakt mit begünstigender Drittwirkung belasteter Adressat mit einer Anfechtungsklage oder Widerspruch gegen den Verwaltungsakt vor, haben Anfechtungs- und Widerspruch aufschiebende Wirkung (§ 80 I Satz 1 VwGO). Der Verwaltungsakt darf nicht mehr vollzogen werden.

a. Nach § 80 a II VwGO kann der Dritte bei der Behörde einen Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehung stellen. In der Klausur ist dann eine Interessensabwägung vorzunehmen: Die Behörde  ordnet die Sofortvollziehung dann an, wenn das Interesse des Dritten an der Vollziehung dem  Aussetzungsinteresse des vom Verwaltungsakt Belasteten überwiegt.

Hierbei kann der oben ausgeführte Meinungsstreit eine Rolle spielen, ob die Behörde von Amts wegen die sofortige Vollziehung anordnen darf (Argumente siehe oben).

b. Der Dritte kann auch bei Gericht nach § 80 a III 1 VwGO einen Antrag auf Sofortvollzug stellen. Der Antrag bei der Behörde und bei dem Gericht sind nebeneinander möglich. Eine Ausnahme besteht bei öffentlichen Abgaben und Kosten im Sinne des § 80 II Nr. 1 VwGO (siehe oben).

Auch bei dem Antrag bei Gericht gilt für die Klausur:

Eine Interessensabwägung findet statt. Das Gericht ordnet die Sofortvollziehung dann an, wenn das Interesse des Dritten an der Vollziehung dem  Aussetzungsinteresse des vom Verwaltungsakt Belasteten überwiegt.

c. Stellt bei einem kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Verwaltungsakt der belastete Adressat einen Antrag auf Aussetzung des Sofortvollzugs und hat damit Erfolg, kann der Dritte sich nach § 80 a II VwGO bei der Behörde oder nach § 80 a III, II VwGO bei Gericht dagegen zur Wehr setzen. Sein Antrag hat Erfolg, wenn sein Vollzugsinteresse das Aussetzungsinteresse des Belasteten überwiegt.

Bei einer gerichtlichen Aussetzung des Sofortvollzuges kann der begünstigte Dritte Beschwerde nach § 146 I VwGO beim Oberverwaltungsgericht erheben.

III. Allgemeines Prüfungsschema der Zulässigkeit des einstweiligen Rechtsschutzes bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung nach §§ 80 V, 80 a VwGO

A. Zulässigkeit

1. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs nach § 40 I VwGO, Gericht der Hauptsache (§ 80 V VwGO)

2. Statthaftigkeit:

Der Antrag ist statthaft, wenn die Anfechtungsklage in der Hauptsache zulässig, § 80 V VwGO

3.  Antragsbefugnis, § 42 II VwGO analog

4. Rechtschutzbedürfnis

Nach § 80 VI Satz 1 VwGO ist ein behördliches Verfahren in § 80 II Nr. 1 VwGO notwendig. Im Umkehrschluss ist ein solches behördliches Verfahren in den Fällen des § 80 II Nrn. 2, 3 und 4 VwGO nicht notwendig.

b. Der Verwaltungsakt ist noch anfechtbar und noch nicht erledigt.

c. Anfechtungsklage oder Widerspruch muss noch nicht erhoben, aber noch möglich sein, siehe auch § 80 V Satz 2 VwGO.

IV. Typische Klausurkonstellation mit Fallbeispielen zu § 80 a VwGO

Meist ist in Klausuren § 80 a III VwGO zu prüfen.

Typischerweise möchte ein Nachbar im Baurecht gerichtlich gegen eine Baugenehmigung vorgehen.

In den Folgenden Fallbeispielen soll keine komplette Lösung aufgezeigt, sondern veranschaulicht werden, wie § 80 a VwGO in Klausuren eingebaut wird.

(1) Fallbeispiel:

Gastronom G ist Eigentümer eines unbebauten Grundstücks in einem allgemeinen Wohngebiet (§ 4 BauNVO) der Stadt A. Er möchte einen Nachtclub eröffnen und beantragt eine Baugenehmigung, die er erhält. Er beauftragt eine Baufirma, die mit den Bauarbeiten beginnt. Der Eigentümer des bebauten Nachbargrundstücks N erfährt erst von dem Bauvorhaben mit Beginn der Bauarbeiten. N sieht dadurch seinen Schlaf gefährdet und möchte unverzüglich gegen das Bauvorhaben mit einem Antrag auf einstweiligen Rechtschutz beim zuständigen Verwaltungsgericht vorgehen.

Zulässigkeit des Antrags nach §§ 80 a VwGO

1.Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs

Der Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet, da es sich bei den streitentscheidenden Normen um solche des öffentlichen Baurechts handelt.

2. Statthafte Antragsart

Die statthafte Antragsart richtet sich nach dem Klagebegehren in der Hauptsache. N möchte gegen die an G erteilte Baugenehmigung vorgehen. In der Hauptsache wäre daher eine Anfechtungsklage statthaft. Der vorläufige Rechtsschutz richtet sich daher gemäß § 123 V VwGO nach den §§ 80 V, 80 a VwGO. Nach §§ 212 a I BauGB, 80 II Satz 1 Nr. 3 VwGO hat eine Klage gegen eine Baugenehmigung keine aufschiebende Wirkung. N muss daher nach § 80 a III, I Nr. 2 VwGO die Aussetzung der Vollziehung der Baugenehmigung beantragen.

Ein Antrag nach § 80 a III, I Nr. 2 VwGO ist daher statthaft.

3. Antragsbefugnis, § 42 II VwGO analog

Die Antragsbefugnis verhält sich akzessorisch zur Anfechtungsklage nach § 42 II VwGO analog.

Die Adressatentheorie hilft hier nicht weiter, da N als Dritter nicht Adressat des Verwaltungsaktes ist. Bei einem Verwaltungsakt mit Doppelwirkung, bei welchem der Adressat begünstigt und der Dritte belastet ist, besteht für den Dritten Antragsbefugnis, wenn die Möglichkeit der Verletzung einer drittschützenden Norm besteht. Im Baurecht sind nachbarschützende Vorschriften drittschützend.

a. Nachbarn im Sinne des Baurechts sind nur die Eigentümer und sonst dinglich Berechtigte. Hierbei sind neben den unmittelbaren Grenznachbarn auch diejenigen umfasst, deren Grundstücke im Einwirkungsbereich der baulichen Anlage liegen.

N ist Nachbar.

b. N muss sich zusätzlich noch auf eine drittschützende Norm berufen können.

In Klausuren ist meist in der BauNVO nach einer passenden Norm zu suchen. Die Normen der BauNVO sind drittschützend. Dabei kann die Schutznormtheorie herangezogen werden, nach welcher eine Norm drittschützend ist, wenn sie nicht ausschließlich dem Allgemeininteresse, sondern auch dem Schutz von Individualinteressen dient.

Innerhalb des Prüfungspunktes „drittschützende Norm“ muss in Klausuren noch die Art und das Maß der baulichen Nutzung geprüft werden. Weiterhin kann an dieser Stelle die „Nachbarbeteiligung“ im Baurecht einen Problemschwerpunkt darstellen. Im vorliegenden Beispielsfall werden diese Punkte nicht geprüft, da lediglich die Einarbeitung des § 80 a VwGO in die Zulässigkeit dargestellt werden soll.

 N ist klagebefugt.

4. Zuständiges Gericht ist gem. § 80 V 1 VwGO das Gericht der Hauptsache, bei einem Antrag nach § 80 V VwGO gibt es keine Frist.

5. Rechtsschutzbedürfnis

In Klausuren ist bei diesem Prüfungspunkt ein oben noch nicht thematisierter Meinungsstreit zu eröffnen:

a. Fraglich ist, ob N zunächst bei der zuständigen Behörde einen Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung zu stellen hat, da § 80 a III 2 VwGO auf § 80 VI VwGO verweist. Nach herrschender Ansicht handelt es sich bei dem Verweis um ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers. Nur bei öffentlichen Abgaben oder Kosten nach § 80 II Nr. 1 VwGO ist der vorherige Antrag bei der Behörde erforderlich.

Das Rechtsschutzbedürfnis des N ist gegeben. Er kann sein Ziel nicht auf andere Weise schneller und effektiver erreichen.

b. Widerspruch

Hier kommt es darauf an, ob im  jeweiligen Bundesland ein Widerspruchsverfahren nach § 68 VwGO erforderlich ist. In Bayern ist das Widerspruchsverfahren abgeschafft ( s. § 68 S. 2 VwGO, Art. 15 II AGVwGO). Ansonsten ist der Dritte jedenfalls nicht verpflichtet Widerspruch vor Ablauf einer Widerspruchsfrist einzulegen, da dies Rechtsbehelfsfristen verkürzen würde. Nach § 80 V 2 VwGO ist der Antragsteller nicht verpflichtet eine Anfechtungsklage vor einem Antrag nach § 80 V VwGO zu erheben. Dies lässt sich auch auf den Widerspruch anwenden.

(2) Fallbeispiel Abwandlung:

Wie im Grundfall, N hat aber mit Antrag beim zuständigen Landratsamt erreicht, dass der Vollzug der Baugenehmigung des G ausgesetzt wird.  Daraufhin wendet sich G an das Verwaltungsgericht und erreicht dort in einem Verfahren, bei welchem N beigeladen ist, dass er doch mit dem Bau beginnen kann. N möchte gegen den Beschluss des Gerichts vorgehen. Er wendet sich an Rechtsanwalt R.

Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts:

1. Zuständigkeit

Über die Beschwerde entscheidet nach §§ 46 Nr. 2, 146 I VwGO das OVG.

2. Zulässigkeit der Beschwerde

Die Beschwerde ist nach § 146 I VwGO statthaft, da sie sich gegen einen Beschluss des Verwaltungsgerichts nach § 80 a III VwGO richtet.

N als Beschwerdeführer ist durch die angegriffene Entscheidung als Beigeladener des Ausgangsverfahrens materiell beschwert. Er ist durch die Vollziehbarkeit der Baugenehmigung in seinen rechtlichen Interessen berührt.

3. Begründetheit der Beschwerde

Die Beschwerde ist begründet, wenn die angegriffene Entscheidung fehlerhaft ist und das Verwaltungsgericht bei richtiger Rechtsanwendung den Antrag auf Wiederherstellung der Vollziehbarkeit der Baugenehmigung hätte ablehnen müssen.

a. Zulässigkeit des Antrags nach § 80 a III VwGO

b. Begründetheit des Antrags nach § 80 a III VwGO

Nach §§ 80 a III, 80 V VwGO kann das Gericht auf Antrag des Adressaten einer Baugenehmigung bei erhobener Nachbarklage und Aussetzung der Vollziehung durch die Behörde, die sofortige Vollziehbarkeit der Baugenehmigung wiederherstellen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung. Für die Entscheidung gelten dieselben Grundsätze wie für § 80 V VwGO.

Es kommt daher auf die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache, der Anfechtungsklage, an.

aa. Formelle Rechtmäßigkeit der Außervollzugsetzung

bb. Erfolgsaussichten der Anfechtungsklage in der Hauptsache

aaa. Zulässigkeit der Anfechtungsklage

– Form

– Frist

– Widerspruchsverfahren, § 68 VwGO

– Klagebefugnis: N ist zwar nicht Adressat des Verwaltungsaktes, er ist jedoch Eigentümer des Nachbargrundstücks und kann sich auf nachbarschützende Vorschriften berufen.

bbb. Begründetheit der Anfechtungsklage

–  Passivlegitimation: 78 I VwGO

– Die Klage ist nach § 113 I 1 VwGO begründet, wenn die Baugenehmigung des G rechtswidrig ist.

Die Baugenehmigung könnte gegen die Wahrung des Gebietscharakters nach § 4 BauNVO und den Anspruch auf Rücksichtnahme verstoßen.

Vielen Dank, dass Sie diesen Beitrag gelesen haben. Wir hoffen, dass er Ihnen weiterhelfen oder zumindest Ihr Interesse wecken konnte. Hier finden Sie den Beitrag Einstweiliger Rechtsschutz nach § 80 a VwGO auf unserer Website Jura Individuell.

Zusage und Zusicherung

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1. Überblick

Ob behördliche Erklärungen im konkreten Fall eine bindende Verpflichtung für ein späteres Verwaltungshandeln erzeugen, ist immer wieder von erhöhter Klausurrelevanz. Innerhalb der Klausur spielt die Zusage oder Zusicherung (§ 38 VwVfG) – deren beider Oberbegriff die Zusage im weiten Sinne ist – regelmäßig eine Schlüsselrolle. Wichtig ist zunächst, dass Sie sprachlich korrekt trennen: Hinter dem Begriff der Zusicherung verbirgt sich die Verpflichtung einer Behörde, einen bestimmten Verwaltungsakt zu erlassen oder zu unterlassen. Hingegen sprechen Sie von einer Zusage, wenn die Behörde sich zu einem bestimmten Tun, Dulden oder Unterlassen verpflichtet hat.

2. Bezug zur Klageart

2.1 Leistungs- oder Verpflichtungsklage

Die Problematik kann Ihnen zum Einen innerhalb der Leistungsklage – als auch innerhalb der Verpflichtungsklage begegnen. Begehrt der Kläger unter Hinweis auf eine Erklärung der Behörde aus der Vergangenheit eine bestimmte Leistung, so ist die Leistungsklage statthaft; ist das Klagebegehren hingegen auf den Erlass eines Verwaltungsaktes gerichtet, handelt es sich um ein Verpflichtungsbegehren dem die Verpflichtungsklage entspricht. Sie prüfen dann zunächst die Zulässigkeit der jeweiligen Klageart. Innerhalb der Begründetheit haben Sie darzustellen, ob und aus welcher Grundlage sich ein Anspruch des Klägers ergibt. Hier wird deutlich, dass die Zusage oder die Zusicherung einen wichtigen Part innerhalb des Gesamtwerks Ihrer Klausur darstellt. Das bedeutet, dass Sie bei der Anspruchsgrundlage zum Einen auf den Anspruch aus öffentlich-rechtlicher Sonderbeziehung abstellen. Dieser kann sich aus einer Zusage im weiteren Sinne oder aus öffentlich-rechtlichem Vertrag (siehe dazu Teil II ) ergeben. Erst im zweiten Schritt kommen Sie auf die einfachgesetzlichen Grundlagen zu sprechen und gelangen damit zu der Ihnen bekannten Prüfung. In der Regel wird der Anspruch aus der öffentlich-rechtlichen Sonderbeziehung nicht bestehen, da die Klausurersteller Sie zur weiteren Prüfung anhalten wollen. Dennoch, wer bereits den Anspruch aus der öffentlich – rechtlichen Sonderbeziehung, insbesondere aus der Zusage oder Zusicherung übersieht, hat im weiteren Fortgang unnötigerweise wesentlich schlechtere Karten. –

2.2. Anfechtungskonstellation

Neben der oben beschriebenen Leistungs- oder Verpflichtungskonstellation kann Ihnen die Zusicherung bezüglich eines Verwaltungsaktes auch eingekleidet in die Anfechtungsklage begegnen. In dieser Klausurkonstellation wurde ein bestimmter Verwaltungsakt – entgegen der Zusicherung der Behörde eben dies nicht zu tun – erlassen. Heben Sie sich an dieser Stelle deutlich von der Masse ab, indem Sie eine präzise Prüfung vornehmen und formulieren, worauf es ankommt. Die Rechtswidrigkeit des Bescheids kann einerseits aus der Zusicherung folgen. So ist der erlassene Bescheid i.S.d § 113 I 1 VwGO rechtswidrig, wenn sich die Behörde durch ihre Erklärung tatsächlich gebunden hat. Abzugrenzen ist die Zusicherung häufig vom bloßen Hinweis, dem es am Regelungscharakter mangelt. In der Regel hat sich die Behörde mit ihrer Erklärung nicht gebunden, so dass Sie mit der Prüfung eines Anspruchs aus den Ihnen bekannten Ermächtigungsgrundlagen fortfahren. Möglich ist auch die konträre Situation: Dann haben Sie die Zulässigkeit und Begründetheit eines Anfechtungsrechtsbehelfs gegen die Aufhebung einer Zusicherung zu prüfen. Hier dürfen Sie innerhalb der Begründetheitsprüfung der Anfechtungsklage die subjektive Rechtsverletzung nicht vergessen.

2.3. Feststellungsklage

Eher selten wird die Feststellungsklage – gerichtet auf die Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens der Voraussetzungen des § 38 III VwVfG – in Klausuren abgeprüft.

3. Zweistufige Prüfung

Begegnet Ihnen die Zusage im weiten Sinne in der Klausur, gehen Sie – nachdem Sie für sich geklärt haben, ob eine Zusage oder eine Zusicherung vorliegt – zweistufig vor:

3.1 – 1. Stufe: Auslegung (selbstverpflichtende Erklärung mit erkennbarem Bindungswillen?)

Setzen Sie bei der Auslegung einen kleinen (!) Schwerpunkt und erläutern Sie, ob die behördliche Erklärung analog §133 BGB nach ihrem auszulegenden Erklärungsinhalt überhaupt eine verbindliche Erklärung beinhaltet. Grenzen Sie die Zusicherung deutlich von einer bloß unverbindlichen Auskunft ab; bei dieser handelt es sich um einen bloßen Realakt ohne Verpflichtung zu einem bestimmten Verhalten. Sehr häufig scheitert eine Zusage im weiteren Sinne innerhalb der Klausur bereits am Selbstbindungswillen der Behörde, was Sie deutlich herausarbeiten müssen. So liegt eine bloße Auskunft ohne verbindlichen Erklärungsinhalt vor, wenn die Behörde beispielhaft lediglich erklärt, dass das streitgegenständliche Bauvorhaben mit den baurechtlichen Bestimmungen im Einklang steht. Es handelt sich dann lediglich um eine informative Mitteilung über tatsächliche oder rechtliche Umstände. Eine Zusicherung besteht ebenfalls nicht bei einem Bauvorbescheid, der über einen Teil des späteren Verwaltungsaktes vorab entscheidet, da dieser keine Disposition über die Zukunft trifft, sondern lediglich einen Teil vorab abhandelt. So kann beispielsweise innerhalb eines Bauvorbescheides die Entscheidung über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit vorweggenommen werden. Im Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) ist in § 9 BImSchG ein solcher Bauvorbescheid sogar gesetzlich vorgesehen.

3.2 – 2.Stufe: Wirksamkeit der Zusage im weiten Sinne

Sofern nach Ihrer Prüfung eine selbstverpflichtende Erklärung mit Bindungswillen vorliegt, prüfen Sie in der zweiten Stufe die Wirksamkeit der Zusicherung nach § 133 BGB analog. Gemäß § 38 II VwVfG gelten die Grundsätze für Verwaltungsakte hierfür in dem in § 38 II VwVfG aufgeführten Umfang entsprechend.

3.2.1 Formelle Voraussetzungen der Bindungswirkung

Formelle Anforderungen sind die Zuständigkeit (§ 38 I1 VwVfG), das Verfahren (insbesondere die Beteiligung Dritter) und die Einhaltung der Schriftform (§38 I1 VwVfG). Zudem darf die Zusage im weiten Sinne nicht nichtig sein, § 44 VwVfG; die Rechtswidrigkeit schadet demgegenüber nicht, wie sich § 38 II VwVfG entnehmen lässt.

3.2.2 Entfall der Bindungswirkung

3.2.2.1 Entfall der Bindungswirkung durch Rücknahme oder Widerruf

Im Anschluss prüfen Sie inzident, ob die Bindungswirkung nicht entfallen ist durch Rücknahme oder Widerruf (siehe dazu „Rücknahme und Widerruf in der verwaltungsrechtlichen Klausur“). Beachten Sie, dass Sie § 38 II VwVfG i.V.m. § 48 VwVfG bei rechtswidriger Zusicherung und § 38 II VwVfG i.V.m. § 49 VwVfG bei rechtmäßiger Zusicherung zitieren. Hierfür müssen Sie inzident klären, ob die Zusage im weiteren Sinne rechtmäßig oder rechtswidrig war. Dabei orientieren Sie sich daran, ob ein Verwaltungsakt des Inhalts der Zusage i.w.S. rechtmäßig oder rechtswidrig wäre. Die formellen Prüfungspunkte sind Ihnen bekannt und erstrecken sich auf die Zuständigkeit, das Verfahren und die Form. Materiell prüfen Sie die Zulässigkeit der Zusicherung, die Rechtmäßigkeit des zugesicherten Verwaltungsaktes und ggf. eine ordnungsgemäße Ermessensausübung, sofern die gesetzliche Grundlage Ermessen vorsieht.

3.2.2.2 Entfall der Bindungswirkung durch Wegfall der Geschäftsgrundlage nach § 38 III VwVfG

Neben der Rücknahme und dem Widerruf kann die Bindungswirkung durch Wegfall der Geschäftsgrundlage nach § 38 III VwVfG entfallen. Darin liegt Ihr letzter Prüfungspunkt, sofern Anlass zur Prüfung besteht.

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Die abstrakte und konkrete Normenkontrolle

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Im Folgenden werden der Aufbau der abstrakten Normenkontrolle (Art. 93 I Nr. 2 GG, §§ 13 Nr. 6, 76 ff. BVerfGG) und der konkreten Normenkontrolle (Art. 100 I GG, §§ 13 Nr. 11, 80 ff. BVerfGG) erläutert.

I. Die abstrakte Normenkontrolle Art. 93 I Nr. 2 GG, §§ 13 Nr. 6, 76 ff. BVerfGG)

Im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle wird durch ein objektives Verfahren überprüft, ob Bundes- oder Landesrecht mit dem Grundgesetz oder Landesrecht mit sonstigem Bundesrecht vereinbar ist. Dies ist Art. 93 I Nr. 2 GG zu entnehmen. Was die abstrakte von der konkreten Normenkontrolle unterscheidet ist die Tatsache, dass die abstrakte Normenkontrolle (wie der Name schon sagt) unabhängig von einem konkreten Prozess oder Rechtsstreit durchgeführt wird. Insoweit existiert auch kein Antragsgegner.

II. Schema der abstrakten NK

Der Antrag auf Durchführung einer abstrakten Normenkontrolle hat Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.

1. Zulässigkeit

a. Zuständigkeit des BVerfG (Art. 93 I Nr. 2 GG)

b. Antragsberechtigung (Art. 93 I Nr. 2, § 76 I BVerfGG)

c. Antragsgegenstand

d. Antragsbefugnis (bzw. Klarstellungsinteresse)

e. Form (§ 23 I BVerfGG)

2. Begründetheit

Der Antrag auf Durchführung einer abstrakten Normenkontrolle ist begründet, wenn Bundesrecht mit dem Grundgesetz oder Landesrecht mit dem Grundgesetz oder dem sonstigen Bundesrecht unvereinbar ist.

III. Schema abstrakte Normenkontrolle mit Erläuterungen

1. Zulässigkeit

a. Zuständigkeit

Das Bundesverfassungsgericht ist gemäß § Art. 93 I Nr. 2 GG zuständig für die Überprüfung von Bundes- oder Landesrecht mit dem Grundgesetz oder Landesrecht mit sonstigem Bundesrecht. Hierbei liegt meist kein Problemschwerpunkt in der Klausur.

b. Antragsberechtigung

Gemäß Art. 93 I Nr. 2 GG, § 76 I BVerfGG sind nur die Bundesregierung, eine der Landesregierungen oder ein Viertel der Mitglieder des Bundestages antragsberechtigt. Mit dem Begriff der Bundesregierung sind Bundeskanzler und Bundesminister gemäß Art. 62 GG gemeint. Der Bundeskanzler allein – oder auch ein Bundesminister allein – ist also nicht befugt den Antrag zu stellen.

c. Antragsgegenstand

Eine vorbeugende Normenkontrolle ist grundsätzlich ausgeschlossen (ausgenommen davon sind Zustimmungsgesetze zu völkerrechtlichen Verträgen soweit nur noch die Ausfertigung durch den Bundespräsidenten fehlt.

Ansonsten hat das Bundesverfassungsgericht die angegriffene Norm unter sämtlichen rechtlichen Gesichtspunkten zu überprüfen.

Antragsgegenstand kann somit

–          jedes Bundes- oder Landesrecht

–          geschrieben oder ungeschrieben

–          in formeller oder materieller Hinsicht

–          und vor- und nachkonstitutioneller Art sein.

Bedingung hierfür ist aber, dass die Norm bereits in Kraft getreten oder zumindest verkündet worden ist.

d. Antragsbefugnis

Nach Art. 93 I Nr. 2 GG ist der Antragssteller antragsbefugt, wenn Meinungsverschiedenheiten oder Zweifel über die Vereinbarkeit von Bundes- oder Landesrecht mit dem Grundgesetz oder über die Vereinbarkeit von Landesrecht mit sonstigem Bundesrecht bestehen.

§ 76 I Nr. 1 BVerfGG stellt höhere Bedingungen an  die Antragsbefugnis. Hiernach muss der Antragssteller die Norm für nichtig halten.

Daher vertritt ein Teil der Literatur die Meinung, dass § 76 I BVerfGG verfassungswidrig ist. Andere versuchen die Hürde der höheren Anforderung des § 76 I BVerfGG zu überwinden, indem § 76 I BVerfGG so ausgelegt wird, dass auch hier bloße Zweifel an der Vereinbarkeit genügen.

Tipp: In der Klausur ist der Sachverhalt meist unter § 76 I BVerfGG zu subsumieren. Sollte dies jedoch nicht der Fall sein, genügt es die oben genannten Ansichten darzulegen um § 76 I BVerfGG anschließend so weit auszulegen, dass ein Zweifel des Antragsstellers an der Vereinbarkeit genügt.

Über die Antragsbefugnis hinaus verlangt das Bundesverfassungsgericht auch ein Klarstellungsinteresse seitens des Antragsstellers. Dies ist sehr weit gefasst und wird meist nur dann verneint, wenn eine Norm bereits als nichtig erklärt wurde und somit keine Rechtswirkung mehr entfalten kann.

e. Form und Frist

Gemäß § 23 I BVerfGG bedarf der Antrag der Schriftform und muss begründet sein. Eine Frist indes gibt es nicht.

2. Begründetheit

Der Antrag auf Durchführung einer abstrakten Normenkontrolle ist begründet, wenn

–          Bundesrecht mit dem Grundgesetz unvereinbar ist, oder

–          Landesrecht mit sonstigem Bundesrecht oder dem Grundgesetz unvereinbar ist.

 

An dieser Stelle ist die Prüfung eines formell-materiellen Gesetzes am Maßstab des Grundgesetzes vorzunehmen (oder die Prüfung einer Rechtsverordnung auf die Vereinbarkeit mit ihrer Ermächtigungsgrundlage s.u.)

a. Formelle Rechtmäßigkeit

aa. Zuständigkeit

Hierbei ist die Zuständigkeit des Gesetzgebers gemäß Art. 30, 70 ff., 105 ff. GG

bb. Ordnungsgemäßes Gesetzgebungsverfahren

Bestimmt sich  bei Bundesgesetzen gemäß Art. 76 ff. GG.

cc. Form

Bei der Form ist das Zitiergebot gemäß Art. 19 I S. 2 GG zu beachten

b. Materielle Rechtmäßigkeit

aa. Besondere (grundrechtsspezifische) Anforderungen

Hier ist vornehmlich der qualifizierte Gesetzesvorbehalt zu prüfen.

bb. Allgemeine Anforderungen

–          Bestimmtheitsgebot

–          Verbot von Einzelfallgesetzen, Art. 19 I S. 1 GG

–          Verhältnismäßigkeit (Verfolgung eines legitimen Zwecks, geeignet, erforderlich und angemessen)

 

Ein Problem innerhalb des Prüfungsmaßstabes innerhalb der Begründetheit stellt die Frage dar, ob untergesetzliches Bundesrecht, wie z.B. Satzungen oder Rechtsverordnungen, neben dem Prüfungsmaßstab des Grundgesetzes auch am Maßstab des Bundesrechts überprüft werden kann. Folgt man Art. 93 I Nr. 2 GG so kann Bundesrecht nur am Maßstab des Grundgesetzes überprüft werden. § 76 I Nr. 1 BVerfGG erlaubt jedoch eine Überprüfung von untergesetzlichem Bundesrecht am Maßstab sonstigen Bundesrechts.

Besondere Wichtigkeit erlangt die Frage, wenn es darum geht, ob eine Bundesrechtsverordnung mit ihrer Ermächtigungsgrundlage vereinbar ist. In dieser  Problematik hat das Bundesverfassungsgericht so entschieden, dass innerhalb der abstrakten Normenkontrolle eine Art „Vorabprüfung“ stattfinden kann. Danach kann eine Bundesrechtsverordnung anhand ihrer Vereinbarkeit mit ihrer Ermächtigungsgrundlage überprüft werden.

3. Ergebnis

Entscheidet das Gericht, dass das angegriffene Bundes- oder Landesrecht mit dem Grundgesetz oder sonstigem Bundesrecht nicht vereinbar ist, so wird das Gesetz gemäß § 78 S.1 BVerfGG für nichtig erklärt. Die Nichtigkeit wirkt rückwirkend bis zu Erlass des Gesetzes. Dies wirkt sich unterschiedlich aus (§ 79 BVerfGG):

–          Nicht mehr anfechtbare Hoheitsakte die aufgrund des für nichtig erklärten Gesetzes ergangen sind, bleiben von der Nichtigkeit unberührt.

–          Eine Vollstreckung dieser Hoheitsakte ist allerdings unzulässig

Das Bundesverfassungsgericht kann aber auch von einer solchen Nichtigkeitserklärung absehen und den Gesetzgeber dazu verpflichten das Gesetz verfassungsgemäß zu gestalten. Bei dieser Lösung bleibt die angegriffene Norm bis zum Fristablauf für die neue „überarbeiteten“ Norm gültig.

IV. Die konkrete Normenkontrolle Art. 100 I GG, §§ 13 Nr. 11, 80 ff. BVerfGG

Im Gegensatz zur abstrakten Normenkontrolle geht es hier nicht um die allgemeine Vereinbarkeit einer Norm mit dem Grundgesetz; hier steht ein konkretes gerichtliches Verfahren im Fokus, indem es um die Wirksamkeit einer Rechtsnorm geht.

V. Schema der konkreten NK

Die Vorlage der konkreten Normenkontrolle nach Art. 100 I GG, §§ 13 Nr. 11, 80 ff. BVerfGG hat Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.

1. Zulässigkeit

a. Zuständigkeit  Art. 100 I GG

b. Vorlageberechtigung

c. Vorlagegegenstand

d. Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit

e. Entscheidungserheblichkeit

f. Form und Frist

2. Begründetheit

Die Vorlage ist begründet, wenn die Norm, auf deren Gültigkeit es im Ausgangsverfahren ankommt, nicht mit höherrangigem Recht vereinbar ist.

VI. Schema konkrete Normenkontrolle mit Erläuterungen

1. Zulässigkeit

a. Zuständigkeit

Bei der Zuständigkeit für die konkrete Normenkontrolle sind zwei Varianten zu unterscheiden:

–          Das Landesverfassungsgericht ist gemäß Art. 100 I S.1 Var. 1 GG zuständig, wenn ein Gericht ein Landesrecht mit der entsprechenden Landesverfassung für unvereinbar hält. In diesem Fall ist keine Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts gegeben.

–          Hält ein Gericht jedoch Bundesgesetzt mit dem Grundgesetz für unvereinbar (Art. 100 I S.1 Var.2 GG) oder ein Landesgesetz mit dem Grundgesetz (Art. 100 I S.2 Var.1 GG) oder ein Landesgesetz  mit Bundesrecht (Art. 100 I S.2 Var.2 GG) so ist das Bundesverfassungsgericht zuständig.

b. Vorlageberechtigung

Vorlageberechtigt bzw. vorlageverpflichtet (!) sind gemäß Art. 100 I S. 1 GG Gerichte. Hiermit sind alle Gerichte gemeint (auch Gerichte der freiwilligen Gerichtsbarkeit oder Ehrengerichte).

c. Vorlagegegenstand

Der vorlagefähige Gegenstand ist ein Gesetz. Auch dies ergibt sich aus Art. 100 I GG. Hiermit sind allerdings nicht alle Gesetze gemeint. Die Vorlagefähigkeit ist beschränkt auf

–          formelle und

–          nachkonstitutionelle Gesetze.

Die Beschränkung auf nachkonstitutionelle Gesetze ist allerdings nicht absolut. Wird ein vorkonstitutionelles Gesetz maßgeblich verändert oder verweist der Gesetzgeber in einem nachkonstitutionellen Gesetz auf ein vorkonstitutionelles oder wird ein vorkonstitutionelles Gesetz neu verkündet, so ist dieses auch ein tauglicher Vorlagegegenstand.

d. Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit

Das Gericht muss von der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes überzeugt sein. Im Gegensatz zu der Antragsbefugnis bei der abstrakten Normenkontrolle wird an diese Zulässigkeitsvoraussetzung eine sehr hohe Anforderung gestellt. Die reinen Zweifel an der Verfassungswidrigkeit genügen hier nicht. Das Gericht muss sich demnach intensiv mit der (möglichen) Verfassungswidrigkeit der Norm auseinandersetzen. Besteht dabei die Möglichkeit die Norm auch verfassungsgemäß auszulegen (zu berücksichtigen sind dabei alle in der Literatur und Rechtsprechung vertretenen Meinungen), so ist eine Vorlage unzulässig.

Gelangt das Gericht nach intensiver Prüfung jedoch zu der Überzeugung, dass die entsprechende Norm verfassungswidrig ist, so muss dies in der Vorlage gemäß § 80 II BVerfGG begründet werden.

e. Entscheidungserheblichkeit

Aufgrund der Tatsache, dass sich die konkrete Normenkontrolle auf ein aktuelles Ausgangsverfahren bezieht, muss die vorgelegte Norm auch entscheidungserheblich sein. Das bedeutet konkret, dass das Verfahren bei Nichtigkeit der vorgelegten Norm eine andere Wendung nimmt. Hierbei kommt es eigentlich nur auf die Entscheidung im Endurteil an. Für Zwischenurteile ist die Norm nur dann entscheidungserheblich, wenn das Zwischenurteil für das weitere Verfahren eine erhebliche Bedeutung hat.

Auch hiermit muss sich das vorlegende Gericht intensiv auseinandersetzen und die Entscheidungserheblichkeit in dem Vorlagebeschluss darlegen.

Das Bundesverfassungsgericht macht allerdings in der Hinsicht eine Ausnahme, dass die Entscheidungserheblichkeit entbehrlich ist, wenn die Vorlage des entsprechenden Gesetzes von grundsätzlicher Bedeutung für das Gemeinwohl und die Entscheidung deshalb dringlich ist. Diese Ausnahme ist allerdings sehr eng auszulegen.

f. Form und Frist

Gemäß § 80 I, II S. 1 BVerfGG muss der Vorlagebeschluss begründet werden und es sind die Gerichtsakten hinzuzufügen. Wie bereits erwähnt, müssen in der Begründung die Entscheidungserheblichkeit und die Verfassungswidrigkeit enthalten sein.

2. Begründetheit

Wie schon bei der abstrakten Normenkontrolle überprüft hier das Gericht, ob die entscheidungserhebliche Norm verfassungswidrig ist (s.o.).

Auch im Hinblick auf die Entscheidung kann das Gericht die Norm entweder für nichtig erklären, oder den Gesetzgeber zur verfassungsgemäßen Abänderung der Norm verpflichten. Auch hier bleibt die vorgelegte Norm gültig, bis die Frist zur Abänderung abgelaufen ist.

Vielen Dank, dass Sie diesen Beitrag gelesen haben. Wir hoffen, dass er Ihnen weiterhelfen oder zumindest Ihr Interesse wecken konnte. Hier finden Sie den Beitrag Die abstrakte und konkrete Normenkontrolle auf unserer Website Jura Individuell.

Kommunalrecht Bayern: Der Gemeinderat

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Probleme rund um den Gemeinderat in Bayern sind ein Dauerbrenner sowohl in der Hausarbeit, im großen Schein als auch im ersten und zweiten juristischen Staatsexamen. Gerade in den Staatsexamen werden die Klausuren mit diesen Standardproblemen aufgefüllt. Sie sind bei den Prüfern beliebt, da man sie unproblematisch in so gut wie jede Klausur einbauen kann. Eine umfassende Analyse der Examensklausuren der letzten Jahre hat ergeben, dass in nahezu jedem Termin Gemeinderatsprobleme bei der formellen Rechtmäßigkeit beim Erlass einer Satzung vorkamen.

Die folgenden Artikel der Gemeindeordnung gehören in Bayern zum Standardrepertoire eines Examenskandidaten, bei dem Sicherheit erwartet und Fehler nur schwer verziehen werden.

I. Organisation der Gemeinde

Organe in der Gemeinde sind der Gemeinderat, der 1. Bürgermeister und Ausschüsse.

1. Der Gemeinderat

Der Gemeinderat ist das wichtigste Hauptorgan. Es besteht das Prinzip der Allzuständigeit.

Die Gemeinde wird nach Art. 29, 30 II GO durch den Gemeinderat verwaltet, sofern nicht ausnahmsweise der 1. Bürgermeister oder beschließende Ausschüsse zuständig sind.

 2. Der erste Bürgermeister

(1) Der erste Bürgermeister ist grundsätzlich nach Art. 37 I Nr. 1 GO für die laufenden Angelegenheiten zuständig und ist nach Art. 37 III GO befugt, dringliche Anordnungen zu treffen und unaufschiebbare Geschäfte zu besorgen.

Unter laufende Angelegenheiten fallen alltägliche Geschäfte, die mit einer gewissen Häufigkeit wiederkehren und bei denen es sich nicht um große Summen oder um einmalige Geschäfte handelt. Zu messen sind laufende Angelegenheiten auch  anhand der wirtschaftlichen Situation und der Einwohnerzahl der Gemeinde. In einem Dorf mit 500 Einwohnern wird die Grenze der laufenden Angelegenheit deutlich niedriger sein als bspw. in München. Dennoch ist auch in Großstädten eine Obergrenze von 10.000 € anzunehmen.

(2) Nach Art. 34 I Satz 2 GO trägt der erste Bürgermeister in kreisfreien Gemeinden und Großen Kreisstädten die Amtsbezeichnung Oberbürgermeister.

(3) Nach Art. 36 Satz 1 GO führt der erste Bürgermeister den Vorsitz im Gemeinderat und vollzieht seine Beschlüsse, nach Art. 36 Satz 2 GO handelt sein Vertreter, soweit er persönlich beteiligt ist. Die weiteren Bürgermeister vertreten den ersten Bürgermeister im Fall seiner Verhinderung in ihrer Reihenfolge, Art. 39 I Satz 1 GO.

 3. Die Ausschüsse

(1) Nach Art. 32 GO ist die Übertragung von Angelegenheiten auf vorbereitende oder beschließende Ausschüsse möglich. Die Ausschüsse werden in vorbereitende und beschließende Ausschüsse unterteilt. Die Ausschüsse müssen spiegelbildlich zum Gemeinderat sein, das bedeutet, dass die Stärkeverhältnisse gleich verteilt sein müssen, Art. 33 I Satz 2 GO.

(2) Die vorbereitenden Ausschüsse („vorberatende“, Art. 32 GO ) beraten nur, während die beschließenden Ausschüsse die ihnen übertragenen Angelegenheiten anstelle des Gemeinderats übernehmen, Art. 32 III Satz 1 GO.

 II. Die Gemeinderatssitzung

 1. Zusammensetzung des Gemeinderates, Art. 31 GO

Die Anzahl der Gemeinderatsmitglieder richtet sich nach Art. 31 II GO und hängt von der Größe der Gemeinde ab. Nach der Liste des Art. 31 II GO ist die Anzahl der Gemeinderatsmitglieder immer gerade, mit dem ersten Bürgermeister nach Art. 31 GO zusammen ergibt sich immer eine ungerade Anzahl von Gemeinderäten (Soll- Stärke). Dennoch kann sich bei der Abstimmung auch eine gerade Anzahl ergeben, falls beispielsweise ein Mitglied aufgrund persönlicher Beteiligung ausgeschlossen ist (Art. 49 GO) (Ist- Stärke).

 2. Ladung

(1) Ladungsfehler führen zur Unwirksamkeit der Beschlüsse. Der Bürgermeister lädt nach Art. 46 II Satz 2 GO die Gemeinderatsmitglieder unter Angabe der Tagesordnung (Art. 46 II Satz 1GO). Er muss sämtliche Mitglieder des Gemeinderats ordnungsgemäß laden, Art. 47 II GO. Sämtliche Mitglieder bedeutet alle Mitglieder.

Jura Individuell- Hinweis: Trotz dieser eindeutigen gesetzlichen Regelung kommt es in der Klausur an dieser Stelle immer wieder zu Fehlern, bei denen fälschlicherweise angenommen wird, dass ein Beschluss trotz fehlender Ladung gültig sei, weil ein zu ladendes Mitglied des Gemeinderates beispielsweise sowieso mehrere Monate im Ausland ist oder jemand bekanntermaßen krank ist. Dies ist aber falsch, da sämtliche Mitglieder geladen werden müssen! (Einzige Ausnahme: Tod eines Mitglieds).

(a) Ein Verzicht von vornherein auf die Ladung ist unwirksam.

(b) Die einzig mögliche Heilung bei einer fehlenden Ladung ist, dass das nicht ordnungsgemäß geladene Gemeinderatsmitglied in der Gemeinderatssitzung trotzdem erscheint und den Ladungsfehler nicht rügt.

(c) Von dieser strengen Ladungspflicht gibt es wenige anerkannte Ausnahmen. NUR in diesen Fällen muss nicht geladen werden. So muss der ladende Bürgermeister sich nicht selbst laden, ein nach Art. 53 II GO ausgeschlossenes Mitglied muss nicht geladen werden und berufsmäßige Gemeinderatsmitglieder, sogenannten Referenten, die nur externe Beratungstätigkeit ohne Stimmrecht ausüben, müssen nicht geladen werden. Sie werden mangels Stimmrecht ohnehin lediglich mit einfachem Brief informiert. Bei bereits verstorbenen Mitgliedern ist umstritten, ob das tote Mitglied geladen werden muss (nach einer Ansicht müssen die Erben ohne Stimmrecht zu Informationszwecken geladen werden) oder nicht.

(d) Eine besondere Konstellation ist gegeben, wenn ein Gemeinderatsmitglied nicht ordnungsgemäß geladen wurde, da es bekannterweise (klausurtypisch) im Krankenhaus oder Koma liegt. Aufgrund dieses Ladungsmangels wäre der Gemeinderat, wie oben ausgeführt,  nicht beschlussfähig (da „sämtliche“ Mitglieder!). Stirbt das Mitglied jedoch vor der Gemeinderatssitzung, so ist dieser Ladungsfehler ausnahmsweise unbeachtlich. Argument: Die ordnungsgemäße Ladung dient der Sicherung der Mitgliedsrechte der Gemeinderatsmitglieder, welche nach dem Tod nicht mehr ausgeübt werden. Das nachrückende Mitglied muss zudem erst vereidigt werden.

3. Öffentlichkeit

a. Ortsübliche Bekanntmachung, Art. 52 I GO

Gemäß Art. 52 I Satz 1 GO sind Zeitpunkt und Ort der Sitzungen des Gemeinderats unter Angabe der Tagesordnung spätestens am dritten Tag vor der Sitzung ortsüblich bekannt zu machen.

Art. 52 I  Satz 1 GO stellt eine bloße Ordnungsvorschrift, ein Beschluss wird aufgrund eines Verstoßes nicht ungültig.

 b. Öffentlichkeit der Sitzung, Art. 52 II GO

(1) Nach Art. 52 II Satz 1 GO sind die Sitzungen grundsätzlich öffentlich, da ein freier Zugang zu den Gemeinderatssitzungen gewährleistet sein muss. Ein Verstoß ist beachtlich. (Die Gegenansicht vertritt, dass ein Fehler nicht beachtlich ist, da es sich um eine bloße Ordnungsvorschrift handelt (siehe Bauer/ Böhle/ Ecker, Bayerisches Kommunalrecht, Art. 52 GO Rn. 1). Der Grundsatz der Öffentlichkeit ist aber grundlegend in einem Rechtsstaat.) Art. 52 II Satz 1 GO wird nur insofern eingeschränkt, als die Sitzungen öffentlich sind, soweit nicht Rücksichten auf das Wohl der Allgemeinheit oder auf berechtigte Ansprüche Einzelner entgegenstehen. Das kann bei Personalangelegenheiten gegeben sein oder wenn über wirtschaftliche oder persönliche Verhältnisse eines Einzelnen im Gemeinderat gesprochen wird.

(2) Über den Ausschluss der Öffentlichkeit wird gemäß Art. 52 II Satz 2 GO in nichtöffentlicher Sitzung beraten und entschieden.

(3) Ein nichtöffentlicher Beschluss ist nach Art. 52 III GO bekannt zu geben. Ein Verstoß ist jedoch unbeachtlich, da es sich um eine bloße Formvorschrift handelt.

Ein Problem stellt sich bei Bild- und Tonaufnahmen. Anders als im Bundestag sind diese im Gemeinderat aus mehreren Gründen nicht gestattet. Zum einen sitzen im Gemeinderat anders als im Bundestag keine Berufspolitiker, die gerade auf öffentliche Auftritte geschult werden. Im Gemeinderat könnten Gemeinderatsmitglieder eingeschüchtert sein und wegen dieser Hemmung eine Mitwirkung unterlassen, wodurch eine unbelastete Abstimmung nicht möglich ist.

Ein weiterer Grund ist, dass im Gegensatz zum Bundestag im Gemeinderat Enthaltungen nicht gestattet sind und die Gemeinderatsmitglieder gemäß Art. 48 I Satz 1 GO eine Teilnahmepflicht haben. Eine solche gibt es bei Abstimmungen im Bundestag generell nicht.

(4) Keine Voraussetzung ist, dass die Gemeinderatssitzung im Rathaus stattfindet, nach Art. 52 IV GO haben die Sitzungen in einem der Allgemeinheit zugänglichen Raum stattzufinden.

 III. Während der Gemeinderatssitzung

1. Mehrheit der Mitglieder anwesend und stimmberechtigt

Die Mehrheit der Mitglieder richtet sich nach Art. 31 I, II GO. Nicht hinzuzuzählen sind die berufsmäßigen Gemeinderatsmitglieder, da diese nach Art. 31 III Satz 1 Nrn. 1-7 GO nicht ehrenamtliche Gemeinderatsmitglieder sein können.

Nach Art. 47 II GO ist der Gemeinderat beschlussfähig, wenn die Mehrheit der Gemeinderatsmitglieder anwesend und stimmberechtigt ist. Dies ist für jeden Beschluss gesondert zu überprüfen (siehe hierzu Bauer/ Böhle/ Ecker, Bayerische Kommunalgesetze, Art. 47 GO Rdn. 6).

(1) Anwesend bedeutet, dass die Mitglieder im Sinne des § 105 BGB nicht geschäftsunfähig sein dürfen, wobei an die Geschäftsfähigkeit der Gemeinderatsmitglieder keine besonders hohen Anforderungen zu stellen sind.

Probleme können sich in Klausuren bei betrunkenen Mitgliedern ergeben. Allerdings wird der Sachverhalt so angelegt sein, dass es deutlich erkennbar ist, ob das Gemeinderatsmitglied noch geschäftsfähig ist oder nicht.

(2) Stimmberechtigt sind die Mitglieder, wenn sie im Sinne des Art. 49 I Satz 1 GO nicht wegen persönlicher Beteiligung ausgeschlossen sind. Eine persönliche Beteiligung liegt vor, wenn der Beschluss dem Gemeinderatsmitglied selbst, seinem Ehegatten, seinem Lebenspartner, einem Verwandten oder Verschwägerten bis zum dritten Grad oder einer von ihm kraft Gesetzes oder Vollmacht vertretenen natürlichen oder juristischen Person einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil bringen kann.

Der unmittelbare Vor- oder Nachteil ist weit auszulegen. Ein Vorteil kann sowohl wirtschaftlich als auch ideeller als auch persönlicher Art sein. Die Unmittelbarkeit ist nur bei einem individuellen Sonderinteresse (z.B. eine alte Feindschaft) gegeben.

Jura Individuell- Hinweis: In der Klausur wird sehr gerne die Konstellation eingebaut, dass beispielsweise der Bruder von der Ex-Frau, also der Schwager, persönlich beteiligt ist. Es besteht nämlich die Besonderheit: Ehegatten und Lebenspartner sind immer nur dann befangen, solange die Ehe und Partnerschaft besteht. Jedoch bleibt auch nach rechtskräftiger Scheidung die Befangenheit des Schwagers, denn nach §§ 1590 II BGB oder 11 II LPartG ist man nach wie vor verschwägert.

Eine weitere Klausurkonstellation: Ein Gemeinderatsmitglied wird wegen persönlicher Beteiligung ausgeschlossen. Es verlässt den Sitzungssaal aber nicht, sondern bleibt im Zuschauerraum. Das Mitglied muss den Sitzungssaal nur verlassen, wenn die Sitzung nichtöffentlich (Art. 52 II GO) ist. Bei öffentlicher Sitzung darf das Mitglied im Sitzungssaal bleiben.

(3) Für die Mehrheit gilt, dass nicht die Soll-, sondern die Ist- Stärke zugrundegelegt wird (siehe hierzu Bauer/ Böhle/ Ecker, Bayerisches Kommunalrecht, Art. 47 GO Rdn. 5). Die Soll- Stärke bestimmt sich nach Art. 31 I, II GO, siehe oben. Die Ist- Stärke ist die tatsächliche Stärke. Die Soll- Stärke kann sich bei einer Amtsniederlegung (siehe Art. 19 I 2 GO) ändern oder wenn ein Mitglied nach Art. 19 II GO abberufen wird. Ebenso kann sie sich bei Ausschluss eines Mitgliedes ändern. Erforderlich ist das Zugrundelegen der Ist- Stärke, da ansonsten einzelne Gemeinderatsmitglieder oder Fraktionen es in der Hand hätten durch etwa Störungen der Ordnung die Beschlussunfähigkeit des Gemeinderates herbeizuführen (siehe, Bauer/ Böhle/ Ecker, Bayerisches Kommunalrecht,Art. 47 GO Rdn. 5). Der Tod eines Mitglieds ändert an der

Jura Individuell- Hinweis: In Klausuren sollten immer  Ausführungn über die genaue Berechnung des Abstimmungsergebnisse mit Soll- Stärke, ggf.  Ist- Stärke gemacht und in den  Einzelschritten dargestellt werden. Erfahrungsgemäß wollen dies die Korrektoren auch im 2. Staatsexamen nicht lediglich im Hilfsgutachten sehen.

(4) Bei Verstößen ist der Beschluss des Gemeinderats ungültig. Es gilt jedoch bezüglich der Beschlussfähigkeit die Ausnahme des Art. 47 III GO, wonach ein Beschluss des Gemeinderats trotz nicht erschienener Mitglieder gültig ist, wenn zuvor bereits eine Sitzung mit diesem Tagesordnungspunkt stattgefunden hat. Bei dem Ausschluss wegen persönlicher Beteiligung ist aber zu beachten: Der Beschluss an sich ist nach Art. 49 IV GO  nur unwirksam, wenn die Beteiligung des ausgeschlossenen Mitglieds für das Abstimmungsergebnis entscheidend war.

 

2. Beschluss

(1) Der Beschluss im Gemeinderat erfolgt in offener Abstimmung mit der Mehrheit der Abstimmenden, nach Art. 51 I Satz 1 GO.

(2) Bei der Abstimmung kommt es immer auf die Ist-Stärke an, also auf die Anzahl der tatsächlich Anwesenden und nicht auf die Soll-Stärke nach Art. 31 II Satz 2 GO (siehe Ausführungen oben).

(3) Ungültig ist ein Beschluss aber, wenn ein Mitglied nach Art. 47, 49 GO zu Unrecht ausgeschlossen wurde, da dieses dann in seinem aus der Teilnahmepflicht aus Art. 48 I Satz 1 GO folgenden Teilnahmerecht verletzt wurde.

(4) Nach Art. 48 I Satz 2 GO darf sich ein Mitglied bei einem Beschluss nicht der Stimme enthalten.

Ein Verstoß ist jedoch unbeachtlich, sonst könnte ein einzelnes Mitglied durch eine Enthaltung den gesamten Gemeinderatsbeschluss kippen.

(5) Sonderproblem: Tagesordnungspunkt (TOP) und Mangel. Eine weitere beliebte Klausurproblematik sind Probleme bei Tagesordnungspunkten, insbesondere beim letzen nicht konkretisierten Punkt. Dieser wird dabei gerne als „Sonstiges“ oder „Verschiedenes, Wünsche und Anregungen“ bezeichnet. Der Sachverhalt ist dann dabei so angelegt, dass während der Sitzung unter diesem TOP von einem Mitglied ein Thema aufgeworfen wird und sich daraufhin eine Diskussion, Abstimmung und Beschlussfassung vollzieht. Dieser Beschluss ist grundsätzlich unwirksam, da zu diesem Thema kein expliziter Tagesordnungspunkt in der Ladung war und der Gemeinderat daher nicht beschlussfähig war (kollektiver Ladungsmangel). Ausnahmsweise kann dies dadurch geheilt werden, wenn wirklich ALLE Gemeinderatsmitglieder anwesend waren. Fehlt auch nur einer wegen Krankheit oder Urlaub ist diese Heilung ausgeschlossen.

 3. Niederschrift

Nach Art. 54 I Satz 1 GO ist eine Niederschrift der Verhandlung des Gemeinderats zu fertigen. Ein Verstoß ist jedoch unbeachtlich, da es sich um eine bloße Formvorschrift handelt.

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Der Verwaltungsakt gemäß § 35 VwVfG

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In öffentlich-rechtlichen Klausuren tritt häufig die Situation ein, dass man die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes überprüfen muss. Es kann jedoch das Problem auftreten, dass der  Verwaltungsakt als solcher zunächst bestimmt werden muss. Die Legaldefinition des Verwaltungsaktes findet sich in § 35 VwVfG.

Danach ist ein Verwaltungsaktjede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist.“

Hier nach ergeben sich 7 zu überprüfende Punkte um einen Verwaltungsakt zu definieren:

I. Maßnahme

II. Behörde

III. Auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts

IV. Hoheitlich

V. Regelung

VI. Einzelfall

VII. Rechtswirkung nach außen

Im Folgenden werden die einzelnen Punkte genauer erläutert und etwaige Problemschwerpunkte dargelegt.

I. Maßnahme

Definition: Eine Maßnahme ist laut Definition jedes Verhalten mit Erklärungsgehalt.

Dieser Begriff ist sehr weit gefasst und stellt in Klausuren keinen Problemschwerpunkt dar, da die Maßnahme als solche nochmals unter dem Prüfungspunkt der Regelung aufgefasst wird.  Wichtig ist hier allerdings konkret dazulegen, an welches Verhalten die folgende Prüfung anknüpft.

Beispiel: Ein klassisches Beispiel für eine Maßnahme ist die erhobene Hand eines Polizisten.

II. Behörde

Definition: Gemäß § 1 IV VwVfG (Bund) wird der verwaltungsverfahrensrechtliche Behördenbegriff bestimmt. Danach ist eine Behörde jede Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt.

Wesentlich enger gefasst ist der organisatorische Behördenbegriff. Hiernach ist eine Behörde jede Stelle, die aufgrund Gesetzes eingerichtet, im Bestand vom Personenwechsel unabhängig ist und im eigenen Namen nach außen auftritt.

Beispiele: Beispiele für Behörden sind zunächst Behörden i.e.S. (also klassische Verwaltungsträger). Aber auch Beliehene können den Behördenbegriff erfüllen (so zum Beispiel  Sachverständige des TÜV).

Legislativ- und Judikativorgane werden dann als Behörde angesehen, wenn diese Verwaltungsaufgaben wahrnehmen, nicht jedoch bei der Wahrnehmung ihrer Legislativ- bzw. Judikativfunktionen.

III. Auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts

Definition: Hier ist das öffentliche Recht im Sinne des Verwaltungsrechts gemeint.

Beachtet werden sollte, dass nur die Rechtsgrundlage öffentlich-rechtlicher Natur sein muss, nicht aber die Rechtsfolge.

IV. Hoheitlich

Definition: Hoheitlich ist die Maßnahme, wenn sie in einem Über-/ Unterordnungsverhältnis ergeht.

Dieser Prüfungspunkt ist dann nicht zu bejahen, wenn ein Gleichordnungsverhältnis vorliegt. Dies ist zum Beispiel bei einem öffentlich-rechtlichen Vertrag gegeben.

V. Regelung

Die Regelung umfasst mehrere Probleme.

Definition: Eine Regelung ist gegeben, wenn die Maßnahme final auf eine Rechtsfolge gerichtet ist. Der Maßnahme muss also rechtsgestaltende Wirkung zukommen.

Beispiele: Zunächst sind die typischen Regelungen aufzuzählen. Diese sind:

1. Gebote/Verbote

2. Leistungsverweigerung/ Leistungsbewilligung

3. Rechtsgestaltende, dingliche und feststellende Regelungen

Abzugrenzen ist die Regelung von dem schlichten Verwaltungshandeln (z.B. bloße Hinweise oder schlichte Vorbereitungshandlungen).

Wird man beispielsweise zur Zahlung eines gewissen Betrages aufgefordert, so stellt dies eine Regelung dar.  Die Regelung liegt hier in der Begründung der Verpflichtung.  Eine bloße Zahlungserinnerung hingegen stellt keine Regelung dar, sondern einen bloßen Hinweis.

Problem: Duldungsverfügung / Realakt mit konkludenter Regelung

Realakte stellen normalerweise keine Regelung dar. Verwaltungsakte können jedoch auch konkludent erlassen werden. Ein klassisches Beispiel hierfür ist der Polizist, der einen Demonstranten mit einem Schlagstock schlägt. Hierbei wird in dem schlichten Realakt (das Schlagen mit dem Schlagstock) zugleich eine Duldungsverfügung (seitens des Demonstranten) gesehen.

Ob unmittelbarer Zwang jedoch wirklich eine konkludente Duldungsverfügung enthält, ist umstritten.

Die Gegenseite  führt hierzu an, dass eine solche Duldungsverfügung aufgrund der Tatsache erschaffen wurde, dass  in der Vergangenheit Rechtsschutz nur gegen Verwaltungsakte  bestand.  Heutzutage muss aber gegen jede staatliche Handlung Rechtsschutz gegeben sein (Art. 19 IV GG). So könnte sich der Demonstrant mittels einer Feststellungsklage gegen den Realakt seitens des Polizisten wehren.

Problem: Wissenserklärung mit vorgeschalteter Regelung

Reine Wissenserklärungen (beispielsweise Auskünfte über einen Bebauungsplan) stellen keine Regelung dar. Anders ist der Fall, wenn der Wissenserklärung eine konkludente Regelung vorgeschaltet wird.  Dies ist der Fall, wenn der Prüfungsschwerpunkt darin liegt, ob überhaupt eine Auskunft erteilt werden kann.

Beispiel: S beantragt eine Auskunft beim Bundesamt für Verfassungsschutz hinsichtlich der Daten, die über ihn gespeichert sind.

 

Problem: Feststellender Verwaltungsakt

Ein solcher ist gegeben, wenn bereits ein Gesetz mit entsprechenden Rechtsfolgen existiert, dieses jedoch für Einzelfälle konkretisiert wird (die Maßnahme ist dann final auf eine Rechtsfolge gerichtet).

Ein typisches Beispiel ist hierfür die Baugenehmigung.  Aber auch Beamte, die in Pension gehen, erhalten einen solchen feststellenden VA.  Durch das Beamtenversorgungsgesetz lässt sich genau herausfinden, in welcher Höhe dem jeweiligen Beamten ein Pensionsanspruch zusteht. Die genaue Höhe wird dem Beamten jedoch per Bescheid mitgeteilt und konkretisiert damit das Gesetz. Ein feststellender Verwaltungsakt ist damit gegeben.

ACHTUNG: Die Beamtenernennung gehört zu der Gruppe der rechtsgestaltenden Verwaltungsakte.

VI. Einzelfall

Ein Einzelfall liegt vor, wenn die Maßnahme konkret-individueller Natur ist. Somit teilt sich hier die Prüfung in 2 Teile. Zum einen muss die Maßnahme konkret (sachliche Prüfung) und zum anderen individuell (persönliche Prüfung) sein.

Konkret ist die Maßnahme, wenn diese sich auf einen bestimmten Fall bezieht, also nicht eine abstrakte Anordnung darstellt.

Individuell ist die Maßnahme, wenn der Adressat genau bestimmt ist und sie nicht an eine generelle Gruppe gerichtet ist.

Kein Einzelfall, sondern abstrakt-generelle Maßnahmen sind beispielsweise Rechtsverordnungen und Satzungen.

 

VII. Rechtswirkung nach außen

Definition: Die Maßnahme hat Außenwirkung, wenn sie final darauf gerichtet ist Rechtsfolgen gegenüber einem Rechtssubjekt herbeizuführen, das außerhalb des handelnden Verwaltungsträgers steht.

Dieser Prüfungspunkt dient dazu Verwaltungsakte von innerbehördlichen Maßnahmen abzugrenzen.

Bekommt ein Beamter beispielsweise Anordnungen bezogen auf seinen Arbeitsablauf, so hat diese Anordnung keine Außenwirkung, sondern stellt eine innerbehördliche Maßnahme dar.

Problem: Verwaltungsrechtliches Sonderrechtsverhältnis

Bezogen auf das verwaltungsrechtliche Sonderrechtsverhältnis können Maßnahmen zum Beispiel gegen Beamte, Schüler, Gefangene und Soldaten Außenwirkung entfalten, wenn die betreffende Person nicht verwaltungsintern angesprochen wird. Dies ist der Fall, wenn Maßnahmen im sogenannten Grundverhältnis ergehen.  Wird der jeweilige Adressat als Träger persönlicher Rechte und Pflichten angesprochen, so entfaltet die Maßnahme Außenwirkung (zum Beispiel eine Ernennng).

 

Problem: Mehrstufiger Verwaltungsakt

Die Mitwirkungshandlung einer Behörde hat nur ausnahmsweise Außenwirkung. Hierfür müssen 2 Voraussetzungen erfüllt werden:

Zum einen muss eine gesetzliche Regelung zwingend verlangen, dass die Erlassbehörde die Mitwirkung einholt.

Zum anderen muss die mitwirkende Behörde eigene und ausschließliche Entscheidungen übertragen bekommen.

 

Problem: Die Kommunalaufsicht

Im Bereich der Selbstverwaltung haben kommunalaufsichtliche Maßnahmen nach einhelliger Meinung Außenwirkung.

In Bezug auf den Bereich der Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung ist die Außenwirkung der kommunalaufsichtlichen Maßnahme jedoch streitig.

Eine Meinung ordnet die Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung gemäß ihrer Rechtsnatur der Selbstverwaltung zu. Danach hätten diese – wie oben bereits erwähnt – Außenwirkung. Diese Meinung stellt auf die Rechtsnatur der Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung ab.

Einer anderen Meinung folgend soll  jedoch nicht auf die Rechtsnatur abgestellt werden, sondern  hinterfragt werden, ob nach dem anzuwendenden Recht die Selbstverwaltung betroffen ist. Auch dann sollen die Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung Außenwirkung haben.

Eine letzte Meinung lehnt die Außenwirkung ab und nimmt in diesem Fall Innenwirkung an (BVerwG NJW 78, 1820)

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Europarecht Prüfung von Grundfreiheiten

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I. Einleitung

Im Examen haben bei europarechtlichen Klausuren die Grundfreiheiten eine besondere Bedeutung. Diese grundrechtsähnlichen Rechte sind von der Charta der Grundrechte zu unterscheiden.
Charta der Grundrechte der EU
Grundrechte
Grundrechtsähnliche Rechte (Grundfreiheiten)

Die Grundfreiheiten dienen der Verwirklichung der in Art. 3 EUV genannten Ziele der EU durch Errichtung eines gemeinsamen Binnenmarktes (vgl. Art. 3 III S. 1 EUV). Dieser umfasst einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen der Verträge gewährleistet ist (Art. 26 II AEUV).
Die Grundfreiheiten sind die Warenverkehrsfreiheit (Art. 34 ff. AEUV), die Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 ff. AEUV), die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 ff. AEUV), die Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 ff. AEUV) und die Kapitalverkehrsfreiheit (63 ff. AEUV). Diese Grundfreiheiten stellen nach der Rechtsprechung des EuGH subjektive Rechte natürlicher, sowie juristischer Personen dar und sind unmittelbar anwendbar.
Folge von Verstößen gegen die Grundfreiheiten ist, dass die entsprechenden Regelungen nicht zur Anwendung kommen.
Im Folgenden werden die einzelnen prüfungsrelevanten Grundfreiheiten dargestellt.

II. Die einzelnen Grundfreiheiten

Die Prüfung der einzelnen Grundfreiheiten erfolgt ähnlich einer Grundrechtsprüfung des nationalen Rechts und wird in a. Schutzbereich, b. Eingriff und c. Rechtfertigung untergliedert.

1. Die Warenverkehrsfreiheit, Art. 34 ff. AEUV

Die Warenverkehrsfreiheit stellt die bedeutendste Grundfreiheit dar. Sie verbietet die mengenmäßige Beschränkung der Ein- und Ausfuhr von Waren (Handelsbeschränkung), sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung (Art. 34, 35 AEUV).

a. Schutzbereich

aa. Vorliegen einer „Unionsware“

Die Anwendung der Warenverkehrsfreiheit setzt das Vorliegen einer „Unionsware“ voraus.
Ware ist grundsätzlich jeder körperliche Gegenstand, der einen Geldwert hat und Gegenstand eines Handelsgeschäfts sein kann. Der unionsrechtliche Bezug ergibt sich daraus, dass die Ware entweder aus einem Mitgliedstaat stammt oder zwar aus einem Drittstaat stammt, sich aber gemäß Art. 29 AEUV in einem Mitgliedstaat im freien Verkehr befindet.

bb. Grenzüberschreitender Sachverhalt
Das bedeutet, dass die Ware die Grenze eines Mitgliedstaates überschreiten muss.

b. Eingriff

Eingriff ist jede staatliche Maßnahme in Form einer Handelsbeschränkung oder Maßnahme gleicher Wirkung.
Art. 34 ff. AEUV verbieten die mengenmäßige Beschränkung der Ein- und Ausfuhr von Waren (Handelsbeschränkung), sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung (Art. 34, 35 AEUV).
Beispiele für eine Handelsbeschränkung sind Einfuhrbeschränkungen, -verbote oder Kontingentierungen.
Was eine Maßnahme gleicher Wirkung darstellt, hat der EuGH im Dassonville-Urteil und dem Keck-Urteil umrissen: nach Dassonville ist eine Maßnahme gleicher Wirkung jede Maßnahme, die unmittelbar, mittelbar, tatsächlich oder potenziell den Binnenhandel behindern kann (sog. Dassonville-Formel). Diese sehr weite Auslegung wurde durch das Keck Urteil eingeschränkt. Danach ist zwischen produktbezogenen Regulierungen und bloßen Verkaufsmodalitäten zu unterscheiden. Diskriminierungsfreie Verkaufsmodalitäten, beispielsweise Ladenöffnungszeiten, sind vom Anwendungsbereich der Art. 34 ff. AEUV ausgeschlossen. Produktbezogene Regulierungen, zB Inhaltsstoffe oder Verpackungen, werden von Art. 34 ff. AEUV umfasst.

c. Rechtfertigung

Eingriffe sind dann gerechtfertigt, wenn eine Ausnahme nach Art. 36 AEUV vorliegt, d.h. wenn die staatliche Maßnahme den genannten Interessen wie Gesundheit oder öffentliche Ordnung und Sicherheit dient, und der Eingriff verhältnismäßig ist. Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist zudem das Herkunftslandprinzip zu beachten. Danach darf eine Ware, die in einem Mitgliedstaat vorschriftsmäßig hergestellt und in Verkehr gebracht worden ist, nur ausnahmsweise nicht in anderen Mitgliedsstaaten vom Verkehr ausgeschlossen sein (Cassis-Rechtsprechung). Ein Beispiel hierfür stellt der Verbraucherschutz dar.

2. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit, Art. 45 AEUV

Die Arbeitnehmerfreizügigkeit stellt Arbeitnehmer aus einem Mitgliedstaat in einem anderen Mitgliedstaat den dort einheimischen Arbeitnehmern gleich.

a. Schutzbereich

aa. Arbeitnehmer i.S.v. 45 AEUV

Der Arbeitnehmerbegriff ist unionsrechtlich zu bestimmen und dabei weit auszulegen. Arbeitnehmer ist danach eine natürliche Person, die Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates ist, weisungsgebunden , d.h. unselbständig, Leistungen von einem gewissen wirtschaftlichen Wert für einen anderen erbringt und als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Man kann daher grundsätzlich auf nationale Merkmale zurückgreifen, jedoch wird der Begriff vom EuGH weiter ausgelegt. Nach dem EuGH sind auch Beamte, Referendare oder Auszubildende Arbeitnehmer nach Art. 45 AEUV.
Nicht erfasst werden jedoch nach der Bereichsausnahme des Art. 45 IV AEUV Beschäftigte der öffentlichen Verwaltung, die unmittelbar hoheitliche Gewalt ausüben. Dazu gehören Richter, Polizisten oder das Militär, nicht jedoch Lehrer oder Professoren.
Der Anwendungsbereich wird durch Art. 45 III AEUV auch auf die Bewerbung und den Aufenthalt zu Bewerbungszwecken erweitert.

bb. Grenzüberschreitender Sachverhalt

Erforderlich ist ein grenzüberschreitender Sachverhalt; rein innerstaatliche Sachverhalte sind nicht erfasst.

b. Eingriff

Eingriff ist jede staatliche Maßnahme in Form einer Arbeitsbeschränkung oder Maßnahme gleicher Wirkung. Dazu gehören beispielsweise Qualifikationsanforderungen.
Mit einem Eingriff in die Arbeitnehmerfreizügigkeit beschäftigte sich der EuGH in der Bosman-Entscheidung, vgl. EuGH, Rs. C-415/93. Danach stellt auch das Recht eines Vereins nach Ablauf des Vertrages eines Fußballspielers eine Ablösesumme von dessen neuem Verein in einem anderen EU-Mitgliedstaat zu fordern einen Eingriff dar, da dies geeignet ist, um den Spieler davon abzuhalten den Verein zu wechseln.
Auch hier ist die Keck-Rechtsprechung zu beachten: ein Eingriff ist dann gegeben, wenn tatsächlich der Zugang zur Beschäftigung betroffen ist, hingegen nicht, wenn lediglich eine Beschäftigungsmodalität vorliegt.

c. Rechtfertigung

Eingriffe sind dann gerechtfertigt, wenn eine Ausnahme nach Art. 45 III AEUV vorliegt, d.h. wenn die staatliche Maßnahme den genannten Interessen wie Gesundheit oder öffentliche Ordnung und Sicherheit dient, und der Eingriff verhältnismäßig ist. Weiterhin lässt der EuGH zwingende Gründe des Allgemeinwohls als Rechtfertigung zu (Cassis-Rechtsprechung). Es muss sich dabei um eine unterschiedslos (d.h. für Inländer und Ausländer gleichermaßen gültig) geltende Maßnahme handeln, welche verhältnismäßig ist.

3. Die Niederlassungsfreiheit, Art. 49 AEUV

Die Niederlassungsfreiheit ermöglicht es natürlichen und juristischen Personen sich in jedem Mitgliedstaat zu gleichen Bedingungen wie Inländer niederzulassen und eine selbständige Tätigkeit auszuüben.

a. Schutzbereich

aa. Definition

Eine Legaldefiniton des Begriffs der Niederlassung gibt es in den Verträgen nicht. Unter Niederlassung ist aber die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten zu verstehen, d.h. der Ort, von dem aus ein EU-Bürger in regelmäßiger Wiederkehr und kontinuierlich weisungsunabhängig sein Gewerbe oder seinen Beruf ausübt.
Nicht erfasst werden jedoch nach der Bereichsausnahme des Art. 51 AEUV Tätigkeiten, die in einem Mitgliedstaat dauernd oder zeitweise mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind.

bb. Grenzüberschreitender Sachverhalt

Erforderlich ist ein grenzüberschreitender Sachverhalt; rein innerstaatliche Sachverhalte sind nicht erfasst.

b. Eingriff

Eingriff ist jede staatliche Maßnahme in Form einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit oder Maßnahme gleicher Wirkung.
Auch hier ist die Keck-Rechtsprechung zu beachten: ein Eingriff ist dann gegeben, wenn tatsächlich die Niederlassung beeinträchtigt ist und nicht eine bloße Niederlassungsmodalität auf dem jeweiligen nationalen Markt vorliegt.
Beispiele für Eingriffe in die Niederlassungsfreiheit sind Wohnsitzerfordernisse oder Verbote mehrfacher Niederlassung.

c. Rechtfertigung

S.o.

4. Die Dienstleistungsfreiheit, Art. 56 ff. AEUV

Die Dienstleistungsfreiheit ist ein Auffangtatbestand, sie kommt daher nur zur Anwendung, wenn keine der anderen Grundfreiheiten einschlägig sind.

a. Schutzbereich

aa. Definition

Dienstleistungsfreiheit bedeutet die Gleichstellung von EU-Ausländern gegenüber Inländern bei der vorübergehenden, grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen. Dienstleistung i.S.v. Art. 56, 57 AEUV bedeutet gegen Entgelt erbrachte Leistung, d.h. eine selbständige Tätigkeit. Art. 57 II AEUV enthält eine Aufzählung von Beispielen, diese sind jedoch nicht abschließend.
Abgrenzung zu anderen Grundfreiheiten:
Von der Warenverkehrsfreiheit ist die Dienstleistungsfreiheit über den Begriff „körperlicher Gegenstand“, der eine Ware darstellt, abzugrenzen. Die Dienstleistung stellt hingegen eine Arbeitsleistung dar.

Von der Niederlassungsfreiheit ist die Dienstleistungsfreiheit dahingehend abzugrenzen, dass die Niederlassung von einer Dauerhaftigkeit geprägt ist und die Dienstleistung vielmehr einen gelegentlichen oder vorübergehenden Charakter aufweist.

bb. Grenzüberschreitender Sachverhalt

Erforderlich ist ein grenzüberschreitender Sachverhalt; rein innerstaatliche Sachverhalte sind nicht erfasst.

b. Eingriff

Eingriff ist jede staatliche Maßnahme in Form einer Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs oder Maßnahme gleicher Wirkung. Dazu gehören ebenso wie bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit und Niederlassungsfreiheit zB berufliche Qualifikationsnachweise, Sprachkenntnisse oder die Notwendigkeit einer behördlichen Erlaubnis.
Auch hier ist die Keck-Rechtsprechung zu beachten: ein Eingriff ist dann gegeben, wenn tatsächlich der freie Dienstleistungsverkehr betroffen ist, hingegen nicht, wenn lediglich eine Dienstleistungsmodalität vorliegt.

c. Rechtfertigung

Eingriffe sind über Art. 62 AEUV i.V.M Art. 52 I AEUV gerechtfertigt, wenn die Sicherheit und Ordnung oder die Gesundheit gefährdet ist. Ebenso werden vom EuGH zwingende Gründe des Allgemeinwohls als Rechtfertigung zugelassen (Cassis-Rechtsprechung). Wie bei den anderen Grundfreiheiten muss es sich dabei um eine unterschiedslos (d.h. für Inländer und Ausländer gleichermaßen gültig) geltende Maßnahme handeln, welche verhältnismäßig ist.

5. Die Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit

Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit bedeutet die einseitige Übertragung von Werten, d.h. finanzielle Transaktionen, die nicht im Zusammenhang mit den Waren, Personen oder Dienstleistungsverkehr steht.

a. Schutzbereich

aa. Definition

Vom Schutzbereich umfasst ist generell die Beweglichkeit von Kapital und Zahlungen zwischen den Mitgliedstaaten, bzw. den Mitgliedstaaten und Drittstaaten.
Der Begriff des Kapitalverkehrs umfasst jede einseitige Wertübertragung von Sach- oder Geldkapital von einem Mitgliedstaat in einen anderen, die zugleich eine Vermögensanlage darstellt, zB Immobilienerwerb, Unternehmensbeteiligungen, Erwerb von Bürgschaften, Anleihen oder Wertpapieren.
Unter dem Begriff des Zahlungsverkehrs versteht man die grenzüberschreitende Übertragung von Zahlungsmitteln im Sinn einer Gegenleistung für beispielsweise Warenlieferung oder Dienstleistung.

bb. Grenzüberschreitender Sachverhalt

Erforderlich ist ein grenzüberschreitender Sachverhalt; rein innerstaatliche Sachverhalte sind nicht erfasst. Art. 63 AEUV verbietet dabei Beschränkungen nicht nur zwischen den Mitgliedstaaten, sondern auch zwischen den Mitgliedstaaten und Drittstaaten.

b. Eingriff

Eingriff ist jede staatliche Maßnahme in Form einer Beschränkung des freien Kapital- und Zahlungsverkehrs, sowie eine Maßnahme gleicher Wirkung. Art. 63 AEUV stellt ein umfasssendes Beschränkungsverbot dar, welches weit auszulegen ist und neben einer Ungleichbehandlung aus Gründen der Staatsangehörigkeit auch alle anderen unterschiedslos geltenden Maßnahmen erfasst. Beispiel für einen Eingriff stellen sog. Einheimischenmodelle zum Erwerb von Immobilien dar.

c. Rechtfertigung

Geschriebene Rechtfertigungsgründe, d.h. zulässige Beschränkungen, sind in Art. 64, 65 AEUV zu finden. Ansonsten sind nach der Cassis-Rechtsprechung zwingende Gründe des Allgemeinwohls zu beachten. Als Beispiel hierfür kann wieder das Einheimischenmodell herangezogen werden. Ein solches kann aus bauplanerischen Gründen gerechtfertigt sein.
Wie bei den anderen Grundfreiheiten muss es sich dabei um eine unterschiedslos (d.h. für Inländer und Ausländer gleichermaßen gültig) geltende Maßnahme handeln, welche verhältnismäßig ist.

6. Das allgemeine Diskriminierungsverbot, Art. 18 I AEUV

Das allgemeine Diskriminierungsverbot verbietet jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit und ist nur einschlägig, sofern keine andere Grundfreiheit zur Anwendung kommt. Die allgemeine Diskriminierungsfreiheit kommt nicht sehr häufig zur Anwendung, da die oben dargestellten Grundfreiheiten meist vorrangig einschlägig sind. Beispiele für die Anwendung des Diskriminierungsgebotes sind im Bildungsbereich (bei Studenten, welche weder der Arbeitnehmerfreizügigkeit oder der Niederlassungsfreiheit unterfallen) oder bei Sozialleistungen zu finden.

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Rechtmäßigkeit von EU-Rechtsakten

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Rechtmäßigkeit von EU-Rechtsakten am Beispiel von Verordnungen und Richtlinien

Vorbemerkung: Urteile des EuGH und EuG werden nach der neuen ECLI-Zitierweise zitiert. (http://curia.europa.eu/jcms/jcms/P_125997/ )

Die alte Zitierweise wird zusätzlich in der ersten Quellenangabe des jeweiligen Urteils verwendet.

A. Einleitung

Die Handlungsformen (Rechtsakte) der Union sind in Art. 288 AEUV geregelt: Verordnungen, Richtlinien, Beschlüsse, Empfehlungen und Stellungnahmen.
Die Organe der Union können grundsätzlich frei entscheiden, welcher Handlungsform sie sich bedienen, es sei denn, die Art des zu erlassenen Rechtsaktes ist in den Verträgen vorgegeben, Art. 296 Abs. 1 AEUV. Dabei sind die geltenden Verfahrensvorschriften sowie vor allem der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Subsidiaritätsprinzip einzuhalten.
Im Folgenden wird die Rechtmäßigkeit von EU-Rechtsakten am Beispiel von Verordnungen und Richtlinien besprochen (zu den Unterschieden zur Prüfung der übrigen Rechtsakte s.u. unter B.III.). Diese kann im Rahmen einer europarechtlichen Examensklausur nur zu prüfen sein, wenn Gegenstand der Klausur ein Verfahren vor dem EuGH ist oder ein Gutachten zur Rechtmäßigkeit des Rechtsaktes anzufertigen ist. Der Grund hierfür ist das alleinige Auslegungs- und Verwerfungsmonopol des EuGH gem. Art. 19 Abs. 1 UAbs 1 S. 2 EUV, Art. 263, 267 AEUV. Als Klagearten kommen dann die Nichtigkeitsklage gem. Art. 262 AEUV oder das Vorabentscheidungsverfahren gem. Art. 267 AEUV in Betracht.
Verordnungen der Union gelten unmittelbar (Art. 288 Abs. 2 S. 2 AEUV). Richtlinien gelten lediglich mittelbar, d.h. die Richtlinie verpflichtet den Mitgliedstaat zu einer selbständigen Umsetzung, um das in der Richtlinie festgesetzte Ziel zu verwirklichen (Art. 288 Abs. 3 AEUV). Über die Art der Umsetzung können die Mitgliedstaaten grundsätzlich frei entscheiden. Dies geschieht beispielsweise durch Erlass eines entsprechenden Gesetzes.

B. Rechtmäßigkeit von EU-Rechtsakten am Beispiel von Verordnungen und Richtlinien

Von der Grundstruktur ähnelt das Prüfungsschema dem gewohnten öffentlich-rechtlichen Prüfungsschema mit den Prüfungspunkten formelle und materielle Rechtmäßigkeit, wie beispielsweise bei der Prüfung einer Satzung oder eines Gesetzes.

Die folgenden Prüfungsschemata sollen nur eine Hilfestellung für die Prüfung sein. Es ist wie immer im Einzelfall zu entscheiden, was geprüft werden muss. Da das Europarecht nicht deckungsgleich mit dem deutschen Recht ist, sind einige Prüfungspunkte anders verortet als im deutschen Recht. Zunächst wird ein Kurzschema dargestellt und anschließend ein kommentiertes Prüfungsschema.

Kurzschema:

I. Formelle Rechtmäßigkeit
1. Zuständigkeit
a) Rechtsgrundlage
– Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung; ggf. Vertragsabrundungskompetenz gem. 352 AEUV, Implied-powers-Lehre;
– richtige Rechtsgrundlage (Kompetenznorm) durch Subsumption bestimmen
b) Verbandskompetenz Art. 2 ff. AEUV
– Bestimmung durch die einschlägige Kompetenznorm in Verbindung mit den Art. 2 ff. AEUV
c) Organkompetenz
– ergibt sich aus der Kompetenznorm
2. Verfahren
– ordentliches oder besonderes Gesetzgebungsverfahren, Art. 289 Abs. 1, Art. 294 AEUV bzw. Art. 289 Abs. 2 AEUV i.V.m. der Kompetenznorm
3. Form
– insbes. Begründung (Art. 296 Abs. 2 AEUV), Unterzeichnung und Veröffentlichung (Art. 297 AEUV)
II. Materielle Rechtmäßigkeit
– Verstoß gegen Kompetenzausübungsregeln, insbes. Subsidiaritätsprinzip (Art. 5 Abs. 3 EUV), Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art. 5 Abs. 4 EUV) und höherrangiges Recht (z.B. EU-Grundrechte, Rechtsstaatsprinzipien)

Kommentiertes Prüfungsschema:

I. Formelle Rechtmäßigkeit

1. Zuständigkeit

Grundlegendes Prinzip der Zuständigkeitsverteilung zwischen der EU und den Mitgliedsstaaten ist das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung gem. Art. 5 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 EUV. Danach können die Organe der EU nur dann Rechtsnormen erlassen, wenn sie dazu explizit durch die Verträge (= der EUV und der AEUV gem. Art. 1 Abs. 3 S. 1 EUV, Art. 1 Abs. 2 S. 2 AEUV) ermächtigt worden sind. Durch die in den Verträgen enthaltenen Rechtsgrundlagen (Kompetenznormen) haben die Mitgliedsstaaten eigene Kompetenzen auf die EU übertragen. Die nicht übertragenen Kompetenzen verbleiben folglich bei den Mitgliedsstaaten (vgl. die nur deklaratorischen Art. 4 Abs. 1, Art. 5 Abs. 2 S. 2 EUV).

Hinweis: Die Verträge verwenden den Terminus „Zuständigkeit/-en“ anstatt Kompetenz.

Ergänzend gilt die sogenannte Vertragsabrundungskompetenz nach Art. 352 AEUV. Danach erlässt der Rat einstimmig auf Vorschlag der Kommission und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments die geeigneten Vorschriften, wenn ein Tätigwerden der Union im Rahmen der in den Verträgen festgelegten Politikbereichen erforderlich und die hierfür notwendige Befugnis in den Verträgen nicht vorgesehen ist. Art. 352 AEUV dürfte kaum Examensrelevanz besitzen, sondern allenfalls in einer Schwerpunktprüfung anzuwenden sein.

Daneben gibt es noch die aus dem Völkerrecht stammende und vom EuGH übernommene Implied-powers-Lehre. Diese umfasst die aus dem deutschen Recht bekannte Annexkompetenz, Kompetenz kraft Sachzusammenhang und die Kompetenz kraft Natur der Sache. Nach der Implied-powers-Lehre muss eine internationale Organisation auch die Kompetenzen haben, die zur Erfüllung ihrer Aufgaben zwingend erforderlich sind. Diese ungeschriebenen Kompetenzen müssen sich aus anderen (geschriebenen) Kompetenzen ableiten lassen. Besondere Relevanz hatte die Implied-powers-Lehre bei der Anerkennung von Außenkompetenzen der EU, soweit entsprechende Binnenkompetenzen der EU vorhanden waren (EuGH, Urteil AETR, 22/70, ECLI:EU:C:1971:32 = EuGH, Rs. 22/70 (AETR), Slg. 1971, 263) (http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:61970CJ0022). Auch die Implied-powers-Lehre dürfte nicht examensrelevant sein.

a) Bestimmung der richtigen Rechtsgrundlage (Kompetenznorm)

Aufgrund des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung gem. Art. 5 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 EUV ist die richtige Rechtsgrundlage (Kompetenznorm) für den jeweiligen EU-Rechtsakt zu bestimmen. Diese ergibt sich aus den einschlägigen Bestimmungen des AEUV zu den einzelnen Politikbereichen gem. Art. 2 Abs. 6 AEUV. Aus der einschlägigen Rechtsgrundlage lassen sich dann das zuständige Organ, das zulässige Verfahren und die zulässige Handlung herauslesen. Daher findet die Bestimmung der Rechtsgrundlage und die Prüfung ihrer Tatbestandsvoraussetzungen bereits an dieser Stelle statt und nicht erst im Rahmen der materiellen Rechtmäßigkeit des Rechtsaktes.

An dieser Stelle genügt ein kurzer Hinweis auf das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung. Ist keine Rechtsgrundlage ersichtlich, ist zu prüfen, ob sich eine Rechtsgrundlage durch Auslegung, die Vertragsabrundungskompetenz (Art. 352 AEUV) oder die Implied-powers-Lehre ermitteln lässt.

Die jeweils einschlägige Kompetenznorm bestimmt sich danach, was die Maßnahme objektiv betrachtet für einen Schwerpunkt hat (stetige Rechtsprechung: EuGH, Urteil Rat/Kommission, C-155/07, ECLI:EU:C:2008:605, Rn. 34, m.w.N. = EuGH, Rs. C-155/07 (Rat/Kommission), Slg. 2008, I-08103, Rn. 34, m.w.N.) (http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:62007CJ0155). Dies richtet sich insbesondere nach Ziel und Inhalt des Rechtsaktes (ebd.). Ist eine speziellere Rechtsgrundlage im AEUV vorhanden, auf die der Rechtsakt nach den gerade genannten Kriterien gestützt werden kann, so ist diese Rechtsgrundlage heranzuziehen (ebd.). Handlungen der EU sind grundsätzlich nur auf eine Rechtsgrundlage zu stützen.

Beispiel: Bezweckt der Rechtsakt die Rechtsangleichung im Binnenmarkt, sind Art. 114 f. AEUV einschlägig. Ob Art. 114 AEUV oder Art. 115 AEUV die richtige Rechtsgrundlage ist, ist anhand der jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen zu prüfen. So ist Art. 115 AEUV gegenüber Art. 114 AEUV subsidiär (vgl. Wortlaut von Art. 115 AEUV: „Unbeschadet Art. 114 …“). Art. 114 AEUV findet hingegen in den in Art. 114 Abs. 2 AEUV genannten Fällen keine Anwendung, dann gilt Art. 115 AEUV.

Kommen mehrere Kompetenznormen in Betracht, so ist zunächst zu prüfen, ob die eine Zielsetzung oder Komponente die andere überwiegt (EuGH, Urteil Rat/Kommission, ECLI:EU:C:2008:605, Rn. 35, m.w.N.) (http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:62007CJ0155). Ist dies der Fall, so ist der Rechtsakt auf die Rechtsgrundlage der überwiegenden Zielsetzung oder Komponente zu stützen (ebd.). Komponente in diesem Sinne meint den Regelungsgegenstand eines Rechtsaktes.

Beispiel: Art. 114 AEUV ist bei den Rechtsakten die einschlägige Rechtsgrundlage, die gem. Art. 114 Abs. 1 S. 2 AEUV „die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts zum Gegenstand haben“.

Bewirkt der Rechtsakt aber nur nebenbei, d.h. als mittelbare Folge, eine Harmonisierung der Marktbedingungen innerhalb der Union, so ist dies nicht Regelungsgegenstand des Rechtsaktes und Art. 114 Abs. 1 AEUV folglich nicht die richtige Rechtsgrundlage (EuGH, Urteil Kommission/Rat, C-155/91, ECLI:EU:C:1993:98, Rn. 19 = EuGH, Rs. C-155/91 (Kommission/Rat), Slg. 1993, I-00939, Rn. 34) (http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:61991CJ0155).

Sind die Zielsetzungen oder Komponenten gleichrangig und untrennbar miteinander verbunden, dann muss das handelnde Organ den Rechtsakt auf alle einschlägigen Rechtsgrundlagen stützen und diese zitieren (ebd., Rn. 36, m.w.N.) (http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:61991CJ0155). Ausgenommen davon sind die Fälle, in denen die in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen unterschiedliche Gesetzgebungsverfahren vorsehen (zu den Voraussetzungen und Folgen dieser Ausnahme siehe EuGH, Urteil Titandioxid, C-300/89, ECLI:EU:C:1991:244, Rn. 17 ff. = EuGH, Rs. C-300/89 (Titandioxid), Slg. 1991, I-2867, Rn. 17 ff.). (http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:61989CJ0300)

Im Examen wird regelmäßig nur eine Rechtsgrundlage einschlägig sein. Die Problematik von mehreren Rechtsgrundlagen dürfte eher in einer Schwerpunktprüfung vorkommen.

Die Wahl der falschen Rechtsgrundlage führt zur Rechtswidrigkeit des Rechtsaktes. Der jeweilige Rechtsakt kann dann mit der Nichtigkeitsklage gem. Art. 263 AEUV angegriffen und vom EuGH gem. Art. 264 Abs. 1 AEUV für nichtig erklärt werden.
Beruht die Rechtswidrigkeit des Rechtsaktes nur auf der Wahl der falschen Rechtsgrundlage, hält der EuGH i.d.R. den Rechtsakt aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes gem. Art. 264 Abs. 2 AEUV aufrecht, bis die zuständigen Organe einen Rechtsakt gleichen Inhalts auf der richtigen Rechtsgrundlage erlassen haben.

b) Verbandskompetenz

Grundsätzlich gibt es drei alternative Arten der Zuständigkeit. Welche der Zuständigkeiten einschlägig ist, ergibt sich aus der systematischen Stellung der zugrundeliegenden Kompetenznorm in Verbindung mit den Art. 3 ff. AEUV, d.h. welchem „Bereich“ im Sinne der Art. 3 ff AEUV sich die Kompetenznorm zuordnen lässt.

Beispiel: Art. 114 AEUV ist als Kompetenznorm einschlägig, da Ziel des Rechtsaktes die Rechtsangleichung im Binnenmarkt ist. Dann ergibt sich aus Art. 4 Abs. 2 lit. a AEUV die Art der Zuständigkeit, da es sich um den Bereich „Binnenmarkt“ handelt, vgl. Art. 114 Abs. 1 S. 1 AEUV i.V.m. Art. 26 AEUV. In diesem Fall liegt also eine geteilte Zuständigkeit vor.

Beachte: Aus den Werten und Zielen der Union (Art. 2 f. EUV), den Art. 2 ff. AEUV zur Einordnung der Zuständigkeiten sowie den jeweiligen Zielen der einzelnen Politikbereiche (z.B. Art. 26 AEUV für den Binnenmarkt) ergeben sich keine Kompetenzen der EU!

aa) Ausschließliche Zuständigkeit der Union (Art. 2 Abs. 1, Art. 3 AEUV)

Im Rahmen der ausschließlichen Zuständigkeit gem. Art. 2 Abs. 1, Art. 3 AEUV darf nur die EU gesetzgeberisch tätig werden. Die Mitgliedsstaaten sind daher grundsätzlich von einem Handeln in den in Art. 3 AEUV genannten Bereichen ausgeschlossen (Sperrwirkung). Ausnahmsweise dürfen die Mitgliedsstaaten gem. Art. 2 Abs. 1 Hs. 2 AEUV tätig werden, wenn die EU sie hierzu ermächtigt oder wenn sie Rechtsakte der Union ausführen.
Beispiele: Art. 31 AEUV (Zollunion); Art. 103, 105 Abs. 3, 106 Abs. 3, 108 Abs. 4, 109 AEUV (Wettbewerbspolitik für das Funktionieren des Binnenmarkts); Art. 133 AEUV (Währungspolitik für den Euro); Art. 107 AEUV (gemeinsame Handelspolitik).

oder

bb) (Regelfall) Geteilte Zuständigkeit der Union mit den Mitgliedstaaten (Art. 2 Abs. 2, Art. 4 AEUV)

Im Rahmen der geteilten Zuständigkeit gem. Art. 2 Abs. 2, Art. 4 AEUV dürfen die Mitgliedstaaten nur tätig werden, solange und soweit die Union ihre Zuständigkeit nicht ausgeübt hat. Hat die Union Gebrauch von ihrer Zuständigkeit gemacht, besteht eine Sperrwirkung für Handlungen der Mitgliedsstaaten gem. Art. 2 Abs. 2 S. 2, 3 AEUV.
Nach Protokoll Nr. 25 zum Lissabon-Vertrag erstreckt sich die Ausübung der Zuständigkeit nur auf die durch den entsprechenden Rechtsakt der Union geregelten Elemente und nicht auf den gesamten Bereich.
Beispiele: Art. 114 f. AEUV iVm Art. 26 AEUV (Binnenmarkt); Art. 43 AEUV (Agrar- und Fischereipolitik); Art. 192 AEUV (Umweltpolitik); Art. 91 AEUV (Verkehrspolitik); Art. 169 AEUV (Verbraucherschutz); Art. 194 (Energie).

oder

cc) Unterstützungs-, Koordinierungs- oder Ergänzungsmaßnahmen (Art. 2 Abs. 5, Art. 6 AEUV)

Die Union ist für die Durchführung von Maßnahmen zur Unterstützung, Koordinierung oder Ergänzung von Maßnahmen der Mitgliedstaaten in den in Art. 6 S. 2 AEUV normierten Bereichen zuständig. Die Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten bleibt davon aber nach Art. 2 Abs. 5 UAbs. 1 AEUV unberührt. Sie können also trotzdem eigene Maßnahmen erlassen. Die EU darf in diesen Bereichen keine Harmonisierungsmaßnahmen treffen, Art. 2 Abs. 5 UAbs. 2 AEUV.

Beispiele: Art. 165 AEUV (Bildung); Art. 168 AEUV (Gesundheit); Art. 173 AEUV (Industrie); Art. 167 (Kultur).

c) Organkompetenz

Welches Organ (Rat, Europäisches Parlament oder Kommission) zuständig ist, ergibt sich ebenfalls aus der jeweils einschlägigen Rechtsgrundlage. Regelmäßig sind der Rat und das Europäische Parlament gemeinsam zuständig.

Beispiel: Art. 114 Abs. 1 S. 2 AEUV „Das Europäische Parlament und der Rat erlassen […] Maßnahmen …“.

2. Verfahren

Man unterscheidet nach Art. 289 Abs. 1 und 2 AEUV zwischen ordentlichem und besonderem Gesetzgebungsverfahren. Welches Gesetzgebungsverfahren anzuwenden ist, ist der jeweiligen Kompetenznorm zu entnehmen, i.d.R. ist das ordentliche Gesetzgebungsverfahren anzuwenden.

Rechtsakte, die in einem der beiden Gesetzgebungsverfahren erlassen wurden, heißen Gesetzgebungsakte, Art. 289 Abs. 3 AEUV.

a) Ordentliches Gesetzgebungsverfahren (Regelfall)

Der Ablauf des ordentlichen Verfahrens ist in Art. 289 Abs. 1, Art 294 AEUV genau geregelt.
In der Klausur müsste bei Verfahrensproblemen der Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens wiedergegeben und anhand von Art. 294 AEUV geprüft werden.

b) Besonderes Gesetzgebungsverfahren

Der Ablauf des besonderen Gesetzgebungsverfahrens ist in Art. 289 Abs. 2 AEUV geregelt. Unterschieden wird zwischen Anhörungsverfahren und Zustimmungsverfahren. Welches der beiden Verfahren anzuwenden ist, ist wiederum der jeweiligen Kompetenznorm zu entnehmen.

Beim Anhörungsverfahren wird das betreffende Organ nur angehört. Die Anhörung muss aber auch tatsächlich stattfinden!

Beispiele: Art. 21 Abs. 3 S. 2 AEUV; Art. 22 Abs. 1 S. 2 AEUV; Art. 22 Abs. 2 S. 2 AEUV

Beim Zustimmungsverfahren muss das betreffende Organ (i.d.R. das Europäische Parlament) zustimmen. Es darf keine Änderungen am Entwurf des Rechtsaktes vornehmen, sondern darf den Entwurf nur billigen oder ablehnen.

Beispiele: Art. 19 Abs. 1 AEUV; 25 Abs. 2 S. 1 AEUV

3. Form

a) Begründung

Nach Art. 296 Abs. 2 AEUV sind die Rechtsakte mit einer Begründung zu versehen. Hierbei muss die Rechtsgrundlage angegeben werden, auf die sich der Rechtsakt stützt. Sind mehrere Rechtsgrundlagen einschlägig, sind alle anzugeben (s.o. unter B.I.1.A)).

b) Unterzeichnung und Veröffentlichung

Nach Art. 297 AEUV sind die Rechtsakte zu unterzeichnen und im Amtsblatt der Europäischen Union zu veröffentlichen.

II. Materielle Rechtmäßigkeit

1. Rechtsgrundlage

Die Prüfung der Rechtsgrundlage entfällt, da diese bereits im Rahmen der formellen Rechtmäßigkeit geprüft wurde (s.o. unter B.I.1.A)). Die einschlägige Rechtsgrundlage kann an dieser Stelle aber trotzdem noch einmal genannt werden.

2. Verstoß gegen Kompetenzausübungsregeln

Die EU unterliegt bei der Ausübung ihrer Kompetenzen bestimmten Kompetenzausübungsregeln. Diese legen die Modalitäten und Grenzen der Kompetenzausübung durch die EU fest. Zu den Kompetenzausübungsregeln zählen v.a. das Subsidiaritätsprinzip und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gem. Art. 5 Abs. 1 S. 2, Abs. 3, 4 EUV sowie das übrige höherrangige Recht.

a) Subsidiaritätsprinzip, Art. 5 Abs. 3 EUV

Soweit keine ausschließliche Zuständigkeit der EU vorliegt, ist das Subsidiaritätsprinzip gem. Art. 5 Abs. 3 EUV zu beachten. Es besagt, dass die EU nur tätig werden darf, soweit das angestrebte Ziel nicht gleich effektiv auf der niedrigeren Ebene der Mitgliedsstaaten geregelt werden kann.

Es setzt gem. Art. 5 Abs. 3 UAbs. 1 EUV voraus, dass

  1. die mit der Maßnahme verfolgten Ziele nicht ausreichend auf Ebene der Mitgliedsstaaten (aller Mitgliedsstaaten !) verwirklicht werden können (Effizienztest) und
  2. die angestrebten Ziele besser auf Unionsebene realisiert werden können, etwa wegen des Umfangs und der Wirkungen der Maßnahme (Mehrwerttest).

Eine prozessuale Ausgestaltung hat das Subsidiaritätsprinzip gem. Art. 5 Abs. 3 UAbs. 2 S. 1 EUV in Protokoll Nr. 2 zum Lissabon-Vertrag gefunden.

b) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, Art. 5 Abs. 4 EUV

Gem. Art. 5 Abs. 4 UAbs. 1 EUV dürfen die Maßnahmen der EU inhaltlich wie formal nicht über das zur Erreichung der Ziele der Verträge erforderliche Maß hinausgehen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gilt auch im Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit der EU.

Es wird klassisch nach Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit geprüft. Es ist in formaler und in inhaltlicher Hinsicht zu prüfen. Dabei liegt der Schwerpunkt regelmäßig auf der Erforderlichkeit der Maßnahme. In formaler Hinsicht ist dann z.B. zu prüfen, ob eine Verordnung erforderlich ist oder ob auch eine Richtlinie, wenn sie im Einzelfall ein gleich effektives, milderes Mittel ist, genügen würde. Die Prüfung in inhaltlicher Hinsicht entspricht weitestgehend dem deutschen Übermaßverbot. Bei der Prüfung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit sind die Ziele der EU zu beachten (EuGH, Urteil Drexl, 299/86, ECLI:EU:C:1988:103, Rn. 24 = EuGH, Rs. 299/86 (Drexl), Slg. 1988, 1213, Rn. 24) (http://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=CELEX:61986CJ0299). Die Maßnahme darf gem. Art. 5 Abs. 4 UAbs. 1 EUV nicht über diese Ziele hinausgehen. Diese ergeben sich allgemein aus Art. 3 EUV und speziell aus den Zielen der einzelnen Politikbereiche, z.B. für den Binnenmarkt aus Art. 26 AEUV (vgl. Art. 114 Abs. 1 S. 1 AEUV).

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gem. Art. 5 Abs. 4 UAbs. 1 EUV ist vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gem. Art. 52 Abs. 1 S. 2 EU-GRCharta (Charta der Grundrechte der Europäischen Union) zu unterscheiden. Letzterer findet bei der Einschränkung von EU-Grundrechten durch den Rechtsakt Anwendung und ist daher unter „cc. Übriges höherrangiges Recht“ zu prüfen.

Gem. Art. 5 Abs. 4 UAbs. 2 EUV ist das Protokoll Nr. 2 zum Lissabon-Vertrag zu beachten.

c) Übriges höherrangiges Recht

Ggf. ist zu prüfen, ob die EU gegen das übrige höherrangige Recht als weitere Kompetenzausübungsregel verstoßen hat. Als solches kommen das (übrige) Primärrecht sowie Rechtsstaatsprinzipien (z.B. der Bestimmtheitsgrundsatz) in Betracht.

Bei der Prüfung der Vereinbarkeit mit dem Primärrecht sind besonders die folgenden Normen zu beachten: Die EU-Grundrechte (vgl. Art. 6 Abs. 1 AEUV i.V.m. EU-GRCharta), die Gleichheit der Mitgliedsstaaten (Art. 4 Abs. 2 EUV), die nationale Identität der Mitgliedsstaaten (Art. 4 Abs. 2 EUV) sowie die sog. Querschnittsklauseln der Art. 7 bis 17 AEUV.

C. Unterschiede bei der Prüfung von Beschlüssen, Empfehlungen und Stellungnahmen

Die Prüfung von Verordnungen und Richtlinien unterscheidet sich von der Prüfung von den übrigen Rechtsakten (Beschlüssen, Empfehlungen, Stellungnahmen) grundsätzlich nur hinsichtlich des Verfahrens und der Form. Damit kann das obige Schema auch auf die Prüfung dieser Rechtsakte angewendet werden.

I. Prüfung von Beschlüssen

Bei der Prüfung von Beschlüssen sind zwei Arten von Beschlüssen zu unterscheiden: Beschlüsse, die Gesetzgebungsakte gem. Art. 289 Abs. 3 AEUV sind und Beschlüsse, die keine Gesetzgebungsakte sind.

Für Beschlüsse, die Gesetzgebungsakte sind, ergeben sich keine Besonderheiten zum obigen Schema, insbes. gilt auch das ordentliche oder besondere Gesetzgebungsverfahren, Art. 289 Abs. 1, 2 AEUV.

Für Beschlüsse, die keine Gesetzgebungsakte sind, richtet sich das Verfahren nach den Vorgaben der einschlägigen Rechtsgrundlage und nach dem Beschlussverfahren des jeweils zuständigen Organs. Die Form von adressatenbezogenen Beschlüssen ergibt sich aus Art. 297 Abs. 2 UAbs. 3 AEUV (schriftliche Bekanntgabe), für adressatenlose aus Art. 297 Abs. 2 UAbs. 2 AEUV.

Beschlüsse ohne Gesetzescharakter sind z.B. Beschlüsse der Kommission im Beihilferecht gem. Art. 108 Abs. 2 UAbs. 1 AEUV.

II. Prüfung von Empfehlungen und Stellungnahmen

Bei Empfehlungen und Stellungnahmen richtet sich das Verfahren nach den Vorgaben der einschlägigen Rechtsgrundlage und nach dem Beschlussverfahren des jeweils zuständigen Organs bzw. der jeweils zuständigen Organe. Die Form ergibt sich ggf. aus der einschlägigen Rechtsgrundlage.

 

 

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Zufluss-/Abflussprinzip im Steuerrecht

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Der folgende Artikel gibt einen Überblick über eine der klassischen Fragen der bayerischen Steuerrechtklausur in der Zweiten Staatsprüfung. Er eignet sich zum Einstieg in die Thematik, die anschließend anhand von Übungsfällen eigenständig vertieft werden kann.

I. Grundsätze

§ 11 EStG
Regelung des Zeitpunktes des Zu- und Abflusses von Einnahmen und Ausgaben
Anwendungsbereich:

1.  Bei Einnahmen: § 11 I EStG

Zufluss-Grundsatz: Zeitpunkt der Erlangung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht:
Danach sind Einnahmen in dem Kalenderjahr bezogen, in dem sie dem Steuerpflichtigen zugeflossen sind.

Anwendungsbereiche:
– Gewinnermittlung nach § 4 III EStG (wichtigster Fall für die Steuerrechtsklausur in Bayern). Nach dieser Vorschrift können Steuerpflichtige ihre Gewinnermittlung durch Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben ermitteln.
– bei Ermittlung der Überschusseinkünfte (§ 2 I S. 1 Nr. 4 -7 EStG, § 8 EStG)

2. bei Ausgaben: § 11 II EStG

Ausgaben sind in dem Kalenderjahr abzusetzen, in dem sie geleistet worden sind.

Anwendungsbereiche:
– Gewinnermittlung nach § 4 III EStG
– bei Ermittlung der Überschusseinkünfte (§ 2 I S. 1 Nr. 4 -7 EStG, § 8 EStG)
– Ermittlung der abzugsfähigen Sonderausgaben (§ 10 EStG)
– Ermittlung der abzugsfähigen außergewöhnlichen Belastungen, § 33 EStG
– Werbungskosten der Überschusseinkünfte, § 9 EStG
– Zuwendungen an politische Parteien, § 34 g EStG und § 10 b EStG

3.  Einschränkung: regelmäßig wiederkehrende Einnahmen, § 11 I 2, II 2 EStG

Dies ist eine wichtige Ausnahme von der grundsätzlichen Erfassung der Einnahmen im Jahr des Zuflusses bzw. der Ausgaben im Jahr des Abflusses:
regelmäßig wiederkehrende Einnahmen/Ausgaben“: Solche, die ihrer Natur nach, also aufgrund des zugrunde liegenden Rechtsgeschäfts (etwa Mietvertrag) nicht nur einmal, sondern in regelmäßigen Zeitabständen erzielt oder geleistet werden.
kurze Zeit vor Beginn oder kurze Zeit nach Beendigung des Kalenderjahres, zu dem sie wirtschaftlich gehören, zugeflossen“: nach Rspr. ist ein Zeitraum von 10 Tagen gemeint.
Bsp.: Miete für Januar 2015 wurde schon am 30. 12. 2014 überwiesen; sie gehört wirtschaftlich aber nicht zu 2014 sondern zu 2015.

Hinweis für die Steuerrechtsklausur in Bayern: Dieses Problem erscheint in abgewandelter Form erfahrungsgemäß nahezu in jeder Klausur und muss daher beherrscht werden.

II. Ausnahmen vom Zufluss- und Abflussprinzip

Es gibt in § 4 III S.3 und 4 EStG Sonderregeln bezüglich Anschaffungs- und Herstellungskosten, die eine übermäßige Verzerrung der Periodenergebnisse unterbinden sollen.

1. „AfA“ bei abnutzbaren Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens, § 4 III 3 EStG (Anwendung von § 7 EStG)

Gilt wegen § 6 I EStG direkt auch bei der Bilanzierung

„AfA“ heißt Absetzung für Abnutzung oder Substanzverringerung
Bedeutung: Entgegen dem Abflussprinzip können Anschaffungs- und Herstellungskosten für abnutzbare Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens nicht sofort als Betriebsausgaben abgezogen werden.
Diese Kosten sind nur „häppchenweise“ im Wege der Absetzung für Abnutzung auf die Jahre der Nutzung verteilt abziehbar. § 7 EStG ordnet diese Methode an, sobald die Verwendung und Nutzung des Gegenstandes durch den Steuerpflichtigen zur Erzielung von Einkünften erfahrungsgemäß auf einen Zeitraum von mehr als einem Jahr erstreckt. Als Betriebsausgabe darf nur die jeweils auf das Jahr entfallende AfA abgesetzt werden (ggf. auch nur anteilig fürs erste Jahr, falls das Wirtschaftsgut unter dem Jahr gekauft wurde).
§ 7 I EStG geht von einer linearen (also gleichmäßigen) AfA  aus; die degressive AfA (§ 7 II EStG) wird für Wirtschaftsgüter, die seit dem 1.1.2011 angeschafft wurden, nicht mehr angewendet. Ziel einer degressiven AfA wäre eine schnellere Abschreibung und damit eine schnellere finanzielle Entlastung der Unternehmer.
Es gibt in § 7 I S. 7 EStG auch noch eine Absetzung für außergewöhnliche technische oder wirtschaftliche Abnutzung (AfaA); dies ist eine Sonderabschreibung, etwa bei vorzeitigen Wertminderungen aus wirtschaftlichen oder technischen Gründen.

2. Sofortabziehbarkeit geringwertiger Wirtschaftsgüter, § 4 III 3 EStG (§ 6 II EStG) oder Sammelpostenbildung i.V.m. § 6 IIa EStG

Voraussetzung: Anschaffungskosten übersteigen nicht 410 € bei einem abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsgut des Anagevermögens
Hier findet die AfA keine Anwendung, so dass es wieder zur vollen Abziehbarkeit als Betriebsausgabe kommt, obwohl es sich um ein abnutzbares Wirtschaftsgut handelt.

Alternativ kann auch ein sogenannter Sammelposten (§ 6 IIa EStG) gebildet werden („Poolabschreibung“):
Voraussetzung: Wirtschaftsgut hat Anschaffungs- oder Herstellungskosten zwischen 151 € und 1000 €.
Wirkung: Es wird dann ein Sammelposten gebildet, der im Jahr der Anschaffung und den vier Folgejahren jeweils um 1/5 gewinnmindernd aufzulösen ist.

Anmerkung für die Klausur: Solche „Abschreibungstricks“ eignen sich gut für Klausuren mit anwaltlicher Beratung, wenn der Mandant einen möglichst niedrigen Gewinn ausweisen will.

3. § 4 III 4 EStG: Nicht abnutzbare Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens

Beispiel: GmbH-Beteiligungen, Grund und Boden, Darlehensforderungen
Solche Anschaffungs- und Herstellungskosten dürfen zunächst nicht als Betriebsausgabe abgezogen werden.
Berücksichtigung finden sie erst im Zeitpunkt des Zuflusses des Veräußerungserlöses oder im Falle einer Entnahme im Zeitpunkt der Entnahme (dann sind sie aber voll abziehbar).
Sinn: Verhinderung einer Gewinnauswirkung allein durch die Anschaffung; es entstehen keine stillen Reserven, die bei späterer Veräußerung versteuert werden müssen.
Es findet also erst im Zuflusszeitpunkt eine Verrechnung der Einnahmen mit den alten Betriebsausgaben statt.

In der Klausur taucht oft ein Gebäude auf und es werden daneben auch die Anschaffungskosten für den Grund- und Bodenanteil ausgewiesen. Hier darf man nicht in die „Falle“ tappen und auch den Grund und Boden- Anteil in die AfA einstellen!

III. Vorteile und Nachteile der § 4 III-EStG Rechnung

– möglichst einfache, nicht übermäßig strapazierende Einkünfteermittlung („Kassenrechnung“): es wird nur der Unterschiedsbetrag zwischen Einnahmen und Ausgaben festgehalten.

– Durch verzögerte Rechnungslegung können etwa Einnahmen unter bestimmten Voraussetzungen in eine andere Rechnungsperiode gelegt werden und dadurch einen günstigeren Steuertarif nutzen.

– Forderungen werden vereinfacht erst dann angesetzt, wenn sie bezahlt werden.

-bei starken Einnahmen-/Ausgabenschwankungen kann aber eine überhöhte progressive Steuerbelastung entstehen.

Diese Fragen eignen sich gut für die mündliche Prüfung.

IV. Was ist in der Bilanzierung anders?

Vorschrift: §§ 4 I 1, 5 EStG

Trifft nach § 2 II 1 Nr. 1 EStG Unternehmer (Gewerbetreibende, Land- und Forstwirte, Selbstständige nach § 18 EStG), die entweder gesetzlich verpflichtet sind, Bücher zu führen und regelmäßig Jahresabschlüsse zu machen (§§ 238 ff. HGB; 140,141 AO) oder
dies freiwillig tun, §§ 5 I, 4 III 1 EStG (betrifft Gewerbetreibende)

§ 11 I 5, II 6 EStG ordnet an, dass dort das Zufluss-Abflussprinzip nicht gilt!

Bilanzierung: Ermittlung der Einkunftsart Gewinn durch Vergleich zweier Jahresschlussbilanzen (Betriebsvermögensvergleich), ergänzt durch jeweilige Vermehrung des Wertes von Entnahmen, Verminderung des Wertes von Einlagen.
Wesentlicher Unterschied zum Zufluss-/Abflussprinzip:
Periodengerechte Gewinnermittlung: § 252 I Nr. 5 HGB ordnet Gewinn und Verlustberechnung unabhängig von den Zeitpunkten der entsprechenden Zahlung an.
Forderungen und Verbindlichkeiten werden also sofort aktiviert/passiviert. Man blickt nicht erst auf die tatsächliche Zahlung

Vorteile: Glättungseffekt der Periodisierung bei starken Einnahmen-/ Ausgabenschwankungen.
Nachteile: schwierige Rechnungslegung, die positive und negative Erfolgsbeiträge periodisch genau zuordnen muss

Hinweis für die Klausur: Auch Diese Unterschiede in der Gewinnermittlung werden im bayerischen Examen gerne abgeprüft.

VI. Gemeinsamkeiten der Gewinnermittlungsarten

Grundsatz der Totalgewinngleichheit:
Es dürfen sich aufgrund der unterschiedlichen Gewinnermittlungsmethoden zwar Abweichungen in der Höhe der jährlichen Gewinne ergeben, nicht jedoch im Totalgewinn: Nicht der Abschnittsgewinn, sondern der Gewinn von der Eröffnung bis zur Aufgabe oder Veräußerung des Betriebs müssen identisch sein.

Auch dieser Grundsatz muss für die Klausur zwingend verstanden werden, denn beide Gewinnermittlungsarten dürfen nicht zu unterschiedlichen Ergebnisses kommen, wenn man die Gesamtdauer des Unternehmens betrachtet!

V. Wechsel der Gewinnermittlungsart

Hier muss sich der Grundsatz der Totalgewinngleichheit auswirken:
Wer von § 4 III EStG auf § 4 I EStG wechselt, muss die Zuordnungen so vornehmen, dass betriebliche Vorgänge weder doppelt erfasst werden noch unberücksichtigt bleiben. Jeder betriebliche Vorgang darf sich nur einmal auf den Gewinn auswirken.

Vielen Dank, dass Sie diesen Beitrag gelesen haben. Wir hoffen, dass er Ihnen weiterhelfen oder zumindest Ihr Interesse wecken konnte. Hier finden Sie den Beitrag Zufluss-/Abflussprinzip im Steuerrecht auf unserer Website Jura Individuell.

Übersicht Sachurteilsvoraussetzungen VwGO

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A. Allgemeine Prüfung

In Klausuren und im Gutachten wird bei Klageerhebung zwischen der Zulässigkeitsprüfung und der Begründetheitsprüfung getrennt. Grundlegend wird danach in drei Schritten geprüft:

1. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs
2. Zulässigkeit der Klage
3. Begründetheit der Klage

B. Die einzelnen Sachurteilsvoraussetzungen

Die Sachurteilsvoraussetzungen sind im Rahmen der Zulässigkeit einer Klage zu prüfen. Sie müssen vorliegen, damit das Gericht eine Entscheidung in der Sache treffen kann. Liegt eine der Sachurteilsvoraussetzungen nicht vor, wird die Klage ohne weitere Prüfung als unzulässig abgewiesen. Es ergeht ein Prozessurteil. (Hinweis: Bei einer gutachterlichen Prüfung in Klausuren wird aber dennoch die komplette Begründetheitsprüfung verlangt.)

Folgende Sachurteilsvoraussetzungen gelten allgemein für alle Klagearten (im Gutachten werden nur problematische Punkte ausführlich geprüft):

1. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs, § 40 VwGO, § 17 a II S. 1 GVG (beachte: § 17 a II GVG)

2. Statthafte Klageart: Anfechtungs-, Verpflichtungs-, allgemeine Leistungs-, allgemeine Feststellungs-, Fortsetzungsfeststellungsklage

3. Klagebefugnis, § 42 II VwGO oder analoge Anwendung

4. Beteiligten– und Prozessfähigkeit, § 61 f. VwGO; Prozessvertretung, § 67VwGO; Beiladung, 65, 66 VwGO

5. Sachliche und örtliche Zuständigkeit, §§ 45 ff., 52, 83 VwGO

6. ordnungsgemäße Klageerhebung, § 81f.

7. Erfolgloses Vorverfahren

8. Klagefrist

9. Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis

C. Besondere Sachentscheidungsvoraussetzungen für die speziellen Klagearten

Im Folgenden werden die Besonderheiten der einzelnen Klagearten mit Stichpunkten aufgezeigt:

I .Anfechtungsklage

1. Statthaftigkeit richtet sich nach dem Klagebegehren, § 42 I 1. HS VwGO
-Völlige oder teilweise Aufhebung eines noch nicht erledigten, belastenden VA, siehe § 79 VwGO

2. Klagebefugnis, § 42 II
– Verletzung eigener Rechte durch Erlass des VA muss möglich erscheinen (unproblematisch bei Adressat eines belastenden VA -> Adressat dann regelmäßig klagebefugt, Art 2 I GG, Adressatentheorie; problematisch im Dreipersonenverhältnis (begünstigender VA mit belastender Drittwirkung, dann Adressatentheorie unbrauchbar ->Schutznormtheorie)

3. Vorverfahren, § 68 ff. VwGO
(Beachte in Bayern: 15 AGVwGO)

4. Frist, § 74 VwGO
Fristberechnung: §§ 57 II VwGO, 222 I ZPO, 187 ff. BGB

II .Verpflichtungsklage

1. Statthaftigkeit richtet sich nach dem Klagebegehren, § 42 I 2. HS VwGO
– Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen VA
– Unterscheide: Versagungsgegenklage, § 42 I, 2. Var VwGO; Untätigkeitsklage, § 42 I, 3. Var. VwGO

2. Klagebefugnis, § 42 II VwGO
Die Verletzung eigener Rechte muss durch die Verweigerung des VA zumindest möglich sein (Möglichkeitstheorie, gegebenenfalls Schutznormtheorie, aber: Adressatentheorie ist nicht anwendbar bei Verpflichtungsklage)

3. Vorverfahren, § 68 I, II VwGO
(Beachte in Bayern: 15 AGVwGO)

4. Frist, 74 VwGO
Bei Versagungsgegenklage: § 74 II VwGO

III. Allgemeine Leistungsklage

1. Statthaftigkeit richtet sich nach dem Klagebegehren, allgemeine Leistungsklage in VwGO nicht ausdrücklich geregelt, wird aber in §§ 43 II, 111, 113 IV VwGO erwähnt
– Klagebegehren ist auf Vornahme oder Unterlassens eines schlichten Verwaltungshandelns gerichtet (Bsp.: Realakte, Folgenbeseitigung, Unterlassungsansprüche)

2. Klagebefugnis, § 42 II VwGO analog (strittig)
M.M: Klagebefugnis muss in Prozeßführungsbefugnis oder allgemeinem Rechtsschutzbedürfnis geprüft werden- aber: Rechtsweggarantie nach Art. 19 IV GG greift nur, wenn jmd. Durch öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt ist.

3. Vorverfahren
Kein Vorverfahren

4. Frist
Keine Klagefrist, aber mögl. Verwirkung

IV. Feststellungsklage

1. Statthaftigkeit richtet sich nach dem Klagebegehren, § 43 VwGO (entspricht weitgehend § 256 I ZPO; VwGO: berechtigtes Interesse, ZPO: rechtliches Interesse, )
Klagebegehren gerichtete aus:
– Positiv: Bestehen eines konkreten Rechtsverhältnisses (positive Feststellungsklage)
– Negativ: Nichtbestehen eines konkreten Rechtsverhältnisses (negative Feststellungsklage)
– Nichtigkeit eines VA (Nichtigkeitsfeststellungsklage)

2. Klagebefugnis
Strittig: Analoge Anwendung § 42 II VwGO ->Rechtsprechung wendet § 42 II VwGO analog an, um Popularklage auszuschließen-> Gegenargument: keine planwidrige Regelungslücke, da nach Gesetzeswortlaut berechtigtes Interesse an baldiger Feststellung ausreicht. Bei Nichtigkeitsfeststellungsklage aber analoge Anwendung von § 42 II VwGO

3. Vorverfahren
Kein Vorverfahren

4. Frist
Keine Klagefrist, aber mögl. Verwirkung

5. Besondere Sachurteilsvoraussetzung

Feststellungsinteresse: Berechtigtes Interesse des Klägers an baldiger Feststellung

V. Fortsetzungsfeststellungsklage

1. Statthaftigkeit richtet sich nach dem Klagebegehren, § 113 I S. 4 VwGO
– Fortsetzung einer auf Aufhebung gerichteten Anfechtungsklage, bei VA , der sich nach Klageerhebung erledigt hat
– außerdem analoge Anwendung von § 113 I S. 4 VwGO, wenn VA sich vor Klageerhebung erledigt hat
– zudem analoge Anwendung auf Verpflichtungsklage (erledigtes Verpflichtungsbegehren), str.

2. Klagebefugnis, § 42 II VwGO
-§ 42 II VwGO ist Voraussetzung, da Fortsetzungsfeststellungsklage eine Anfechtungsklage fortführt
– Darüber hinaus: § 113 I S. 4 VwGO: Fortsetzungsfeststellungsinteresse:
(1) Wiederholungsgefahr
(2) Rehabilitationsinteresse
(3) Schwerwiegende Grundrechtseingriffe
(4) Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses

3. Vorverfahren
Kein Vorverfahren bei Erledigung vor Klageerhebung (str.), jedoch bei Erledigung nach Klageerhebung
4. Frist, § 74 I S. 2 VwGO
– Bei Erledigung nach Klageerhebung Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig, wenn Anfechtungsklage fristgerecht
– Vor Klageerhebung strittig

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80 V VwGO Schema

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A. Sachentscheidungsvoraussetzungen

I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs, § 40 VwGO

II. Ordnungsgemäßer Antrag

-§§ 81, 82 VwGO analog (mangels spezieller Regelung nach §§ 81,82 VwGO)

III. Statthafte Antragsart, § 80 V 1 VwGO

1. Abgrenzung zu § 123 I VwGO nach § 123 V VwGO- §§ 80, 80 a VwGO, Frage des Suspensiveffekts („aufschiebende Wirkung“)

2. Unterescheidung der Fallgruppen des § 80 V S. 1 VwGO

a. Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs in den Fällen des § 80 II S. 1 Var. 1 VwGO gem. § 80 V S. 1 Var. 1 VwGO

b. Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung im Fall des § 80 II S. 1 Nr. 4 VwGO gem. § 80 V S. 1 Var. 2 VwGO

c. Feststellung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch bzw. Anfechtungsklage in den Fällen (drohender) faktischer Vollziehung gem. § 80 V S. 1 VwGO analog

IV. Einlegung eines – nicht offensichtlich unzulässigen- Rechtsbehelfs

Einlegung eines – nicht offensichtlich unzulässigen- Rechtsbehelfs, der zur aufschiebenden Wirkung führen soll (keine Bestandskraft des VA durch Fristablauf); Ausnahme in Fällen besonderer Eilbedürftigkeit (str.)

V. Antragsbefugnis § 42 II VwGO analog

VI. Beteiligten- und Prozessfähigkeit des Antragstellers und Antragsgegners, §§ 61, 62 VwGO

VII. Zuständigkeit des angerufenen Gerichts (Gericht der Hauptsache nach § 80 V S. 1 VwGO)

VIII. Allgemeines Rechtschutzbedürfnis für den Antrag

– Rechtsbehelf des Antragstellers darf keine a.W erzeugen (Fälle des § 80 II VwGO) bzw. vorheriger Antrag bei der Behörde nach § 80 IV VwGO (nur in Fällen nach §§ 80 VI, II Nr. 1 VwGO)

1. Ein Antrag zunächst nach § 80 IV VwGO auf Aussetzung der Vollziehung vor § 80 V VwGO bei der Behörde, ist nicht erforderlich. Nach § 80 VI VwGO ist ein solcher Antrag nur für Fälle nach § 80 II S. 1 Nr. 1 VwGO.

2. Der VA muss noch anfechtbar, noch nicht erledigt sein; Widerspruch/ Anfechtungsklage sind nicht offensichtlich unzulässig (Bestandskraft).

B. Begründetheit

Allgemeiner Obersatz: Der Antrag ist begründet, wenn er sich gegen den richtigen Beklagten richtet und bei einer summarischen Prüfung das Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der sofortigen Vollziehung das Vollzugsinteresse überwiegt. Dies richtet sich nach den Erfolgsaussichten der Hauptsache. Das Gericht trifft hierbei eine originäre Entscheidung.

I. Passivlegitimation, § 78 VwGO analog, gegen den Rechtsträger der handelnden Behörde, die den VA erlassen bzw. Sofortvollzug angeordnet hat.

Unterscheidung nach § 80 II Nr. 1- 3 VwGO (Anordnung der aufschiebenden Wirkung) und § 80 II Nr. 4 VwGO (Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung)- Also entweder II oder III!

II. Summarische Prüfung bei Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung in den Fällen des § 80 II Nr. 1-3 VwGO
Der Antrag ist begründet, wenn bei einer summarischen Prüfung das Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der sofortigen Vollziehung das Vollzugsinteresse überwiegt.

Diese Interessensabwägung orientiert sich in erster Linie an der summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache. Dabei ist die Rechtmäßigkeit des VA zu überprüfen. Das „Aussetzungsinteresse“ überwiegt, wenn in summarischer Prüfung die Hauptsacheklage offensichtlich zulässig und begründet ist (Inzidenzprüfung).

(Bei offensichtlicher Rechtmäßigkeit des VA ist der Antrag daher unbegründet).

III. Im Fall des § 80 II Nr. 4 VwGO bei Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist zusätzlich nach § 80 III S. 1 VwGO ein besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes erforderlich, welches schriftlich begründet werden muss.
Der Antrag ist begründet, wenn der VA rechtswidrig war oder das Aussetzungsinteresse des Betroffenen das öffentliche Interesse oder das Interesse eines Dritten an der Anordnung der sofortigen Vollziehung überwiegt.
Dabei ist zunächst die Formelle Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung zu prüfen (Zuständigkeit der Behörde; Verfahren; Schriftform nach § 80 III S. 1 VwGO mit Ausnahmen nach S. 2; hinreichende Begründung des Vollzugsinteresses nach § 80 III S. 1 VwGO).

– Ist der Verwaltungsakt nicht rechtmäßig ergangen, erübrigt sich eine Interessensabwägung und der Antrag ist bereits begründet.

– Ist der Verwaltungsakt rechtmäßig ergangen muss geprüft werden, ob das öffentliche Interesse oder das Interesse an der Anordnung der sofortigen Vollziehung das Aussetzungsinteresse des Einzelnen überwiegt.
Bei der Abwägung des Gerichts sind die relevanten Rechtsgüter, Schwere der Beeinträchtigung und mögliche Folgen bei Vollziehbarkeit oder Aussetzung einander gegenüberzustellen.

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Prüfungsschemata im Wasserrecht (Bayern)

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In Fortführung zur „Einführung in das bayerische Wasserrecht“ werden in diesem Beitrag die fünf klausurrelevanten Prüfungsschemata dargestellt und erläutert sowie auf Besonderheiten hingewiesen. Diese sind die drei Formen der Gestattung (Bewilligung, Gehobene und Beschränkte Erlaubnis), die wasserrechtliche Anlagengenehmigung und die Planfeststellung.

Jura Individuell- Tipp: Wie immer wird im Verwaltungsrecht die Rechtmäßigkeit behördlichen Handelns in formeller und materieller Hinsicht geprüft. Ergänzend wird danach auf die jeweiligen Besonderheiten eingegangen.

A. Bewilligung, § 10 I WHG in Verbindung mit § 14 WHG

I. Formelle Rechtmäßigkeit

1. Gestattungspflicht

Zu beginnen ist die formelle Rechtmäßigkeit zunächst mit der Frage der Gestattungspflicht. Diese beinhalte folgende Voraussetzungen:

a) Anwendbarkeit des Wasserrechts

Das Wasserrecht ist anwendbar, wenn ein Gewässer im Sinne von § 2 WHG, Art. 1 BayWG vorliegt.

b) Gewässerbenutzungstatbestand erfüllt, §§ 8, 9 I, II WHG

Es darf sich hierbei nicht um einen Ausbau oder die Unterhaltung eines Gewässers handeln, §§ 9 III, 67 II, 39 ff. WHG.

c) Keine gestattungsfreie Benutzung

Auch darf keine gestattungsfreie Benutzung eines Gewässer gegeben sein, z. B. § 46 I WHG, § 25 WHG in Verbindung mit Art. 18 BayWG, § 26 I, II, Art. 19 BayWG. Die relevanteste Ausnahme wäre der Gemeingebrauch in § 25 WHG, Art. 18 BayWG.

2. Zuständigkeit

Die zuständige Behörde für die Bewilligung ist die Kreisverwaltungsbehörde, Art. 63 I BayWG.

3. Schriftform

Die Schriftform ist nach Art. 69 S. 2 BayWG, 74 I, 69 II BayVwVfG einzuhalten.

Jura Individuell- Tipp: Art. 69 S. 2 BayWG ist das Einfallstor in die Verfahrensvorschriften der Art. 72 bis 78 BayVwVfG!

4. Verfahren

Das Verfahren richtet sich nach §§ 11 II WHG in Verbindung mit Art. 69 S. 2 BayWG (Verweis auf Art. 72 bis 78 BayVwVfG), insbesondere sind diese Voraussetzungen zu prüfen:

a) Antrag und Planvorlage, Art. 67 I, II BayWG

b) Anhörungsverfahren, Art. 69 S. 2 BayWG in Verbindung mit Art. 73 II bis IX BayVwVfG

c) Stellungnahmen betroffener Behörden, Art. 69 S. 2 BayWG in Verbindung mit Art. 73 II

BayVwVfG

d) Öffentliche Auslegung und vorherige öffentliche Bekanntmachung der Auslegung, Art. 69 S. 2

BayWG in Verbindung mit Art. 73 III, V BayVwVfG

e) Einwendungsfrist und materielle Präklusion, Art. 69 S. 2 BayWG in Verbindung mit Art. 73 IV,

VI BayVwVfG

Hinweis: Ob eine solche Klage (mangels Klagebefugnis) unzulässig oder unbegründet ist, ist umstritten. Die wohl überwiegende Meinung in der Literatur prüft die materielle Präklusion von Einwendungen im Rahmen der Klagebefugnis (Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 73 Rn. 92). Die in der Praxis häufig vorgenommene (und auch von Kopp/Schenke, VwGO, in § 42 Rn. 179 vertretene) Verortung in der Begründetheit hat den Vorteil, dass eine Überfrachtung der Zulässigkeitsprüfung vermieden wird. Im Ergebnis sind wohl beide Vorgehensweisen vertretbar.

f) Erörtertungstermin, Art. 69 S. 2 BayWG in Verbindung mit Art. 73 VI BayVwVfG

g) Bewilligungsbescheid

h) Zustellung des Bescheids, Art. 69 S. 2 BayWG in Verbindung mit Art. 74 IV BayVwVfG

Jura Individuell- Tipp: Einige dieser Verfahrensvorschriften sind identisch mit denen bei der Aufstellung von Bauleitplänen (vgl. §§ 2 ff. BauGB), deswegen können hier die gleichen Problematiken auftreten.

II. Materielle Rechtmäßigkeit

1. Anwendungsbereich der Bewilligung, § 14 I Nr. 1 bis 3 WHG

Der Anwendungsbereich müsste eröffnet sein, insbesondere (Nr. 1) müsste dem Unternehmer die Durchführung seines Vorhabens ohne gesicherte Rechtsstellung nicht zumutbar sein (wirtschaftliche Verhältnisse des Unternehmers sind hier entscheidend) und (Nr. 2) die Benutzung dient einem bestimmten Zweck, der nach einem bestimmten Plan verfolgt wird.

Maßgeblich ist damit ein Investitionsschutz des Unternehmers!

2. Keine Beeinträchtigung wasserwirtschaftlicher Belange

Weiterhin dürfen keine wasserwirtschaftlichen Belange beeinträchtigt werden, insbesondere nach § 12 I Nr. 1 WHG dürfen durch das Vorhaben keine „schädlichen Gewässerveränderungen“ gemäß § 3 Nr. 10 WHG (= Wohl der Allgemeinheit, umfasst alle nachteiligen Veränderungen von Gewässereigenschaften) hervorgebracht oder gegen §§ 32, 48 WHG verstoßen werden.

3. Prüfung sonstigen Fachrechts, § 12 I Nr. 2 WHG bzw. Art. 69 S. 2 BayWG in Verbindung mit

Art. 75 I BayVwVfG

Zu prüfen ist die Vereinbarkeit mit sonstigem Fachrecht wie dem Baurecht (Bauplanungs- und Bauordnungsrecht) sowie Naturschutzrecht.

4. Keine Beeinträchtigung Dritter

a) § 14 III WHG

Nach § 14 III WHG darf das Vorhaben nicht nachteilig auf Rechte Dritte einwirken. Als Rechte Dritter gelten z. B. erteilte Bewilligungen nach § 10 I WHG, Eigentum (Art. 14 GG) sowie dingliche Rechte, das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb oder das Fischereirecht, das nach der Rechtsprechung ein eigentumsähnliches Recht ist.

b) § 14 IV WHG

Gemäß § 14 IV WHG dürfen auch keine ausnahmsweise beachtlichen Nachteile Dritte entstehen. Hierdurch wird eine tatsächlich vorhandene günstige Situation geschützt, auf deren Beibehaltung kein Anspruch bestehen muss, siehe § 14 IV S. 1 Nr. 1 bis 4 WHG. Nachteile (= unterhalb einer Rechtsverletzung) sind nur in den dort genannten Nummern zu prüfen, jedoch macht § 14 IV S. 2 WHG wiederum eine Ausnahme für Nachteile, die „geringfügig“ und daher wieder unbeachtlich sind.

c) Rücksichtnahmegebot, §§ 6 I Nr. 3, 13 I WHG

Ferner muss das Rücksichtnahmegebot aus §§ 6 I Nr. 3, 13 I WHG eingehalten werden.

5. Ordnungsgemäße Ermessensausübung, § 12 II WHG

Im Übrigen muss die Behörde ihr „pflichtgemäßes“ Ermessen ausgeübt haben, § 12 II WHG.

III. Wirkung der Bewilligung

Die Bewilligung hat folgende Wirkungen:

  • Subjektiv-öffentliches Recht zur Gewässerbenutzung, siehe § 10 I WHG
  • Privatrechtsgestaltende Wirkung (§ 16 II WHG), nach § 16 III WHG bleiben nur dingliche bzw. vertragliche Ansprüche möglich
  • Eingeschränkte Widerruflichkeit nach § 18 II WHG
  • Konzentrationswirkung, Art. 69 S. 2 BayWG in Verbindung mit Art. 75 I BayVwVfG

B. Gehobene Erlaubnis, § 10 I WHG in Verbindung mit § 15 WHG

I. Formelle Rechtmäßigkeit

Identisch zur Bewilligung, siehe A. I.

II. Materielle Rechtmäßigkeit

1. Anwendungsbereich der gehobene Erlaubnis, § 15 I WHG

Der Anwendungsbereich müsste eröffnet sein. Dies ist dann der Fall, wenn die Gewässerbenutzung im öffentlichen Interesse liegt (zwei Hauptfälle: öffentliche Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung) oder ein berechtigtes Interesse des Gewässerbenutzers besteht. Ein solches Interesse ist insbesondere anzunehmen, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen sich ergibt, dass der Gewässerbenutzer zur Wahrung seiner gegenwärtigen oder zukünftigen wirtschaftlichen oder sonst anerkennenswerten Belange ein Interesse an der Erteilung einer gehobenen Erlaubnis hat (Czychowski/Reinhardt, WHG, 10. Aufl., Stand 2010, § 15 Rn. 11). Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn ein Unternehmen einem Gewässer Wasser entnehmen möchte, das für Produktionszwecke benötigt wird und anderweitig nicht oder nicht wirtschaftlich beschafft werden kann.

2. Keine Beeinträchtigung wasserwirtschaftlicher Belange

Identisch zu A. II. 2.

3. Prüfung sonstigen Fachrechts, § 12 I Nr. 2 WHG bzw. Art. 69 S. 2 BayWG in Verbindung mit

Art. 75 I BayVwVfG

Identisch zu A. II. 3.

4. Keine Beeinträchtigung Dritter

Identisch zu A. II. 4.

5. Ordnungsgemäße Ermessensausübung, § 12 II WHG

Identisch zu A. II. 5.

III. Wirkung der gehobenen Erlaubnis

Die gehobene Erlaubnis hat folgende Wirkungen:

  • Widerrufliche Befugnis, §§ 10 I, 18 I WHG
  • Eingeschränkte privatrechtsgestaltende Wirkung, §§ 16 I, III WHG
  • Konzentrationswirkung, Art. 69 S. 2 BayWG in Verbindung mit Art. 75 I BayVwVfG

C. Beschränkte Erlaubnis, § 10 I WHG in Verbindung mit Art. 15 BayWG

I. Formelle Rechtmäßigkeit

1. Gestattungspflicht

Identisch zu A./B. I. 1.

2. Zuständigkeit

Identisch zu A./B. I. 2.

3. Verfahren

Für das Verfahren der beschränkten Erlaubnis gelten andere Vorschriften als bei den beiden erstgenannten Gestattungsarten.

a) Antrag, Art. 67 I, II BayWG

Zwar ist auch nach Art. 67 I, II BayWG ein Antrag zu stellen.

b) Verfahren nach Art. 9 ff. BayVwVfG

Aber die einschlägigen Vorschriften für das Verfahren ergeben sich aus Art. 9 ff. BayVwVfG. Dies ergibt sich aus einem Gegenschluss zu Art. 69 S. 2 BayWG, da die beschränkte Erlaubnis dort nicht aufgeführt ist. Insbesondere hat eine Anhörung (Art. 28 I BayVwVfG) der Beteiligten (Art. 13 I, II BayVwVfG) zu erfolgen.

Jura Individuell- Tipp: Hier kann ein Klausurersteller „gängige“ Verfahrensprobleme einbauen.

c) Besonderes Verfahren, Art. 15 III, 70 BayWG

Zu beachten ist auch ein besonderes Verfahren nach Art. 15 III, 70 BayWG. In Art. 70 I BayWG findet sich eine Genehmigungsfiktion. Nach Art. 70 III BayWG wird die beschränkte Erlaubnis unbeschadet Rechte Dritte erteilt, damit werden weder das zivile noch das öffentliche Nachbarrecht geprüft.

II. Materielle Rechtmäßigkeit

1. Anwendungsbereich der beschränkten Erlaubnis, Art. 15 I, II BayWG

Der Anwendungsbereich der beschränkten Erlaubnis ist eröffnet, wenn nur eine beschränkte Erlaubnis beantragt wird oder der Anwendungsbereich für eine gehobene Erlaubnis nicht eröffnet ist oder wenn die Gewässerbenutzung von vornherein auf nicht länger als ein Jahr beschränkt ist, Art. 15 I, II 1 BayWG.

2. Keine Beeinträchtigung wasserwirtschaftlicher Belange

Identisch zu A./B. II. 2.

3. Prüfung sonstigen Fachrechts, § 12 I Nr. 2 WHG bzw. Art. 69 S. 2 BayWG in Verbindung mit

Art. 75 I BayVwVfG

4. Keine Beeinträchtigung Dritter

Identisch zu A./B. II. 4.

5. Ordnungsgemäße Ermessensausübung, § 12 II WHG

Identisch zu A./B. II. 5.

III. Wirkung der beschränkten Erlaubnis

  • Widerrufliche Befugnis, §§ 10 I, 18 I WHG
  • Keine privatrechtsgestaltende Wirkung, da eine dem § 16 WHG entsprechende Vorschrift fehlt
  • Klagebefugnis Dritter: Dritte haben im Rahmen des Rücksichtnahmegebots und wegen des Anspruchs auf ermessensfehlerfreie Entscheidung einen Anspruch darauf, dass ihre Belange bei der Ermessensentscheidung berücksichtigt werden. Hieraus resultiert die Klagebefugnis. Dies gilt jedoch nicht im Verfahren nach Art. 70 BayWG.

D. Planfeststellungsbeschluss, §§ 67 ff. WHG

I. Formelle Rechtmäßigkeit

1. Gestattungspflicht

a) Anwendbarkeit des Wasserrechts

Das Wasserrecht ist anwendbar, wenn ein Gewässer im Sinne von § 2 WHG, Art. 1 BayWG vorliegt.

b) Vorliegen eines „Ausbaus“

Zusätzlich muss das Vorhaben ein Ausbau nach § 67 II WHG

2. Zuständigkeit

Die zuständige Behörde für die Bewilligung ist die Kreisverwaltungsbehörde, Art. 63 I BayWG.

3. Schriftform

Die Schriftform nach § 70 I WHG in Verbindung mit Art. 74 I, 69 II BayVwVfG ist einzuhalten.

Jura Individuell- Tipp: Ebenso wie Art. 69 S. 2 BayWG ist hier nun § 70 I WHG das Einfallstor in die Verfahrensvorschriften der Art. 72 bis 78 BayVwVfG. Da in Art. 69 S. 1 BayWG dies bestimmt wird, kommen die landesrechtlichen Verfahrensvorschriften anstatt des Bundes zu Anwendung.

4. Verfahren

Zu prüfen sind folgende Voraussetzungen:

a) Antrag und Planvorlage, Art. 67 I, II BayWG

b) Anhörungsverfahren nach Art. 73 II bis IX BayVwVfG, insbesondere:

  • Stellungnahmen betroffener Behörden, § 70 I WHG in Verbindung mit Art. 73 II BayVwVfG
  • Öffentliche Auslegung und vorherige Bekanntmachung der Auslegung, § 70 I WHG in Verbindung mit Art. 73 III, V BayVwVfG
  • Einwendungsfrist und materielle Präklusion, § 70 I WHG in Verbindung mit Art. 73 IV, VI BayVwVfG
  • Erörterungstermin, § 70 I WHG in Verb mit Art. 73 VI BayVwVfG

c) Planfeststellungsbeschluss, § 70 I WHG in Verbindung mit Art. 74 I BayVwVfG

d) Zustellung, § 70 I WHG in Verbindung mit Art. 74 IV BayVwVfG

II. Materielle Rechtmäßigkeit

In der materiellen Rechtmäßig ist zu differenzieren, ob eine gemeinnützige oder eine privatnützige Planfeststellung vorliegt.

1. Gemeinnützige Planfeststellung

Eine gemeinnützige Planfeststellung liegt vor, wenn der Ausbau dem Wohl der Allgemeinheit dient, § 70 I WHG in Verbindung mit § 14 III 2 WHG.

Weiterhin sind eine Planrechtfertigung und Planungsleitsätze zu beachten sowie ein Abwägungsgebot einzuhalten.

a) Planrechtfertigung

Eine Planrechtfertigung ist gegeben, wenn das Vorhaben von den fachplanerischen Zielen her vernünftigerweise geboten ist.

b) Planungsleitsätze

Dem Vorhaben dürfen keine zwingenden Versagungsgründe entgegenstehen, insbesondere:

  • Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit, § 68 III Nr. 1 WHG (vgl. § 12 I Nr. 1 WHG: schädliche Gewässerveränderungen im Sinne des § 3 Nr. 10 WHG)
  • Andere Anforderungen nach dem WHG (§ 68 III Nr. 2 Alt. 1 WHG), zum Beispiel §§ 5, 6, 32, 48 WHG
  • Sonstige öffentlich-rechtlichen Vorschriften (§ 68 III Nr. 2 Alt. 2 WHG), zum Beispiel nach BNatSchG, BayNatSchG oder §§ 29 ff. BauGB

c) Abwägungsgebot

Das Abwägungsgebot ist auch hinsichtlich Rechte Dritter zu beachten, §§ 70 I WHG in Verbindung mit § 14 III, IV WHG.

2. Privatnützige Planfeststellung

Für die privatnützige Planfeststellung dürften keine zwingenden Versagungsgründe entgegenstehen, nachteilige Einwirkungen auf Dritte nicht vorliegen und das Abwägungsgebot eingehalten werden.

a) Zwingende Versagungsgründe

Zwingende Versagungsgründe sind auch hier insbesondere:

  • Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit, § 68 III Nr. 1 WHG (vgl. § 12 I Nr. 1 WHG: schädliche Gewässerveränderungen im Sinne des § 3 Nr. 10 WHG)
  • Andere Anforderungen nach dem WHG (§ 68 III Nr. 2 Alt. 1 WHG), zum Beispiel §§ 5, 6, 32, 48 WHG
  • Sonstige öffentlich-rechtlichen Vorschriften (§ 68 III Nr. 2 Alt. 2 WHG), zum Beispiel nach BNatSchG, BayNatSchG oder §§ 29 ff. BauGB

b) Nachteilige Einwirkungen auf Rechte Dritter, § 70 I WHG in Verbindung mit § 14 III WHG

Hier sind in einem eigenen Prüfungspunkt nachteilige Einwirkungen auf Rechte Dritte zu prüfen. Bei der gemeinnützigen Planfeststellung dagegen darf der Plan aus Gründen des Wohls der Allgemeinheit auch dann festgestellt werden, wenn dies nicht möglich ist, §§ 70 Abs. 1 in Verbindung mit 14 Abs. 3 S. 2 WHG. Ein Eingriff in die Rechte Dritter durch den Planfeststellungsbeschluss ist hier im Ergebnis also möglich, allerdings ist der Betroffene zu entschädigen, §§ 70 Abs. 1 in Verbindung mit 14 Abs. 3 S. 3 WHG.

c) Abwägungsgebot

Da die Rechte Dritter bei der gemeinnützigen Planfeststellung im Wege der Abwägung überwunden werden können, sind sie in diesem Fall auch im Rahmen der Abwägung zu prüfen.

III. Wirkung der Planfeststellung

Die Planfeststellung hat zwei wichtige Wirkungen. Zum einen entfaltet sie eine Zulassungs- und Gestaltungswirkung (§ 70 I WHG in Verbindung mit Art. 75 I, II BayVwVfG) und zum anderen entfaltet sie ebenfalls Konzentrationswirkung nach § 70 I WHG in Verbindung mit Art. 75 I 2 BayVwVfG, wobei aber § 19 I, II WHG zu beachten sind.

E. Wasserrechtliche Anlagengenehmigung, § 36 WHG in Verbindung mit Art. 20 BayWG

I. Formelle Rechtmäßigkeit

1. Zuständigkeit

Die Kreisverwaltungsbehörde ist nach Art. 20 I 1 BayWG zuständig.

2. Verfahren

Gefordert wird hier ein Antrag nach Art. 67 BayWG. Im Übrigen richtet sich das Verfahren nach Art. 9 ff. BayVwVfG, identisch zu C. I. 3. b)

II. Materielle Rechtmäßigkeit

Jura Individuell- Tipp: Aufgrund der Ähnlichkeit zu baugenehmigungspflichtigen Anlagen (Art. 55 ff. BayBO) richtet sich die materielle Rechtmäßigkeit der Anlagengenehmigung nach Genehmigungspflichtigkeit und Genehmigungsfähigkeit.

1. Genehmigungspflichtigkeit

a) Anlage in oder an einem Gewässer

Die Anlage muss sich in oder an einem Gewässer befinden. Beispiele dafür finden sich in § 36 S. 2 Nr. 1 bis 3 WHG, gar eine allgemeine Definition findet sich in Art. 20 I 2 BayWG.

b) Gewässer 1. oder 2. Ordnung

Es muss sich um ein Gewässer 1. oder 2. Ordnung handeln oder bei einem Gewässer 3. Ordnung liegt eine Rechtsverordnung nach Art. 20 II BayWG.

c) Keine Benutzung, Unterhaltung oder Ausbau eines Gewässers

Die Anlage darf nicht der Benutzung (§ 9 WHG), der Unterhaltung (§ 39 WHG) oder dem Ausbau (§ 67 ff. WHG) dienen. Es liegt damit eine Auffanggenehmigung vor.

d) Kein Entfall der Genehmigungspflicht nach Art. 20 V BayWG

Zudem darf die wasserrechtliche Anlagengenehmigung nicht nach Art. 20 V BayWG entfallen. Diese ist entbehrlich, sobald die Notwendigkeit einer Baugenehmigung (Art. 55 BayBO) besteht. Eine Baugenehmigung ist immer notwendig, wenn es sich nach der Kollisionsvorschrift des Art. 56 I Nr. 1 Hs. 2 BayBO um ein Gebäude, eine Überbrückung oder um einen Lager- oder Campingplatz handelt.

Dem liegt zu grunde, dass bei Gebäuden immer eine Baugenehmigung vorgeht.

Hinweis: Zur genauen Differenzierung, siehe Artikel „Einführung in das bayerische Wasserrecht“

2. Genehmigungsfähigkeit

a) Wohl der Allgemeinheit

Das Wohl der Allgemeinheit darf nicht beeinträchtigt werden, Art. 20 IV 2, II BayWG in Verbindung mit § 36 WHG. Darunter fallen nur wasserwirtschaftlich Belange wie die Vermeidung von schädlichen Gewässerveränderungen, § 3 Nr. 10 WHG.

b) Beeinträchtigung Dritter

Einwendungen Dritter, insbesondere aus Eigentumsrecht oder dem Rücksichtnahmegebot, kommen nicht in Betracht. Die Anlagengenehmigung hat keine privatrechtsgestaltende Wirkung und vermittelt keinen Drittschutz. Es handelt sich um eine bloße öffentlich-rechtliche Unbedenklichkeitsbescheinigung.

Dies wird abgleitet durch das Entfallen der ausdrücklichen Erwähnung des Eigentums in Art. 20 II BayWG.

c) Prüfung sonstigen Fachrechts

aa) Baurecht

Wegen Art. 56 S. 2 BayBO ist das Baurecht zu prüfen. Unabhängig davon ist das Bauplanungsrecht (§§ 29 ff. BauGB) immer zu prüfen, wenn eine bodenrechtlich relevante Anlage nach § 29 I BauGB vorliegt.

Jura Individuell- Tipp: Diesen Prüfungspunkt nicht verwechseln mit Entfall der wasserrechtlichen Genehmigungspflicht (siehe D. II. 1. d)), hier geht es ausschließlich um die Genehmigungsfähigkeit.

bb) Naturschutzrecht

Ebenfalls ist, nach entsprechenden Hinweisen im Sachverhalt, das Naturschutzrecht als sonstiges Fachrecht zu prüfen. Einschlägig können die §§ 13 ff. BNatSchG, Art. 6 ff. BayNatSchG, § 30 BNatSchG, Art. 23 BayNatSchG sein.

d) Gebundene Entscheidung

Wegen des eindeutigen Wortlauts („…darf nur versagt werden…“) ist die Anlagengenehmigung eine gebunden Entscheidung, vergleichbar mit der Erteilung einer Baugenehmigung in Art. 68 I 1 BayBO.

Vielen Dank, dass Sie diesen Beitrag gelesen haben. Wir hoffen, dass er Ihnen weiterhelfen oder zumindest Ihr Interesse wecken konnte. Hier finden Sie den Beitrag Prüfungsschemata im Wasserrecht (Bayern) auf unserer Website Jura Individuell.

Einführung in das bayerische Wasserrecht

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Nachdem das Wasserrecht in seiner wasserwirtschaftlichen Funktion in den öffentlich-rechtlichen Klausuren im 2. Staatsexamen in Bayern weiterhin regelmäßig geprüft wird, soll dieser Artikel eine Einführung in die Thematik des Wasserrechts in Bayern geben.

Zunächst wird die Frage des Anwendungsbereichs geklärt. Des Weiteren werden in einem Überblick die Formen wasserrechtlicher Gestattungen vorgestellt und erklärt. Zu guter Letzt gilt es, mögliche Konkurrenzen zum Baurecht zu erläutern.

Die gesetzlichen Regelungen finden sich sowohl im Wasserhaushaltsgesetz (WHG) als auch im BayWG. Aus der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 I Nr. 32 GG folgt ein Gesetzgebungsrecht des Bundes für den Wasserhaushalt (WHG). Jedoch können die Länder nach Art. 72 III S. 1  Nr. 5 GG über den Wasserhaushalt durch Gesetz abweichende Regelungen treffen, es sei das Bundesrecht enthält abweichungsfeste Regelungen. Bayern hat mit dem BayWG von seinem Gesetzgebungsrecht Gebrauch gemacht. Nach Art. 83, 84 GG führen die Länder dabei die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit aus.

A. Anwendungsbereich des Wasserrechts

Die Anwendbarkeit des Wasserrechts richtet sich nach § 2 I WHG. Danach gilt das Gesetz für Gewässer.

Die wichtige Definition für Gewässer muss in der Klausure abrufbar sein: Gewässer ist jedes in Zusammenhang mit dem natürlichen Wasserkreislauf stehende oder fließende Wasser. – Nicht erfasst werden z.B. Leitungswasser oder ein Schwimmbecken, da es hier am Merkmal der „Natürlichkeit“ fehlt.

Nach Art. 1 I BayWG gilt das BayWG für die im WHG bezeichneten Gewässer und darüber hinaus für als Heilquellen anerkannte Wasser- und Gasvorkommen und für das nicht aus Quellen wild abfließende Wasser.

Bei Gewässern gibt es zudem eine gesetzliche Differenzierung in §§ 2 I, 3 WHG.

1. Oberirdische Gewässer, §§ 2 I Nr. 1, 3 Nr. 1 WHG

Oberirdische Gewässer umfassen Gewässer, die in Betten gefasst oder aus wilden Quellen sind. Wie ausgeführt ist  Art. 1 I BayWG weiter; es wird in Bayern auch sonstiges wild abfließendes Wasser (z.B. Regenwasser oder Schneeschmelze) erfasst. Zum anderen ist gemäß Art. 1 II BayWG das WHG nicht auf Be- und Entwässerungsgräben (z.B. Straßengräben, aber nicht Abwasser) anzuwenden und bestimmte Teiche und Weiher (z.B. Gartenteiche), soweit sie von wasserwirtschaftlich untergeordneter Bedeutung sind (dies ist wegen § 2 II 1 WHG möglich). Ob ein Gewässer also künstlich oder natürlich entstanden ist, ist also grundsätzlich unerheblich. Problematisch ist allerdings, wenn das Gewässer durch Rohre oder Leitungen fließt. Dann ist der Zusammenhang mit dem natürlichen Wasserkreislauf in der Regel nicht gegeben. Anders kann dies aber zu bewerten sein, wenn dadurch das Wasserbett ersetzt wird.

2. Küstengewässer, §§ 2 I Nr. 2, 3 Nr. 2 WHG

Mangels Küsten spielen Küstengewässer in Bayern keine Rolle.

3. Grundwasser, §§ 2 I Nr. 3, 3 Nr. 3 WHG

Grundwasser ist nur dann relevant, wenn das Gewässer unterirdisch ist. Wasser in Rohrleitungen ist aber kein Grundwasser. Im BayWG gibt es für Grundwasser keine Sonderregelungen.

 

B. (Klausurrelevante) Formen wasserrechtlicher Gestattungen

Im folgenden werden die drei wichtigsten Gestattungen im Wasserrecht in einem Überblick dargestellt. Hierbei handelt es sich um den Ausbau und die Benutzung eines Gewässers sowie Anlagen im/am Gewässer. Diese sind in der Klausur voneinender abzugrenzen. Die vierte Gestattungsform, die Unterhaltung von Gewässern nach §§ 39, 40, Art. 22 ff. BayWG hat in Klausuren eine untergeordnete Rolle.

Jura Individuell- Tipp: Nach der Gesetzessysthematik sollte mit der Prüfung des Gewässerausbaus nach § 67 II WHG begonnen werden. Dadurch wird eine unübersichtliche und überflüssige Prüfung vermieden, denn § 9 III S. 1 WHG stellt klar, dass Maßnahmen, die dem Ausbau eines Gewässers dienen, keine Benutzungen sind. In Klausuren sollten dann jedoch die einzelnen Grundtatbestände hintereinender komplett geprüft und anschließend Konkurrenzen (man denke ans Strafrecht) gebildet werden.

1. Ausbau eines Gewässers, § 67 ff. WHG

Der Ausbau eines Gewässers ist definiert in § 67 II WHG. Demnach ist er die Herstellung, die Beseitigung und die wesentliche Umgestaltung eines Gewässers oder seiner Ufer. Herstellen bedeutet dabei die Neuherstellung. Eine wesentliche Umgestaltung ist gegeben, wenn der Wasserstand oder das äußere Bild verändert wurde. Beispiele hierfür sind die Herstellung eines Teiches, Freilegung von Grundwasser, eine Flussbegradigung oder eine Uferumgestaltung. Die maßgeblichen Vorschriften dafür finden sich in §§ 67 ff. WHG, insbesondere verweist § 70 I Hs. 2 WHG auf Art. 72 ff. BayVwVfG für die formellen Anforderungen.

Die Formen der wasserrechtlichen Gestattungen sind die (eher klausurrelevante) Planfeststellung in § 68 I WHG und die Plangenehmigung nach § 68 II WHG. Die Planfeststellung ist nach § 67 II S. 2 WHG entbehrlich, wenn ein Gewässer nur für eien begrenzten Zeitraum entsteht oder der Wasserhaushalt nicht erheblich beeinträchtigt wird. Die Planfeststellung hat Konzentrationswirkung, d.h. sie tritt an die Stelle anderer Genehmigungen.

Jura Individuell- Hinweis: Das Prüfschema zur Rechtmäßigkeit eines Ausbaus nach § 67 II WHG mit Planfeststellungsverfahren ist unter Jura Individuell- Prüfschemata im Wasserrecht zu finden.

2. Benutzung eines Gewässers, §§ 8 ff. WHG, Art. 15 BayWG

Die verschiedene Benutzungen von Gewässern sind als Regelbeispiele aufgezählt in § 9 I WHG, wobei Maßnahmen nach § 9 II WHG als fiktive Benutzung gelten. Nicht erfasst wird damit der Ausbau eines Gewässers, vgl. § 9 III WHG. Allgemein definiert wird die Gewässerbenutzung als zielgerichtete Handlungen, die auf Gewässer gerichtet sind (in Abgrenzung zu einem Unfall).

Geregelt ist dies in §§ 8 ff. WHG, Art. 15 BayWG. Die Formen der Gestattung sind:

Beschränkte Erlaubnis (§ 10 I WHG in Verbindung mit Art. 15 BayWG), Gehobene Erlaubnis (§ 10 I WHG in Verbindung mit § 15 WHG) und Bewilligung (§ 10 I WHG in Verbindung mit § 14 WHG).

Zu beachten sind ebenfalls gestattungsfreie Gewässerbenutzungen wie zum Beispiel Gemeingebrauch und Fischerei, vgl. § 25 WHG, Art. 18 BayWG.

3. Anlagen im/am Gewässer, § 36 WHG, Art. 20 BayWG

Der Begriff der Anlagen am/im Gewässer ist beispielhaft aufgezählt in § 36 S. 2 WHG. Definiert werden diese erst, die genehmigungspflichtig sind, in Art. 20 I 2 BayWG. Danach sind Anlagen nur genehmigungspflichtig, wenn sie weniger als sechzig Meter von der Uferlinie entfernt sind oder die die Unterhaltung oder den Ausbau beeinträchtigen können. Einige Beispiele hierfür sind Brücken, Bojen, Ländeanlagen, Bootshäuser und Badehütten (vgl. § 36 S. 2 WHG).

Die einschlägigen Vorschriften sind § 36 WHG, Art. 20 BayWG. Die Form der Gestattung nennt sich Anlagengenehmigung. Diese Anlagengenehmigung gilt jedoch nur für Anlagen an Gewässern der ersten und zweiten Ordnung, siehe Art. 20 I 1 BayWG. Die Einteilung der (oberirdischen) Gewässer in drei verschiedene Ordnungen ist in Art. 2 I BayWG geregelt. Genehmigungsfreie Ausnahmen gibt es bei Gewässern der dritten Ordnung (vgl. Art. 20 II BayWG) und bei Anlagen, bei denen eine Baugenehmigungspflicht besteht (vgl. Art. 20 V 1 BayWG).

3. Konkurrenzen Baurecht – Wasserrecht

Jura Individuell- Hinweis: Wasserrecht sollte in Klausuren stets vorrangig geprüft werden. Kommt nach der Sachverhaltsanalyse sowohl Wasserrecht als auch Baurecht in Frage, beginnt die Prüfung mit dem Wasserrecht.

Eine wichtige Rolle spielt die Konkurrenz des Wasserrechts zum Baurecht. Hier ist zu beachten, dass eine baurechtliche Genehmigung auf eine wasserrechtliche Genehmigung treffen könnte. Dieser Konflikt wird jedoch wie folgt vom Gesetzgeber gelöst:

1. Baugenehmigungspflichtige bauliche Anlage in Form von Gebäuden, Überbrückungen, Lagerplätzen etc. (klausurrelevant)

a) Anlage im/am Gewässer

Als Beispiel für eine Anlage im/am Gewässer, die nach § 36 WHG, Art. 20 I, II BayWG nicht der Unterhaltung, dem Ausbau oder der Benutzung dient, ist ein Bootshaus anzuführen. Hierfür ist eine Baugenehmigung notwendig. Es handelt sich um ein „Gebäude“ gemäß Art. 56 S. 1 Nr. 1, Hs. 2 BayBO.

Damit entfällt wegen Art. 20 V BayWG die wasserrechtliche Anlagengenehmigung und es ist nur eine Baugenehmigung zu erteilen.

b) Benutzungsanlagen

Bei einem Pumphaus für eine Wasserversorgungsanlage handelt es sich um eine Benutzungsanlage. Eine Erlaubnis/Bewilligung (siehe oben) für ein solches Zutagefördern von Grundwasser (Benutzung nach § 9 I Nr. 5 WHG) wäre hier erforderlich.

Für die Gehobene Erlaubnis und die Bewilligung entfällt die Baugenehmigungspflicht wegen Art. 69 S. 2 BayWG, Art. 75 I BayVwVfG. Begründen lässt sich dieses Ergebnis damit, dass diese beiden Benutzungen Konzentrationswirkung entfalten.

Für eine Beschränkte Erlaubnis ist eine Baugenehmigung erforderlich, da das Pumphaus ein „Gebäude“ im Sinne von Art. 56 S. 1 Nr. 1, Hs. 2 BayBO ist

c) Ausbauanlage

Für eine Ausbauanlage, beispielsweise ein Schleusenwärterhaus für eine Schleuse, für das entweder eine Planfeststellung nach §§ 67 II, 68 I WHG oder eine Plangenehmigung durchzuführen ist, entfällt die Baugenehmigungspflicht ebenfalls wegen der Konzentrationswirkung gemäß § 70 I WHG, Art. 75 I BayVwVfG.

2. Baugenehmigungspflichte bauliche Anlagen, die nicht Gebäude, Überbrückungen, Lagerplätze etc. sind (also: alle anderen Anlagen)

a) Anlagen im/am Gewässer

Eine solche „andere“ Anlage wäre zum Beispiel ein Bootssteg. Hierbei entfällt eine Baugenehmigung, da es kein Gebäude, Überbrückung, Lagerplatz etc. ist, vgl. Art. 56 S. 1 Nr. 1, Hs. 1 BayBO. Deshalb ist nur eine wasserrechtl. Anlagengenehmigung nach § 36 WHG, Art. 20 I BayWG notwendig.

b) Benutzungsanlage

Am Beispiel einer Pumpe für Wasserentnahme oder ein Einleitungsbauwerk, bei denen eine Erlaubnis/Bewilligung für die Benutzung zu erteilen ist, lässt sich deutlich machen, dass ebenfalls eine Baugenehmigung wegen Art. 56 S. 1 Nr. 1, Hs. 1 BayBO entfällt. Auch eine wasserrechtliche Anlagengenehmigung entfällt nach Art. 20 I BayWG.

c) Ausbauanlage

Bei Damm– oder Deichbauten, bei denen eine Planfeststellung/Plangenehmigung (§§ 67 ff. WHG) erforderlich ist, entfällt die Baugenehmigung nicht wegen der Konzentrationswirkung, sondern bereits nach Art. 56 S. 1 Nr. 1 Hs. 1 BayBO. Ebenfalls entfällt eine Anlagengenehmigung nach Art. 20 I BayWG.

Jura-Indivuell-Tipp: Hier hilft es besonders (noch mehr als sonst), sauber am Gesetz zu arbeiten und dieses genauestens, insbesondere die Vorschrift des Art. 56 S. 1 Nr. 1 BayBO, zu lesen. Generell gilt imWasserrecht penibel und ausführlich zu arbeiten.

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Fristen im öffentlichen Recht

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Die Berechnung von Fristen ist so gut wie in jeder Klausur des öffentlichen Rechts gefragt. Auf den ersten Blick oft einfach – in der Klausurhektik ein Stolperstein, da Fehler selten verziehen werden.
Es empfiehlt sich grundsätzlich bei Fristen in zwei Schritten vorzugehen. Als erstes muss das fristauslösende Ereignis festgestellt werden, als zweites die konkrete Fristberechnung durchgeführt werden.

Die zitierten Normen des VwZVG (Sartorius 110) müssen ggf. durch die landesspezifischen Normen (z.B. VwZVG in Bayern, ThürVwZVG) ersetzt werden.

1. Schritt: Bestimmung des fristauslösenden Ereignisses

Grundsätzlich ist die Klagefrist in § 74 VwGO geregelt. § 74 I VwGO regelt die Frist für die Erhebung einer Anfechtungsklage. Nach § 74 II VwGO ist § 74 I VwGO auch auf die Verpflichtungsklage anwendbar.

Fristauslösendes Ereignis ist nach § 74 I VwGO entweder die Zustellung des Widerspruchsbescheids oder die Bekanntgabe des Verwaltungsaktes.

a. Regelungen, wann ein Widerspruch zugestellt ist, finden sich in § 73 III S. 2 VwGO i.V.m. dem VwZVG.

b. Die Bekanntgabe des VA ist in § 41 VwVfG geregelt.
§ 41 VwVfG geht dabei von dem Grundfall der Übermittlung des VA durch einfachen Brief aus. Ein VA kann aber zum Beispiel auch per Einschreiben oder Postzustellungsurkunde übermittelt werden. Nach § 41 V VwVfG ist für diese Fälle das VwZVG anwendbar.

Jura Individuell-Hinweis: Welche Art der Zustellung in der Klausur vorliegt, lässt sich stets dem Sachverhalt entnehmen.

aa. Nach § 41 II S. 1 VwVfG gilt für einem mit einfachem Brief durch die Post übermittelten VA die sog. „3-Tages-Fiktion“. Danach gilt der VA grundsätzlich als am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post zugestellt, unabhängig vom tatsächlichen Zugang. Das heißt, dass ein früherer Zeitpunkt des Zugangs (beispielsweise ein Tag nach Aufgabe zur Post) unerheblich ist, es gilt die Fiktion des dritten Tages.

Eine Ausnahme von der „3-Tages-Fiktion“ besteht jedoch dann, wenn der VA nicht innerhalb von den drei Tagen zugeht, sondern später, dann gilt der tatsächliche Zugang. Das heißt, dass ein VA, der erst am fünften Tag nach Aufgabe zur Post zugeht, auch erst zu diesem Zeitpunkt bekanntgegeben wird.

Jura Individuell-Hinweis: Fällt der Zugang nach der „3-Tages-Fiktion“ auf einen Samstag, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag, so ist – wenn der tatsächliche Zugang innerhalb der ersten 3 Tage nach Postaufgabe erfolgt – dieser Tag maßgeblich! § 222 II ZPO ist auf die „3-Tages-Fiktion“ nicht anwendbar (§ 222 ZPO ist nur für ein Fristende maßgeblich, die „3-Tages-Fiktion“ wirkt sich aber gerade nur auf den Fristbeginn aus).

bb. Das VwVG sieht zur Zustellung mehrere Varianten vor. (Wie oben bereits ausgeführt verweist § 41 V VwVfG in das VwZG.)

(1) Zustellung mittels Zustellungsurkunde (PZU) nach § 3 VwZG

Bei Zustellung durch die Post mittels PZU gilt als fristauslösendes Ereignis der Tag der Zustellung.
In diesem Fall übergibt die Behörde der Post den Zustellungsauftrag, das zuzustellende Dokument in einem verschlossenen Umschlag und einem vorbereiteten Vordruck einer Zustellungsurkunde, vgl. § 3 I VwZVG. Das Dokument wird dann entweder vom Postboten persönlich übergeben oder im Wege der Ersatzzustellung nach § 3 II S. 1 VwZG i.V.m. §§ 177 ff. ZPO z.B. in den Briefkasten eingelegt oder am Arbeitsplatz übergeben. Das Datum der Zustellung wird auf einem entsprechenden Feld auf der Zustellungsurkunde notiert.

Die Möglichkeit der Ersatzzustellung ist in Klausuren oft als kleineres Problem eingebaut: Beispielsweise legt der Postbote den Brief in den Briefkasten, da der Empfänger nicht zu Hause ist, obwohl er ihn eigentlich hätte übergeben müssen. Hier gilt es die entsprechende Anwendung der §§ 177 ff. ZPO über die Verweisung im VwVG zu erkennen!

Jura Individuell-Hinweis: Eine Zustellung per PZU ist den Behörden vorbehalten! Im Übrigen kann die Zustellung per PZU vom Empfänger nicht verweigert werden, weshalb z.B. die Gerichte ihre Ladungen stets per PZU verschicken.

(2) Zustellung mittels Einschreiben nach § 4 VwZG

Die Zustellung mittels Einschreiben kann auf drei Arten erfolgen, wovon jedoch nur zwei in § 4 I VwZvG gesetzlich geregelt sind: Das Einschreiben mittels Übergabe und das Einschreiben mittels Rückschein. Das häufig in der Praxis verwendete Einwurfeinschreiben ist gesetzlich nicht normiert.

Beim Einschreiben mittels Übergabe gilt zur Bestimmung des fristauslösenden Ereignisses nach § 4 II S. 2 VwZG wieder die „3-Tages-Fiktion“.

Bei Einschreiben mit Rückschein ist der Tag maßgeblich, der auf dem Rückschein als Tag der Zustellung vermerkt ist, vgl. § 4 II S. 1 VwZG.

Das gesetzlich nicht geregelte Einwurfeinschreiben wird wie ein einfacher Brief behandelt.

(3) Zustellung mittels Empfangsbekenntnis nach § 5 VwZVG

Bei Zustellung mittels Empfangsbekenntnis wird in der Regel dem Empfänger das Dokument persönlich ausgehändigt. Dieser hat ein mit Datum versehenes Empfangsbekenntnis zu unterschreiben.

Als fristauslösendes Ereignis gilt das Datum des Empfangsbekenntnis.

Auch hier gelten über § 5 II S. 1 VwZG die Regelungen über die Ersatzzustellung nach §§ 177 ff. ZPO.

2. Schritt: Konkrete Fristberechnung

Nach § 57 I VwGO beginnt die Frist mit der Zustellung zu laufen. § 57 II VwGO verweist über § 222 I ZPO in die §§ 187 ff. BGB.

a. Fristbeginn

Nach § 57 II VwGO i.V.m. § 222 I ZPO, § 187 I BGB wird, da es sich bei der Frist um eine Ereignisfrist handelt, zur Bestimmung des Fristbeginns der Tag nicht mitgezählt, in den das Ereignis fällt.

b. Fristende

Das Fristende bestimmt sich nach § 57 II VwGO i.V.m. § 222 I ZPO, § 188 II BGB (meist Monatsfrist nach § 74 I S. 2 VwGO).

Beispiel (Monatsfrist): Bekanntgabe des VA am 01.07.2013, Fristbeginn demnach 02.07.2013 um 0.00 Uhr, Fristende am 01.08.2013 um 24.00 Uhr.

c. Verschiebung Fristende

Nach § 222 II ZPO verschiebt sich das Fristenden auf den nächsten Werktag, wenn der letzte Tag der Frist ein Samstag, Sonntag oder gesetzlicher Feiertag ist. § 222 II ZPO ist wieder über § 57 II VwGO  anwendbar.

Jura Individuell- Hinweis: Achtung! § 222 II ZPO ist lex specialis gegenüber § 193 BGB. Kommt man in die ZPO, hat § 222 II ZPO Vorrang und es ist nicht auf § 193 BGB abzustellen.

Beispiel (Monatsfrist): Bekanntgabe des VA am 01.08.2013, Fristbeginn demnach 02.08.2013 um 0.00 Uhr, Fristende eigentlich Sonntag 01.09.2013 um 24.00 Uhr, somit tatsächlich 02.09.2013 um 24.00 Uhr wegen § 222 II ZPO.

Jura Individuell-Hinweise: Bei den Klausuren ist es wichtig, die genaue Uhrzeit mit zu zitieren!

Bezüglich der Verschiebung des Fristendes nach § 222 II ZPO findet sich in Klausuren die beliebte Konstellation des Fristendes am Karfreitag. Fristende ist dann immer erst der Dienstag nach Ostern!

Vielen Dank, dass Sie diesen Beitrag gelesen haben. Wir hoffen, dass er Ihnen weiterhelfen oder zumindest Ihr Interesse wecken konnte. Hier finden Sie den Beitrag Fristen im öffentlichen Recht auf unserer Website Jura Individuell.


Klage auf Erteilung einer Baugenehmigung (Bayern)

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Fall: Bauherr B möchte eine Baugenehmigung für sein Grundstück haben. Diese wird ihm von der zuständigen Baubehörde verweigert. B möchte gerichtlich seine Baugenehmigung erwirken.

Um diesen baurechtlichen Standardfall in den Griff zu bekommen, gehört die Prüfung der Klage auf Erteilung einer Baugenehmigung zum Grundhandwerkszeug für beide Examina.

A. Gegenstand der Klage

Es empfiehlt sich, zu Beginn (vor allem im 2. Staatsexamen) zunächst den Gegenstand der Klage einzuführen. Hier ist kurz und prägnant das klägerische Begehren zusammen zu fassen.

Jura Individuell- Tipp: Hier genügt eine kurze Zusammenfassung der Klage in ein bis zwei Sätzen, um dem Korrektor schon vor Beginn der eigentlichen Prüfung zu zeigen,

B begehrt die Erteilung der Baugenehmigung, die ihm mit Bescheid vom (…) versagt wurde.

B. Entscheidungskompetenz des Gerichts

I. Verwaltungsrechtswegseröffnung, § 40 I 1 VwGO

Der Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet, wenn es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art ohne Sonderzuweisung handelt, § 40 I 1 VwGO.

Jura Indivuell- Tipp: In aller Regel ist die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs unproblematisch gegeben und kann kurz mit den gängigen Theorien abgehandelt werden, insbesondere kann im Baurecht die sog. „Sonderrechtstheorie“ herangezogen werden. Streitgegenständlich sind Normen des BauGB und der BayBO.

II. Zuständigkeit des Gerichts, §§ 45, 52 VwGO

Die sachliche Zuständigkeit richtet sich nach § 45 VwGO und die örtliche nach § 52 Nr. 1 VwGO, da es sich bei dem Vollzug von Baurecht um ortsgebundenes Recht handelt. Der Sitz der bayerischen Verwaltungsgerichte ist in Art. 1 II AGVwGO zu finden.

 

C. Zulässigkeit der Klage

I. Statthaftigkeit, § 42 I Alt. 2 VwGO

Die Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage (Alt. 2) ist statthaft, wenn die Klage auf den ablehnenden Verwaltungsakt (§ 35 S. 1 VwVfG) einer Behörde gerichtet ist.

Das Klagebegehren ist auf die Erteilung einer abgelehneten Baugenehmigung gerichtet. Diese stellt einen VA im Sinne von Art. 35 S. 1 BayVwVfG dar. Damit ist die Versagungsgegenklage statthaft.

II. Klagebefugnis, § 42 II VwGO

Die Klagebefugnis bestimmt sich nach § 42 II VwGO. Eine Klagebefugnis bei der Verpflichtungsklage kommt dadurch in Betracht, dass ein möglicher Anspruch des Klägers besteht. Dieser kann sich im vorliegenden Fall aus Art. 68 I 1 BayBO ergeben.

Jura Individuell- Tipp: Keine Anwendung der Adressaten-Theorie bei der Verpflichtetungsklage!!

III. Ordnungsgemäßes Widerspruchsverfahren, §§ 68 ff. VwGO

Das Vorverfahren entfällt nach Art. 15 I, II BayAGVwGO.

IV. Klagefrist, §§ 74 I 2, 58 II VwGO

Die Klagefrist gegen Verwaltungsakte beträgt nach § 74 I 2 VwGO bei ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung (vgl. § 58 I VwGO) einen Monat. Unterbleibt eine solche, gilt gemäß § 58 II VwGO die Jahresfrist.

Die Klagefrist berechnet sich nach § 57 II VwGO in Verbindung mit §§ 222 I ZPO, 187 I, 188 II BGB. Fällt das Fristende auf einen Samstag, Sonntag oder Feiertag, endet die Frist nach § 222 II ZPO am darauf folgenden Werktag.

Im obigen Beispielsfall wäre die Monatsfrist einzuhalten.

V. Beteiligten- und Prozessfähigkeit, §§ 61, 62 VwGO

Die Beteiligten- und Prozessfähigkeit bestimmt sich nach §§ 61, 62 VwGO.

D. Begründetheit der Verpflichtungsklage

Die Verpflichtungsklage ist begründet, soweit die Ablehnung oder Unterlassung des begehrten VA rechtswidrig ist und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, § 113 V 1 VwGO.

1. Passivlegitimation, § 78 I Nr. 1 VwGO

Die Klage ist grundsätzlich gegen den Rechtsträger, nicht gegen die Behörde zu richten (sog. Rechtsträgerprinzip), § 78 I Nr. 1 VwGO. Ausnahmsweise können die Bundesländer durch Landesrecht (Verordnung genügt) nach § 78 I Nr. 2 VwGO bestimmen, dass die Klage gegen die zuständige Behörde selbst zu richten. (Kopp/Schenke, VwGO, 20. Auflage 2014, § 80 Rn. 3, 10)

a) Kreisangehörige Gemeinde

Befindet sich das Grundstück, für das die Baugenehmigung begehrt, in dem Gebiet einer kreisangehörigen Gemeinde, bestimmt sich die Passivlegitimation wie folgt:

Zuständig für die Erteilung der Baugenehmigung ist das Landratsamt (LRA) als Kreisverwaltungsbehörde gemäß Art. 53 I 1, 54 I Hs. 1 BayBO in Verbindung mit Art. 37 I 2 LKrO. Dabei nimmt es Aufgaben als Staatsbehörde wahr (Doppelnatur des LRA).

Richtiger Beklagter ist demnach der Freistaat Bayern als Rechtsträger des LRA.

b) Kreisfreie Gemeinde

Befindet sich das Grundstück jedoch in einer kreisfreien Gemeinde, bestimmt sich die Passivlegitimation wie folgt:

Gemäß Art. 9 I GO erfüllt die kreisfreie Gemeinde im übertragenen Wirkungskreis alles Aufgaben, die sonst vom LRA wahrzunehmen sind.

Richtige Beklagte ist danach die Gemeinde selbst nach Art. 53 I 1, 54 I BayBO, 9 I GO.

Jura Individuell- Tipp: Bei den Zuständigkeiten ist ein genaues Zitieren erforderlich. Extrapunkte können dabei nicht gewonnen werden. Fehler jedoch bei der Passivlegitimation wiegen schwer.

2. Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung nach Art. 68 I 1 BayBO

Ein Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung ist gegeben, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, Art. 68 I 1 BayBO. Dies ist dann gegeben, wenn das Vorhaben genehmigungspflichtig und genehmigungsfähig ist.

a) Genehmigungsplicht

Die Genehmigungspflicht richtet sich nach Art. 55 BayBO. Nach Art. 55 I BayBO bedürfen die Errichtung, Änderung oder Nutzungsänderung von Anlagen der Baugenehmigung.

Ob eine Anlage vorliegt, richtet sich nach Art. 2 I BayBO. Bauliche Anlagen sind nach Art. 2 I BayBO sind mit dem Erdboden verbundene, aus Bauprodukten hergestellte Anlagen.

Im nächsten Schritt ist noch zu prüfen, ob das geplante Vorhaben nach Art. 56 – 58 BayBO baugenehmigungsfrei ist.

Jura Individuell- Tipp: Die Kataloge des Art. 56 – 58 BayBO durchblättern, die in Frage kommenden Nummern kurz ansprechen und in einem Satz ablehnen. In der Regel ist aus klausurtaktischen Gründen die Prüfung aufgrund einer Genehmigungsfreiheit nicht zu Ende.

b) Genehmigungsfähigkeit

Ob das Vorhaben genehmigungsfähig ist, richtet sich nach formellen und materiellen Voraussetzungen der Baugenehmigung. Auf die formellen Voraussetzungen ist nur einzugehen, wenn Sachverhalt einen Hinweis liefert.

aa) Formelle Voraussetzungen der Baugenehmigung

Jura Individuell- Tipp: Zu prüfen ist nicht die Rechtmäßigkeit des Ablehnungsbescheids, sondern der Baugenehmigung.

aaa) Ordnungsgemäßer Antrag bei Behörde (Art. 64 BayBO)

Der Bauherr hat einen Antrag bei der zuständigen Behörde nach Art. 64 BayBO zu stellen.

bbb) Ggf. Einvernehmen der Gemeinde (§ 36 BauGB, Art. 63 III 2 BayBO)

Das Einvernehmen der Gemeinde ist nur an diesen Punkt bereits anzusprechen, wenn die Gemeinde überhaupt nicht beteiligt wurde.

ccc) Nachbarbeteiligung (Art. 66 BayBO)

Nach Art. 66 I 1 BayBO sind die Nachbarn zu beteiligen. Unterbleibt diese Beteiligung, kann dieser Verfahrensfehler nach Art. 45 I Nr. 3 BayVwVfG geheilt werden.

bb) Materielle Voraussetzungen

Jura Individuell- Tipp: Die materielle Prüfung der Baugenehmigung stellt regelmäßig den Schwerpunkt in einer Klausur dar.

Die materielle Genehmigungspflicht richtet sich nach Art. 59 ff. BayBO. Zu prüfen zunächst, ob ein Sonderbau nach Art. 2 IV BayBO vorliegt. Bei Sonderbauten folgt der Prüfungsmaßstab aus Art. 60 S. 1 BayBO. Soweit kein Sonderbau vorliegt, bestimmt sich die Prüfung nach Art. 59 S. 1 BayBO.

Bei der Prüfung nach Art. 59 BayBO ist maßgeblich die Vereinbarkeit mit §§ 29 – 38 BauGB. Art. 59 S. 1 Nr. 1 BayBO ist die Verweisungsnorm in das BauGB und eröffnet dessen Anwendungsbereich. An dieser Stelle ist eine saubere Prüfung nach den einschlägigen Vorschriften des BauGB.

Soweit ein Sonderbau vorliegt, ist hingegen nach Art. 60 S. 1 Nr. 2 BayBO noch zusätzlich eine Vereinbarkeit mit allen Anforderungen, insbesondere den Abstandsflächen nach Art. 6 BayBO, zu beachten.

Gegebenenfalls müssen nach Art. 59 S. 1 Nr. 3 und Art. 60 S. 1 Nr. 3 BayBO andere öffentlich-rechtliche Vorschriften beachtet werden, wenn wegen der Baugenehmigung eine Entscheidung entfällt, ersetzt oder eingeschlossen wird. Ein Beispiel hierfür wäre ein Gebäude an einem Gewässer, § 36 WHG in Verbindung mit Art. 20 V BayWG.

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Vertragsverletzungsverfahren, Art. 259 AEUV

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Einleitung:

Dieser Artikel befasst sich mit dem Vertragsverletzungsverfahren in Form der Staatenklage der einzelnen Mitgliedstaaten.
Daneben gibt es im Europarecht noch das Vertragsverletzungsverfahren in Form der Aufsichtsklage, die Nichtigkeitsklage, die Untätigkeitsklage und das Vorabentscheidungsverfahren.

Im Folgenden wird die Staatenklage kurz dargestellt und anhand eines Prüfungsschemas genauer aufgearbeitet.

A. Das Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 259 AEUV (Staatenklage) im Allgemeinen:

Das Verfahren nach Art. 259 AUEV eröffnet dem einzelnen Mitgliedstaaten die Möglichkeit, den EuGH anzurufen, wenn er der Auffassung ist, dass ein anderer Mitgliedstaat gegen eine Verpflichtung aus den Verträgen verstoßen hat. Es ergeht bei Erfolg der Klage ein Feststellungsurteil gem. Art. 260 I AEUV. Es handelt sich hierbei folglich um eine Feststellungsklage.

B. Prüfschema:

I. Zulässigkeit der Klage

(1.) Rechtsweg – Achtung: gedankliche Vorprüfung!

Der Rechtsweg zum EuGH ist gem. Art. 19 III EUV i.V.m. Art. 259 AEUV eröffnet, wenn eine Verletzung von Unionsrecht gerügt wird. Es gilt insoweit das im Europarecht allgemeingültige Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung, Art. 19 III EUV. Siehe insbesondere Art. 19 III lit. c EUV: „in allen in den Verträgen vorgesehenen Fällen“.
Im Europarecht wird die Eröffnung des Rechtswegs allerdings nicht ins Gutachten mit aufgenommen, sie dient lediglich als gedankliche Vorprüfung und stellt keinen eigenen Prüfungspunkt dar!

1. Sachliche Zuständigkeit

Für das Vertragsverletzungsverfahren ist ausschließlich der EuGH sachlich zuständig, es erfolgt keine Zuweisung an das EuG oder ein Fachgericht, vgl. Art. 256 I AEUV (Prinzip der Spezialzuständigkeit).

2. Parteifähigkeit / Beteiligtenfähigkeit

Aktiv parteifähig ist im Fall von Art. 259 I AEUV jeder Mitgliedstaat. Aktive Parteifähigkeit bedeutet dabei, die Fähigkeit vor Gericht zu klagen.

Passiv parteifähig ist jeweils der Mitgliedstaat, dem die Verletzung des Unionsrechts vorgeworfen wird. Passive Parteifähigkeit bedeutet dabei die Fähigkeit, vor Gericht verklagt zu werden.

3. Vorverfahren

Erforderlich ist, dass dem betroffenen Mitgliedstaat vorab, im Rahmen eines sog. Vorverfahrens, die Möglichkeit gegeben wird, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Das Vorverfahren stellt eine unabdingbare Klagevoraussetzung dar, vgl. Art. 259 II AEUV. Einzige Ausnahmen sind wie bei der Aufsichtsklage Art. 108 II UAbs. 2 AEUV, 114 IX AEUV, 348 II AEUV).
Ziel des Vorverfahrens ist eine gütliche Streitbeilegung vor Aufrufung des EuGH.

Im Unterschied zur Aufsichtsklage gliedert sich das Vorverfahren bei der Staatenklage in vier Abschnitte:

a) Vertragsverletzungsrüge

Erforderlich ist zunächst, dass der Mitgliedstaat, der das Verfahren betreiben möchte, gegenüber der Kommission eine sog. Verletzungsrüge erhebt, vgl. Art.259 II AEUV.

b) Anhörung, kontradiktorisches Verfahren

Es erfolgt auf die Vertragsverletzungsrüge eine Anhörung der streitenden Mitgliedstaaten durch die Kommission in einem kontradiktorischen Verfahren. Darin gibt die Kommission den beiden Mitgliedstaaten die Gelegenheit zu schriftlicher oder mündlicher Äußerung zu den Vorwürfen.

c) Begründete Stellungnahme der Kommission

Die Kommission erlässt gemäß Art. 259 III HS. 1 AEUV eine begründete Stellungnahme zu dem im Raum stehenden Verstoß.

Obwohl die Stellungnahme zwingende Voraussetzung für die Erhebung der Klage ist, berührt die darin enthaltene Auffassung das Klagerecht des Mitgliedstaats jedoch nicht. Dieses besteht unabhängig davon, ob die Kommission von einem Vertragsverstoß ausgeht oder nicht (vgl. dazu Ausführungen unter dem nächsten Punkt d).

d) Ablauf der 3-Monats-Frist

Gibt die Kommission innerhalb von drei Monaten nach der Vertragsverletzungsrüge keine Stellungnahme ab, so kann ungeachtet des Fehlens dieser Stellungnahme vor dem EuGH geklagt werden, vgl. Art. 259 III AEUV.

Erfolgt eine sofortige Stellungnahme, so kann im Anschluss daran sofort Klage erhoben werden. Die 3-Monats-Frist ist in diesem Fall obsolet.

4. Klagegegenstand

Hier kann auf die Ausführungen zur Aufsichtsklage verwiesen werden. Auch bei Art. 259 AEUV muss ein Verstoß gegen primäres oder sekundäres Unionsrecht möglich erscheinen, dabei muss der Klagegegenstand mit dem Gegenstand des Vorverfahrens identisch sein.

5. Rechtsschutzinteresse

Ein besonderes Rechtsschutzinteresse in Form einer Klagebefugnis ist nicht erforderlich. Vielmehr genügt es, dass eine Vertragsverletzung objektiv möglich ist und der klagende Mitgliedstaat von der Verletzung überzeugt ist.

II. Begründetheit der Klage

Die Klage ist begründet, wenn der geltend gemachte Verstoß gegen das Unionsrecht tatsächlich vorliegt.

Dies ist dann der Fall, wenn der vorgeworfene Sachverhalt zutreffend ist, dem Mitgliedstaat zurechenbar ist und ein Verstoß gegen das primäre oder sekundäre Recht der Union festgestellt werden kann sowie keine Rechtfertigungsgründe vorliegen.

Von besonderer Wichtigkeit sind diesbezüglich Verstöße gegen die Grundfreiheiten oder gegen die Pflicht zur fristgerechten und ordnungsgemäßen Umsetzung von Richtlinien.

Vielen Dank, dass Sie diesen Beitrag gelesen haben. Wir hoffen, dass er Ihnen weiterhelfen oder zumindest Ihr Interesse wecken konnte. Hier finden Sie den Beitrag Vertragsverletzungsverfahren, Art. 259 AEUV auf unserer Website Jura Individuell.

Vertragsverletzungsverfahren, Art. 258 II AEUV

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Einleitung:

Dieser Artikel befasst sich mit dem Vertragsverletzungsverfahren in Form der Aufsichtsklage der Kommission.
Daneben gibt es im Europarecht noch das Vertragsverletzungsverfahren in Form der Staatenklage, die Nichtigkeitsklage, die Untätigkeitsklage und das Vorabentscheidungsverfahren.

Im Folgenden wird die Aufsichtsklage kurz dargestellt und anhand eines Prüfungsschemas genauer aufgearbeitet.

A. Das Verfahren nach Art. 258 AEUV im Allgemeinen:

Das Verfahren nach Art. 258 AEUV ermöglicht der Kommission den EuGH anzurufen, wenn sie der Meinung ist, dass ein Mitgliedstaat gegen eine Verpflichtung aus den Verträgen verstoße hat, Art. 260 I AEUV.

Unter einer Vertragsverletzung ist grundsätzlich zu verstehen, dass eine unionsrechtliche Norm nicht oder falsch angewendet worden ist. Primäres und sekundäres Unionsrecht werden dabei gleichermaßen erfasst.

Bei dem Vertragsverletzungsverfahren handelt es sich folglich um eine Feststellungsklage. Diese dient der Erfüllung der Aufgabe der Kommission, für die Anwendung der Verträge und des Sekundärrechts Sorge zu tragen. Die Kommission tritt dabei als „Hüterin der Verträge“ auf.

Folge des Vertragsverletzungsverfahrens ist immer ein Feststellungsurteil: Dem Mitgliedstaat wird auferlegt, die Vertragsverletzung zu beseitigen, vgl. Art. 260 I AEUV. Diesbezügliche Vollstreckungsmöglichkeiten sind in Art. 260 II AEUV geregelt.

B. Prüfschema:

I. Zulässigkeit der Klage

(1.) Rechtsweg – Achtung: gedankliche Vorprüfung!

Der Rechtsweg zum EuGH ist gem. Art. 19 III EUV i.V.m. Art. 258 II AEUV eröffnet, wenn eine Verletzung von Unionsrecht gerügt wird. Es gilt insoweit das im Europarecht allgemeingültige Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung, Art. 19 III EUV. Siehe insbesondere Art. 19 III lit. c EUV: „in allen in den Verträgen vorgesehenen Fällen“.
Im Europarecht wird die Eröffnung des Rechtswegs allerdings nicht ins Gutachten mit aufgenommen, sie dient lediglich als gedankliche Vorprüfung und stellt keinen eigenen Prüfungspunkt dar!

1. Sachliche Zuständigkeit

Für das Vertragsverletzungsverfahren ist ausschließlich der EuGH sachlich zuständig, es erfolgt keine Zuweisung an das EuG oder ein Fachgericht, vgl. Art. 256 I AEUV (Prinzip der Spezialzuständigkeit).

2. Parteifähigkeit / Beteiligtenfähigkeit

Aktiv parteifähig ist im Fall von Art. 258 II AEUV die Kommission. Aktive Parteifähigkeit bedeutet dabei die Fähigkeit, vor Gericht klagen zu können.

Passiv parteifähig ist jeweils der Mitgliedstaat, dem die Verletzung des Unionsrechts vorgeworfen wird. Passive Parteifähigkeit bedeutet dabei die Fähigkeit, vor Gericht verklagt zu werden.

3. Vorverfahren

Erforderlich ist, dass dem betroffenen Mitgliedstaat vorab, im Rahmen eines sog. Vorverfahrens, die Möglichkeit gegeben wird, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Das Vorverfahren stellt eine unabdingbare Klagevoraussetzung dar, vgl. Art. 258 I AEUV. Einzige Ausnahmen sind Art. 108 II UAbs. 2 AEUV, 114 IX AEUV, 348 II AEUV, nur in diesen Konstellationen ist eine unmittelbare Anrufung des EuGH seitens des Kommission zulässig.
Ziel des Vorverfahrens ist eine gütliche Streitbeilegung vor Aufrufung des EuGH.

Das Vorverfahren gliedert sich dabei in drei Abschnitte:

a) Mahnschreiben

Das Vorverfahren beginnt damit, dass die Kommission dem Mitgliedsstaat für jede Vertragsverletzung Gelegenheit zur Stellungnahme gibt, Art. 258 I a.E. AEUV. Dies erfolgt in der Regel mit einem ersten Mahnschreiben der Kommission. Es enthält folgende Bestandteile:

aa) Konkretisierung des Verstoßes unter Nennung der möglicherweise verletzten Norm

bb) Ankündigung der Einleitung des Vertragsverletzungsverfahrens

cc) Aufforderung, zu den Vorwürfen innerhalb einer bestimmten Frist Stellung zu nehmen. Die Frist beträgt dabei in der Regel zwei Monate. Der Mitgliedsstaat ist nicht verpflichtet dieser nachzukommen.

b) Stellungnahme

Nach Ablauf der Äußerungsfrist kommt es zu einer begründeten Stellungnahme der Kommission, sofern diese immer noch von einem Vertragsverstoß überzeugt ist, vgl. Art 258 I AEUV. Ziel der begründeten Stellungnahme ist es, dem Mitgliedstaat letztmalig die Möglichkeit zu verschaffen, den Verstoß durch Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände zu beseitigen. Die begründete Stellungnahme beinhaltet dabei:

aa) Rechtliche Beurteilung und Darstellung der Tatsachen und Gründe für die Verletzung unter Nennung von Beweismitteln.

bb) Jedoch keine Erweiterung des Streitgegenstandes gegenüber dem ersten Mahnschreiben, da sonst ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör der Mitliedstaates vorliegen würde.

cc) Erneute Fristsetzung zur Beseitigung der Vertragsverletzung. Die Frist beträgt auch hier regelmäßig zwei Monate.

c) Fruchtloser Fristablauf

Hilft der Mitgliedstaat dem Verstoß nicht innerhalb der gesetzten Frist ab, so kann die Kommission den EuGH anrufen, Art. 258 II AEUV. Im Anschluss ist die Klageerhebung dann an keine Frist gebunden.

4. Klagegegenstand

Der Klagegegenstand besteht aus Verstößen gegen das primäre und sekundäre Unionsrecht. Er muss dabei dem Streitgegenstand in der Form entsprechen, wie er im Vorverfahren festgelegt wurde. Eine Ausdehnung des Verstoßes würde zur Unzulässigkeit der Klage führen.

5. Rechtsschutzinteresse

Die Kommission ist zur Erhebung des Vertragsverletzungsverfahrens privilegiert klagebefugt. Sie entnimmt ihre Ermächtigung dazu aus Art. 17 I S. 1 und 3 EUV.
Nach Ansicht des EuGH und der herrschenden Literatur steht die Erhebung der Klage folglich im Ermessen der Kommission, es genügt diesbezüglich eine objektiv mögliche Vertragsverletzung. Eine andere Ansicht sieht eine Klagepflicht seitens der Kommission vor.
Folgende Voraussetzungen müssen in jedem Fall gegeben sein:

aa) Überzeugung der Kommission von der Vertragsverletzung

bb) Keine Beseitigung der Verletzung des Verstoßes durch den Mitgliedstaat nach Ablauf der im Vorverfahren gesetzten Frist, bzw. nach Klageerhebung.

cc) Sollte der Verstoß bereits beseitigt sein, bedarf es eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses seitens der Kommission an der Feststellung des Verstoßes.
Bezüglich des Feststellungsinteresses kann dabei auf die für eine Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 I S. 4 VwGO analog konzipierten Fallgruppen zurückgegriffen werden: Ein solches ist demnach in der Regel dann zu bejahen, wenn Wiederholunggefahr besteht, die aufgeworfenen Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung sind oder wenn die Verurteilung des Mitgliedstaats Voraussetzung für Haftungsansprüche sein kann (beispielsweise im Rahmen eines Staatshaftungsanspruchs).

II. Begründetheit der Klage

Die Klage ist begründet, wenn der geltend gemachte Verstoß gegen das Unionsrecht tatsächlich vorliegt.
Dies ist dann der Fall, wenn der vorgeworfene Sachverhalt zutreffend ist, dem Mitgliedstaat zurechenbar ist und ein Verstoß gegen das primäre oder sekundäre Recht der Union festgestellt werden kann sowie keine Rechtfertigungsgründe vorliegen.

Von besonderer Wichtigkeit sind diesbezüglich Verstöße gegen die Grundfreiheiten oder gegen die Pflicht zur fristgerechten und ordnungsgemäßen Umsetzung von Richtlinien.

Vielen Dank, dass Sie diesen Beitrag gelesen haben. Wir hoffen, dass er Ihnen weiterhelfen oder zumindest Ihr Interesse wecken konnte. Hier finden Sie den Beitrag Vertragsverletzungsverfahren, Art. 258 II AEUV auf unserer Website Jura Individuell.

Untätigkeitsklage, Art. 265 AEUV

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Einleitung:

Dieser Artikel befasst sich mit der Untätigkeitsklage.
Daneben gibt es im Europarecht noch das Vertragsverletzungsverfahren in Form der Aufsichtsklage und der Staatenklage, die Nichtigkeitsklage und das Vorabentscheidungsverfahren.

Im Folgenden wird die Untätigkeitsklage kurz dargestellt und anhand eines Prüfungsschemas genauer aufgearbeitet.

A. Die Untätigkeitsklage nach Art. 265 AEUV im Allgemeinen:

Die Untätigkeitsklage stellt das Gegenstück zu der in Art. 263 AEUV normierten Nichtigkeitsklage dar. Sie zielt darauf ab, die Unionsrechtswidrigkeit der Unterlassung eines Beschlusses geltend zu machen.

Es handelt sich um eine Feststellungsklage, Art. 265 I 1 AEUV.

Folge einer erfolgreichen Nichtigkeitsklage ist demnach immer ein Feststellungsurteil: Gemäß Art. 265 I 1 AEUV wird die Rechtswidrigkeit der Unterlassung positiv festgestellt. Dem betroffenen Organ wird auferlegt, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, vgl. Art. 266 I AEUV.

B. Prüfschema:

I. Zulässigkeit der Klage

(1.) Rechtsweg – Achtung: gedankliche Vorprüfung!

Der Rechtsweg zum EuGH ist gem. Art. 19 III EUV i.V.m. Art. 265 AEUV eröffnet, wenn eine Verletzung von Unionsrecht gerügt wird. Es gilt insoweit das im Europarecht allgemeingültige Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung, Art. 19 III EUV. Siehe insbesondere Art. 19 III lit. c EUV: „in allen in den Verträgen vorgesehenen Fällen“.
Im Europarecht wird die Eröffnung des Rechtswegs allerdings nicht ins Gutachten mit aufgenommen, sie dient lediglich als gedankliche Vorprüfung und stellt keinen eigenen Prüfungspunkt dar!

1. Sachliche Zuständigkeit

Sachlich zuständig ist grundsätzlich das EuG, vgl. Art. 256 I S. 1 AEUV.
Für Untätigkeitsklagen von Mitgliedstaaten und EU-Organen, ist jedoch abweichend davon der EuGH zuständig, vgl. Art. 51 Satzung des EuGH.

2. Parteifähigkeit / Beteiligtenfähigkeit

Aktiv parteifähig, d.h. antragsberechtigt sind gemäß Art. 265 I S. 1 HS. 2 AEUV die Mitgliedstaaten und die anderen Organe der Europäischen Union iSv. Art. 13 I EUV. Natürliche und juristische Personen sind gem. Art. 265 III AEUV aktiv parteifähig. Aktive Parteifähigkeit bedeutet dabei, vor Gericht zu klagen.

Passiv parteifähig sind gem. Art. 265 I S.1 HS. 1 AEUV das Europäische Parlament, der Europäische Rat, der Rat, die Kommission, die EZB und gem. Art. 265 I 2 AEUV die Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union. Passive Parteifähigkeit bedeutet dabei, vor Gericht verklagt zu werden.

3. Vorverfahren

Das Vorverfahren stellt eine unabdingbare Klagevoraussetzung dar, vgl. Art. 265 II AEUV. Ziel des Vorverfahrens ist dabei eine gütliche Streitbeilegung.

a) Aufforderungsschreiben an das untätige Organ:

Erforderlich ist, dass das betroffene Organ, die in Frage stehende Einrichtung oder sonstige Stelle vorab, im Rahmen eines sog. Vorverfahrens, aufgefordert wird, tätig zu werden, vgl. Art. 265 II S. 1 AEUV. Das Schreiben muss enthalten:

aa) Bezeichnung der unterlassenen Maßnahme
bb) Benennung der verletzten Handlungspflicht
cc) Hinweis auf Klageerhebung für den Fall der weiteren Untätigkeit

b) Fruchtloser Ablauf von zwei Monaten

Liefert das betroffene Organ innerhalb von zwei Monaten nach o.g. Aufforderung keine entsprechende Stellungnahme ab, so darf Klage – unter Einhaltung der Klagefrist von zwei Monaten – Klage erhoben werden, vgl. Art. 265 II S. 2 AEUV.

4. Klagegegenstand

Der Klagegegenstand besteht aus dem Unterlassen eines Beschlusses im Sinne der vollständigen Unterlassung einer Entscheidung. Der Begriff Beschluss ist dabei weit auszulegen. Erfasst werden daher neben verbindlichen Rechtsakten auch Empfehlungen und Stellungnahmen. Unverbindliche Akte sind gem. Art. 263 I 1 AEUV ausgeschlossen. Aufgrund der Spiegelbildlichkeit der Nichtigkeits- und Anfechtungsklage können diese daher auch im Rahmen der Untätigkeitsklage nicht Klagegenstand sein.
Der Klagegegenstand darf dabei nicht über den des Vorverfahrens hinausgehen. Eine Ausdehnung des Verstoßes würde zur Unzulässigkeit der Klage führen.

5. Klagebefugnis

Hinsichtlich der Klagebefugnis ist danach zu unterscheiden, ob es sich um eine Staaten- oder Organklage im Sinne von Art. 265 I AEUV oder um eine Individualklage (Klage natürlicher oder juristischer Person) im Sinne von Art. 265 III AEUV handelt.

a) Die Kläger einer Staaten- oder Organklage sind privilegiert klagebefugt, sie benötigen also keine besondere Klagebefugnis. Für die Mitgliedsstaaten und Organe der Union handelt es sich daher um ein objektives Verfahren.

b) Bei Individualklagen ergibt sich die Klagebefugnis aus der Adressatenstellung der unterlassenen Entscheidung, d.h. wenn ein Organ es unterlassen hat, einen rechtsverbindlichen Akt an sie zu richten, Art. 265 III AEUV. Darüber hinaus hat das EuG anerkannt, dass natürliche und juristische Personen auch dann Klagen können, wenn ein Organ es unterlassen hat, einen Beschluss zu erlassen, der den Kläger unmittelbar und individuell betroffen hätte (EuG, Rs. T-95/96 (Gestevisión Telecino), Slg. 1998, II-3407 (Rn. 57 ff.)). Diese Erweiterung der Klagemöglichkeit über den Wortlaut des Art. 265 III AEUV hinaus, hat besonders bei Konkurrentenklagen im Beihilferechte Bedeutung. Zum Beispiel, wenn die Kommission es unterlassen hat, einen Beschluss nach Art. 108 Abs. 2 UAbs. 1 AEUV zu erlassen. Die individuelle Betroffenheit bestimmt sich nach der Plaumannformel.

6. Klagefrist

Gemäß Art. 265 II S. 2 AEUV beträgt die Klagefrist zwei Monate nach Ablauf der zweimonatigen Stellungnahmefrist im Rahmen des Vorverfahrens.

Bezüglich der Fristberechnung sind Art. 49 ff. VerfO EuGH, bzw. Art. 101 f. VerfO EuG zu beachten.

7. Rechtsschutzinteresse

Das Rechtsschutzinteresse ist dann gegeben, wenn das betroffene Organ den fehlenden Beschluss bis zur Klageerhebung nicht gefasst hat. Gegebenenfalls ist hier die Untätigkeitsklage von der Nichtigkeitsklage abzugrenzen. Die Untätigkeitsklage wird dann unzulässig, wenn das Organ eine Entscheidung trifft, z.B. wenn das Organ den Antrag des Klägers ablehnt oder einen anderen als den vom Kläger gewünschten Akt erlässt. Daher führt auch eine negative Stellungnahme im Vorverfahren zur Unzulässigkeit der Untätigkeitsklage. Ist dies geschehen kann eine Nichtigkeitsklage gegen diese Entscheidung des Organs erhoben werden.

II. Begründetheit der Klage

Die Untätigkeitsklage ist begründet, wenn das Organ aufgrund des Primär – oder Sekundärrechts zum Erlass eines Beschlusses im o.g. Sinn verpflichtet war. Eine objektive Untätigkeit genügt. Es ist daher unerheblich, wie schwierig die Erfüllung der Handlungspflicht für das Organ ist.

Vielen Dank, dass Sie diesen Beitrag gelesen haben. Wir hoffen, dass er Ihnen weiterhelfen oder zumindest Ihr Interesse wecken konnte. Hier finden Sie den Beitrag Untätigkeitsklage, Art. 265 AEUV auf unserer Website Jura Individuell.

Vorabentscheidungsverfahren, Art. 267 AEUV

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Einleitung:

Dieser Artikel befasst sich mit dem Vorabentscheidungsverfahren.
Daneben gibt es im Europarecht noch das Vertragsverletzungsverfahren in Form der Aufsichtsklage und der Staatenklage, die Nichtigkeitsklage und die Untätigkeitsklage.

Im Folgenden wird das Vorabentscheidungsverfahren kurz dargestellt und anhand eines Prüfungsschemas genauer aufgearbeitet.

A. Das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV im Allgemeinen

Das Vorabentscheidungsverfahren dient dazu, es den nationalen Gerichten zu ermöglichen, dem EuGH Fragen bezüglich der Auslegung und Gültigkeit von Europarecht vorzulegen.
Ziel ist es, eine unterschiedliche Auslegung und Anwendung des Unionsrechts in den einzelnen Mitgliedstaaten zu verhindern und damit die Einheitlichkeit und Effektivität des Unionsrechts zu sichern.

Von seiner Art her weist das Vorabentscheidungsverfahren Parallelen zu unserer deutschen konkreten Normenkontrolle nach Art. 100 I GG auf.

Es ist schon allein deshalb von besonderer Wichtigkeit, da das Vorabentscheidungsverfahren 50% der gesamten Verfahren vor dem EuGH ausmacht.

Folge eines Vorabentscheidungsverfahrens ist die Bindung des vorlegenden Gerichts und aller folgenden Instanzen an die Entscheidung des EuGH. Die Nichtigerklärung eines Rechtsaktes entfaltet erga omnes Wirkung.

B. Prüfschema:

I. Zulässigkeit

(1.) Rechtsweg – Achtung: gedankliche Vorprüfung!

Der Rechtsweg zum EuGH ist gem. Art. 19 III EUV i.V.m. Art. 267 AEUV eröffnet, wenn eine Verletzung von Unionsrecht gerügt wird. Es gilt insoweit das im Europarecht allgemeingültige Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung, Art. 19 III EUV. Siehe insbesondere Art. 19 III lit. c EUV: „in allen in den Verträgen vorgesehenen Fällen“.
Im Europarecht wird die Eröffnung des Rechtswegs allerdings nicht ins Gutachten mit aufgenommen, sie dient lediglich als gedankliche Vorprüfung und stellt keinen eigenen Prüfungspunkt dar!

1. sachliche Zuständigkeit

Sachlich zuständig ist ausschließlich der EuGH. Gemäß Art. 256 III S. 1 AEUV ist jedoch in Ausnahmefällen das EuG zuständig. Von dieser Möglichkeit wurde bis jetzt kein Gebrauch gemacht.

2. Vorlageberechtigung

Gemäß Art. 267 II AEUV muss die Vorlage durch ein Gericht eines Mitgliedstaates erfolgen.

Der Begriff „Gericht“ ist dabei unionsrechtlich zu verstehen. Danach muss das Gericht ein auf gesetzlicher (hoheitlicher) Grundlage eingerichteter ständiger Spruchkörper sein, dessen Zuständigkeit obligatorisch ist und der dazu berufen ist, auf der Grundlage eines rechtsstaatlich geordneten Verfahrens in richterlicher (sachlicher) Unabhängigkeit Rechtsstreitigkeiten verbindlich zu entscheiden (EuGH, Rs. 61/65 (Vassen-Göbbels), Slg. 1966, 583, Rn. 2 ff.). Dabei muss das Recht und nicht nur Billigkeit der Entscheidungsmaßstab sein.

3. Gegenstand des Verfahrens und zulässige Vorlagefrage

Was ein zulässiger Vorlagegegenstand sein kann ist in Art. 267 I lit. a und lit. b AEUV normiert. Erforderlich ist in beiden Fällen eine abstrakte Formulierung der Vorlagefrage.

a) Nach Art. 267 I lit. a AEUV entscheidet der EuGH über die Auslegung der Verträge, folglich über das gesamte primäre Unionsrecht.

b) Nach Art. 267 I lit. b AEUV entscheidet der EuGH aber auch über die Gültigkeit und Auslegung der Handlungen der in Art. 13 I EUV genannten Unionsorgane, insbesondere über das gesamte sekundäre Unionsrecht, z.B. auch über Stellungnahmen und Empfehlungen. Prüfungsmaßstab ist diesbezüglich das gesamte höherrangige Unionsrecht. Daneben entscheidet der EuGH über die Gültigkeit und Auslegung der Handlungen der Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union.

4. Entscheidungserheblichkeit

Die Entscheidungserheblichkeit wird nicht vom EuGH überprüft, da diese sich meist nach nationalem Recht beurteilt und der EuGH nicht zur Anwendung und Auslegung des nationalen Rechts befugt ist. Sie bemisst sich daher vielmehr allein an der Sichtweise des vorlegenden Gerichts, vgl. Wortlaut des Art. 267 II AEUV.

Es werden jedoch auch Grenzen gesetzt: Bei Missbrauch durch konstruierte Vorlagefragen, offensichtlich hypothetischen Fragen oder fehlendem Zusammenhang der Vorlagefrage und dem Ausgangsrechtsstreit darf der EuGH die Zulässigkeit der Vorlagesache überprüfen.

5. Vorlagepflicht

Bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 267 III AEUV ist sogar eine Pflicht zu Vorlage zum EuGH gegeben: Wird eine zur Vorabentscheidung durch den EuGH berechtigte Frage in einem schwebenden Verfahren bei einem nationalen Gericht gestellt, dessen Entscheidung innerstaatlich nicht mehr mit ordentlichen Rechtsmitteln angefochten werden kann, so ist dieses Gericht zur Anrufung des EuGH verpflichtet. Daher bleiben außerordentliche Rechtsbehelfe, z.B. die Verfassungsbeschwerde, außer Betracht. Ob ein konkretes Rechtsmittel zur Verfügung steht, ist für jeden Einzelfall zu beurteilen. Es kommt also nicht darauf an, dass es abstrakt ein „höheres“ Gericht gibt.
Aufgrund des Verwerfungsmonopols des EuGH sind nationale Gerichte zur Vorlage verpflichtet, wenn sie einen Rechtsakt der Union für ungültig halten und ihn daher nicht anwenden wollen. Dies gilt auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes.
Die Vorlagepflicht kann entfallen, wenn die Frage bereits vom EuGH entschieden wurde (acte éclaire) oder wenn die Frage eindeutig zu beantworten ist und somit keine Auslegung erforderlich ist (acte claire) oder es sich um ein nationales Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes handelt.

II. Vorlageentscheidung durch den EuGH

Diesbezüglich wird zwischen Auslegungsfragen und Gültigkeitsfragen unterschieden.

a) Auslegungsfrage

Bei Auslegungsfragen nimmt der EuGH eine Interpretation des EU-Rechts vor und gibt bestimmte Auslegungskriterien vor. Dies hat zum Ziel, dass das vorlegende Gericht anhand dieser Kriterien die Ausgangssache entscheiden kann.

Eine Entscheidung über eine Auslegungsfrage wirkt ex-tunc und entfaltet faktische Bindung für alle nationalen Gerichte und Behörden.

b) Gültigkeitsfrage

Bei Gültigkeitsfragen überprüft der EuGH die Vereinbarkeit konkreter EU-Rechtsakte mit höherrangigem Recht.

Eine Entscheidung über eine Gültigkeitsfrage wirkt erga omnes, das heißt in diesem Fall für jedes Gericht.

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