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Kurzschema § 123 VwGO

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Kurzschema  einstweiliger Rechtsschutz nach § 123 VwGO

A. Sachentscheidungsvoraussetzungen

I. Verwaltungsrechtsweg, § 40 VwGO

II. Zuständiges Gericht, §§ 123 II i.V.m. 45, 52 VwGO

III. Statthafte Antragsart

1. Abgrenzung zu §§ 80, 80 a VwGO nach Rechtsbehelf in der Hauptsache: § 123 VwGO wenn in der Hauptsache andere Klageart als die Anfechtungsklage statthaft, vgl. § 123 V VwGO

2. Abgrenzung innerhalb § 123 VwGO danach, ob Sicherungsanordnung („Erhaltung der Status Quo“) nach § 123 I S. 1 VwGO oder Regelungsanordnung („Erweiterung des Rechtskreises“) nach § 123 I S. 1 VwGO

IV. Antragsbefugnis, § 42 II VwGO analog
Möglichkeit Anordungsanspruch (zu sichernder, bzw. regelnder materieller Anspruch) und Anordnungsgrund (Eilbedürftigkeit)

V. Rechtsschutzbedürfnis

1. Fehlt i.d.R. ohne vorherigen Antrag bei der Behörde

2. keine Vorwegnahme der Hauptsache, da einstweiliger RS nie weiter gehen darf als Hauptsache selbst

Ausnahme: Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 IV GG erfordert Vorwegnahme, wenn zu erwartende Nachteile unzumutbar sind oder die Hauptsacheentscheidung zu spät sein wird oder ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für Erfolg in der Hauptsache spricht.

VI. Übrige Sachentscheidungsvoraussetzungen: Beteiligten- und Prozessfähigkeit (§§ 61, 62 VwGO)

B. Begründetheit

Obersatz: Der Antrag ist begründet, wenn er sich gegen den richtigen Antragsgegner wendet und Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft gemacht wurden.

I. Antragsgegner

II. Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs/ Summarische Prüfung Hauptsache
Ein Anordnungsanspruch besteht, wenn der Antragsteller einen materiell- rechtlichen Anspruch auf Gewährung des Begehrens glaubhaft machen kann.

III. Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes
Die besondere Eilbedürftigkeit muss glaubhaft gemacht werden. Sie liegt vor, wenn dem Antragsteller ein Abwarten der Hauptsacheentscheidung nicht zumutbar ist (in der Klausur meist gegeben).

Rechtsfolge: Ermessensentscheidung des Gerichts

Jura Individuell- Hinweis: Ein ausführlicher Artikel zu diesem Schema findet sich unter „Einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO“.

Vielen Dank, dass Sie diesen Beitrag gelesen haben. Wir hoffen, dass er Ihnen weiterhelfen oder zumindest Ihr Interesse wecken konnte. Hier finden Sie den Beitrag Kurzschema § 123 VwGO auf unserer Website Jura Individuell.


VA Polizeirecht Realakt Abgrenzung

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Gerade im Polizeirecht ist es eine weit verbreitete Ansicht unter Studenten, dass in den allermeisten Fällen die Anfechtungsklage oder die Fortsetzungsfeststellungsklage (FFK) statthafte Klageart ist und so wird diese auch in den meisten Fällen angenommen, ohne sich vorher detailliert mit dem Vorliegen eines Verwaltungsaktes (VA) auseinanderzusetzen, der Voraussetzung für die Bejahung dieser Klagearten ist.
Allerdings stellt sich polizeiliches Handeln auch oftmals nicht als VA sondern als schlichter Realakt dar, für den die FFK nicht die statthafte Klageart ist.
Der folgende Artikel soll nun einen Leitfaden dafür bieten, wann ein VA vorliegt und wann es sich um einen Realakt handelt. Es werden weiterhin Argumentationsvorschläge geliefert, wie man die Annahme bzw. Ablehnung eines VA begründen kann. Denn nur durch eine schlüssige Argumentation können in einer Klausur viele Punkte gesammelt werden.

I.Grundsätzliches zum VA

Gesetzlich normiert ist der VA in  § 35 S.1 VwVfG. Demnach versteht man nach dieser Legaldefinition jede Maßnahme einer Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts mit Außenwirkung.
Speziell im Polizeirecht problematisch ist in der Fallbearbeitung bei der Subsumtion regelmäßig das Merkmal der Regelung, denn behördliches Handeln kann sich sowohl als Realakt als auch als Regelung darstellen. Ein Realakt liegt vor bei schlichtem Verwaltungshandeln, das Merkmal der Regelung, das sich dadurch auszeichnet, dass infolge der Maßnahme eine Rechtsfolge bzw. eine Rechtswirkung eintritt, liegt gerade nicht vor. Die Abgrenzung ist häufig problematisch.
Der Prüfungspunkt, bei dem man sich diese Frage stellt, wäre somit innerhalb der Zulässigkeitsprüfung einer Klage der Prüfungspunkt „Statthafte Klageart“ bzw. bei der Zulässigkeitsprüfung eines Antrages nach §§ 80V/123 I VwGO bei dem Prüfungspunkt „Statthafte Antragsart“. Im Widerspruchsverfahren ist die Problematik unter „Statthaftigkeit des Widerspruchs“ zu diskutieren.

II. Das Merkmal der Regelung im Polizeirecht

Eine Maßnahme wird zur Regelung getroffen, wenn sie auf die Setzung einer Rechtsfolge gerichtet ist.
Hierbei ist der objektive Erklärungswert maßgeblich.
Vereinfacht gesagt bedeutet dies regelmäßig, dass eine Regelung vorliegt, wenn behördliches Handeln irgendwie „vollstreckt“ werden kann, also durch behördlichen Zwang der Regelungsempfänger zu einem gewissen Tun, Dulden oder Unterlassen gezwungen werden kann.
Denn dass für die Durchsetzung von Verwaltungszwang ein VA vorliegen muss, ergibt sich bereits aus dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG).
Diese Kontrollfrage sollte man sich immer stellen, wenn man das Merkmal der Regelung prüft. Ist dies nicht der Fall, liegt ein Realakt vor.

1. Anwendungsbeispiele

Recht einfach gelagert sind die Fälle, in denen der Regelungsempfänger ein ordnungsgemäßes Schreiben von der Behörde bekommt. Hierin ist zweifelsfrei ein VA zu sehen, zum einen aufgrund der äußeren Form, zum anderen aufgrund der Vollstreckbarkeit des Inhaltes: Zahlt der A nicht, drohen ggf. Zwangsmittel.

Bsp: Der A bekommt ein Schreiben von der Polizei, welches ihm auferlegt, die Kosten für einen Polizeieinsatz zu tragen.
Schwieriger sind die Fälle, in denen kein „greifbares“ behördliches Handeln vorliegt.

Bsp: Der A wird von der Polizei aufgefordert, seinen Personalausweis vorzuzeigen.

Fraglich ist, ob in der Aufforderung der Polizei nun ein VA zu sehen ist oder ein bloßes tatsächliches Handeln.
Als Vorüberlegung lässt sich voranstellen, dass ein VA grundsätzlich auch mündlich erteilt werden kann, § 37 II S.1 VwVfG.
Die Polizei ordnet hier mündlich das Vorzeigen des Ausweises an. A wird somit verpflichtet sich auszuweisen. Tut er dies nicht, so kann die Polizei ggf. weitere Maßnahmen ergreifen. Die Maßnahme ist somit auf die Setzung der Rechtsfolge „ Zeige mir deinen Ausweis“ gerichtet.

Vorsicht! Anders ist jedoch die folgende Situation zu beurteilen:

Fordert die Polizei den A nicht auf, den Personalausweis vorzuzeigen, sondern greift einfach danach, so liegt keine Regelung vor.

2. Lösung über die „konkludente Duldungsanordnung“

Man könnte dann in diesem Fall höchstens an das Institut der „konkludenten Duldungsanordnung“ denken, um einen VA doch noch zu konstruieren. In dem Fall wird ein VA und das Vorliegen einer Regelung damit begründet, dass behördliche Maßnahmen immer mit dem Regelungsinhalt verbunden sind, die Maßnahme zu dulden.
Allerdings spricht gegen die Annahme einer konkludenten Duldungsanordnung, dass ein VA nicht Voraussetzung ist, um Rechtsschutz gegen behördliches Handeln zu erlangen. Auch ein Realakt kann angegriffen werden. Insofern wirkt die konkludente Duldungsanordnung zu konstruiert und ist abzulehnen.
Als weiteres Gegenargument lässt sich anführen, dass es bei Vorliegen eines VA´s regelmäßig schwieriger sein kann, Rechtschutz zu erlangen als bei einem Realakt, da die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Anfechtungsklage bzw. FFK weitaus enger sind als die der Allgemeinen Leistungsklage und der Festsellungsklage. Für den Betroffenen kann das Vorliegen eines Realaktes somit vorteilhafter sein. Das Instrument der konkludenten Duldungsanordnung wird vom Großteil der Lehre mittlerweile als veraltet mit den o.g. Argumenten abgelehnt.
Solche Fälle sind also als rein tatsächliches Handeln zu charakterisieren.

III. Mehrere behördliche Maßnahmen in der Klausur

In einer Polizeirechtsklausur ist häufig nicht nur der VA- Charakter einer einzelnen Maßnahme zu überprüfen, sondern regelmäßig sind mehrere, verschiedene Maßnahmen zu prüfen. Der Bearbeiter muss sich dann jede einzelne Maßnahme herausgreifen und gesondert prüfen, ob ein VA vorliegt. Es kann also gut sein, dass in einer Klausur zum einen eine Anfechtungsklage/ FFK vorliegt, bezüglich anderer Maßnahmen jedoch die Feststellungsklage/Allgemeine Leistungsklage. Dass dies in der Klausur erkannt wurde, ist vom Bearbeiter deutlich zu machen, indem bei der Statthaftigkeit der Klageart ein Prüfungsschwerpunkt gesetzt wird und abweichende Zulässigkeitspunkte im Rahmen der in Betracht kommenden Klagearten gesondert dargestellt werden. Gleiches gilt für die Begründetheitsprüfung.

IV. Handeln in Abwesenheit des Betroffenen

Problematisch sind die Fälle, in denen die Polizei in Abwesenheit des Betroffenen handelt(= heimliche Standardmaßnahmen).

Bsp: Der A wird verdächtigt, in einen Drogenring involviert zu sein. Während der A auf der Arbeit ist, durchsucht die Polizei seine Wohnung, ohne dass A hiervon Kenntnis hat.

Im vorliegenden Fall fehlt es bereits an der Bekanntgabe des VA, § 41 VwVfG. Somit liegt schon gar kein wirksamer VA vor. Darüber hinaus fehlt es jedoch auch an der Außenwirkung.

V. Die richtige Klageart wählen

Um ein Gefühl dafür zu entwickeln, bei welchen behördlichen Maßnahmen es sich um einen VA und bei welchen es sich um einen Realakt handelt, sollen folgende Beispiele hilfreich sein:
An einer Regelung und somit auch an einem VA fehlt es in folgenden Fällen:
Rein tatsächliches Verhalten wie polizeiliche Streifengänge, Beobachtungen, Auskünfte, Warnungen, Belehrungen, bloße Bitten an die Bürger.
Darüber hinaus liegt kein VA mangels Außenwirkung und Bekanntgabe bei sog. „heimlichen Standardmaßnahmen“ vor (z.B. Durchsuchen der Wohnung in Abwesenheit und Unkenntnis des Betroffenen).
Mangels VA kommt als statthafte Klageart nun die Allgemeine Leistungsklage oder die Feststellungsklage in Betracht ( bzw. einstweiliger Rechtsschutz nach § 123 I VwGO).
Welche der Klagerten einschlägig ist, richtet sich danach, ob sich der Realakt bereits „erledigt“ hat oder noch andauert. Hat sich der Realakt noch nicht erledigt, ist die Allgemeine Leistungsklage statthaft, im Falle der Erledigung die Feststellungsklage.

Dagegen liegt eine Regelung vor bei:
klassischen Standardmaßnahmen wie Durchsuchung, Beschlagnahme, Platzverweis usw.
Arg: Ein Realakt kann nicht Grundlage für eine Verwaltungsvollstreckung sein aufgrund des VwVG, welches für die Durchsetzung von Verwaltungszwang einen VA vorsieht.

Jura Individuell -Tipp: Nochmals: Die Kontrollfrage lautet immer: Was passiert, wenn der Betroffene nicht mit der Maßnahme einverstanden ist? Ist sie dann vollstreckbar? Bei einem Platzverweis ist die Maßnahme bspw. dadurch vollstreckbar, dass der Betroffene notfalls von dem betreffenden Standort durch die Polizei weggebracht wird. Dies wäre dann Verwaltungsvollstreckung und für diese ist ein VA Voraussetzung.

Als Klagearten kommen nun hier die Anfechtungsklage, FFK sowie Verpflichtungsklage in Betracht, wobei den Großteil in der Fallbearbeitung wohl die Anfechtungsklage und die FFK einnehmen wird (bzw. in Fällen des einstweiligen Rechtsschutzes ein Antrag gem. § 80 V VwGO).
Auch hier ist die Statthaftigkeit anhand des Merkmals der Erledigung abzugrenzen. Wenn die rechtliche oder tatsächliche Beschwer nachträglich wegfällt, liegt Erledigung vor und es ist die FFK statthaft, ansonsten die Anfechtungsklage.

Beispiele für das Vorliegen eines VA im POG Rhl.-Pfl.
§ 10 POG ( Identitätsfeststellung)
§ 12 POG (Vorladung)
§ 13 I POG (Platzverweis)
§ 14 POG ( Gewahrsam)
§ 18 POG (Durchsuchung)

Vielen Dank, dass Sie diesen Beitrag gelesen haben. Wir hoffen, dass er Ihnen weiterhelfen oder zumindest Ihr Interesse wecken konnte. Hier finden Sie den Beitrag VA Polizeirecht Realakt Abgrenzung auf unserer Website Jura Individuell.

§ 47 VwGO Normenkontrolle Verwaltungsrecht

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Eine Normenkontrolle ist die richterliche Überprüfung von Rechtssätzen mit  höherrangigem Recht.  Die Gerichte sind dabei berechtigt und verpflichtet die Vereinbarkeit von Rechtssätzen mit höherrangigem Rechts zu überprüfen. Eine Ausnahme besteht, wenn das Bundesverfassungsgericht ein Verwerfungsmonopol hat. Die Normenkontrolle dient der Rechtssicherheit und dem Rechtsschutz.

Jura Individuell- Hinweis: Bei Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO ist die Terminologie „Antragsteller“ und „Antragsgegner“ zu verwenden.

 

I . Antragsgegenstand

Zunächst ist es sinnvoll den genauen Antragsgegenstand zu bestimmen, dies leitet die Prüfung ein und zeigt auch dem Prüfer, ob die Rechtsfrage richtig erkannt wurde.

II. Zulässigkeit

Nach § 47 I VwGO entscheidet das Oberverwaltungsgericht im Rahmen seiner Zuständigkeit über einen Normenkontrollantrag im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit.

Jura Individuell- Hinweis: Nach § 184 besteht eine Sonderrregelung der Länder- Das Land kann bestimmen, dass das Oberveerwaltungsgericht die bisherige Bezeichnung „Verwaltungsgerichtshof“ weiterführt (z.B. Bayern der Bayerische Verwaltungsgerichtshof).

Voraussetzung ist daher für die Zulässigkeit eines Normenkontrollantrages nach § 47 I VwGO die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges nach § 40 I VwGO. Es muss sich daher um Rechtssätze handeln, zu deren Vollzug Verwaltungsakte entstehen oder sonstige öffentlich- rechtliche Streitigkeiten entstehen können.

1. Statthaftigkeit

Nach § 47 I Nr. 1 VwGO können Gegenstand der Normenkontrolle  Satzungen sein, die nach den Vorschriften des Baugesetzbuches erlassen worden sind (Bebauungsplan)oder Rechtsverordnungen, die aufgrund des § 246 BauGB erlassen worden sind.

Nach § 47 I Nr. 2 VwGO können andere im Rang unter den Landesgesetzen stehende Rechtsvorschriften (sonstige Satzungen oder Verordnungen), Gegenstand der Normenkontrolle sein, sofern das Landesrecht dies bestimmt. [Von dieser Möglichkeit haben die Länder uneingeschränkt, beschränkt oder keinen Gebrauch gemacht- uneingeschränkt: Baden Württemberg (§ 4 AGVwGO), Brandenburg (§ 4 I AGVwGO), Bremen (Art. 7 AGVwGO), Hessen (§ 11 AGVwGO), Mecklenburg- Vorpommern (§ 13 AGGerStrG), Niedersachsen (§ 7 VwGG), Saarland (§ 16 AGVwGO), Sachsen (§14 VerAG), Sachsen- Anhalt (§ 10 AGVwGO), Schleswig- Holstein (§ 5 AGVwGO), Thüringen (§ 4 AGVwGO); beschränkt: Bayern ( Art. 5 AGVwGO), Rheinpland- Pfalz (§ 4 AGVwGO); keinen Gebrauch gemacht: Berlin, Hamburg, Nordrhein- Westfalen.]

Die Rechtsvorschrift muss bereits erlassen worden sein, braucht aber noch nicht in Kraft getreten zu sein.

2. Antragsberechtigung

§ 47 II S.1 VwGO, jede natürliche oder juristische Person, jede Behörde, die durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt ist. (Dieser Prüfungspunkt ist meist unproblematisch).

3. Antragsbefugnis

Nach § 47 II S. 1 VwGO ist grundsätzlich jede natürliche und juristische Person, die i.S. von § 42 II VwGO in ihren Rechten verletzt ist. Behörden brauchen keine Antragsbefugnis, es genügt, wenn die Behörde die Norm bei der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben zu beachten hat.

4. Form

§§ 81, 82 VwGO analog, ordnungsgemäße Antragsstellung.

5. Frist

§ 47 II S.1 VwGO, der Antrag muss ein Jahr nach Bekanntmachung gestellt werden.

( Problematisch kann dies bei nachträglich rechtswidrig gewordenen Normen sein- Stichwort „funktionslose“ Bebauungspläne- In der Praxis wird ein Bebauungsplan Praxis konsequent durchgezogen und es entsteht im Laufe der Jahre eine andere Nutzung, zwar ist alles klar geregelt, aber genehmigt wurde eine andere Nutzung, der Bebauungsplan ist faktisch ausgehebelt und „funktionslos“.  Im Rahmen einer Normenkontrolle ist dann die Jahresfrist nach Literatur und Rechtsprechung nicht anzuwenden). Die Berechnung der Frist erfolgt nach § 57 VwGO.

III. Begründetheit

Der Normenkontrollantrag ist begründet, wenn er sich gegen den richtigen Antragsgegner richtet und wenn die angegriffene Rechtsnorm gegen höherrangiges formelles oder materielles Recht verstößt.

1. Richtiger Antragsgegner ( Passivlegitimation)

§ 47 II S. 2 VwGO diejenige juristische Person, die die Rechtsvorschrift erlassen hat.

2. Rechtmäßigkeit der Rechtsnorm

Die Rechtsnorm ist unwirksam, wenn sie formell oder materiell rechtswidrig ist.

a.  formelle Rechtmäßigkeit

b. materielle Rechtmäßigkeit

Ergebnis: Wird die Norm von dem Oberverwaltungsgericht für gültig erklärt, wird der Antrag zurückgewiesen, wird die Norm für ungültig.

3.1. Normenkontrolle einer Rechtsverordnung (z.B. einer Verwaltungsbehörde, der Regierung etc., siehe Art. 80 I S.1 GG)

a. formelle Rechtmäßigkeit

(a) Zuständigkeit

– sachlich

-örtlich

-funktionell

(b) Verfahren

– bei verfahrensfehlern keine Anwendung von §§ 45,46 VwVfG

(c) Form

-schriftlich

– die Rechtsgrundlage ist anzugeben, Art. 80 I S.3 GG)

(d) ordnungsgemäße Verkündung

b. materielle Rechtmäßigkeit

(a) Ermächtigungsgrundlage

– formell und materiell  verfassungskonform, nach Art. 80 I S. 2 GG muss Inhalt, Zweck und Ausmaß der Rechtsverordnung  bestimmt werden

– die Verordnung darf die Ermächtigungsgrundlage nicht überschreiten

– Überprüfung von Ermessensfehlern, weites Ermessen bei dem Inhalt der Norm, jedoch muss die Rechtsverordnung ermessensfehlerfrei erlassen worden sein

(b) Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht

Die Rechtsverordnung muss sowohl mit Bundes- als auch mit Landesrecht in Einklang stehen, insbesondere kommen an dieser Stelle die Verletzung von Grundrechten in Betracht.

Verstößt die Rechtsverordnung gegen europäisches Unionsrecht, wird nach h.M. Europarecht innerhalb des Normenkontrollverfahrens überprüft. Ein Verstoß gegen Europarecht  führt jedoch nicht zu einer Unwirksamkeit, sondern zu einer Unanwendbarkeit der Norm, da das Unionsrecht lediglich Anwendungsvorrang und keinen Geltungsvorrang besitzt. Das zuständige Oberverwaltungsgericht hat bei einem solchen Verstoß  die Feststellung der Unanwendbarkeit der gemeinschaftswidrigen Norm zu treffen (§ 47 VwGO Kopp/Schenke Rn. 99).

(b) Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht

3.2. Von besonderer Bedeutung sind in der Klausur  die Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Bebauungsplänen und die Überprüfung der Rechtmäßigkeit kommunaler Satzungen.

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Aufbau und Funktion der Kommunalaufsicht

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Dieser Artikel soll eine Darstellung von Aufbau und Funktion der Kommunalaufsicht in Bayern geben. Die Kommunalaufsicht wird regelmäßig in beiden Staatsexamina geprüft und sollte daher vorbereitet werden. Hierbei hilfreich ist ein gutes Verständnis von der Bedeutung der Gemeinden im Staatsgefüge. Noch mehr als sonst hift zusätzlich die genaue Lektüre der einschlägigen Vorschriften wie Art. 108 ff. GO und eine gute Kommentierung im Gesetz. Daraus ergibt sich in der Regel bereits die richtige Richtung für eine ordentliche Lösung der aufgeworfenen Fragestellungen.

A. Stellung der Gemeinden im Staatsaufbau

Zuerst ist zu klären, welche Funktion den Kommunen im Staatsgefüge zukommt. In erster Linie ist es Ziel des Staates seine eigene unmittelbare Verwaltung zu entlasten, um eine effektive Verwaltung gewährleisten zu können. Gemeinden ermöglichen durch ihr flächendeckendes Netz an Einrichtungen und Behörden eine bürgernahe und zentrale Verwaltung. Deshalb bietet es sich an, den Gemeinden bestimmte Aufgaben des Staates zu übertragen, da die bereits vorhandenen Behörden genutzt werden können und nicht erst neue geschaffen werden müssen. Trotz der dezentralen Staatsverwaltung entsteht aber kein dreigliedriger Staatsaufbau im Sinne von Bund-Länder und Gemeinden. Letztere sind als Teil der Exekutive der mittelbaren Landesverwaltung zuzuordnen.

B. Die Notwendigkeit staatlicher Aufsicht

Aus der Tatsache, dass der Staat eigene Aufgaben delegiert erwächst verständlicherweise die Pflicht, die ordnungsgemäße Durchführung und Erfüllung der Aufgaben durch die Gemeinden zu überwachen. Diese Verpflichtung ergibt sich aus dem Demokratie-, sowie dem Rechtsstaatsprinzip. Das Demokratieprinzip fordert eine ununterbrochene Legitimationskette vom Volk ausgehend bis hin zum Verwaltungsunterbau bzw. der Exekutive. Damit ein Rechtsstaat ordnungsgemäß funktionieren kann muss die Einhaltung von Recht und Gesetz gem. Art. 20 III GG jederzeit sichergestellt sein. Desweiteren verfügen kleinere Gemeinden nicht immer über den notwendigen Sachverstand, um komplexe Sachverhalte einwandfrei und juristisch korrekt zu regeln. Hier hilft die Beratungs- und Schutzfunktion, die die Staatsaufsicht gewährt. Das Problem der fehlenden Fachkräfte, mangelnder Sachkunde und Urteilskraft hat aufgrund der zunehmenden Professionalisierung der Gemeindeverwaltung an Bedeutung verloren. Jedoch verbleiben nach wie vor vielfältige Fragen schwieriger Natur, bei denen die Gemeinden unterstützt werden müssen.

C. Der Umfang staatlicher Aufsicht

Im kommunalen Bereich ist der Umfang staatlicher Aufsicht entscheidend davon abhängig, ob es sich um Angelegenheiten des eigenen oder übertragenen Wirkungskreises handelt. Bisher war nur die Rede von übertragenen Aufgaben. Daneben bestehen aber auch Aufgaben, die die örtliche Gemeinschaft an sich betreffen. Man spricht hier vom eigenen Wirkungskreis. Das Recht der Gemeinden alle eigenen Angelegenheiten selbst zu verwalten ist ihnen grundgesetzlich garantiert. Das Selbstverwaltungsrecht aus Art. 28 II GG besagt, dass alle Aufgaben, die in die Kompetenz der Gemeinden fallen ohne Weisung und Vormundschaft des Staates erfüllt werden können. Dieser Bereich ist staatlicher Aufsicht folglich auch nur eingeschränkt zugänglich.

I. Die Unterscheidung zwischen eigenem und übertragenem Wirkungskreis

Die Zuordnung einer Aufgabe zum eigenen oder übertragenen Wirkungskreis ergibt sich in erster Linie aus der spezialgesetzlichen Festlegung. Als Beispiel kann Art. 4 I 2 BayAbgrG angeführt werden, wonach die sich aus dem Gesetz ergebenden Aufgaben für die Gemeinden übertragene Aufgaben sind. Andernfalls kann noch aus den Art. 57 GO, 83 BV abgeleitet werden, dass es sich um eine Aufgabe des eigenen Wirkungskreises handelt.

1. Eigener Wirkungskreis

Die Selbstverwaltungsgarantie aus Art. 28 II BayGO gewährleistet den Gemeinden über öffentliche Verwaltungsangelegenheiten unangeleitet und selbstbestimmt zu entscheiden. Dieser Bereich ist frei von Weisungen des Staates. In den eigenen Wirkungskreis fallen alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft. Diese Angelegenheiten werden durch die Rastede-Formel genauer bestimmt. Es sind demzufolge die Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder einen spezifischen Bezug zu ihr haben, die den Gemeindeeinwohnern als solchen gemein sind, indem sie das Zusammenleben und –wohnen in der Gemeinde betreffen. Hinzu kommt noch, dass die Angelegenheiten von der Gemeinde eigenverantwortlich und selbständig bewältigt werden können müssen. Leider ist diese sehr allgemein gehaltene Definition in der Klausur nicht immer hilfreich. Zur genaueren Bestimmung können die Kataloge der Art. 57 BayGO und Art. 83 BV dienen. Im Allgemeinen ist der örtliche Bezug dominantes Beurteilungskriterium. Es müssen Angelegenheiten sein, die der örtlichen Vielfalt Rechnung tragen. Staatliche Aufgaben hingegen erfordern eine im gesamten Staatsgebiet einheitliche Regelung.

a) Freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben

Gemeinden können sich frei entscheiden, ob sie bestimmte Verwaltungsangelegenheiten angehen und wie sie diese durchführen. Freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben finden sich unter anderem in der Kultur-, Sport-, und Wirtschaftsförderung, sowie in der Errichtung von Sparkassen.

b) Plichtige Selbstverwaltungsaufgaben

Hier ist die Gemeinde, im Gegensatz zu den freiwilligen Aufgaben, gesetzlich verpflichtet die Aufgabe zu erfüllen. Somit entfällt das „Ob“ der Entscheidung, lediglich „Wie“ die Aufgabe verwirklicht werden soll obliegt allein der Gemeinde. Pflichtmäßig müssen sich Gemeinden mit der Bauleitplanung, der Straßenreinigung, der Trinkwasserversorgung und bspw. der Erhebung von Erschließungs- und Ausbaubeiträgen beschäftigen.

2. Übertragener Wirkungskreis

Der Staat überträgt Aufgaben, deren Durchführung ihm obliegen, aus Gründen der Dezentralisierung und der bürgernahen Verwaltungsmöglichkeit auf Gemeinden. In diesem Bereich kann die Gemeinde nicht nur nach eigenen Vorstellungen vorgehen, vielmehr muss sie nach Maßgabe staatlicher Weisungen handeln. Übertragen werden können die Durchführung von Landtagswahlen, das Passwesen oder die Mitwirkung bei der Wehrerfassung. Dies richtet sich danach, ob Aufgaben kraft Landes– oder Bundesrecht übertragen werden.

Wichtig ist, dass die Gemeinden sowohl im eigenen, als auch im übertragenen Wirkungskreis in eigener Kompetenz handeln. Passivlegitimiert ist immer die Gemeinde als ihr eigener Rechtsträger. Alle Aufgaben werden als gemeindliche Aufgaben erfüllt.

II. Unterschiede zwischen Rechts- und Fachaufsicht

Unterscheidungskriterium sind die verschiedenen Kontrollmaßstäbe, sowie der Intensitätsgrad der Beaufsichtigung.

1. Rechtsaufsicht

Gem. Art. 109 GO besteht im Bereich des eigenen Wirkungskreises Rechtsaufsicht. Das bedeutet, dass der Staat allein die Rechtmäßigkeit gemeindlichen Handelns beaufsichtigen darf. Die Rechtskontrolle umfasst dabei die Überwachung der Erfüllung gesetzlich festgelegter und übernommener öffentlich-rechtlicher Aufgaben und Verpflichtungen der Gemeinden und die Gesetzmäßigkeit ihrer Verwaltungstätigkeit. Es kann nur die Rechtmäßigkeit gemeindlichen Handelns überprüft werden, da aufgrund des Selbstverwaltungsrechts eine darüber hinausgehende Aufsicht nicht verfassungsgemäß wäre.

Verpflichtungen können sich aus der BV, der GO oder anderem Bundes- und Landesrecht ergeben. Nicht zuletzt aus öffentlich-rechtlichen Verträgen, sowie Satzungen und Verordnungen.

Überprüft werden kann die Einhaltung der Verbands- und Organkompetenz, Verfahrensanforderungen, Deckung von einer Ermächtigungsgrundlage oder die Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Zudem wird die richtige Ermessensausübung überprüft. Allerdings darf keine Zweckmäßigkeitskontrolle stattfinden.

Untere Rechtsaufsichtsbehörde bei kreisangehörigen Gemeinden, sowie bei Großen Kreisstädten ist das LRA als untere staatliche Verwaltungsbehörde (Art. 110 S. 1 GO i.V.m. Art. 37 I 2 LKrO). Bei kreisfreien Gemeinden ist die richtige Behörde die Regierung (Art. 110 S. 2 GO) . Obere Rechtsaufsichtsbehörde für kreisangehörige Gemeinden ist die Regierung (Art. 110 S. 3 GO). Das Staatsministerium des Inneren ist oberste Rechtsaufsichtsbehörde für Landkreise und obere Rechtsaufsichtsbehörde für kreisfreie Gemeinden (Art. 110 S. 4 GO). Bei Großen Kreisstädten richtet sich die gesamte Aufsicht auch nach den Art. 115 II, 110 S. 2 GO i.V.m. Art. 9 II GO, § 1 GrKrV.

2. Fachaufsicht, Art. 119 II GO

Hier sind die Behörden befugt, sowohl die Rechtmäßigkeit, als auch die Zweckmäßigkeit des gemeindlichen Handelns zu kontrollieren, Art. 115, 116 GO. Zweckmäßigkeitskontrolle bedeutet, dass die Behörden auch beurteilen dürfen, ob die Gemeinde aus mehreren rechtlich möglichen Alternativen die sinnvollste ausgewählt hat. Dies führt aber wiederum nicht zu einem Selbsteintrittsrecht der Aufsichtsbehörden. Sie haben vielmehr beratend und unterstützend tätig zu werden und die Gemeinden auf diesem Weg zu beaufsichtigen, vgl. Art. 108 GO.

Die Zuständigkeit der Fachaufsicht richtet sich grundsätzlich nach denen der Rechtsaufsicht, Art. 115 I 2 GO. Nur bei besonderen Vorschriften im Sinne von Art. 115 I 1 GO ergeben sich dort geregelte Ausnahmen. Ein Beispiel für eine solche Vorschrift wäre Art. 53 I 1 BayBO.

D. Befugnisse und Mittel der Aufsichtsbehörden

Die Befugnisse und Mittel der Aufsichtsbehörden ergeben sich direkt aus dem Gesetz.

I. Befugnisse der Rechtsaufsicht

Zunächst steht der Rechtsaufsicht ein Informationsrecht nach Art. 111 GO zu. Desweiteren hat sie ein Beanstanstandungsrecht gemäß Art. 112 GO. Schließlich steht der Behörde ein Recht auf Ersatzvornahme zu, Art. 113 GO. Als letztes und intensivstes Mittel kommt noch die Bestellung eines Beauftragten in Betracht (Art. 114 GO):

II. Befugnisse der Fachaufsicht

Der Fachaufsicht stehen ein Beanstandungsrecht aus Art. 116 I GO i.V.m. Art. 111 GO und ein Weisungsrecht gemäß Art. 116 I 2 GO i.V.m. 112 GO zu. Zu weitergehenden Eingriffen ist sie nicht befugt, vgl. Art. 116 I 3 GO. Zu beachten ist noch, dass bei der Ersatzvornahme die Weisung der Fachaufsicht an die Stelle der Rechtsaufsicht tritt, Art. 116 II GO.

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Kommunale Zusammenarbeit (Bayern)

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Ein beliebter Aufhänger in den bayerischen Examensklausuren des öffentlichen Rechts ist die kommunale Zusammenarbeit. Gesetzlich geregelt ist diese in dem Gesetz über die kommunale Zusammenarbeit (KommZG, Ziegler/Tremel Nr. 376) sowie in der Verwaltungsgemeinschaftsordnung für den Freisstaat Bayern(VGemo, Ziegler/Tremel Nr. 285). Dieser Artikel soll einen zusammenfassenden Überblick über dieses Thema verschaffen.

A. Was genau ist kommunale Zusammenarbeit?

Die kommunale Zusammenarbeit ist ein wesentlicher Inhalt der kommunalen Selbstverwaltung. Art. 57 III GO normiert, dass eine Pflichtaufgabe in kommunaler Zusammenarbeit zu erfüllen ist, wenn sie die Leistungsfähigkeit einer einzelnen Gemeinde übersteigt.

Darüber hinaus ist in der VGemO die Bildung einer Verwaltungsgemeinschaft (Art. 1 I VGemO) als Zusammenschluss benachbarter kreisangehöriger Gemeinden zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben vorgesehen.

B. Kommunale Zusammenarbeit nach dem KommZG

Gesetzlich sieht das KommZG vier Formen der kommunalen Zusammenarbeit vor. Danach können nach Art. 2 I KommZG Arbeitsgemeinschaften (Art. 4-6 KommZG), Zweckvereinbarungen (Art. 7-16 KommZG), Zweckverbände (Art. 17-48 KommZG)  sowie gemeinsame Kommunalunternehmen (Art. 49, 50 KommZG) gebildet werden.

  1. Die Arbeitsgemeinschaft

a. Sinn und Zweck

Die kommunale Arbeitsgemeinschaft nach Art. 4, 5 KommZG stellt die einfachste und lockerste Form der kommunalen Zusammenarbeit dar. Sie dient der gegenseitigen Information und Beratung von benachbarten Gemeinden, Landkreisen und Bezirken. Ihre Hauptaufgabe ist dabei die Planungen der einzelnen Beteiligten aufeinander abzustimmen und gemeinsame Flächennutzungspläne nach § 2 II BauGB vorzubereiten, vgl. Art. 4 II S. 2 KommZG.

b. Bildung, Rechtsnatur und Aufsicht

Gebildet wird eine Arbeitsgemeinschaft durch öffentlich-rechtlichen Vertrag nach Art. 54 ff. BayVwVfG. Die möglichen Beteiligten ergeben sich aus Art. 4 I KommZG. Nach Art. 2 II KommZG entsteht dadurch jedoch keine neue Rechtspersönlichkeit, deshalb ändert sich auch an den einzelnen Zuständigkeiten nichts: Alle Beteiligten einer Arbeitsgemeinschaft bleiben rechtlich selbständig und agieren bei der Wahrnehmung von Aufgaben der Arbeitsgemeinschaft eigenverantwortlich. Gemäß Art, 4 III KommZG werden die Rechte und Pflichten der Beteiligten als Träger von Aufgaben und Befugnissen gegenüber Dritten nicht berührt. Auch an der Aufsicht ändert sich nichts.

Das KommZG unterscheidet darüber hinaus zwischen der einfachen (Art. 4 KommZG) und den besonderen (Art. 5, 6 KommZG) Arbeitsgemeinschaften. Der Unterschied zwischen diesen beiden besteht darin, dass die besondere Arbeitsgemeinschaft Beschlüsse fassen kann, vgl. Art. 5 I KommZG.

2. Die Zweckvereinbarung

a. Sinn und Zweck

Die Zweckvereinbarung nach Art. 7 ff. KommZG geht über den Aufgabenbereich der Arbeitsgemeinschaft hinaus. Mit ihr können nach Art. 7 II S. 1 KommZG einzelne oder alle mit einem bestimmtem Zweck zusammenhängende Aufgaben einem Beteiligten übertragen werden.

Nach Art. 8 I KommZG gehen notwendigerweise alle mit dieser übertragenen Aufgabe zusammenhängenden Befugnisse mit über, es sei denn, mit der Zweckvereinbarung ist etwas anderes bestimmt. Nach Art. 11 I KommZG kann zudem das Recht übertragen werden, alle zur Erfüllung der übertragenen Aufgabe notwendigen Satzungen und Verordnungen auch für das Gebiet der übrigen Beteiligten erlassen zu können. Zwingende Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass diese „Rechtsübertragung“ ausdrücklich in der Zweckvereinbarung vorgesehen ist.

Art. 10 II KommZG normiert zugunsten der übrigen Beteiligten ein Anhörungs- und Zustimmungsrecht. Dieses kann in der Zweckvereinbarung für bestimmte Angelegenheiten festgelegt werden. Rechtsfolge eines Verstoßes gegen ein solches Anhörungs- oder Zustimmungsrecht ist stets die Rechtswidrigkeit eines von dem übertragenen Beteiligten ergangenen Verwaltungsaktes, vgl. Art. 44 III Nr. 4 BayVwVfG.

Die Anhörung muss in den dafür vorgesehenen Fällen zwingend geschehen (allerdings ist es ohne Belang, wenn nach erfolgter Anhörung eine Entscheidung entgegen dem ausdrücklichen Willen des zustimmungsberechtigten Beteiligten ergeht, wichtig ist allein die Anhörung).

Entscheidet der Beteiligte, dem eine Aufgabe übertragen wurde eine nach Art. 10 II KommZG als zustimmungsbedürftig erklärte Angelegenheit entgegen dem ausdrücklichen Willen des zustimmungsberechtigten Beteiligten, so ist diese Entscheidung rechtswidrig und folglich auch anfechtbar.

Nach Art. 7 III KommZG birgt zudem die Möglichkeit, dass die beteiligten Gebietskörperschaften die mit einem bestimmten Zweck verbundenen Aufgaben auch gemeinschaftlich ausüben können und hierzu gemeinschaftliche Einrichtungen schaffen und betreiben können. Nach Art. 8 III KommZG verbleiben in diesen Fällen die Befugnisse bei den einzelnen Beteiligten und dürfen nicht gemeinschaftlich ausgeführt werden.

b.Bildung, Rechtsnatur und Aufsicht

Eine Zweckvereinbarung entsteht wie die Arbeitsgemeinschaft durch öffentlich- rechtlichen Vertrag nach Art. 54 ff. BayVwVfG. Sie enthält nach Art. 2 II KommZG ebenfalls keine eigene Rechtspersönlichkeit.

Gemäß Art. 16 KommZG kann eine Zweckvereinbarung auch als Pflichtvereinbarung ergehen. Dies ist dann möglich, wenn z.B. eine Gemeinde eine Pflichtaufgabe des eigenen Wirkungskreises mangels Leistungsfähigkeit nicht mehr alleine erfüllen kann. Aus Gründen des öffentlichen Wohls kann dann die Aufsichtsbehörde eine angemessene Frist zur Vereinbarung einer Zweckvereinbarung mit anderen Gebietskörperschaften setzen. Verläuft diese Frist erfolglos, so trifft die Aufsichtsbehörde nach erfolgter Anhörung eine Regelung, die wie eine (Zweck-) Vereinbarung zwischen den Beteiligten gilt. Dies nennt man dann Pflichtvereinbarung, welche einen Verwaltungsakt i.S.v. Art. 35 BayVwVfG darstellt und somit von den betroffenen Beteiligten auch angefochten werden kann.

Jura Individuell-Tipp: Art. 35 BayVwVfG als Gedächtnisstütze neben Art. 16 II KommZG kommentieren.

Die Aufsicht über die einzelnen Beteiligten einer Zweckvereinbarung erfolgt nach Art. 51 II KommZG auch bzgl. ihrer durch Zweckvereinbarung übertragenen Aufgaben und Befugnisse. Wer die Aufsichtsbehörde ist, bestimmt Art. 52 KommZG.

c. Beispiele

Typische Beispiele sind eine Zweckvereinbarung mehrerer Gemeinden zum Betrieb einer gemeinsam genutzten öffentlich-rechtlichen Einrichtung aller Beteiligten nach Art. 21 GO (z.B. eine Messe- und Veranstaltungshalle oder ein kommunales Schwimmbad) oder zum Anschluss der Abwasserentsorgung einer Gemeinde an die Kanalisation einer benachbarten Gemeinde.

3. Der Zweckverband

a. Sinn und Zweck

Der Zweckverband nach Art. 17 ff. KommZG ist die wohl wichtigste Form der kommunalen Zusammenarbeit. Man versteht darunter den Zusammenschluss mehrerer benachbarter Gebietskörperschaften (meistens Gemeinden) zur gemeinschaftlichen Erfüllung bestimmter Aufgaben.

Nach Art. 22 KommZG geht dabei das Recht und die Pflicht zur Erfüllung bestimmter Aufgaben und Befugnisse von den Verbandsmitgliedern auf den Zweckverband über. Dabei handelt es sich jeweils um die Übertragung von Einzelaufgaben, -befugnissen. Der Zweckverband ist demnach nur für einen bestimmten Zweck und den damit verbundenen Aufgaben zulässig.

b.Bildung, Rechtsnatur und Aufsicht

Gebildet wird eine Zweckverband nach Art. 18, 20 KommZG durch öffentlich-rechtlichen Vertrag nach Art. 54 BayVwVfG bzgl. der Gründung des Verbands und eine (von den Beteiligten zu vereinbarende und von der Aufsichtsbehörde zu genehmigende) Verbandssatzung, Art. 21 I S. 2 KommZG (zum Inhalt dieser Satzung vgl. Art. 19 KommZG).

Nach Art. 2 III KommZG entsteht mit der Bildung eines Zweckverbandes eine neue Körperschaft des öffentlichen Rechts.

Art. 26 KommZG verweist bzgl. des Zweckverbands in die GO. Deren Normen sind dann anwendbar, soweit im KommZG oder in der Verbandssatzung keine anderweitigen Regelungen enthalten sind.

Da der Zweckverband eine eigene Rechtspersönlichkeit darstellt hat dies zur Folge, dass er als solcher auch selbst passivlegitimiert nach Art. 78 VwGO sein kann.

Organe des Zweckverbands sind nach Art. 29 S. 1 KommZG die Verbandsversammlung und der Verbandsvorsitzende. Weiterhin können nach Art. 29 S. 1 KommZG in der Verbandssatzung Ausschüsse geregelt werden.

Die Aufsicht über den Zweckverband unterliegt nach Art. 51 I S. 1, 52 I, IV KommZG der staatlichen Aufsicht. Diese unterteilt sich entsprechend dem Wirkungskreis der übertragenen Aufgabe in Rechts- und Fachaufsicht, vgl. Art. 51 I S. 2 GO. Bezüglich der Aufsichtsbehörde gilt wieder Art. 52 KommZG.

c. Beispiele

Lehrbuchbeispiele für Zweckverbände sind  der Betrieb von Krankenhäusern, Abfallentsorgung, Müllverbrennungsanlagen oder Tourismusverbände.

4. Gemeinsame Kommunalunternehmen

a. Sinn und Zweck

Die Aufgaben der gemeinsamen Kommunalunternehmen ergeben sich aus Art. 50, 26 I S. 1 KommZG.

b. Bildung, Rechtsnatur und Aufsicht

Die Entstehung der gemeinsamen Kommunalunternehmen ist in Art. 49 KommZG geregelt. Gebildet werden gemeinsame Kommunalunternehmen ebenfalls durch öffentlich-rechtlichen Vertrag nach Art. 54 BayVwVfG.  Das gemeinsame Kommunalunternehmen wird von einem Verwaltungsrat (Art. 50 II S. 1 Nr. 5 KommZG) und dem Vorsitzenden des Verwaltungsrates (Art. 5 IV KommZG) vertreten.

C. Kommunale Zusammenarbeit nach der VGemO

Die VGemO regelt die Bildung einer Verwaltungsgemeinschaft als Form der kommunalen Zusammenarbeit.

Jura Individuell-Hinweis: Ist man in der Klausur mit einer Verwaltungsgemeinschaft konfrontiert, können sowohl die Normen der VGemO als auch die des KommZG einschlägig sein. Zwar ist die Verwaltungsgemeinschaft grundsätzlich in der VGemO geregelt, Art. 10 II VGemO ist jedoch das Einfallstor in das KommZG. Dieses wiederum zieht über Art. 26 I S. 1 KommZG auch die Normen der GO heran.

  1. Sinn und Zweck

Art.1 I S. 1 VGemO definiert eine Verwaltungsgemeinschaft als Zusammenschluss benachbarter kreisangehöriger Gemeinden unter Aufrechterhaltung des Bestandes der beteiligten Gemeinden. Dabei dient sie der Erfüllung öffentlicher Aufgaben und der Stärkung der Leistungs- und Verwaltungskraft ihrer Mitglieder, vgl. Art. 1 I S. 1 VGemO.

Es schließen sich dabei mehrerer – meist kleine – Gemeinden zusammen, um gemeinsam eine den Erfordernissen der heutigen Zeit entsprechende Leistungs-und Verwaltungskraft zu erreichen.

Nach Art. 4 VGemO werden Aufgaben an die Verwaltungsgemeinschaft differenziert nach übertragenem und eigenem Wirkungskreis übertragen.

a. Aufgaben den übertragenen Wirkungskreises

Die Aufgaben den übertragenen Wirkungskreises werden, abgesehen von dem Erlass von Satzungen und Verordnungen, durch die Verwaltungsgemeinschaft wahrgenommen, vgl. Art. 4 I S. 1 VGemO. Bzgl. der Erfüllung dieser Aufgaben sind die Mitgliedsgemeinden lediglich zu informieren, vgl. Art. 4 I S. 2 VGemO. Passivlegitimiert i.S.v. § 78 VwGO ist was den übertragenen Wirkungskreis angeht folglich die Verwaltungsgemeinschaft.

b. Aufgaben des eigenen Wirkungskreises

Die Aufgaben den eigenen Wirkungskreises bleiben gemäß Art. 4 II VGemO bei den Mitgliedsgemeinden. Allerdings bedient diese sich, das die Ausführung dieser Aufgaben angeht, der Verwaltungsgemeinschaft. Diese handelt wiederum, was die Vorbereitung und den Vollzug der Entschließungen der Mitgliedsgemeinden angeht, als Behörde der jeweiligen Mitgliedsgemeinde auch nach deren Weisung. Außerdem darf sie die Besorgungen der laufenden Verwaltungsangelegenheiten der Mitgliedsgemeinden übernehmen, die für diese keine grundsätzliche Bedeutung haben, vgl. Art. 4 II S. 2-4 VGemO.

Passivlegitimiert nach § 78 VwGO sind die Mitgliedsgemeinden.

Art. 4 III VGemO bietet den Mitgliedsgemeinden jedoch die Möglichkeit, einzelne Aufgaben und Befugnisse des eigenen Wirkungskreises durch Zweckvereinbarung i.S.v. Art. 7 ff. KommZG auf die Verwaltungsgemeinschaft zu übertragen. In diesen Fällen ist die Verwaltungsgemeinschaft passivlegitimiert.

Jura Individuell-Tipp: In der Klausur sollte genau darauf geachtet werden, ob es sich bei der streitigen Aufgabe um eine des eigenen oder des übertragenen Wirkungskreises handelt, damit bei der Passivlegitimation und bei Verbands- und Organkompetenz keine Fehler gemacht werden!

2. Bildung, Rechtsnatur und Aufsicht

Verwaltungsgemeinschaften werden nach Art. 2 III VGemO durch Gesetz (formelles Landesgesetz) gebildet. Die Bildung kann freiwillig oder zwangsweise aus Gründen des öffentlichen Wohls erfolgen, vgl. Art. 2 I Nr. 1, 2 VGemO. Nach Art. 2 II VGemO kann auch eine bereits bestehende Verwaltungsgemeinschaft durch Aufnahme einer weiteren Gemeinde erweitert werden.

Gemäß Art. 1 II S. 1  VGemO ist eine Verwaltungsgemeinschaft eine Körperschaft des öffentlichen Rechts und kann daher nach § 78 VwGO auch verklagt werden.

Sie handelt durch ihre Organe – die Gemeinschaftsversammlung und den Gemeinschaftsvorsitzenden, vgl. Art. 6 VGemO – und unterliegt der staatlichen Aufsicht.

Wer genau die Aufsichtsbehörde ist, beurteilt sich wiederum entsprechend Art. 4 VGemO:

  • Liegt eine Aufgabe des übertragenen Wirkungskreises vor (Art. 4 II VGemO), so ist die Rechtsaufsicht nach Art. 109 I, 110 S. 1 VGemO zuständig.
  • Liegt ein Fall der Art. 4 I S. 3 VGemO (verbliebene Aufgabe des übertragenen Wirkungskreises) vor, so ist die Fachaufsicht nach Art. 109 II, 115 GO vor.
  • Im Fall des Art. 4 III VGemO (Aufgabe eigener Wirkungskreis plus Zweckvereinbarung) vor, so ist die Rechtsaufsicht zuständig. Diese bestimmt sich nach Art. 10 II VGemO i.V.m. Art. 52 I S. 1 Nr. 3 KommZG (Landratsamt), der Prüfungsumfang richtet sich nach Art. 109 I GO.
  • Bei einer Aufgabe des übertragenen Wirkungskreises nach Art. 4 I S. 1 VGemO ist die Fachaufsicht zuständig. Diese bestimmt sich nach Art. 10 II VGemO i.V.m. Art. 52 IV, 51 I S. 3 KommZG, Art. 115 GO. Der Prüfungsumfang bemisst sich nach Art. 10 II VGemO i.V.m. Art. 51 I S. 3, 26 I KommZG, Art. 109 II GO.

 

 

 

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Die Kommunalverfassungsstreitigkeit (Bayern)

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Die Kommunalverfassungsstreitigkeit ist eine spezielle Konstellation, die in Klausuren des bayerischen Examens mit kommunalrechtlichem Schwerpunkt ein beliebtes Prüfungsthema darstellt. Gerade aus prozessualer Sicht ergeben sich dabei einige – wenn auch nur kleine – Besonderheiten, auf deren sichere Beherrschung es dann ankommt. Dieser Artikel stellt deshalb eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Prüfungspunkte dar.

I. Begriffe und Definitionen

Der Begriff der Kommunalverfassungsstreitigkeit ist in der GO selbst nicht normiert. Grundsätzlich ist darunter der Streit zweier kommunaler Organe (z.B. zwischen Gemeinderatsmitgliedern untereinander oder zwischen Gemeinderat und dem ersten Bürgermeister) zu verstehen. Man unterscheidet dabei zwischen Inter- und Intraorganstreit.

A. Interorganstreit

Ein sog. Interorganstreit ist gegeben, wenn zwei Organe der selben kommunalen Körperschaft über die Ausübung von Kompetenzen aus der GO streiten. Lehrbuchbeispiele für einen Interorganstreit sind der Kompetenzstreit über die Zuständigkeiten nach Art. 29, 37 GO, Streitigkeiten zwischen erstem und zweitem Bürgermeister oder die Weigerung des ersten Bürgermeisters zum Vollzug eines Gemeinderatsbeschlusses nach Art. 36 S. 1 GO.

B. Intraorganstreit

Unter einem Intraorganstreit versteht man einen Streit innerhalb eines Organs. Beispielsweise eine Meinungsverschiedenheit über die Ausübung des Hausrechts durch den ersten Bürgermeister nach Art. 53 I S. 1 GO oder der Ausschluss eines Gemeinderatsmitglieds von einer Sitzung wegen persönlicher Beteiligung nach Art. 49 I GO.

Jura-Individuell-Tipp: Für den eigentlichen Prüfungsablauf ist eine Unterscheidung nach Inter- und Intraorganstreit nicht von Nöten, da die Prüfung in beiden Konstellationen genau gleich läuft. Der Begriff der Kommunalverfassungsstreitigkeit selbst wird nur bei der Prüfung der Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs nach § 40 VwGO relevant (Stichwort: „Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art“). Hier sammelt natürlich derjenige beim Korrektor ein dickes Plus, der nach Inter- und Intraorganstreit unterscheiden kann.

II. Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

Besonders prüfungsrelevante Probleme ergeben sich – wie bereits angesprochen – bei der Prüfung von kommunalverfassungsrechtlichen Streitigkeiten bei der Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs nach § 40 VwGO sowie der statthaften Klageart und der Klagebefugnis.

A. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs

In der Regel ist die Prüfung der Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs nach § 40 VwGO unproblematisch, da sich die streitentscheidenden Normen der GO entnehmen lassen und somit solche des öffentlichen Rechts sind. Auch ist die Streitigkeit in der Regel nicht verfassungsrechtlicher Art, da keine Verfassungsorgane unmittelbar über Verfassungsrecht streiten: Es streiten lediglich zwei kommunalrechtliche Organe um die Ausübung von kommunalem Organisationsrecht, vgl. VG Würzburg, Bay Vbl 1996, 377 ff. Somit ist kein Fall der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit gegeben.

B. Statthafte Klageart

Nach § 88 VwGO bestimmt sich die statthafte Klageart nach dem klägerischen Begehren. In Betracht kommen bei der Kommunalverfassungsstreitigkeit  die Anfechtungsklage, die allgemeine Leistungsklage mit kassatorischer Wirkung oder die allgemeine Feststellungsklage.

  1. Anfechtungsklage

Meist dreht es sich bei einer Kommunalverfassungsstreitigkeit um die Aufhebung einer Entscheidung nach der GO. Als statthafte Klageart kommt somit grundsätzlich die Anfechtungsklage nach § 42 I Alt. 1 GO in Betracht.

Voraussetzung hierfür ist das Vorliegen eines Verwaltungsaktes i.S.v. Art. 35 BayVwVfG. Dies ist jedoch bei einer kommunalen Rechtsstreitigkeit nicht immer ganz unproblematisch zu bejahen:

Art. 35 BayVwVfG erfordert die Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts mit unmittelbarer Rechtswirkung nach außen. Gerade diese Außenwirkung ist jedoch auf innerkommunaler Ebene oft nicht gegeben. Nach Ansicht des BayVGH ist diese nur ausnahmsweise dann anzunehmen, wenn die streitige Maßnahme oder Regelung nicht nur das Organ in seiner Organstellung, sondern auch die Person dahinter (sog. „Organwalter“) berührt ist. In diesem Fall sind dann nämlich nicht nur organschaftliche Rechte, sondern auch der Rechtskreis einer natürlichen Person betroffen. Die Wirkung tritt dann sozusagen „aus dem organschaftlichen Kreis heraus“.

Der BayVGH hat eine Außenwirkung nach diesen Grundsätzen nur in den Fällen der Verhängung von Ordnungsgeldern nach Art. 48 II, III GO sowie in den Fällen des Ausschlusses eines störenden Gemeinderatsmitglieds von der Sitzung nach Art. 53 I S. 2 GO bejaht, vgl. BayVGH Bay Vbl 1988, 16ff.  Nur in diesen Fällen ist somit die Anfechtungsklage die statthafte Klageart!

Jura Individuell-Tipp: Als kleine Gedächtnisstütze kann Art. 35 BayVwVfG über Art. 48 II und III, sowie Art. 53 I S. 2 GO notiert werden.

Mangels Vorliegen eines Verwaltungsaktes kann demnach in allen anderen Konstellationen nur die allgemeine Leistungsklage oder die Feststellungsklage statthaft sein.

2. Allgemeine Leistungsklage mit kassatorischer Wirkung

Die allgemeine Leistungsklage ist keine Gestaltungsklage, so dass mit ihr das Ziel der Aufhebung nicht erreicht werden kann. Es verbleibt somit in allen übrigen Fällen bei der Feststellungsklage dahingehend, dass die beanstandete Maßnahme/Regelung rechtswidrig war.

Problematisch ist, dass dies in der Regel dem eigentlichen klägerischen Begehren – nämlich der Aufhebung – nicht gerecht wird.

Um diesen Konflikt zu lösen, hat der BayVGH aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 IV GG die allgemeine Leistungsklage mit einer kassatorischer (= aufhebenden) Wirkung ausgestattet. Sollte sich diese Klage als begründet erweisen, so wird der Beklagte verpflichtet, die vom Gericht getroffene Entscheidung zu vollziehen. Genauso kann das Gericht die beanstandete Regelung selbst aufheben und die rechtmäßige Lage herstellen.

Nach diesen Grundsätzen des BayVGH ist folglich die allgemeine Leistungsklage mit kassatorischer Leistung dann die statthafte Klageart, wenn mangels Außenwirkung kein Verwaltungsakt vorliegt, das klägerische Begehren aber dennoch auf die Aufhebung kommunalen Handels gerichtet ist.

3. Feststellungsklage

Subsidiär zu Anfechtungs– und Leistungsklage mit kassatorischer Wirkung ist die Feststellungsklage nach § 43 I VwGO. Sie dient als „Auffangklage“, wenn sich das klägerische Begehren lediglich auf Feststellung bezieht. Beispielsweise wenn festgestellt werden soll, dass eine zwischenzeitlich erledigte kommunale Maßnahme rechtswidrig war.

Jura Individuell-Hinweis: Auf die Problematik des verschiedenen Klagearten sollte in der Klausur mit einer Kommunalverfassungsstreitigkeit grundsätzlich eingegangen werden. In der Abgrenzung wird regelmäßig ein Schwerpunkt der Bearbeitung liegen! Eine gute Arbeit zeichnet sich dadurch aus, dass man die Problematik erkennt, hinreichend darstellt und den Sachverhalt richtig subsumieren kann.

C. Klagebefugnis

Bei der Anfechtungsklage ergibt sich die Klagebefugnis nach § 42 II VwGO regelmäßig allein aus der Adressatentheorie.

Bei der allgemeinen Leistungsklage mit kassatorischer Wirkung und der Feststellungsklage ist § 42 II VwGO analog anzuwenden: Es muss zumindest möglich erscheinen, dass bestimmte „Organrechte“ verletzt sind, vgl. BayVGH BayVbl 1995, 662 ff. Beispiele hierfür sind Art. 36 S. 1, 48 I S. 1 und 2 GO.

D.  Übrige Sachentscheidungsvoraussetzungen, Passivlegitimation

Im Bezug auf alle übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen ergeben sich keine Besonderheiten. Bei einer Feststellungsklage ist insbesondere an das besondere Feststellungsinteresse zu denken.

Bezüglich der Passivlegitimation gilt das in Bayern übliche Rechtsträgerprinzip. Nach § 78 I Nr. 1 VwGO ist bei einer Kommunalverfassungsstreitigkeit somit die Klage stets gegen den Träger des handelnden Organs zu richten.

Jura Individuell-Hinweis: Besonders aufgepasst werden sollte, wenn in der Klausur der erste Bürgermeister gegen die Gemeinde klagt. Diese müsste sich im Prozess dann nach Art. 39 I GO vom zweiten Bürgermeister vertreten lassen, da sonst mit dem ersten Bürgermeister auf beiden Seiten die gleiche Person stehen würde!

 

 

 

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Das KAG – Kommunale Abgaben (Bayern)

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Sowohl im 1. als auch im 2. bayerischen Staatsexamen kann das KAG eine Rolle spielen. Es handelt es sich unter den Examenskandidaten um ein eher unbeliebtes Gebiet des öffentlichen Rechts. Im Folgenden wird das KAG dargestellt werden, um in Klausuren den notwendigen Überblick zu haben.

I. Einführung

Nach Art. 28 II 3 GG ist den Gemeinden die Selbstverwaltung gewährleist und umfasst auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung. Wesentlicher Inhalt  dieses gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts ist die Finanzhoheit. Von diesem Recht ist aber nicht mitumfasst, dass die Gemeinden selbst eigene Steuern neben den gesetzlichen erheben können. Gemäß Art. 105 IIa GG haben die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung über die örtlichen Verbrauchs- und Aufwandssteuern, solange und soweit sie nicht bundesgestzlich geregelten Steuern gleichrangig sind.  Nach Art. 106 VI GG steht das Aufkommen der örtlichen Verbrauchs- und Aufwandsteuern grundsätzlich den Gemeinden zu. Nach Art. 83 II 2 BV gewährleistet der Freistaat Bayern, unter Berücksichtigung der Finanzhoheit,  den Gemeinden einen eigenverantwortlichen Bereich, ihren Bedarf durch öffentliche Abgaben zu decken.  Das KAG enthält die Ausgestaltung dieses kommunalen Abgabenrechts. Nach Art. 3 I KAG ist den Gemeinden das Recht übertragen örtliche Verbrauchs- und Aufwandssteuern zu erheben.

Jura Individuell- Hinweis: In Klausuren ist zu beachten, dass das KAG selbst keine Rechtsgrundlage für einen Bescheid ist. Als Rechtsgrundlage kommt nur eine Satzung in Betracht. Das KAG ist Rechtsgrundlage für die Satzung, siehe Art. 2 I S. 1 KAG.

 

II. Kommunale Einnahmequellen

Als Grundlage für kommunale Abgaben können beispielsweise Erschließungsbeiträge (§§ 127 ff. BauGB), Verwaltungsgebühren ( Art. 1, 22 KAG), Abfallgebühren (Art. 7 II- IV BayAbfG) oder die Abgaben nach dem KAG aufgezählt werden. Die Gemeinden können darüber hinaus aber auch Einnahmen  aus dem Finanzausgleich oder Privateinnahmen wie Mieteinkünfte erzielen.

Im wesentlichen konzentrieren sich Examensklausuren im  Bereich der kommunalen Abgaben. Diese untergliedern sich in Steuern (Art. 3 I KAG), Beiträge ( Art. 5 a, 6, 7 KAG, §§ 127 ff. BauGB), Gebühren (Art. 8 KAG, Art. 1, 22 KAG) oder Abgaben sui generis.

III. Die kommunalen  Abgaben im Einzelnen

1. Steuern

a. Begriff

Der Steuerbegriff wird durch § 3 I 1 AO bestimmt. Danach sind Steuern Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und von einem öffentlich- rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen allen auferlegt werden können, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz eine Leistungspflicht knüpft ( bekannte KLausurbeispiele: Zweitwohnungssteuer, Hundesteuer).

Jura Individuell- Hinweis: Gem. Art. 13 KAG gilt § 3 I 1 AO auch im bayerischen Landesrecht.

b. Steuerfindungsrecht der Kommunen, Art. 3 I KAG

Als Steuerfindungsrecht bezeichnet man das Recht, neben den überlassenen, neue Steuern einzuführen und zu erheben ( siehe hierzu Knemayer, Bayerisches Kommunalrecht, 12. Auflage, Rn. 357). Nach Art. 3 I KAG können die Gemeinden für örtliche Verbrauchs- und Aufwandsteuer erheben (aber auch nur diese!), soweit diese nicht bundesrechtlich geregelten Steuern  gleichartig sind.  Art. 3 III S. 1 KAG enthält für bestimmte Steuern, wie beispielsweise eine Jagdsteuer, ein Erhebungsverbot.

Jura Individuell- Hinweis: Gem. Art. 62 II GO sind andere Abgaben wie Gebühren und Beiträge  vorrangig zu erheben.

 2. Beitrag

Beiträge werden zur Deckung des Aufwandes für öffentliche Einrichtungen der Kommunen von denjenigen erhoben, die durch ihre Schaffung  und die Möglichkeit der Inanspruchnahme regelmäßig einen besonderen Vorteil haben (vgl. BayVGH, BayVBl. 1977, S. 214). Ob die Leistung  tatsächlich in Anspruch genommen wird, ist aber für die Erhebung von Beiträgen nicht von Bedeutung (z. B. Erschließungsbeiträge für ein Grundstück unabhängig von der Bebauung).

3. Gebühren

a. Begriff

Gebühren sind Geldleistungen, die  vom Pflichtigen als Gegenleistung für eine von ihm veranlasste besondere Inanspruchnahme oder Leistung der Verwaltung verlangt werden (vgl. Knemayer, Bayerisches Verwaltungsrecht, 12. Auflage, Rn. 364). Ein Beispiel stellt die Benutzung einer gemeindlichen Schwimmhalle dar.

b. Benutzungs- und Verwaltungsgebühren

Bei den Gebühren ist zwischen den Benutzungsgebühren und Verwaltungsgebühren zu unterscheiden.

aa. Benutzungsgebühren, Art. 8 KAG

Gem. Art. 8 I 1 KAG können Gemeinden für die Benutzung ihrer öffentlichen Einrichtungen und ihres Eigentums Benutzungsgebühren erheben. Dabei sollen die Kosten der Gemeinde von den Gebühren gedeckt werden, Art. 8 II 1 KAG.

bb. Verwaltungsgebühren (oder Kosten)

Rechtsgrundlage für Verwaltungsgebühren stellt das bayerische Kostengesetz (Art. 1 KG) dar. Bei Verwaltungsgebühren handelt es sich um Entgelte für die Vornahme von Amtshandlungen. Diese werden dem Veranlasser auferlegt, Art. 2 I KG, (vgl. auch Knemayer, Bayerisches Kommunalrecht, 12. Auflage, Rn. 364).

Jura Individuell- Hinweis: Die Höhe der Kosten richtet sich nach dem jeweiligen Kostenverzeichnis. Als Beispiel kann das Polizeirecht herangezogen wereden, die Erhebung der Gebühren richtet sich nach der PolKV (Polizeikostenverordnung).

4. Abgaben eigener Art („sui generis)

Grundsätzlich gilt in der Klausur die Abgrenzung der einzelnen Begriffe sorgfältig vorzunehmen, da dies für die jeweilige Rechtsgrundlage entscheidend ist. Dennoch ist nicht alles unter einen der klassischen Abgabenbegriffe einzuordnen. Eine weitere Sammel- Untergruppe stellen daher die sogenannten Abgaben „sui generis“ dar. Insbesondere die Erstattung von Grundstücksanschlüssen nach Art. 9 KAG ist dieser Begrifflichkeit zuzuschreiben.

5. Sonstige Einnahmen

Zu den sonstigen Einnahmen zählen solche des Finanzausgleichs, Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung oder auch Zinsen.

III. Bemessung von Beiträgen und Gebühren

Bei der Bemessung hat eine Gemeinde gesetzlich geregelte Grundsätze zu beachten.

1. Kostendeckungsprinzip, Art. 8 II, III KAG

Das Kostendeckungsprinzip (Art. 8 II 1 KAG) besagt, dass die Höhe der Gebühren die Ausgaben decken sollen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass ein Gewinn gerade nicht erzielt werden soll. Was bei den Kosten angesetzt werden kann, ist in Art. 8 III KAG – nicht abschließend- geregelt.

2. Äquivalenzprinzip, Art. 5 I 1, II, III, Art. 8 IV KAG

Bei dem Äquivalenzprinzip handelt es sich  spezielle Ausgestaltung des  Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Demnach muss differenziert werden in welchem Umfang eine Benutzungstattfindet und dementsprechen die Abgabe auch angemessen ist. Je stärker eine Benutzung desto stärker kann der einzelne auch belastet werden. Nach Art. 2 I 2 KAG muss daher eine Bemessungsgrundlage bestimmt und mit einem entsprechenden Abgabensatz verbunden werden.

a. Wirklichkeitsmaßstab

Der Wirklichkeitsmaßstab  wird dort angewandt, wo das Verhältnis der anfallenden Kosten und auch das Maß der tatsächlichen Benutzung (z. B. Wasserzähler) allein schon eine gerechte Gebührenberechnung ermöglicht, vgl. Knemayer, Bayerisches Kommunalrecht, 12. Auflage, Rn. 369.

b. Wahrscheinlichkeitsmaßstab

Auf den Wahrscheinlichkeitsmaßstab kann immer dann zurückgegriffen werden, wenn ein Wirklichkeitsmaßstab  unmöglich oder  schwierig zu bestimmen ist. Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab muss aber, um dem Äquivalenzprinzip zu entsprechen, einen einigermaßen sicheren Schluss auf den Umfang der Benutzung zulassen ( BayVGH, BayVBl. 1972, S. 443).

IV. Klausurhinweise

Ein Abgabenbescheid stellt einen  Verwaltungsakt dar. Jedoch ergibt VA- Qualität nicht aus Art. 35 S. 1 BayVwVfG.  Vielmehr ergibt sich dies aus Art. 10 Nr. 1 KAG, 13 I Nr. 3b KAG, § 118 AO.

Damit ist statthafte Klageart gegen den Abgabenbescheid die Anfechtungsklage nach § 42 I Alt. 1 VwGO und nicht ein Einspruch gem. § 347 AO. Dies ergibt sich daraus, dass Artikel 13 I Nr. 4b KAG nicht auf § 347 AO verweist.

 

 

 

 

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Verfassungsbeschwerde Art. 4 GG – Prüfung

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Schächtungsfall

A. Sachverhalt

T ist türkischer Staatsbürger und Angehöriger der Religionsgemeinschaft R. Nach den Geboten der R dürfen ihre Anhänger nur geschächtetes Fleisch verzehren. Beim Schächten wird einem warmblütigen Tier ohne Betäubung die Halsschlagader und die Speiseröhre so durchtrennt, dass das Tier durch langsames ausbluten geschlachtet wird. Ein Mitglied der R ist bei dem Schächten immer anwesend. Dieses Mitglied ist dazu ausgebildet, die Einhaltung der religiösen und tiermedizinischen Vorschriften ordnungsgemäß zu überwachen. T ist in Deutschland geboren. Er betreibt eine Metzgerei, in der er auch geschächtetes Fleisch zum Verkauf anbietet. Das Schächten ist grundsätzlich gesetzlich gem. §§ 1, 4a I TierSchG verboten. § 4 a II Nr.2 TierSchG sieht aber die Möglichkeit einer Ausnahmegenehmigung in bestimmten Situationen aus religiösen Gründen vor. Eine Ausnahmegenehmigung wurde dem T bisher immer befristet erteilt. Diesmal lehnte die Behörde die Ausnahmegenehmigung jedoch ab. T nutzt das geschächtete Fleisch, um es Angehörigen der R zu verkaufen. Andere Metzgereien, deren Inhaber der Glaubensgemeinschaft G angehören, wurde die Genehmigung hingegen erteilt. Die Behörde verweist –objektiv zutreffend- darauf, dass ein eigeholtes Gutachten ergebe, dass die Glaubensgemeinschaft G ihren Mitgliedern zwingend vorschreibe, nur geschächtetes Fleisch zu verzehren. Bei der R sei dieses Gebot jedoch nicht zwingend gestaltet.

T fühlt sich in seinen Grundrechten verletzt. Nach Erschöpfung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsweges erhebt er gleich form- und fristgerecht Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht.

Erstellen Sie ein umfassendes Gutachten über die Erfolgsaussichten der Verfassungsbeschwerde des T.

B. Lösung

Die Verfassungsbeschwerde hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.

I. Zulässigkeit

1. Zuständigkeit des BVerfG

Die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich aus Art. 93 I Nr. 4a GG, §§ 13 Nr.8a, 90 I BVerfGG.

2. Beschwerdefähigkeit

a) Grundrechtsfähigkeit

Fraglich ist, ob T grundrechtsfähig ist. Unter Grundrechtsfähigkeit versteht man die Fähigkeit allgemein Träger von Grundrechten sein zu können. Die Grundrechtsfähigkeit entspricht der allgemeinen Rechtsfähigkeit, so dass sich T als natürliche Person auf die Grundrechte berufen kann.

b) Grundrechtsberechtigung

Von der Fähigkeit überhaupt Träger von Grundrechten zu sein, muss die Berechtigung sich auf ein bestimmtes Grundrecht berufen zu können unterschieden werden. Ausgangspunkt ist Art. 93 I Nr.4a GG, der es „jedermann“ gestattet Verfassungsbeschwerde zu erheben. Wer aber nun in Bezug auf das jeweilige Grundrecht „jedermann“ ist, bestimmt sich nach der Grundrechtsberechtigung. T kann sich als ausländischer Staatsbürger in Deutschland nicht auf Deutschengrundrechte, die ausschließlich deutschen Staatsbürgern vorbehalten sind, berufen. Vorliegend sieht sich T in den Grundrechten aus Art. 3, 4 und 12 GG verletzt. Auf Art. 3 und 4 GG dürfen sich nicht nur Deutsche, sondern auch alle ausländischen Staatsbürger berufen. Im Hinblick auf Art. 12 GG könnte sich aber etwas anderes ergeben. Bei Art. 12 GG handelt es sich gerade um ein Deutschengrundrecht, auf das sich ausländische Staatsangehörige nicht berufen können. T verfügt auch nicht über die Staatsangehörigkeit eines EU- Mitgliedstaates, so dass auch nach diesem Gesichtspunkt eine Berufung auf Art. 12 GG ausscheidet. Die Tatsache, dass T in Deutschland geboren wurde, ändert aufgrund des eindeutigen Wortlauts der Vorschrift, der allein auf die Staatsangehörigkeit abstellt, nichts. Damit ist eine Verletzung in Art. 12 GG nicht möglich.

Somit ist T hinsichtlich der Grundrechte aus Art. 3 und 4 GG beschwerdeberechtigt.

3. Prozessfähigkeit

Diese ist gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt. Sie ergibt sich aber aus anderen Verfahrensanordnungen, wie §§ 62 VwGO, 51 ZPO analog. T müsste fähig sein, Verfahrenshandlungen selbst oder durch einen selbst gewählten Vertreter vorzunehmen. T ist gem. §§ 2, 106 BGB geschäfts-, und damit auch prozessfähig.

4. Beschwerdegegenstand

Gegenstand der Beschwerde müsste ein Akt der öffentlichen Gewalt sein. Also ein Akt der Legislative, Judikative oder Exekutive. Die Behörde lehnt den Antrag des T auf eine Ausnahmegenehmigung ab. Damit liegt Exekutivhandeln vor. Zudem hat T den Rechtsweg erschöpft, so dass bereits ein letztinstanzliches Urteil vorliegt. Dieses und die Urteile der unteren Instanzen sind Akte der Judikative und bilden zusammen mit dem behördlichen Exekutivakt den Beschwerdegegenstand.

5. Beschwerdebefugnis

T müsste weiterhin behaupten, in einem seiner Grundrechte oder grundrechtsähnlichen Rechten verletzt zu sein. Dabei genügt die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung. T fühlt sich in seinen Rechten aus Art. 3 und 4 GG verletzt. Eine Verletzung der Religionsfreiheit durch die Genehmigungsversagung ist nicht von vornherein ausgeschlossen. Auch eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes ist angesichts der differenzierenden Genehmigungserteilung der Behörde möglich. T ist auch qualifiziert betroffen, was bedeutet, dass er Adressat der Maßnahme ist, die Rechtsbeeinträchtigung noch andauert und kein weiterer Vollzugsakt erforderlich ist. Damit ist er selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen.

6. Rechtswegerschöpfung

Die Verfassungsbeschwerde ist gem. Art. 94 II GG i.V.m. § 90 II BVerfGG nur gegen letztinstanzliche Entscheidungen zulässig. T hat laut Sachverhalt den verwaltungsgerichtlichen Rechtsweg erfolglos erschöpft.

7. Subsidiarität

Zu prüfen ist weiterhin, ob die Verfassungsbeschwerde subsidiär ist. Subsidiarität ist immer dann gegeben, wenn innerhalb einer Prozessordnung noch andere Verfahrensarten zur Verfügung stehen, die vorher durchgeführt werden können. Hier wurde, wie oben angeführt, der Rechtsweg im Hauptsacheverfahren aber bereits erschöpft, womit der vorläufige Rechtsschutz als weitere Verfahrensart nicht mehr in Frage kommt, da er schon vom Hauptsacheverfahren mit umfasst ist. Die VwGO stellt auch keine weiteren prozessualen Möglichkeiten zur Verfügung, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzungen zu erwirken, so dass die Verfassungsbeschwerde nicht subsidiär ist.

8. Zwischenergebnis

Im Ergebnis ist die Verfassungsbeschwerde des T bezüglich der gerügten Grundrechte aus Art. 3 und 4 GG zulässig.

II. Begründetheit

Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, wenn der VA den Beschwerdeführer in einem seiner Grundrechte verletzt. Dabei prüft das Bundesverfassungsgericht nur spezifisches Verfassungsrecht, da es keine Superrevisionsinstanz ist.

1.  Grundrecht auf Religionsfreiheit aus Art. 4 I GG

T könnte in seinem Grundrecht auf Religionsfreiheit aus Art. 4 I GG verletzt sein.

a) Schutzbereich

Dazu müssten sowohl der persönliche, wie auch der sachliche Schutzbereich eröffnet sein.

aa) Persönlicher Schutzbereich

Art. 4 I GG ist ein Jedermann-Grundrecht. T ist daher als natürliche Person Grundrechtsträger. Daran ändert auch seine türkische Staatsangehörigkeit nichts, da es sich wie oben bereits erläutert nicht um ein Deutschengrundrecht handelt. Der persönliche Schutzbereich ist damit eröffnet.

bb) Sachlicher Schutzbereich

Das Schächten als Gewinnungsmöglichkeit von koscherem Fleisch müsste den Schutzbereich der Religionsfreiheit betreffen. Bei der in Art. 4 I GG genannten Glaubens- und Gewissensfreiheit und dem religiösen und weltanschaulichen Bekenntnis, sowie bei dem in Art. 4 II GG genannten Recht der ungestörten Religionsausübung handelt es sich nach h.M. um ein einheitliches Grundrecht auf Glaubensfreiheit. Geschützt wird das Recht, einen Glauben zu bilden, zu haben, den Glauben zu bekennen, zu verbreiten und gemäß diesem Glauben zu handeln. Geschützt sind auch kultische Handlungen, rituelles Verhalten, sowie religiöse und weltanschauliche Feiern und Gebräuche. Fraglich ist, ob das Schächten von Tieren in diesen Schutzbereich fällt. Geschützt ist das Schächten wenn es im Rahmen religiöser Riten an Festtagen durchgeführt wird. Das Schächten selbst berührt aber nicht unmittelbar ein religiöses Gebot, da es sich dabei nicht um eine Opfergabe oder dergleichen handelt. Auch der Verzehr des Fleisches ist kein unmittelbar religiöser Akt. Außerhalb dieser Feierlichkeiten ist es aber höchst zweifelhaft es zu den kultischen Handlungen zu zählen. Es besteht lediglich ein funktionaler, mittelbarer Zusammenhang. Fraglich ist ob dies ausreicht. Interpretiert man den Schutzbereich extensiv besteht die Gefahr, dass dieser konturenlos wird. Eine Ansicht geht davon aus, dass mit Berücksichtigung der Gesetzessystematik die Notwendigkeit einer Einschränkung nicht schon bei der Bestimmung des Schutzbereichs, sondern erst bei der Anwendung der Schranken besteht. Dem kann aber nicht zugestimmt werden, da die Qualität der Schranken bei jedem Grundrecht unterschiedlich ausgestaltet ist. So ist das Grundrecht auf Religionsfreiheit vorbehaltlos gewährt und kann nur durch verfassungsimmanente Schranken begrenzt werden, die jedoch enorm hohe Voraussetzungen stellen. Damit ist das Argument der Begrenzung auf der Ebene der Rechtfertigung nicht haltbar. Zu fordern ist also im Rahmen des Schutzbereichs, dass es sich auch tatsächlich, nach geistigem Gehalt und äußerem Erscheinungsbild, um eine religiös motivierte Handlung handelt. Dafür spricht, dass das Anrufen Allahs beim Schächten der Tiere vorgeschrieben ist. Zudem erfolgt das Schächten allein aus religiösen Gründen. Die Schlachtmethode führt nicht zu einem unterschiedlichen Geschmack oder unterschiedlicher Konsistenz des Tierfleisches, sodass das spezielle Vorgehen eindeutig religiöser Motivation entspringt. Zudem muss mindestens ein Mitglied der Glaubensgemeinschaft beim Schächtvorgang anwesend sein um die Einhaltung der religiösen Vorschriften zu überwachen. Schließlich verbindet jeder gläubige Moslem den Verzehr des Fleisches unmittelbar mit seiner Glaubensrichtung, da es eben Wesensmerkmal des Islam ist, nur geschächtete Tiere zu verzehren. Somit fällt das Schächten in den Schutzbereich des Art. 4 GG.

b) Eingriff

Der Schutzbereich der individuellen Glaubensfreiheit ist betroffen, wenn der Staat die oben genannte geschützte Tätigkeit in irgendeiner Weise regelt oder faktisch in erheblicher Weise behindert. Durch die Verweigerung der Ausnahmegenehmigung nach § 4a II Nr. 2 TierSchG wird dem T das Schächten gänzlich untersagt. Dies stellt ohne weiteres einen Eingriff in seine Religionsfreiheit dar.

c) Rechtfertigung

Der Eingriff könnte aber womöglich gerechtfertigt sein. Dazu muss festgestellt werden, ob es sich um ein schrankenloses Grundrecht handelt bzw. ob im Falle der vorbehaltlosen Gewährung die Grundsätze der praktischen Konkordanz gewahrt wurden.

aa) Schrankenlos gewährtes Grundrecht

Möglicherweise bestehen Schranken, die der ungehinderten Religionsausübung entgegenstehen.

(a) Schrankenleihe

Art. 4 GG selbst ist ein vorbehaltlos gewährtes Grundrecht. Fraglich ist, ob nicht Schranken anderer Grundrechte hilfsweise übertragen werden können, um das Fehlen eines ausdrücklichen Gesetzesvorbehalts auszugleichen. Hier kämen die Schranken des Art. 2 I und Art. 5 II GG in Frage. Allerdings widerspricht eine solche Schrankenleihe dem eigenständigen Charakter der einzelnen Freiheitsrechte. Gerade die differenzierte Ausgestaltung der Grundrechtsschranken eines jeden Grundrechts spricht gegen eine solche Übertragung.

(b) Art. 136 WRV als Schranke der Religionsfreiheit

Fraglich ist, ob die Religionsfreiheit aus Art. 4 I, II GG durch Art. 136 WRV eingeschränkt werden kann. Es wird vertreten, dass Art. 136 I WRV wegen Art. 140 GG vollgültiges Verfassungsrecht ist, die Religionsfreiheit daher über Art. 136 I WRV der Schranke der allgemeinen Gesetze unterliegt. Demnach erklärt nur die Fortgeltung des Art. 136 I WRV die schrankenlose Ausgestaltung der Religionsfreiheit. Nach anderer Auffassung wird Art. 136 I WRV vollständig von der Religionsfreiheit in Art. 4 I und II GG überlagert. Entscheidend für die Beurteilung ist die historische Entwicklung dieser Normen. Ursprünglich war in Art. 135 WRV die allgemeine Religionsfreiheit für den Einzelnen geregelt. Diese stand gem. Art. 135 S. 3 WRV unter dem Vorbehalt der allgemeinen Gesetze. Art. 136 WRV hingegen erfüllte nicht die Funktion eines Gesetzesvorbehalts, zumindest nicht unabhängig von Art. 135 S. 3 WRV. Allerdings wurde nur Art. 136 WRV in das Grundgesetz aufgenommen,  Art. 135 WRV hingegen gerade nicht. Dies lässt den Schluss zu, dass der Gesetzgeber die Religionsfreiheit in Art. 4 I, II GG bewusst ohne jede Schranke ausgestalten wollte. Art. 136 I WRV ist damit keine geeignete Schranke.

bb) Verfassungsimmanente Schranke

Eine Einschränkung des vorbehaltlos gewährten Grundrechts auf Religionsfreiheit ist im Rahmen einer verfassungsimmanenten Schranke nur möglich, um einem anderen Grundrecht zur Entfaltung zu verhelfen. Nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz ist die Grenze an dem Punkt erreicht, an dem beide Grundrechte ihre größtmögliche Entfaltung und Wirksamkeit erreichen.

(a) Kollidierendes Verfassungsrecht

Dafür muss aber zunächst festgestellt werden, ob es im vorliegenden Fall überhaupt Verfassungsrecht gibt, das der Religionsfreiheit entgegenstehen könnte. In Betracht kommt hier der Tierschutz. Der Tierschutz könnte aus der Kompetenznorm des Art. 74 I Nr. 20 GG abgeleitet werden. Kompetenztitel genügen dazu aber alleine nicht. Kompetenzvorschriften dienen der Regelung der Zuständigkeit des Bundes- oder Landesgesetzgebers für bestimmte Gesetzesmaterien. Sie sind aber nicht in der Lage Grundrechte zu beschränken.

Die Stellung des Tierschutzes im Rahmen der Verfassung könnte sich aber durch die Grundgesetzänderung verbessert haben. Der Tierschutz wurde in Art. 20a GG als Staatszielbestimmung aufgenommen. Dies bedeutet, dass der Tierschutz als kollidierendes Verfassungsrecht verfassungsimmanente Schranke vorbehaltloser Grundrechte sein kann. Dies ist aber nicht unumstritten. Einige gehen davon aus, dass Grundrechte generell nicht durch Staatszielbestimmungen begrenzt werden können. Dazu hätte es eines Gesetzesvorbehalts in den einzelnen Grundrechtsnormen bedurft. So hätte Art. 4 und 5 III GG mit Gesetzesvorbehalten zugunsten des Tierschutzes versehen werden müssen. Weiter kann durch Staatszielbestimmungen kein Grundrechtseingriff erzwungen werden, da aus ihnen keine hinreichend konkrete Handlungspflicht erwächst. Damit wäre im Ergebnis Art. 20a GG mangels Kollisionslage praktisch nicht als kollidierende Verfassungsnorm zur Grundrechtseinschränkung geeignet. Dagegen spricht aber, dass der Grund für die Aufnahme des Tierschutzes als Staatszielbestimmung gerade war kollidierendes Verfassungsrecht zu schaffen, um  insbesondere die Religions- und Wissenschaftsfreiheit einschränken zu können. Die geschaffene Staatszielbestimmung soll dem Gebot eines sittlich verantworteten Umgangs des Menschen mit dem Tier Rechnung tragen. Sie begründet ausdrücklich die Verpflichtung, Tiere als Mitgeschöpfe zu achten und ihnen Leiden zu ersparen und ihre Lebensräume nicht zu zerstören. Somit kann die Staatszielbestimmung im Hinblick auf Grundrechte Beschränkungen von Grundrechten legitimieren, ohne dass dem Tierschutz ein genereller Vorrang zukäme.

(b) Vorbehalt des Gesetzes

Der Vorbehalt des Gesetzes ergibt sich sowohl aus dem Rechtstaats- wie auch aus dem Demokratieprinzip. Der Grundsatz des Gesetzesvorbehalts besagt, dass schwerwiegende Eingriffe des Staates einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedürfen. Dieses Erfordernis greift der Wesentlichkeitstheorie zufolge nur bei Eingriffen in Grundrechte und andere Verfassungsgüter. Vorliegend wird in die Religionsfreiheit des T aus Art. 4 I GG eingegriffen. Folglich muss ein Gesetz vorhanden sein, das eine Einschränkung dieses Grundrechts zulässt. In Frage kommt das Tierschutzgesetz, das in §§ 1, 4a I TierSchG das Töten von Tieren ohne Betäubung in Deutschland grundsätzlich verbietet. Als Parlamentsgesetz ist es damit geeignete Rechtsgrundlage für etwaige Grundrechtsbeschränkungen.

(c) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

Darüber hinaus müsste der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt worden sein. Der von der Behörde vorgenommene Eingriff, die Verweigerung der Ausnahmegenehmigung, müsste demnach verhältnismäßig sein.

 (aa) Erlaubter Zweck des Eingriffs

Der Zweck der von der Behörde untersagten Genehmigung lag darin, die Vorschriften des Tierschutzgesetzes einzuhalten. Der darin festgeschriebene Grundsatz des Verbots mit Erlaubnisvorbehalts sieht Genehmigungen zur Schächtung nur in Ausnahmefällen vor. Grundsätzlich steht aber der Tierschutz als oberstes Gebot im Vordergrund. Dem wollte die Behörde mit der Versagung nachkommen.

(bb) Erlaubtes Mittel zur Erreichung des Zwecks

Das Mittel in Form der Genehmigungsversagung hat seine Grundlage im TierSchG. Art. 4a II Nr. 2 TierSchG ermächtigt die Behörde Ausnahmebewilligungen zu erteilen oder zu versagen. Damit ist es erlaubtes Mittel.

(cc) Geeignetheit des Mittels

Das Mittel der Genehmigungsversagung ist geeignet den legitimen Zweck zu erreichen. T wäre es nicht mehr gestattet, Fleisch durch Schächtungen zu gewinnen.

(dd) Erforderlichkeit des Mittels

Weiterhin müsste das Verbot erforderlich gewesen sein. Dies ist dann der Fall, wenn keine milderen gleich geeigneten Mittel in Betracht kommen um den Zweck zu erreichen. Hier könnte man höchstens an eine Festsetzung einer bestimmten Höchstmenge an geschächtetem Fleisch denken. Allerdings stellt dies keine adäquate Alternativlösung dar. Ein milderes Mittel wie eine Untersagung der Tätigkeit ist nicht ersichtlich um dem Tierschutz ausreichend Rechnung zu tragen. Damit ist das von der Behörde ausgesprochene Verbot das mildeste Mittel und war somit erforderlich.

(ee) Angemessenheit

Das Verbot müsste darüber hinaus auch verhältnismäßig im engeren Sinne sein. Hier ist abzuwägen zwischen dem Rechtsgut, zu dessen Schutz der Eingriff durchgeführt wurde, mit dem Rechtsgut, das vom Eingriff betroffen ist.

Für einen Vorrang der Religionsfreiheit des T  könnte sprechen, dass sich das Schächtgebot unmittelbar aus dem Koran ergibt. Laut Sachverhalt schreibt der Religionsgemeinschaft R ihre Religion aber kein zwingendes Gebot vor nur geschächtetes Fleisch zu verzehren. Allerdings ist das Schächten eine jahrzehntelange Tradition, die das Bild des Islam und entsprechender Glaubensrichtungen prägt, sodass man nicht allein aus dem Nichtvorhandensein eines Zwanges auf die gänzliche Verzichtbarkeit dieses Rituals schließen kann. Im Mittelpunkt steht aber die Frage, inwieweit Tieren durch bestimmte Tötungsmethoden mehr oder weniger Leid zugefügt wird. Es ist strittig, ob Tiere durch das Schächten verglichen mit anderen Schlachtmethoden mehr Schmerzen und Qualen empfinden. Die Befürworter des Schächtens gehen von einem schlagartigen Abfall des Blutdrucks nach dem Schächtschnitt aus, der die Sauerstoffversorgung des Gehirns unterbindet. Dies führt zu einer raschen Bewusstlosigkeit des Tieres, das so keine nennenswerten Schmerzen mehr empfindet. Nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen ist dies aber höchst fragwürdig. Die Blutversorgung des Gehirns wird durch Gefäße im Bereich der Wirbelsäule und des Nackens sichergestellt. Aufzeichnungen von Schächtungen zufolge kann der Todeskampf der Tiere mehrere Minuten andauern, in denen das Tier Todesängste durchlebt. Die Leiden werden aber nicht nur durch den Schnitt selbst verursacht. Die Tiere werden schon im Vorfeld gewaltsam niedergeworfen und fixiert, wobei sie hier bereits häufig Knochenbrüche und Quetschungen erleiden. Um eine geeignete Position für die Durchführung des Schächtschnittes zu finden, wird der Hals des Tieres gewaltsam gedreht und gestreckt, was wiederum mit starken Schmerzen verbunden ist. Damit sind die Schächtungen mit erheblichen Qualen für die Tiere verbunden. Auch die Anwesenheit eines ausgebildeten Mitglieds der R, das die Einhaltung der tiermedizinischen Vorschriften überwacht vermag an der grundsätzlichen Problematik nichts zu ändern. Laut der Staatszielbestimmungen sollen gerade überflüssige Leiden vermieden werden, was durch eine Betäubung unproblematisch möglich wäre. Zudem ist anzumerken, dass ein betäubtes Tier in gleicher Weise ausblutet wie ein nicht betäubtes. Hiergegen wenden strenggläubige Muslimen ein, dass ein betäubtes Tier in ihrer Religion als tot gilt, der Verzehr also ein Verstoß gegen das Aas-Verbot im Koran wäre. Diese Auffassung ist aber nicht durchweg in den entsprechenden Religionen zu finden. Reformjuden praktizieren seit längerem das Schächten unter Betäubung und sehen darin auch keinen Widerspruch zu ihren religiösen Vorschriften. Viele islamische Geistliche befürworten die elektrische Betäubung oder die Betäubung mittels eines Schlachtschussapparates, sehen ebensowenig einen Verstoß gegen die Gebote des Korans. Zu berücksichtigen ist auch, dass es sich bei den Speisevorschriften lediglich um einen Randbereich der Religionsausübung handelt. So ist der Verzicht auf das Schächten nicht mit einem Verstoß gegen religiöse Pflichten verbunden. Somit kann auf die grundsätzliche Zulässigkeit einer Betäubung geschlossen werden, ohne in Konflikt mit religiösen Vorschriften zu geraten.

Befürworter des Schlachtens ohne Betäubung ziehen häufig eine Parallele zu den Jagdvorschriften des JagdG. Darin sind Tötungsmöglichkeiten von Wildtieren vorgesehen, die auch nicht mit Sicherheit eine sofortige, schnelle Tötung mit vorheriger Betäubung vorsehen. Allerdings sind nach Erhebung des Tierschutzes zur Staatszielbestimmung in Art. 20a GG viele Vorschriften des JagdG erneut abzuwägen und in Frage zu stellen. Selbst wenn man von einer Vergleichbarkeit der Situationen ausgeht kann nicht von einem tierschutzrechtlich fragwürdigen Zustand auf die Erlaubnis eines anderen geschlossen werden. Dieses Argument ist demzufolge haltlos.

Zu fragen ist auch, ob Alternativen für die Religionsgemeinschaften bestehen, auf die hilfsweise zurückgegriffen werden kann. Eine Ernährung von gänzlich fleischloser Kost ist in der modernen Gesellschaft ohne weiteres möglich und ist mit keinerlei gesundheitlichen Nachteilen verbunden. Es können Fischprodukte hinzugenommen werden, für die das Schächtgebot nicht gilt. Der Verzicht auf das Nahrungsmittel Fleisch stellt wohl auch keine unzumutbare Beschränkung der persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten dar. Sieht man das dennoch als einen nicht hinnehmbaren zu weitgehenden Verzicht an, so kann noch auf die Möglichkeit Importfleisch zu beziehen verwiesen werden. Bestehen mehrere aus religiöser Sicht gleichwertige Lösungsmöglichkeiten sollte zudem diejenige gewählt werden, die mit der verfassungsgemäßen Ordnung am ehesten kompatibel ist. Gem. §§ 1, 4a I TierSchG ist das Töten ohne Betäubung in Deutschland grundsätzlich verboten. Trotz der grundsätzlichen Entwicklungsoffenheit des Staates gegenüber religiösen Vorschriften ist zu fragen, ob nicht auch eine gewisse Rücksichtnahme auf bestehende staatliche Vorschriften genommen werden kann, zumindest solange diese nicht ein Verhalten abfordern, das mit Glaubensgeboten schlechthin unvereinbar ist. Insofern ist nochmals darauf zurückzukommen, dass die Religionsgemeinschaft R ihren Mitgliedern laut Gutachten kein zwingendes Gebot vorschreibt, nur geschächtetes Fleisch zu essen. Besteht hingegen ein Zwang aus religiöser Sicht ist die gesetzliche Lage gem. § 4a II Nr.2 TierSchG wohl eindeutig, wenn auch fragwürdig auf Seiten der Religionsfreiheit.

Im Ergebnis ist die Verweigerung der Genehmigung hier gerechtfertigt.

2. Grundrecht aus Art. 3 I GG

Weiterhin könnte eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes aus Art. 3 I GG vorliegen.

a) Ungleichbehandlung durch die Verweigerung der Ausnahmegenehmigung
aa) Ungleichbehandlung

Zunächst müsste eine Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem vorliegen. Eine Ungleichbehandlung, die einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung bedarf, ist gegeben, wenn eine Person in einer bestimmten Weise, durch Eingriff rechtlich anders als eine andere Person behandelt wird und diese unter einen gemeinsamen Oberbegriff gefasst werden können. T betreibt eine Metzgerei, in der er geschächtetes Fleisch zum Verkauf anbietet. Die Ausnahmegenehmigung die das Tierschutzgesetz für Schächtungen vorschreibt wird gewährt, wenn es Gläubigen zwingend vorgeschrieben ist nur diese Art von Fleisch zu essen. Nun wurde T die Genehmigung zum ersten Mal seit Jahren verweigert. Inhabern anderer Metzgereien wurde die Ausnahmegenehmigung jedoch erteilt. Demzufolge wurde wesentlich Gleiches ungleich behandelt.

bb) Sachlicher Differenzierungsgrund

Die Ungleichbehandlung könnte aber dadurch gerechtfertigt sein, dass der Verkauf an Mitglieder der Gemeinschaft G notwendig ist, da deren religiöse Vorschriften zwingend vorschreiben ausschließlich geschächtetes Fleisch zu essen. Wohingegen die Mitglieder der R nicht durch Glaubensvorschriften gezwungen sind nur diese Art von Fleisch zu verzehren. Wie oben bereits erläutert können Ausnahmegenehmigungen nur gerechtfertigt werden, wenn Religionsgemeinschaften durch ihren Glauben gezwungen sind geschächtetes Fleisch zu verzehren. Ist dies nicht der Fall, wie bei der R, so besteht ein sachlicher Grund für eine unterschiedliche Behandlung.

cc) Verhältnismäßigkeit

Da die Ungleichbehandlung hier auf einem personenbezogenen Grund beruht, müsste der Eingriff auch verhältnismäßig sein.

(a) Erlaubter Zweck

Mit der vorgenommenen Ungleichbehandlung soll dem unterschiedlichen Glaubensverständnis der Religionsgemeinschaften R und G Rechnung getragen werden. Schreiben zwingende Glaubensvorschriften die Einhaltung eines bestimmten Ritus vor, wie hier den Verzehr ausschließlich geschächteten Fleisches, so muss dies im Rahmen der Gesetze Berücksichtigung finden. Zudem soll die in der Verfassung verankerte Staatszielbestimmung des Tierschutzes in größtmöglichem Maße verwirklicht werden.

(b) Geeignetheit

Die Verweigerung eine Ausnahmegenehmigung an Metzger zu erteilen, die an Glaubensgemeinschaften verkaufen, für die der Verzehr geschächteten Fleisches nicht zwingend ist, dient der Verfolgung der oben genannten Ziele.

(c) Erforderlichkeit

Der Eingriff müsste ferner das mildeste von mehreren gleich geeigneten Mitteln sein. Fraglich ist, ob die Ungleichbehandlung der beiden Metzger nicht durch ein milderes Mittel als das gänzliche Schächtverbot hätte verwirklicht werden können. Allerdings muss auch hier wieder berücksichtigt werden, dass der Hauptgrund für die Ungleichbehandlung der Tierschutz ist. Zwar kann sich jeder Metzger auf seine Religionsfreiheit aus Art. 4 I GG berufen, jedoch müssen die tierschutzrechtlichen Aspekte stets einschränkend Beachtung finden. Da nur eine der Religionsgemeinschaften ohne geschächtetes Fleisch auskommen kann, muss der zuliefernde Metzger T eine Einschränkung seiner Religionsfreiheit zugunsten des Tierschutzes hinnehmen. Das Verbot war damit auch erforderlich.

 (d) Angemessenheit

Weitere Voraussetzung ist, dass das Verbot angemessen ist. Im Rahmen der Ungleichbehandlung steht das Grundrecht auf Religionsfreiheit des T aus Art. 4 I, II GG dem Grundrecht auf Religionsfreiheit derjenigen Metzger gegenüber, die eine Ausnahmegenehmigung erhielten. Beide Grundrechte müssen zu größtmöglicher Entfaltung gebracht werden. Eine Einschränkung des Grundrechts des T ergibt sich aber wieder aus oben dargestellter Erwägung, die auf die unterschiedlichen Glaubensinhalte und deren Verbindlichkeit für die Mitglieder abstellt. Gestützt wird diese Differenzierung durch die Vorschriften des Tierschutzes, die Genehmigungen für das Schächten nur in besonderen Ausnahmefällen zulassen. Damit fällt auch die Abwägung des Art. 20a GG mit der Religionsfreiheit des T zugunsten des Tierschutzes aus. Das Verbot ist deshalb angemessen.

dd) Ergebnis

Eine Ungleichbehandlung der Metzger ist aus diesen Gründen verhältnismäßig. Ein Verstoß gegen Art. 3 GG liegt nicht vor.

b) Ungleichbehandlung durch die Reglementierung der Schächtung als Schlachtmethode
aa) Ungleichbehandlung

Eine Ungleichbehandlung könnte auch darin gesehen werden, dass die Schächtung verboten ist, herkömmliche Schlachtmethoden mit Betäubung aber nicht. Damit werden die Tötungsarten ungleich behandelt.

bb) Rechtfertigung

Die Ungleichbehandlung müsste wiederum durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt sein. Das Maß der Qualen für ein Tier bei der Tötung ist ein sachlicher Unterscheidungsgrund. Zwar sind Tiere, mit und ohne Betäubung bestimmten Strapazen ausgesetzt, die Schächtung ist aber im Vergleich zur Tötung mit Betäubung mit erheblich höheren Qualen verbunden. Die Unterscheidung ist somit sachlich gerechtfertigt.

cc) Verhältnismäßigkeit

Fraglich ist, ob der Eingriff auch verhältnismäßig sein muss. Im Gegensatz zur Ungleichbehandlung in Bezug auf die Metzger liegt hier ein sachbezogener Differenzierungsgrund vor. Eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit ist deshalb nicht notwendig.

c) Ergebnis

Somit ist in keiner Hinsicht eine Verletzung des Gleichheitssatzes anzunehmen.

3. Grundrecht aus Art. 2 I GG

In beruflicher Hinsicht wird T durch Art. 2 I GG geschützt, da eine Berufung auf das Deutschengrundrecht aus Art. 12 I GG wie oben aufgezeigt versagt ist. Es könnte ein Verletzung der  allgemeinen Handlungsfreiheit des T  vorliegen.

Fraglich ist zunächst, ob der Schutzbereich eröffnet ist und ob ein Eingriff vorliegt.

a) Eingriff in den Schutzbereich

Von einem Eingriff in den Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit ist auszugehen, da T seinen Beruf nicht in gleicher Weise ausüben kann wie zuvor.

b) Rechtfertigung

Wie oben erklärt, ist § 4a II Nr. 2 TierSchG geeignete Ermächtigungsgrundlage. Die Vorschrift genügt auch den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Fraglich ist ob der Eingriff verhältnismäßig war.

aa) Legitimes Ziel

Der Eingriff verfolgt das Ziel die Tierschutzbestimmungen zu wahren.

bb) Geeignetheit

Die Verweigerung der Genehmigung ist auch geeignet dieses Ziel durchzusetzen.

cc) Erforderlichkeit

Fraglich ist, ob es ein milderes, gleich geeignetes Mittel gibt. Die Behörde könnte dem T möglicherweise eine Auflage erteilen, das geschächtete Fleisch ausschließlich an Glaubensgemeinschaften zu verkaufen, für die die Schächtung zwingendes Glaubensgebot ist. Allerdings kann das im Sinne des Tierschutzes keine Alternative sein, da die Schächtung von Tieren grausam und damit unvertretbar ist. Damit existiert kein milderes, gleich geeignetes Mittel.

dd) Angemessenheit

Das Verbot müsste auch angemessen sein. Abzuwägen ist die Staatszielbestimmung des Tierschutzes aus Art. 20a mit dem Grundrecht des T auf allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 I GG. Entscheidend ist, dass T seine Tätigkeit als Metzger weiterhin fortsetzen kann, da er neben dem geschächteten Fleisch auch noch Fleischprodukte verkauft, die durch herkömmliche Schlachtmethoden gewonnen werden. Damit ist er nicht in seiner Existenz als Metzger gefährdet, kann seinen Beruf also ungehindert weiter ausüben. Deshalb überwiegt in diesem Fall Art. 20a GG gegenüber der allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 I GG. Die Einschränkung der Berufsausübung ist damit aus Gründen des Tierschutzes gerechtfertigt.

T hat die Ausnahmegenehmigungen jedoch bisher immer erhalten. Daraus könnte ein schutzwürdiges Vertrauen erwachsen sein. Die Genehmigung muss aber jedes Jahr erneut erteilt werden. Daraus ergibt sich, dass jeder Einzelfall immer wieder neu überprüft und entschieden wird. Jeder Antragsteller muss damit rechnen, dass die Erteilung der Genehmigung verweigert werden kann. Ein Vertrauen auf die fortlaufende Genehmigung kann daher ausgeschlossen werden. Ein Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit des T ist daher ausgeschlossen.

4. Gesamtergebnis

Im Ergebnis ist T in keinem seiner Grundrechte verletzt. Die Verfassungsbeschwerde des T ist damit unbegründet.

C. Anmerkungen

Zur Ergänzung siehe auch den Klausurfall Schulgebet und den Beitrag über Praktische Konkordanz sowie Prüfungsschema zu Art. 14 I 1 GG, „Klausur zur Berufsfreiheit„,  „Caroline vonMonaco I

Vielen Dank, dass Sie diesen Beitrag gelesen haben. Wir hoffen, dass er Ihnen weiterhelfen oder zumindest Ihr Interesse wecken konnte. Hier finden Sie den Beitrag Verfassungsbeschwerde Art. 4 GG – Prüfung auf unserer Website Jura Individuell.


Klausur hinkender Austauschvertrag

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A. Sachverhalt

A ist Eigentümer eines Grundstücks im Gebiet der kreisfreien Stadt K. Er plant, auf diesem Grundstück ein kleines Kurhotel zu bauen. Das Grundstück des A liegt in unmittelbarer Nähe zu einem städtischen Park, in dem von der Stadt für jedermann frei zugängliche Anlagen zur Salzgewinnung (Salzsalinen) betrieben werden. A plant, mit der Nähe des Hotels zu diesen Salinen zu werben und erwartet, dass dies ein starker Anreiz für seine späteren Gäste sein wird, sein Hotel zu besuchen.

Unter Einreichung der entsprechenden Planungsunterlagen beantragt A bei dem Bauamt der Stadt K eine Baugenehmigung für sein Vorhaben. Obwohl das Bauvorhaben des A sämtliche Genehmigungsvoraussetzungen erfüllt, teilt das Bauamt dem A mit, es werde die Baugenehmigung nur dann erteilen, wenn der A 15.000.- Euro an die Stadt K zur Sanierung der im Stadtpark gelegenen Salinen zahle. Dies begründet die Stadt damit, dass eine Sanierung der Salinen dringend erforderlich sei und es der Stadt selbst an Geld hierfür fehle. Da der A aufgrund seines Vorhabens ein besonderes Interesse an dem Betrieb der Salinen habe, sei es gerechtfertigt, dass er die ansonsten nicht aufzubringenden Sanierungskosten zahle.

A geht wegen der Bedeutung der Salinen für sein Vorhaben auf das Verlagen der Stadt ein, obwohl er sich wundert, dass er für seine Baugenehmigung bezahlen muss. Er unterzeichnet eine mit „Öffentlich-rechtlicher-Vertrag“ überschriebene schriftliche Vereinbarung mit der Stadt, die folgenden Inhalt hat:

  1. A zahlt, als Ausgleich der für ihn durch den Betrieb der im Stadtpark gelegenen Salinen entstehenden Vorteile, einen Betrag in Höhe von 15.000.- Euro an die Stadt K
  2. Die Stadt K verwendet diesen Betrag für die erforderliche Sanierung der Salinen.

Nachdem A die 15.000.- Euro an die Stadt K gezahlt hat, erteilt diese die beantragte Baugenehmigung und saniert die Salinen. Etwa sechs Monate später erzählt A diese Geschichte seinem Freund R, einem Rechtsanwalt. Dieser rät ihm dringend, das Geld zurückzuverlangen, da der Vertrag null und nichtig sei. Die Stadt habe diese „Zwangsspende“ nicht fordern dürfen.

A erhebt daraufhin Klage gegen die Stadt K auf Rückzahlung der 15.000.- Euro beim zuständigen Verwaltungsgericht. Die Beklagte ist gegenüber der Klage der Auffassung, dass ein solches Begehr jedenfalls nicht mit dem Grundsatz von Treu und Glauben vereinbar sei. Außerdem habe sie das Geld bereits für die Sanierung der Salinen verwandt, welche sie aufgrund knapper Kassen ohne die Zahlung des A nicht vorgenommen hätte.

Hat die Klage des A Aussicht auf Erfolg ?

Bearbeitervermerk: Sollten Sie die Zulässigkeit der Klage verneinen, ist die Begründetheit in einem Hilfsgutachten zu erörtern.

B. Lösung

Die Klage hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.

I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs § 40 I S.1 VwGO

Voraussetzung ist zunächst, dass der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet ist. Dazu müsste eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vorliegen. A verlangt von der Stadt K Rückzahlung der 15.000.- Euro. Diese beruft sich hingegen auf die mit A geschlossene Vereinbarung als Rechtsgrund für das Behaltendürfen. Der Rückzahlungsanspruch könnte sich aus § 812 I S.1, 1.Alt. BGB ergeben, womit der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet wäre. Der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten wäre eröffnet, wenn der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch die Grundlage für die Rückzahlung bilden würde. Dies ist der Fall, wenn das dem Erstattungsanspruch zugrunde liegende Rechtsverhältnis dem öffentlichen Recht zuzuordnen wäre. Damit eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vorliegt, müsste es sich bei der Vereinbarung deshalb um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag i. S. d. §§ 54 ff. BayVwVfG handeln. Die Abgrenzung könnte anhand der Subordinationstheorie erfolgen. Auf der Basis vertraglicher Vereinbarungen besteht allerdings ein Gleichordnungsverhältnis, sodass nicht eindeutig von einer übergeordneten Position der Stadt gesprochen werden kann. Öffentliches Recht liegt aber immer dann vor, wenn die streitentscheidenden Vorschriften auf die Disziplinierung und Steuerung von Staatsgewalt gerichtet sind. Maßgeblich für die Abgrenzung des öffentlich-rechtlichen vom privatrechtlichen Vertrag ist damit der Gegenstand des Vertrages. A zahlt 15.000.- Euro an die Stadt, um im Gegenzug die Baugenehmigung für sein Vorhaben zu erhalten. Aus der vertraglichen Vereinbarung könnte aber auch geschlossen werden, dass es sich um eine privatrechtliche Einigung bezüglich der Nutzungsvorteile aus den Salinen handelt, deren Sanierung von A finanziert wird. In solchen Fällen sind der Zweck und der Gesamtcharakter des Vertrages entscheidend. A hat die Stadt aufgesucht, um eine Baugenehmigung zu erhalten. Da die Stadt aber nicht bereit war diese ohne Weiteres zu erteilen, kam es erst zu den Verhandlungen bezüglich der Finanzierung der Salinen. Die Baugenehmigung wurde aber weder ausdrücklich im Vertrag geregelt noch in irgendeiner Weise erwähnt. Nichtsdestotrotz ist die Baugenehmigung Geschäftsgrundlage der Vereinbarung. Diese ist dem öffentlichen Recht zuzuordnen, weil sich die Rechtmäßigkeit einer Baugenehmigung primär aus den Vorschriften der BayBO und dem BauGB ergibt. Sieht man die Baugenehmigung nun aber nicht als Vertragsbestandteil, kann darauf abgestellt werden, dass auch städtebauliche Sanierungsmaßnahmen nach den Vorschriften des BauGB geregelt werden, §§ 136 ff. BauGB. So regelt § 154 BauGB, dass Eigentümer im Sanierungsgebiet einen Ausgleichsbetrag in Geld zu entrichten haben, der der durch die Sanierung bedingten Erhöhung des Bodenwertes seines Grundstückes entspricht. Das Grundstück des A liegt hier zwar nicht im Sanierungsgebiet, jedoch kommen ihm die Vorteile der Sanierung zugute. Eine entsprechende Anwendung der Vorschrift kann damit nicht ausgeschlossen werden. Somit sind Vorschriften der BayBO und des BauGB streitentscheidend, sodass die Streitigkeit dem öffentlichen Recht zugeordnet werden muss. Dem Gesamtcharakter nach handelt es sich folglich um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag. Damit ist das dem Erstattungsanspruch zugrunde liegende Rechtsverhältnis als öffentlich-rechtlich einzuordnen, womit der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch die Grundlage für das Rückforderungsbegehren des A bildet und es sich somit um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit handelt.

Da die übrigen Voraussetzungen des § 40 I VwGO hier unproblematisch sind, ist der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet.

II. Zulässigkeit der Klage des A

1. Statthafte Klageart

Die statthafte Klageart richtet sich in erster Linie nach dem klägerischen Begehr gem. § 88 VwGO. A begehrt die Rückzahlung der von ihm an die Stadt K gezahlten 15.000.- Euro. Die Rückzahlung ist ein schlichtes Verwaltungshandeln ohne Regelungswirkung, sodass der Erlass eines VA ausscheidet. Statthaft ist somit die allgemeine Leistungsklage, die gesetzlich nicht gesondert geregelt wurde, aber in zahlreichen Vorschriften vorausgesetzt wird, so z. B. in § 43 II, 111, 113 IV, 156 VwGO.

2. Klagebefugnis

Um Popularklagen auszuschließen müsste A gem. § 42 II VwGO analog klagebefugt sein. Dazu müsste er geltend machen in subjektiv öffentlichen Rechten verletzt zu sein oder einen möglichen Anspruch auf die begehrte Handlung zu haben. Hier könnte A einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch haben. Eine rechtsgrundlose Vermögensverschiebung aufgrund nichtigen Vertrages ist jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen. A ist damit klagebefugt.

3. Beteiligten- und Prozessfähigkeit

A ist gem. § 61 Nr. 1 Alt 1 VwGO beteiligten-, und gem. § 62 I Nr. 1 VwGO prozessfähig. Die Beteiligtenfähigkeit der Stadt K ergibt sich aus § 61 Nr. 1 Alt. 2 VwGO. Sie wird gem. Art. 38 I BayGO von ihrem Oberbürgermeister vertreten und ist damit gem. § 62 III VwGO prozessfähig.

III. Begründetheit

Die Klage des A ist begründet, wenn er einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch auf Rückzahlung des Geldbetrages in Höhe von 15.000.- Euro gegen die Stadt K hat. Dann müsste die Zahlung Folge einer rechtsgrundlosen Vermögensverschiebung sein. Dies ist wiederum nur dann der Fall, wenn der geschlossene öffentlich-rechtliche Vertrag unwirksam ist.

1. Wirksamkeit des öffentlich-rechtlichen Vertrages

Eine Unwirksamkeit ergibt sich, wenn der Vertrag nicht wirksam zustandekommen, insgesamt nichtig oder hinsichtlich der streitigen Verpflichtung unverbindlich ist.

a) Wirksames Zustandekommen

Am wirksamen Vertragsschluss gem. § 62 S.2 BayVwVfG i.V.m. §§ 145 ff. BGB bestehen hier keine Zweifel. Sowohl die Stadt K als auch A haben durch übereinstimmende Willenserklärungen die Vereinbarung abgeschlossen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass A die Zahlung als Zwangsspende empfindet. Die Stadt hat A weder über den Sachverhalt getäuscht, noch eine Drohung ausgesprochen, sodass insofern nicht von Zwangsausübung gesprochen werden kann. A hat den Vertrag freiwillig und bewusst unterschrieben. Auch die Tatsache, dass die Stadt bei Nichtunterschreiben die Erteilung der Baugenehmigung versagt hätte, ändert an der Freiwilligkeit der Unterschrift nichts. Das Einsetzen dieses Druckmittels ist vielmehr eine Frage der Wirksamkeit, die im Folgenden noch zu diskutieren sein wird.

Im Übrigen sind auch die öffentlich-rechtlichen Voraussetzungen gem. §§ 57 ff. BayVwVfG eingehalten. Insbesondere wurde die von § 57 BayVwVfG geforderte Schriftform gewahrt. Die Zuständigkeit der Behörde für die Erteilung der Baugenehmigung ergibt sich aus Art. 53 I, 54 I BayBO, Art. 37 I 1 BayLKrO, Art. 9 I BayGO. Auch ist die Sanierung der Salinen Gemeindeaufgabe gem. Art. 140 BauGB. Insofern war sie auch zuständig für den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages, der dies zum Gegenstand hat.

b) Wirksamkeit des Vertrages

Nach § 54 I BayVwVfG darf die Behörde grundsätzlich durch öffentlich-rechtlichen Vertrag handeln, soweit nicht Rechtsvorschriften entgegenstehen. Damit bedarf es keiner besonderen Ermächtigungsgrundlage für das Vertragshandeln der Verwaltung. Fraglich ist, ob baurechtliche Genehmigungen durch Vertrag ausgesprochen werden können. Die baurechtlichen Gesetze sind jedoch auf VAs zugeschnitten. Eine Zulässigkeit ergibt sich nur dann, wenn die verwaltungsaktbezogenen Regelungen auch bei vertraglichem Handeln berücksichtigt werden. So bestimmt § 54 II BayVwVfG ausdrücklich, dass gerade auch anstatt eines VAs ein öffentlich-rechtlicher Vertrag geschlossen werden kann, was vorliegend auf die Baugenehmigung zutreffen würde. Vereinbarungen über Finanzierungen einzelner Projekte der Stadt können zweifelsfrei durch Vertrag geregelt werden.

Grundsätzlich liegt es im Wesen eines Vertrages, dass dessen Inhalt von den Parteien ausgehandelt wird. Insoweit kann sich hier nicht jede Einzelheit aus dem Gesetz ergeben. Das Prinzip des Vorbehalts des Gesetzes aus Art. 20 III GG kann in diesem Bereich damit nicht gelten. Der öffentlich-rechtliche Vertrag darf aber dennoch nicht gegen geltendes Recht verstoßen, der Vorrang des Gesetzes gilt deshalb uneingeschränkt.

Zu prüfen sind insbesondere die §§ 55 ff. BayVwVfG sowie Vorschriften des einschlägigen besonderen Verwaltungsrechts. In Betracht kommt ein Verstoß gegen § 56 BayVwVfG, welcher für den sog. Austauschvertrag besondere Rechtmäßigkeitsanforderungen stellt. Ein solcher Austauschvertrag liegt vor, wenn sich der Bürger im Hinblick auf eine Leistung der Verwaltung zu einer Gegenleistung verpflichtet. A ging die Zahlungsverpflichtung ein, um die Baugenehmigung für sein Bauvorhaben zu erhalten. Insoweit liegt ein Austauschverhältnis vor, was den Verhandlungen im Vorfeld des Vertragsschlusses entnommen werden kann. Im Vertrag selbst ist von der Baugenehmigung aber nicht mehr die Rede. In Nr. 1 des Vertrages verpflichtet sich A zur Zahlung von 15.000.- Euro, und zwar nicht um im Gegenzug die Baugenehmigung zu erhalten, sondern dem Wortlaut des Vertrages zufolge für die Vorteile, die ihm durch den Betrieb der Salinen entstehen. In Nr. 2 verpflichtet sich die Stadt diesen Betrag auch zur Sanierung dieser Salinen zu verwenden. Das was im Voraus besprochen wurde, wurde also nicht Vertragsinhalt. Fraglich ist, wie dieses Problem zu behandeln ist. Man spricht insofern von einem „hinkenden“ Austauschverhältnis. Als hinkende Austauschverträge werden solche Verträge bezeichnet, bei denen kein in sich geschlossenes Austauschverhältnis im Sinne eines Gegenseitigkeitsverhältnisses von Leistung und Gegenleistung vereinbart wurde, die Leistung der Gemeinde, d. h. die Erteilung der Baugenehmigung von den Vertragspartnern jedoch als Leistung angesprochen oder vorausgesetzt ist, ohne dass insofern ein Rechtsanspruch des Bürgers begründet wird. Selbst wenn im Rahmen der Vertragsgestaltung keine ausdrückliche Leistungspflicht der Gemeinde zur Erteilung der Genehmigung begründet ist, wird diese doch als Geschäftsgrundlage oder Bedingung der Vereinbarung vorausgesetzt. Denn A wird die Kosten letztlich nur übernehmen, wenn er im Anschluss sein Bauprojekt verwirklichen kann. Andernfalls könnte er auch die von der Gemeinde versprochenen Vorteile nicht nutzen.

Fraglich ist aber die Anwendbarkeit des § 56 BayVwVfG auf den hinkenden Austauschvertrag. Man könnte eine analoge Anwendung befürworten, wenn die Gegenleistung als Grundlage vorausgesetzt, aber nicht ausdrücklich in den Vertragstext übernommen wurde. Der in § 56 I 2 Alt 1 BayVwVfG normierte Angemessenheitsgrundsatz und das in § 56 I 2 Alt. 2 BayVwVfG normierte Erfordernis des sachlichen Zusammenhangs dient dem rechtsstaatlich gebotenen Schutz des Bürgers vor Beeinträchtigungen seiner Rechtsposition durch eigene Leistungsversprechen, zu denen er sich genötigt sieht, um von der Behörde bestimmte Gegenleistungen zu erhalten. Für diese Kriterien macht es keinen Unterschied, ob der Bürger nun einen einklagbaren Anspruch hat oder ob die Gegenleistung der Behörde als Geschäftsgrundlage vorausgesetzt wurde. In beiden Fällen lässt sich der Bürger auf eine Verpflichtung ein um etwas von der Behörde zu bekommen. In beiden Fällen besteht damit die Gefahr eines Machtmissbrauchs durch die Gemeinde, weil sie die Erteilung der Baugenehmigung von der Übernahme vertraglicher Verpflichtungen durch den Bürger abhängig machen könnte. Damit sind die Erfordernisse des Sachzusammenhangs und der Angemessenheit aufgrund vergleichbarer Interessenlage und Regelungslücke auch auf nicht einklagbare, aber als Geschäftsgrundlage vorausgesetzte Verpflichtungen anzuwenden.

Weitere Voraussetzung ist, dass es sich um einen subordinationsrechtlichen Vertrag gem. § 54 S.2 BayVwVfG handelt. Dies sind Verträge, denen ein Über- und Unterordnungsverhältnis zugrunde liegt. Davon zu unterscheiden sind koordinationsrechtliche Verträge, bei denen die Parteien in einem gleichrangigen Verhältnis stehen. Darunter fallen beispielsweise Verträge zwischen Gemeinden, Landkreisen oder Universitäten. Die Unterscheidung dieser beiden Vertragstypen ist deshalb wichtig, weil viele Vorschriften, wie §§ 55, 56, 59 II und 61 BayVwVfG auf § 54 S. 2 BayVwVfG Bezug nehmen und damit nur für subordinationsrechtliche Verträge gelten. Im vorliegenden Fall spricht die Planungshoheit der Gemeinde bzgl. der Erteilung von Baugenehmigungen für einen solchen subordinationsrechtlichen Vertrag. Das präventive Bauverbot kann nur durch die Erteilung einer Baugenehmigung beseitigt werden. Damit ist der Bauherr auf das Tätigwerden der Behörde angewiesen. In einzelnen Fällen kann sich dieses Machtgefälle umkehren, wenn ein finanzkräftiger Investor der Gemeinde ein Projekt vorschlägt, das sie aufgrund leerer Haushaltskassen nicht selbst realisieren kann und sie somit auf die Investitionen angewiesen ist. In der Regel besteht jedoch das Machtgefälle zugunsten der Gemeinde. Zwar investiert A 15.000.- Euro, deshalb ist er aber noch lange nicht in der Lage Druck auf die Gemeinde auszuüben. Er handelt vielmehr im Glauben andernfalls keine Baugenehmigung zu erhalten. Der vorliegenden Vertragsgestaltung ist damit der subordinationsrechtliche Charakter immanent.

Inhaltlich rechtmäßig ist ein subordinationsrechtlicher Austauschvertrag aber nur, wenn die Gegenleistung des Bürgers im Vertrag ausdrücklich für einen konkret bestimmten Zweck vereinbart wird und der Behörde zur Erfüllung ihrer öffentliche Aufgaben dient (§ 56 I 1 BayVwVfG). Diese Voraussetzungen sind erfüllt, denn die Zahlung des A dient laut Vereinbarung der Sanierung der Salinen und gleichzeitig stellt die Sanierung auch eine öffentliche Aufgabe dar.

Darüber hinaus muss die Gegenleistung aber auch angemessen sein und im sachlichen Zusammenhang mit der Leistung der Behörde stehen. Problematisch ist hier der sachliche Zusammenhang zwischen Leistung und Gegenleistung. Das Koppelungsverbot soll verhindern, dass hoheitliche Rechte ohne Weiteres verkauft werden können. Bei Geldleistungen ist ein sachlicher Zusammenhang immer dann gegeben, wenn die Zahlung eine Art Aufwendungsersatz für die Ausgaben der Gemeinde ist, die ihr im Zusammenhang mit der Leistung an den Bürger entstehen. Hier soll die Zahlung zur Sanierung der Salinen verwendet werden. A ist an den Vorteilen, die die Salinen für sein Bauvorhaben bringen, interessiert. Soweit stünde die Zahlung schon in Zusammenhang mit der Leistung der Gemeinde. Im Hinblick auf die Erteilung der Baugenehmigung besteht jedoch überhaupt kein sachlicher Zusammenhang. Die Genehmigung kann ohne weiteres erteilt werden. Eine darüberhinausgehende Zahlung dient nicht der Umsetzung oder Ermöglichung des Bauvorhabens. Damit liegt ein Verstoß gegen § 56 I 2 BayVwVfG vor. Somit wäre der Vertrag gem. § 58 II Nr. 4 bayVwVfG nichtig.

-Hilfsgutachten: Annahme sachlicher Zusammenhang und Angemessenheit liegen vor-

Es könnte aber ein Verstoß gegen § 56 II BayVwVfG vorliegen. Die Gegenleistung könnte unzulässig sein, wenn auf sie ein gebundener Anspruch bestünde. Gem. Art. 68 I BayBO ist die Gemeinde verpflichtet die beantragte Baugenehmigung zu erteilen, falls die einschlägigen Voraussetzungen vorliegen. Ihr steht insofern kein Ermessensspielraum zu. Eine solche Gegenleistung kann also nur vereinbart werden, wenn sie bei Erlass eines VA Inhalt einer Nebenbestimmung i. S. d. § 36 BayVwVfG sein könnte. Nebenbestimmungen können erlassen werden wenn dies durch Rechtsvorschrift zugelassen ist oder wenn sie sicherstellen sollen, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des VA erfüllt werden. Die Verpflichtung einen bestimmten Geldbetrag zur Finanzierung eines von der Baugenehmigung unabhängigen Projekts zu zahlen kann nicht Inhalt einer Nebenbestimmung sein. Eine einschlägige Rechtsvorschrift existiert nicht. Auch kann kein Zusammenhang zur Baugenehmigung festgestellt werden, der eine derartige Nebenbestimmung rechtfertigen könnte. Wie schon erwähnt kann gem. § 140 BauGB von Grundstückseigentümern ein Geldbetrag für die ihnen durch Sanierungsmaßnahmen entstehenden Vorteile verlangt werden. Dieser Fall ist aber nicht mit dem vorliegenden vergleichbar, da das Grundstück nicht im Sanierungsgebiet liegt. Es kann zwar vertraglich vereinbart werden, dass A einen Geldbetrag für die Vorteile der Sanierung zahlt, jedoch kann dies nicht von der Erteilung einer Baugenehmigung abhängig gemacht werden. Es handelt sich hier auch nicht um einen von der Gemeinde zu gewährenden Dispens i. S. d. § 31 II BauGB, bei dem aufgrund des bestehenden Ermessens andere Kriterien erwogen werden müssten, da das Vorhaben vollumfänglich mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften übereinstimmt. Damit liegt ein Verstoß gegen § 56 II BayVwVfG vor, was zur Nichtigkeit des gesamten Vertrages nach § 59 II Nr. 4 BayVwVfG führt.

Im Ergebnis ist der öffentlich-rechtliche Vertrag damit unwirksam, woraus sich ein Anspruch des A auf Rückzahlung des Geldbetrages ergibt.

c.) Wegfall der Bereicherung

Problematisch ist, dass die Gemeinde das Geld bereits für die Sanierungsmaßnahmen ausgegeben hat, was sie aber aufgrund knapper Kassen ohne die Zahlung des A nicht getan hätte. Fraglich ist also, ob sie insofern entreichert ist. Der Wegfall der Bereicherung richtet sich im öffentlichen Recht nach öffentlich-rechtlichen Grundsätzen und damit nach dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Damit ist eine Orientierung am Rechtsgedanken des § 48 II BayVwVfG möglich. Diese Vorschrift schützt aber ausdrücklich nur das Vertrauen des Bürgers. Allerdings wäre es sinnwidrig würde man auch dem Staat Vertrauensschutz zubilligen. Es verbleibt hier beim Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Auch eine Berufung der Stadt auf den Grundsatz von Treu und Glauben kann aus oben genannten Gründen nicht zu einem anderen Ergebnis führen. Schließlich wusste die Stadt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, dass ihr Vorgehen wohl den gesetzlichen Rahmen verlässt. Eine Schutzwürdigkeit ist nicht ersichtlich. Letztlich kann sich die Stadt K nicht auf Entreicherung berufen, sie muss gesetzestreu zurückzahlen.

Die Klage des A ist begründet. Er hat Anspruch auf Rückzahlung der 15.000.- Euro.

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Klausur Austauschvertrag nach § 56 VwVfG

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Grundstück im Grünen

A. Sachverhalt

Eine Anstalt des öffentlichen Rechts erwirbt von der Stadt S aus Anlass der Verlagerung ihres Verwaltungsgebäudes aus dem Stadtzentrum ein Grundstück durch notariell beurkundeten Kaufvertrag aus dem Jahre 2014. In diesem Kaufvertrag heißt es u.a.:

„Die Stadt verpflichtet sich, den örtlich vorhandenen Feldweg an der Westseite des Geländes der Anstalt nicht als Straße auszubauen und die an dieser Stelle im Bebauungsplan festgesetzte „öffentliche Grünfläche“ beizubehalten“.

Der Kaufvertrag war dem Liegenschaftsausschuss, dem Planungsausschuss und dem Rat der Stadt zur Kenntnis gebracht und von ihm gebilligt worden. Die der Westseite der Anstalt vorgelagerte Fläche war im Bebauungsplan der Stadt zur Zeit des Vertragsschlusses als öffentliche Grünfläche festgesetzt.

Nach Vertragsabschluss nahmen in der näheren und weiteren Umgebung der Anstalt Bebauung und Verkehr zu. Diese Entwicklung machte die Anlegung einer Straße notwendig, für die sich das Gelände zu der Westseite der Anstalt geradezu anbot, weil alle anderen Straßenzuführungen Wohngebiete unmittelbar berührten.

Der Rat der Stadt erwog Anfang 2016, den Bebauungsplan zu ändern und die bisher als öffentliche Grünfläche ausgewiesene Fläche als Verkehrsfläche festzusetzen. Der Rat beschloss, einen entsprechenden Bebauungsplan aufzustellen.

Daraufhin klagte die Anstalt, nach vergeblichen Versuchen bei der Stadt eine verbindliche Erklärung über die künftige Planung zu erhalten, vor dem zuständigen Verwaltungsgericht und begehrt unter Berufung auf den mit der Stadt abgeschlossenen Vertrag die Feststellung, die Stadt sei verpflichtet, im Rahmen ihrer Bauleitplanung die Grünfläche westlich ihres Gebäudes weiterhin als öffentliche Grünfläche auszuweisen.

Die Stadt macht geltend, bei dem Vertrag aus dem Jahre 2014 handele es sich um einen privatrechtlichen Vertrag, die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtsweges sei nicht gegeben. Eine Gemeinde könne sich nicht dazu verpflichten, eine Rechtsnorm zu setzen oder nicht aufzuheben bzw. nicht zu ändern, zumal das Verfahren zur Aufstellung und Änderung eines Bebauungsplanes dadurch umgangen werde. Außerdem sei es ein nicht vertretbarer Eingriff in ihre Planungshoheit, wenn sie über Jahre trotz Änderung der Bebauung und der Verkehrsentwicklung vertraglich verpflichtet sei, einen bestimmten Bebauungsplan nicht zu ändern.

Die Stadt erbittet ein Gutachten über die Zulässigkeit und Begründetheit der Klage.

B. Lösung

Die Klage hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.

I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs

Voraussetzung ist, dass der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten gem. § 40 I S.1 VwGO eröffnet ist. Nach der Subordinationstheorie wäre das der Fall, wenn zwischen den Parteien ein Über-Unterordnungsverhältnis bestehen würde. Allerdings finden Vertragsverhandlungen auf der Ebene der Gleichordnung statt, sodass die Anwendung dieser Theorie im vertraglichen Bereich ausscheidet. Die Anstalt des öffentlichen Rechts beruft sich auf einen vertraglichen Anspruch. Zu prüfen ist demnach die Rechtsnatur der zwischen der Anstalt und der Stadt S getroffenen Vereinbarung. Es handelt sich um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag gem. § 54 S. 1 VwVfG, wenn der Gegenstand der Vereinbarung in der Begründung, Änderung oder Aufhebung eines öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses läge. Abzustellen ist auf den Zweck der Leistungsverpflichtung und auf den Gesamtcharakter des Vertrages. Die Anstalt schließt mit der Stadt einen Kaufvertrag über ein Grundstück. Kaufverträge werden aber auch zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts nach Vorschriften des Privatrechts geschlossen, namentlich nach den §§ 433 ff. BGB. Allerdings betrifft der Kaufvertrag nicht nur den An- bzw. Verkauf des Grundstücks, daneben wird eine Vereinbarung getroffen, in der sich die Stadt verpflichtet, den Feldweg nicht als Straße auszubauen und die öffentliche Grünfläche beizubehalten. Damit werden Regelungen getroffen, die dem Baurecht unterfallen. Bebauungsplan und bauliche Angelegenheiten werden von der BayBO und dem BauGB geregelt. Aufgrund der Verknüpfung mit dem Städtebaurecht handelt es sich um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag. Es liegt auch keine verfassungsrechtliche Streitigkeit vor. Anderweitige Rechtswegzuweisungen sind nicht ersichtlich.

II. Zulässigkeit

Die Klage müßte zulässig sein.

1. Statthafte Klageart

Die Anstalt begehrt die Feststellung, dass die Stadt verpflichtet ist die Grünfläche an der Westseite des Gebäudes weiterhin als öffentliche Grünfläche auszuweisen. Daher könnte eine Feststellungsklage nach § 43 I VwGO statthaft sein. Damit kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden. Die Anstalt möchte über die Wirksamkeit des Vertrages Gewissheit. Der öffentlich-rechtliche Vertrag ist ein Rechtsverhältnis und kann somit Gegenstand einer Feststellungsklage sein. Statthafte Klageart ist mithin die Feststellungsklage nach § 43 I VwGO.

2. Klagebefugnis

Die Anstalt müsste gem. § 42 II VwGO analog klagebefugt sein. Eine Klagebefugnis ergibt sich aus dem möglichen Anspruch aus dem zwischen ihr und der Stadt S geschlossenen Vertrag.

3.  Feststellungsinteresse

Ein Feststellungsinteresse ergibt sich aus der fortdauernden Beeinträchtigung, die die Anstalt aufgrund des Handelns der Stadt erleidet.

4. Rechtsschutzbedürfnis

Möglicherweise ist die Feststellungsklage gem. § 43 II VwGO subsidiär. Vorrangig muss der Kläger seine Ziele mit Gestaltungs- oder Leistungsklage geltend machen, so § 43 II VwGO. Unter Gestaltungsklage verstehen die Rspr. und Lit. übereinstimmend die Anfechtungsklage. Allerdings ist umstritten, ob unter Leistungsklage die Verpflichtungsklage und die allgemeine Leistungsklage zu verstehen sind oder nur die Verpflichtungsklage allein. Die Rechtsprechung wendet die Subsidiaritätsklausel nicht im Verhältnis Feststellungsklage zu allgemeiner Leistungsklage an. Vielmehr müsse § 43 II VwGO teleologisch auf Anfechtungs– und Verpflichtungsklagen reduziert werden. Weder bei Feststellungs-, noch bei allg. Leistungsklage sind Zulässigkeitsvoraussetzungen wie Frist und Vorverfahren einzuhalten, die eventuell umgangen werden könnten. Des Weiteren ist die Rechtsschutzintensität bei allg. Leistungs- und Feststellungsklage identisch, da aufgrund der Rechtsbindung der Verwaltung nach Art. 20 III GG davon ausgegangen werden kann, dass sich die Behörden an ein Feststellungsurteil halten und ein vollstreckbarer Titel damit entbehrlich ist.

Die Literatur hingegen sieht die Zulässigkeitsvoraussetzungen nur gesichert, wenn auch die allg. Leistungsklage von der Subsidiarität erfasst wird. Auch muss stets der rechtsschutzintensiveren Klage der Vorrang zukommen. Im Ergebnis liefert aber die Rechtsprechung die überzeugenderen Argumente, weshalb dem Kläger ein Wahlrecht zwischen allg. Leistungsklage und Feststellungsklage zukommt. Folglich ist hier die Feststellungsklage die statthafte Klageart. Die Subsidiarität entfällt im Verhältnis zur allg. Leistungsklage.

III. Begründetheit

Die Klage der Anstalt wäre begründet, wenn der öffentlich-rechtliche Vertrag wirksam wäre und sie damit die Einhaltung der Vereinbarung verlangen könnte.

1. Passivlegitimation

Die Stadt S ist gm. § 78 I Nr.1 VwGO passivlegitimiert.

2. Wirksamkeit des Vertrages

Zu prüfen sind die Vorschriften der §§ 54 ff. VwVfG. Hier könnte es sich um einen Austauschvertrag nach § 56 handeln. Die Anstalt hat das Grundstück von der Stadt gekauft und hat im Gegenzug die Verpflichtung der Gemeinde erhalten die Grünfläche beizubehalten und den Feldweg zu belassen. Fraglich ist aber, ob sich die Gemeinde dazu überhaupt verpflichten kann. In Betracht kommt die Nichtigkeit des subordinationsrechtlichen Vertrages nach § 59 I VwVfG, wenn sich die Nichtigkeit aus der entsprechenden Anwendung von Vorschriften des BGB ergibt. Hier möglicherweise wegen eines Verstoßes gegen § 134 BGB.

Gem. § 1 III 2 BauGB kann ein Anspruch auf Aufstellung von Bauleitplänen nicht durch Vertrag begründet werden. Daraus kann gefolgert werden, dass Verträge, in denen sich Gemeinden zur Aufstellung, Änderung, Ergänzung oder Aufhebung von Bauleitplänen verpflichten, wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nichtig sind, § 134 BGB. Dieses Verbot ergibt sich aber nicht aus § 1 III 2 BauGB selbst, sondern aus der Umgehung der für die Bauleitplanung maßgeblichen Verfahrensvorschriften, insbesondere des in § 1 VII BauGB enthaltenen Abwägungsgebotes.

Gegen eine verbindliche Festsetzung einer öffentlichen Grünfläche und der Unabänderlichkeit des Feldweges spricht, dass eine Festsetzung von Verkehrsflächen an anderer Stelle im Plangebiet eine erneute Abwägung öffentlicher und privater Belange erfordern kann. So ist es auch vorliegend. In der näheren und weiteren Umgebung der Anstalt haben Bebauung und Verkehr zugenommen. Somit sind erneute Abwägungen vorzunehmen, die aber aufgrund der vertraglichen Verpflichtungen erheblich eingeschränkt wären und sogar die erforderliche Überplanung privater Flächen unmöglich machen würden.

Insbesondere fehlt aber die Beteiligung der Öffentlichkeit, die nach § 3 BauGB zwingend erforderlich ist, sowie die Beteiligung der Träger öffentlicher Belange nach § 4 BauGB, die ebenso umgangen würde. Die zwingende Öffentlichkeitsbeteiligung verlangt nicht zuletzt das Grundrecht auf Eigentum aus Art. 14 I GG. Durch privatrechtliche Verträge würden die Verfahrensvorschriften des BauGB nachhaltig unterlaufen.

Problematisch ist die vertragliche Einigung auch im Hinblick auf die Planungshoheit der Gemeinde. Diese ist den Gemeinden verfassungsrechtlich garantiert. Sie zählt zur umfassenden Gemeindehoheit und bildet einen wichtigen Gewährleistungsbestandteil der kommunalen Selbstverwaltung. Die Gemeinden sind unter keinen Umständen berechtigt, die ihnen von Art. 28 II GG garantierten Hoheitsrechte, hier die Planungshoheit zu verkaufen. Auch wenn dies nur einzelne Teilbereiche des Bebauungsplanes betrifft, werden Hoheitsrechte teilweise aufgegeben. Verpflichten sich Gemeinden zu einem bauplanungsrechtlichen Tun oder Unterlassen sind diese Verträge nichtig. Dies führt gem. § 139 BGB zur Gesamtnichtigkeit des Vertrages, da der Grundstückserwerber den Vertrag mit der Gemeinde nur wegen der Verpflichtung zu einer bestimmten Bauleitplanung geschlossen hat.

Im Ergebnis ist der Vertrag zwischen der Anstalt und der Stadt nichtig. Die Klage der Anstalt damit unbegründet.

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Staatshaftung Fälle – Abschleppen

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Im Folgenden werden die wichtigsten Fall-Varianten aufgeführt, welche im Rahmen einer Klausur zu den Abschleppfällen vorkommen können. Zu jeder Fallvariante werden die gängigsten Anspruchsgrundlagen, welche dabei zwischen Bürger und Staat entstehen können, aufgeführt.

I. Ansprüche des Bürgers gegen den Staat

Fall 1: Fahrzeug wird beim Abschleppvorgang beschädigt.

Anspruchsgrundlagen

a) Folgenbeseitigungsanspruch aus Art. 20 III GG i.V.m. Gewohnheitsrecht (Wiederherstellung)

Voraussetzungen sind:

1. Rechtswidriger Zustand (Erfolgsunrecht)

2. hoheitlicher Eingriff in subjektiv-öffentliches Recht

3. Andauern des rechtswidrigen Zustandes

4. Kein Anspruchsausschluss

5. Mitverschulden § 254 BGB analog

In den Abschleppfällen wird der Anspruch aber in der Regel an der Unzumutbarkeit der Wiederherstellung scheitern. In diesen Fällen ist auf die Ansprüche auf Geldentschädigung zurückzugreifen.

Ausnahme: Hat die Polizei oder das Abschleppunternehmen eine eigene Werkstatt, in der die Reparatur erfolgen kann, so ist die Wiederherstellung zumutbar und der FBA damit gegeben.

b) Anspruch aus Amtshaftung gem. § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG (Schadensersatz)

Voraussetzungen sind:

1. Beamter im funktionalen Sinn bzw. „Jemand“

2. in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes (hoheitlich)

P: Private, die nicht Beliehene sind, führen Aufgaben der öffentlichen Verwaltung aus.

Grundsätzlich wird die Rechtsnatur des Handelns mithilfe der Subjektstheorie ermittelt. In diesem Fall ist jedoch die Werkzeugtheorie zur Abgrenzung heranzuziehen. Je nach Grad und Intensität der Weisungsgebundenheit erfolgt die Zuordnung des Handelns zum Privatrecht oder öffentlichen Recht.

a.) Argumente gegen das Vorliegen einer Amtsausübung:

aa.) Das hoheitliche Ziel der Maßnahme lässt noch keinen Rückschluss darauf zu, dass auch das zur Zielerreichung eingesetzte Mittel hoheitlichen Charakter haben muss.

bb.) Entscheidend ist die von der Behörde gewählte Rechtsform. Der Abschluss eines Werkvertrages ist keine Übertragung von Hoheitsbefugnissen auf eine außerhalb der Behörde stehende Privatperson i.S.d. Art. 34 GG

cc.) Nur wenn die Behörde in einem besonders hohen Grad auf die Durchführung der Arbeiten des Abschleppunternehmers Einfluss nehmen kann, dass dieser nur das Werkzeug der Behörde ist, kommt ein Amtshaftungsanspruch in Betracht.

b.) Argumente für das Vorliegen einer Amtsausübung:

aa.) Bei der Anwendung hoheitlicher Zwangsmaßnahmen soll die Haftung nicht durch eine Flucht ins Privatrecht ausgeschlossen werden. Wenn der Staat die Vorteile der Arbeitsteilung in Anspruch nimmt, muss er auch die daraus resultierenden Nachteile tragen (schuldhafte Verletzung rechtlich geschützter Interessen des Bürgers durch Abschleppunternehmen)

bb.) Für Bürger macht es keinen Unterschied, wer die Zwangsmaßnahme durchführt. Rein interne Beziehungen können nicht über das Vorliegen eines öffentlichen Amtes entscheiden. Entscheidend ist wie sich das Handeln nach außen darstellt – Abschleppunternehmer ist Erfüllungsgehilfe.

cc.) Nach Art. 9 I PAG handelt die Polizei selbst oder durch einen Beauftragten. Handelndes Subjekt ist aber in jedem Fall die Polizei selbst. Beauftragter ist lediglich Werkzeug.

c.) Fazit: Es ist immer auf den jeweiligen Einzelfall abzustellen. Abzugrenzen ist nach dem Grad der Weisungsabhängigkeit. Daraus kann dann geschlossen werden, ob das Handeln des Abschleppers öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich ist.

3. Verletzung einer Amtspflicht (Pflicht der Verwaltung zu rechtmäßigem Verhalten aus Art. 20 III GG – hier Verletzung der Pflicht aus § 823 BGB auf Achtung des Eigentums Dritter)

4. Drittgerichtetheit der Amtspflicht (Die Norm, die die Amtspflicht begründet, muss gerade dem Schutz und Interesse des Anspruchsstellers dienen)

5. Verschulden

6. kausaler Schaden

7. Ausschlußztatbestände des § 839 III BGB

8. Mitverschulden gem. § 254 BGB analog

c) Anspruch aus §§ 677, 678 BGB analog i.V.m. § 280 I BGB analog (Schadensersatz)

Voraussetzungen sind:

1. Anwendbarkeit

2. öffentlich-rechtliches Schuldverhältnis (GoA, BerR oder Vertrag)

Voraussetzungen der GoA:

a) Anwendbarkeit

b) Öffentlich-rechtliche Geschäftsbesorgung, § 677 BGB analog (siehe Rechtsweg)

c) fremdes Geschäft, § 677 BGB analog

d) Fremdgeschäftsführungswille

e) Ohne Auftrag oder sonstige Berechtigung

f) Handeln im Interesse und im Willen der Behörde („berechtigte GoA“), § 683 S.1 BGB analog.

3. Pflichtverletzung

4. Verschulden

5. Kein Haftungsausschluss durch Satzung, ör Vertrag, VA etc.

d) Enteignender und enteignungsgleicher Eingriff gem. §§ 74, 75 EinlPrALR (Entschädigung)

aa) Enteignender Eingriff gem. §§ 74, 75 EinlPrALR

Voraussetzungen sind:

1. rechtmäßiger unmittelbarer Eingriff in das Eigentum

Die Unmittelbarkeit ergibt sich aus einer wertenden Betrachtung. Der Schaden muss kausal auf dem Handeln des Staates beruhen und innerhalb des Risikos liegen, das durch das staatliche Handeln geschaffen wurde.

2. durch hoheitlichen Realakt

3. unmittelbare nachteilige Wirkungen für den Betroffenen (rechtswidrige Folge)

4. Sonderopfer

Wenn es sich um keine formale Enteignung handelt, aber dennoch ein Eingriff in Eigentumspositionen vorliegt, muss geprüft werden, ob der Eingriff ein Sonderopfer für den Betroffenen darstellt. Ein Sonderopfer ist die Ungleichbehandlung gleicher Sachverhalte ohne einen sachlichen Grund, bzw. ein Verstoß gegen Art. 3 GG.

bb) Enteignungsgleicher Eingriff gem. §§ 74, 75 EinlPrALR

Voraussetzungen sind:

1. rechtswidriger unmittelbarer Eingriff in das Eigentum

2. durch öffentlich-rechtliches Handeln

3. unmittelbarer Schadenseintritt (kein Hinzutreten weiterer Umstände – Kausalität zwischen Handeln und Schaden)

4. Sonderopfer (s.o.)

5. Ausschöpfung des Primärrechtsschutzes

Achtung: Sowohl enteignender als auch enteignungsgleicher Eingriff werden durch Art. 70 PAG verdrängt!

e) Art. 70 PAG

Voraussetzungen sind:

1. Entschädigungsberechtigter ist der Nichtstörer

2. Schaden

3. unmittelbar durch die polizeiliche Maßnahme verursacht (kein Verschulden erforderlich)

4. Ausschluss des Anspruchs aus Art. 70 I PAG, wenn anderweitiger Ersatzanspruch (gesetzliche oder vertragliche Versicherungsleistung)

5. Ausschluss des Anspruchs nach Art. 70 IV PAG (wirklich erreichter Schutz maßgeblich)

6. Anspruchsumfang Art. 70 VII PAG

 

Fall 2: Fahrzeug wird während der Verwahrung auf dem Verwahrplatz beschädigt.

Anspruchsgrundlagen
a) Anspruch aus § 280 I BGB analog i.V.m. §§ 688 ff. BGB analog (Schadensersatz)

Voraussetzungen sind:

1. Anwendbarkeit

2. öffentlich-rechtliches Schuldverhältnis (öffentlich-rechtliche Verwahrung)

3. Pflichtverletzung (Verletzung der Pflicht aus Art. 26 III 1 PAG)

4. Verschulden

5. Kein Haftungsausschluss durch Satzung, ör Vertrag, VA etc.
b) Anspruch aus Amtshaftung gem. § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG (Schadensersatz)

Ein Amtshaftungsanspruch setzt rechtswidriges, schuldhaftes Handeln voraus.

Voraussetzungen sind:

1. Beamter im funktionalen Sinn bzw. „Jemand“

2. in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes (hoheitlich)

P: Private, die nicht Beliehene sind, führen Aufgaben der öffentlichen Verwaltung aus.

Grundsätzlich wird die Rechtsnatur des Handelns mithilfe der Subjektstheorie ermittelt. In diesem Fall ist jedoch die Werkzeugtheorie zur Abgrenzung heranzuziehen. Je nach Grad und Intensität der Weisungsgebundenheit erfolgt die Zuordnung des Handelns zum Privatrecht oder öffentlichen Recht.

3. Verletzung einer Amtspflicht (Pflicht der Verwaltung zu rechtmäßigem Verhalten aus Art. 20 III GG – hier Verletzung der Pflicht aus Art. 26 III 1 PAG)

4. Drittgerichtetheit der Amtspflicht (Die Norm, die die Amtspflicht begründet, muss gerade dem Schutz und Interesse des Anspruchsstellers dienen)

5. Verschulden

6. Kausaler Schaden

7. Ausschlusstatbestände § 839 III BGB

8. Mitverschulden § 254 BGB analog
c) Anspruch aus enteignendem und enteignungsgleichem Eingriff (Entschädigung)

Hier ergibt sich nichts anderes als in Fall 1 (Punkte e) und d)) schließlich werden diese allgemeinen Staatshaftungansprüche auch hier wieder durch den speziellen Entschädigungsanspruch aus Art. 70 PAG verdrängt.

 

Fall 3: Fahrzeug wird nach Zahlung der Abschleppkosten nicht herausgegeben.

Anspruchsgrundlage

a) Anspruch gem. § 985 BGB (Herausgabe)

b) Anspruch aus Amtshaftung gem. § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG (Schadensersatz)

c) Anspruch aus enteignendem und enteignungsgleichem Eingriff (Entschädigung)

Verdrängt durch Art. 70 PAG

d) Anspruch gem. §§ 688, 695 BGB analog i.V.m. §§ 280 I, II, 286 (Ersatz des Verzugsschadens)

 

Fall 4: Betroffener zahlt Abschleppkosten, jedoch war die Abschleppmaßnahme rechtswidrig oder Betroffener überweist zu viel.

Anspruchsgrundlage
a) Anspruch aus öffentlich-rechtlichem Erstattungsanspruch §§ 812 ff. BGB analog (Herausgabe)

Voraussetzungen sind:

1. Rechtsgrundlage

2. Anwendbarkeit

3. Öffentlich-rechtliche Rechtsbeziehung (s. Rechtsweg)

4. Vermögensvorteil

5. Vermögensverschiebung durch Leistung/auf sonstige Weise

6. Ohne Rechtsgrund (Wegfall, wenn zugrundeliegendes RV nichtig oder wenn VA rechtswidrig ist)

7. Erstattungsumfang/Wegfall der Bereicherung (Behörden kann sich wegen des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung aus Art. 20 III GG nicht auf den Wegfall der Bereicherung berufen).
II. Ansprüche der Polizei- und Sicherheitsbehörden gegen den Bürger

Anspruchsgrundlagen
a) Anspruch auf Kostenersatz (siehe oben RGL für Kostenbescheide)
b) Ansprüche aus öffentlich-rechtlicher GoA
scheiden aus, da die gesetzlichen Regelungen der Kostentragung abschließend sind und eine Geltendmachung der Ansprüche aus GoA eine Umgehung dieser Vorschriften wäre.

III. Anspruch des Abschleppunternehmens gegen den Bürger

Nur wenn Tätigwerden des Abschleppunternehmens privatrechtlich eingestuft wird.
Anspruch aus §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB

(entgegenstehender Wille gem. § 679 unbeachtlich)

 

 

IV. Ansprüche des Bürgers gegen den Abschleppunternehmer

Nur wenn Tätigwerden des Abschleppunternehmens privatrechtlich eingestuft wird.
a) Anspruch aus § 280 I i.V.m. § 677 BGB (Schadensersatz)
b) Anspruch aus § 823 I BGB (Schadensersatz)
c) Anspruch aus § 812 ff. BGB (Herausgabe)

Vielen Dank, dass Sie diesen Beitrag gelesen haben. Wir hoffen, dass er Ihnen weiterhelfen oder zumindest Ihr Interesse wecken konnte. Hier finden Sie den Beitrag Staatshaftung Fälle – Abschleppen auf unserer Website Jura Individuell.

Staatshaftungsrecht Übersicht

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Ansprüche aus der Staatshaftung können u.a. auf Realhandeln, Schadensersatz, Entschädigung oder Aufwendungsersatz gerichtet sein.

A. Ansprüche auf staatliches Handeln (Realhandeln)

1. Abwehr und Unterlassungsansprüche

Rechtsweg: Die Einordnung, ob ein Eingriff hoheitlich oder privatrechtlich vorgenommen wurde, erfolgt je nach Fallgestaltung. Grundsätzlich kann die modifizierte Subjektstheorie zur Bestimmung des Rechtswegs herangezogen werden. Bei Äußerungen sowie bei Ausübung des Hausrechts ist zu untersuchen, in welcher Funktion die betreffende Person gehandelt hat. Erfolgt das Handeln in Ausübung eines öffentlichen Amtes (a.A.: im Rahmen des Hausrechts ist Zweck des Besuchs entscheidend) ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben. Andernfalls ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet.

Bei rechtswidrigem staatlichem Handeln, egal ob schuldhaft oder schuldlos, bestehen Abwehr und Unterlassungsansprüche. Diese richten sich gegen Immissionen im weiteren Sinne, also gegen Geräusch- und Geruchsbelästigungen, aber auch gegen Äußerungen staatlicher Hoheitsträger. Abwehr- und Unterlassungsansprüche können auch schon im Vorfeld einer Maßnahme, also vorbeugend, geltend gemacht werden. Sie verdrängen als Primärrechtsschutz die Geldersatzansprüche.

Rechtsgrundlage ist Art. 20 III GG, die Abwehrfunktion der Grundrechte, § 1004 BGB analog sowie die gewohnheitsrechtliche Anerkennung.

Voraussetzungen sind:

– gegenwärtiger oder drohender Eingriff in subjektiv-öffentliches Recht

– Rechtswidrigkeit des Eingriffs (keine Duldungspflicht aus z.B. § 906 BGB analog)

– Andauern des Eingriffs (Abwehranspruch) bzw. Bestehen einer Wiederholungsgefahr (Unterlassungsanspruch) oder Erstbegehungsgefahr (vorbeugender Unterlassungsanspruch)

Bsp: Abwehr von Störungen gegen Immissionen, die von öff. Einrichtungen eines Hoheitsträgers ausgehen; Abwehr einer lärmenden Feuerwehrsirene; Abwehranspruch gegen Bolzplatz, Jahrmarkt, Grillplatz als öff. Einrichtung, Straßenlaterne, Kinderspielplatz (hier Funktionszusammenhang mit der bestimmungsgemäßen Nutzung).

Bsp: Bürgermeister äußert sich in einer Rede abwertend über eine bestimmte Einrichtung/Person.

Rechtsfolge: Bei Äußerung einer falschen Tatsachenbehauptung kann ausnahmsweise ein Widerruf verlangt werden. Bei reinen Werturteilen und nicht erwiesenen Tatsachenbehauptungen sind gleichartige Äußerungen in der Zukunft zu unterlassen.

2. Folgenbeseitigungsanspruch

Rechtsweg: § 40 I 1 VwGO, Klageart: allgemeine Leistungsklage oder Verpflichtungsklage

Hat staatliches Handeln zu einem rechtswidrigen Zustand geführt, besteht ein Folgenbeseitigungsanspruch. Dabei ist es unerheblich, ob das Handeln rechtmäßig oder rechtswidrig war. Allein entscheidend ist hier das Erfolgsunrecht. Im Gegensatz zum Abwehr- und Unterlassungsanspruch, der auf die Rechtwidrigkeit der Handlung abstellt, basiert der FBA auf der Rechtswidrigkeit der Folgen.

Der FBA ist gerichtet auf die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands.

Rechtsgrundlage ist Art. 20 III GG, gewohnheitsrechtliche Anerkennung (Grundrechte sind hier keine geeignete Anspruchsgrundlage, da es sich dabei um Abwehrrechte gegen den Staat handelt. Die Wiederherstellung eines Zustandes ist davon nicht erfasst).

Voraussetzungen sind:

– Rechtswidriger Zustand (Erfolgsunrecht)

hoheitlicher Eingriff in subjektiv-öffentliches Recht

– Andauern des rechtswidrigen Zustandes

– Kein Anspruchsausschluss

– Mitverschulden § 254 BGB analog

Der Anspruch entfällt bei tatsächlicher oder rechtlicher Unmöglichkeit der Wiederherstellung. Bei Unzumutbarkeit der Herstellung kommt ein Folgenersatzanspruch in Betracht.

Bsp: Anspruch auf Rückgabe eines Grundstücks, das zu Unrecht in eine Straßenbaumaßnahme einbezogen wurde; Rückgabe einer beschlagnahmten Sache nach Aufhebung der Beschlagnahmeverfügung.

Zum Folgenersatzanspruch: Eine Ansicht will § 251 BGB analog anwenden und Geldausgleich gewähren. Nach anderer Ansicht kann auf die Entschädigungsansprüche aus enteignendem, enteignungsgleichem und aufopferungsgleichem Eingriff sowie aus Aufopferung zurückgegriffen werden. Es besteht damit keine planwidrige Regelungslücke. Letzterer Ansicht ist aus systematischen Gründen zu folgen. Ein Folgenersatzanspruch existiert daher nicht.

Besonderheit ist der Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch. Rechtsweg: § 40 I 1 VwGO Verwaltungsrechtsweg. Klageart: Leistungsklage

Hier besteht ein rechtswidriger Zustand infolge eines rechtswidrigen oder rechtmäßigen bereits vollzogenen VA. Voraussetzung ist damit, dass sich der VA bereits erledigt hat (§ 43 II VwVfG), da andernfalls ein Vorgehen mittels einer Anfechtungsklage statthaft wäre. Zur Beseitigung der Folgen des erledigten VA ist eine Leistungsklage zu erheben.

Bsp: Stadt S weist Obdachlose für zwei Wochen in Privatwohnung des P ein. Nach Ablauf der zwei Wochen sind Obdachlose aber immer noch in der Wohnung.

3. Konkurrenz

Abwehr und Unterlassungsansprüche dienen der Abwehr noch bevorstehender oder gegenwärtiger staatlicher Maßnahmen. Die Abwendung des Schadens ist zu diesem Zeitpunkt aber noch möglich, weshalb man von Primärmaßnahmen spricht. Der Folgenbeseitigungsanspruch ist hingegen darauf gerichtet Schäden die durch schon erfolgtes staatliches Handeln eingetreten sind zu beseitigen. Da es, wie man dem Nassauskiesungsbeschluss entnehmen kann, ein „dulde und liquidiere“ im Bereich des Staatshaftungsrechts nicht gibt, muss immer erst der Primärrechtsschutz ausgeschöpft werden.

B. Ansprüche auf Geldersatz

1. Schadensersatz

a) Amtshaftungsanspruch § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG

Ein Amtshaftungsanspruch setzt rechtswidriges, schuldhaftes Handeln voraus.

Voraussetzungen sind:

– Beamter im funktionalen Sinn bzw. „Jemand“

– in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes (hoheitlich)

P: Private, die nicht Beliehene sind, führen Aufgaben der öffentlichen Verwaltung aus.

Grundsätzlich wird die Rechtsnatur des Handelns mithilfe der Subjektstheorie ermittelt. In diesem Fall ist jedoch die Werkzeugtheorie zur Abgrenzung heranzuziehen. Je nach Grad und Intensität der Weisungsgebundenheit erfolgt die Zuordnung des Handelns zum Privatrecht oder öffentlichen Recht.

– Verletzung einer Amtspflicht (Pflicht der Verwaltung zu rechtmäßigem Verhalten aus Art. 20 III GG)

– Drittgerichtetheit der Amtspflicht (Die Norm, die die Amtspflicht begründet, muss gerade dem Schutz und Interesse des Anspruchsstellers dienen)

– Verschulden

– Kausaler Schaden

– Ausschlusstatbestände § 839 III BGB

– Mitverschulden § 254 BGB

Bsp: Beamter verursacht während einer Dienstfahrt schuldhaft einen Verkehrsunfall; Verkehrssicherungspflicht für eine Fußgängerunterführungstreppe. Radweg wird nicht ordnungsgemäß gereinigt, wodurch Schäden am Fahrrad des Dritten entstehen.

b) Öffentlich-rechtliches Schuldverhältnis § 280 I BGB analog

Unter einem öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnis versteht man eine besonders enge, öffentlich-rechtliche Beziehung zwischen einem Hoheitsträger und einem Privaten, die eine verschärfte Haftung rechtfertigen. § 280 I BGB setzt im Gegensatz zu § 839 BGB ein bereits bestehendes Schuldverhältnis voraus. Bei § 839 BGB wird gerade erst durch die Amtspflichtverletzung das Schuldverhältnis begründet. Schuldverhältnisse i.S.d. § 280 I BGB analog können durch öffentlich-rechtlichen Vertrag oder durch Gesetz begründet werden, wie z.B. GoA und BerR.

Bsp: Abschleppfälle (Pflichtverletzung innerhalb öffentlich-rechtlicher GoA)

Begründung der Analogie:

Planwidrige Regelungslücke: Das öffentliche Recht kennt keine dem § 280 I BGB vergleichbare Haftungsnorm für Pflichtverletzungen im Bereich öffentlich-rechtlicher Sonderbeziehungen. Der Amtshaftungsanspruch schließt § 280 I BGB nicht aus, da es sich dabei um einen deliktischen Anspruch handelt, der neben § 280 I BGB tritt.

Vergleichbarkeit der Fälle: Zwischen Bürger und Verwaltung muss ein gesetzliches Schuldverhältnis oder ein Vertrag bestehen. Auch im öffentlichen Recht kann es gesetzliche Schuldverhältnisse wie die GoA und das BerR oder vertragliche Schuldverhältnisse wie den öffentlich-rechtlichen Vertrag geben, die ein Bedürfnis nach einer Regelung entsprechend dem BGB begründen.

Voraussetzungen sind:

1. Anwendbarkeit

2. öffentlich-rechtliches Schuldverhältnis (GoA, BerR oder Vertrag)

3. Pflichtverletzung

4. Verschulden

5. Kein Haftungsausschluss durch Satzung, ör Vertrag, VA etc.

Verwaltungsrechtliche Schuldverhältnisse:

öffentlich-rechtlicher Vertrag § 62 II VwVfG i.V.m. § 280 I BGB analog

Rechtsweg § 40 I 1 VwGO Verwaltungsrechtsweg

Bsp: Stadt schließt mit Privatem einen Vertrag, indem vereinbart wird, dass Privater weniger Erschließungsbeiträge zahlen muss, wenn er der Stadt dafür im Gegenzug einen Radweg errichtet. Radweg ist durchzogen von Schlaglöchern, ist also mangelhaft, wodurch die Stadt einen Schaden erleidet, da sie die Schlaglöcher zu beseitigen hat.

Bsp: Stadt einigt sich mit Privatem auf Erschließungskosten in Höhe von 5000 Euro. Stadt schickt grundlos Bescheid, in dem sie P auffordert 10.000 Euro zu zahlen. P muss dafür Kredit aufnehmen und Zinsen zahlen. Schaden sind die Zinsen.

– öffentlich-rechtliche Verwahrung §§ 688 ff. BGB analog i.V.m. § 280 I BGB analog

Rechtsweg § 40 II 1 VwGO ordentliche Gerichtsbarkeit

Bsp: Abgeschlepptes Auto wird auf dem Verwahrplatz umgeparkt und dabei beschädigt.

– öffentlich-rechtliche GoA §§ 677 ff. BGB analog i.V.m. § 280 I BGB  analog

Rechtsweg § 40 II 1 VwGO ordentliche Gerichtsbarkeit

AGL Staat gegen Bürger auf Schadensersatz

§§ 677, 678 BGB analog i.V.m. § 280 I BGB analog

Bsp: Auf dem Gebiet der Daseinsvorsorge erledigt der Bürger staatliche Aufgaben, wie beispielsweise eine Kanalrohrreparatur, die er aber mangelhaft durchführt.

AGL Staat gegen Bürger auf Aufwendungsersatz

Bsp: Staat schleppt Auto des Bürgers ab und verlangt dafür Ersatz der Aufwendungen aus GoA.

Ein Anspruch auf Aufwendungsersatz scheidet hier aus, da eine öffentlich-rechtliche GoA seitens des Staates eine unzulässige Umgehung der einschlägigen Vorschriften wäre. Im Bereich der Eingriffsverwaltung muss stets der Gesetzesvorbehalt eingehalten werden. Geld kann nur verlangt werden, wenn es dafür eine spezielle gesetzliche Grundlage gibt.

AGL Bürger gegen Staat auf Schadensersatz

§§ 677, 678 BGB analog i.V.m. § 280 I BGB analog

Bsp: Staat beschädigt Fahrzeug des Bürgers beim Abschleppvorgang.

AGL Bürger gegen Staat auf Aufwendungsersatz aus § 683 S. 1, 670 BGB analog

Bsp: Bürger repariert Kanalrohr der Gemeinde und verlangt hierfür Ersatz seiner Aufwendungen.

AGL Bürger gegen Staat aus landesrechtlichen Entschädigungsansprüchen

Diese Ansprüche können zusätzlich geltend gemacht werden, da sie lediglich auf Entschädigung in Geld gerichtet sind.

– Haftung bei der Anbahnung von öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnissen §§ 280 I, 311 II, 241 II BGB analog (c.i.c.)

Rechtsweg: Grundsätzlich Verwaltungsrechtsweg (Sobald ein Vertragsteil dem öffentlichen Recht zugeordnet werden kann, muss der gesamte Vertrag, auch wenn er im Übrigem dem Zivilrecht entstammt, dem öffentlichen Recht zugeordnet werden –> Argumentation wie bei öffentlich-rechtlichem Vertrag.

Ausnahme: Abbruch der Vertragsverhandlungen erfüllt auch § 839 BGB, Art. 34 GG. (Amtspflichtverletzung ist grundloses Abbrechen der Vertragsverhandlungen, § 241 II BGB) = ordentliche Gerichtsbarkeit § 40 II 1 VwGO

Bsp: Stadt schließt Vertrag mit Privatem. Privater muss weniger Erschließungsbeiträge zahlen, dafür errichtet dieser für die Stadt Kinderspielplatz. Stadt weigert sich über die im Vorfeld getätigten Verhandlungen einen Vertrag zu schließen, da sie grundsätzlich nicht über Erschließungsbeiträge verhandelt. Privater hat aber bereits Baumaterial für Kinderspielplatz gekauft.

 

c) Konkurrenzen

Ansprüche aus einem öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnis gem. § 280 I BGB analog können neben dem deliktischen Amtshaftungsanspruch geltend gemacht werden. Es ergeben sich folgende Unterschiede:

–          Gehaftet wird gem. § 280 I analog für bestehende oder angebahnte öffentlich-rechtliche    Schuldverhältnisse

–          Das Verschulden wird zugunsten des Bürgers vermutet, § 280 I 2 analog

–          Bei Haftung für Erfüllungsgehilfen nach gilt § 278 analog

Vorrangig sind aber auch hier immer Ansprüche auf Folgenbeseitigung. Dem Schädiger muss wie im Zivilrecht immer erst die Möglichkeit gegeben werden, den verursachten Schaden selbst zu beseitigen (Grundsatz der Naturalrestitiution § 249 I BGB analog). Kann oder darf der ursprüngliche Zustand nicht vollständig wiederhergestellt werden oder kann dem Geschädigten eine Wiederherstellung durch den Schädiger nicht zugemutet werden bzw. ist eine Wiederherstellung grundsätzlich nicht möglich, so können Geldersatzansprüche geltend gemacht werden.

2. Entschädigung

a) Eingriff in wirtschaftliche Rechtsgüter

aa) Enteignung

Rechtsweg § 40 II 1 Hs. 2 VwGO Verwaltungsrechtsweg. Beachte: Höhe der Entschädigung Art. 14 III 4 GG ordentliche Gerichtsbarkeit.

AGL: Entspricht der jeweils einschlägigen gesetzlichen Vorschrift. Bsp: § 93 ff. BauGB

Eine gesetzliche Vorschrift ist bei einer rechtmäßigen Enteignung nach Art. 14 III GG aufgrund der Junktimklausel zwingend erforderlich. Nur bei Fehlen einer solchen Regelung ist die Enteignung rechtswidrig, was dazu führt, dass kein Geldausgleich stattfinden kann. Eine Entschädigung kann aber über den enteignungsgleichen Eingriff erfolgen.

bb) Ausgleichspflichtige Inhalts- und Schrankenbestimmung

Rechtsweg § 40 I 1 VwGO Verwaltungsrechtsweg

Bei einer ausgleichspflichtigen Inhalts- und Schrankenbestimmung kann Geldersatz gefordert werden. Es handelt sich um einen Eingriff in das Eigentum, der nicht als Enteignung gekennzeichnet ist.

Ermächtigungsgrundlage für den Eingriff ist Art. 14 I 2 GG i.V.m. dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. In manchen Fällen ist der Eingriff nämlich nur gegen Zahlung eines bestimmten Geldbetrages verhältnismäßig. Anhaltspunkt dafür, dass der Anspruch auf Geld gerichtet ist, ergibt sich aus § 39 BauGB. Die Anspruchsgrundlage für die Entschädigungszahlung kann im enteignungsgleichen Eingriff nach §§ 74, 75 Einl. ALR gesehen werden.

cc) Konkurrenzen

Entschädigung und ausgleichspflichtige Inhalts- und Schrankenbestimmungen schließen sich gegenseitig aus. Die Abgrenzung erfolgt nach neuester Rechtsprechung rein formal. Die Sonderopfertheorie, die Schweretheorie und die Theorie der Situationsgebundenheit finden bei der Abgrenzung heute keine Anwendung mehr. Der Grund dafür liegt darin, dass auf der Ebene der Verhältnismäßigkeit abgewogen wird, ob der Eingriff bzw. die Beschränkung angemessen und damit für den Betroffenen zumutbar ist. Ist das nicht der Fall, muss eine Entschädigung gezahlt werden. Die Theorien waren in der früheren Rechtsprechung maßgeblich, da die Einstufung als Enteignung oder Inhalts- und Schrankenbestimmung bereits festlegte, ob eine Geldentschädigung gezahlt werden musste oder nicht. Die Abwägung der Interessen wurde im Folgenden in die Verhältnismäßigkeitsprüfung verlagert, weshalb es nun nicht mehr entscheidend darauf ankommt, ob eine Enteignung oder Inhalts- und Schrankenbestimmung vorliegt. Schließlich kann in beiden Fällen eine Entschädigung erfolgen.

dd) Enteignender Eingriff

Rechtsweg: § 40 II 1 VwGO ordentliche Gerichtsbarkeit

Grundlage für Ansprüche aus enteignendem Eingriff sind §§ 74, 75 EinlPrALR.

Voraussetzungen sind:

rechtmäßiger unmittelbarer Eingriff in das Eigentum

Die Unmittelbarkeit ergibt sich aus einer wertenden Betrachtung. Der Schaden muss kausal auf dem     Handeln des Staates beruhen und innerhalb des Risikos liegen, das durch das staatliche Handeln geschaffen wurde.

– durch hoheitlichen Realakt

– unmittelbare nachteilige Wirkungen für den Betroffenen (rechtswidrige Folge)

– Sonderopfer

Wenn es sich um keine formale Enteignung handelt, aber dennoch ein Eingriff in Eigentumspositionen vorliegt, muss geprüft werden, ob der Eingriff ein Sonderopfer für den Betroffenen darstellt. Ein Sonderopfer ist die Ungleichbehandlung gleicher Sachverhalte ohne einen sachlichen Grund, bzw. ein Verstoß gegen Art. 3 GG.

Bsp: Bau einer U-Bahn. Infolgedessen stürzt ein darüberliegendes Haus ein.

ee) Enteignungsgleicher Eingriff

Rechtsweg § 40 II 1 VwGO ordentliche Gerichtsbarkeit

Grundlage für Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff ist §§ 74, 75 EinlPrALR.

Zuerst wurde enteignungsgleicher Eingriff in Analogie zu Art. 14 GG entwickelt. Nach dem Nassauskiesungsbeschluss des BVerfG war zunächst nicht klar, ob der enteignungsgleiche Eingriff überhaupt noch weiterbestehen kann. Der BGH hat an diesem Haftungsinstitut festgehalten, stellt jedoch nicht mehr auf Art. 14 GG analog als Anspruchsgrundlage ab, sondern auf §§ 74, 75 EinlPrALR.

In Tatbestand und Rechtsfolge sei es ein Anspruch aus dem einfachen Recht und nicht aus dem Verfassungsrecht. Vorrangig ist in jedem Fall der Primärrechtsschutz gem. § 254 BGB analog, so dass erst gegen die Enteignung selbst vorgegangen werden muss. Nur bei Ausschöpfung aller Rechtsmittel kann auf den enteignungsgleichen Eingriff zurückgegriffen werden.

Voraussetzungen sind:

– rechtswidriger unmittelbarer Eingriff in das Eigentum

– durch öffentlich-rechtliches Handeln

– unmittelbarer Schadenseintritt (kein Hinzutreten weiterer Umstände – Kausalität zwischen Handeln und Schaden)

– Sonderopfer (s.o.)

– Ausschöpfung des Primärrechtsschutzes

Bsp: Bei Enteignung fehlt Entschädigungsgesetz. Beispiel für den erweiterten Anwendungsbereich: Verkehrsunfall aufgrund einmaligem Versagen einer Verkehrsampel (Ampel zeigt grün statt rot)

P: Haftung aus enteignungsgleichem Eingriff für legislatives Unrecht

BGH vertritt, dass eine Haftung den Rahmen eines richterrechtlich entwickelten Haftungsinstituts sprengen würde. Dies wäre mit der Haushaltsprärogative des Gesetzgebers unvereinbar und würde damit einen Verstoß gegen das Gewaltenteilungsprinzip begründen. Nach Ansicht der Literatur kann der Rechtsgüterschutz nicht unter einen Haushaltsvorbehalt gestellt werden, zumal es für den Bürger gleichgültig ist, aus welchem Grund ein VA rechtswidrig ist. Letztlich ist aber dem BGH zu folgen, da eine unüberschaubare Flut von Klagen drohen würde und der Gesetzgeber eine entsprechende Regelung schaffen könnte, um auch das legislative Unrecht haftungsrechtlich abzudecken. Es fehlt auch generell das Bedürfnis nach einem Vorgehen gegen Gesetze, da unmittelbar gegen die darauf beruhenden Maßnahmen vorgegangen werden kann. Eine Haftung für legislatives Unrecht scheidet folglich aus.

ff) Konkurrenzen

Neben allen Ansprüchen die auf eine Entschädigungsleistung gerichtet sind, können Amtshaftungsansprüche geltend gemacht werden. Grund dafür ist, dass die Rechtsfolge der Amtshaftung Schadensersatz ist, die Enteignung, der enteignungsgleiche und enteignende Eingriff sowie die ausgleichspflichtige Inhalts- und Schrankenbestimmung hingegen auf eine Entschädigung gerichtet sind.

Wesentlicher Unterschied der beiden Haftungsnormen ist, dass im Rahmen der Schadensersatzansprüche ein Verschulden des Anspruchsgegners Voraussetzung ist. Im Gegensatz dazu ist die Entschädigung verschuldensunabhängig, weshalb dahingehende Ansprüche auch leichter geltend gemacht werden können. Schließlich umfasst der Schadensersatz auch den entgangenen Gewinn, wohingegen die Entschädigung lediglich auf Geldausgleich gerichtet ist.

Das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen mehrerer Entschädigungsansprüche führt aber nicht zu einer Erhöhung der Entschädigung.

b) Eingriff in höchstpersönliche Rechtsgüter (Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit, körperliche Bewegungsfreiheit, str. APR)

aa) Aufopferung

Rechtsweg: § 40 II 1 VwGO ordentliche Gerichtsbarkeit

Beachte spezialgesetzliche Regelungen wie §§ 51 ff. BSeuchG  (Impfschäden)! Vorrangig ebenso die Entschädigungsregelungen des PAG für Nichtstörer. Anspruchskonkurrenz zum Amtshaftungsanspruch.

Grundlage für Anspruch aus Aufopferung ist §§ 74, 75 EinlPALR.

Voraussetzungen sind:

– unmittelbarer (wertungsmäßige Betrachtung, s.o.) hoheitlicher rechtmäßiger Eingriff

– in nichtvermögenswerte Rechte

– unmittelbarer Schadenseintritt

– Sonderopfer (gesonderte Prüfung erforderlich, s.o. Es darf sich also nicht um die Verwirklichung eines allgemeinen Lebensrisikos handeln, sondern um eine vom Staat geschaffene besondere Gefahr)

Bsp: Entschädigungsanspruch für rechtswidrige Beugehaft nach dem StrEG; Fürsorgepflicht der Gemeinde für Angehörige der freiwilligen Feuerwehr.

bb) Aufopferungsgleicher Eingriff

Rechtsweg: § 40 II 1 VwGO ordentliche Gerichtsbarkeit

Voraussetzungen sind:

– rechtswidriger unmittelbarer (wertend zu ermitteln, s.o.) Eingriff in nichtvermögenswerte Positionen (schuldhaft oder schuldlos)

– durch öffentlich-rechtliches Handeln

– unmittelbarer Schadenseintritt (kein Hinzutreten weiterer Umstände – Kausalität zwischen Handeln und Schaden)

– Sonderopfer

– Ausschöpfung des Primärrechtsschutzes

cc) Konkurrenzen

Vorrangig müssen spezialgesetzliche Anspruchsgrundlagen berücksichtigt werden, so auch Ansprüche aus den Polizeigesetzen der Länder. Im Übrigen können Ansprüche aus Aufopferung neben Ansprüchen aus Enteignung oder aus Inhalts- und Schrankenbestimmung geltend gemacht werden. Dies ergibt sich aus den unterschiedlichen Rechtsgüterverletzungen. Auch hier steht der Amtshaftungsanspruch in Idealkonkurrenz.

3. Aufwendungsersatz

a) Öffentlich-rechtliche GoA

Rechtsweg: § 40 I 1 VwGO Verwaltungsgerichtsbarkeit

GoA ist öffentlich-rechtlich, wenn Gegenstand der Geschäftsführung öffentlich-rechtlich ist. Zur Bestimmung kann wiederum die modifizierte Subjektstheorie herangezogen werden.

AGL: §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB analog (Aufwendungsersatz)

–          Staat-Staat: Gemeinde A repariert beschädigte Rohrleitung im Gemeindegebiet B.

–          Staat-Bürger: Unzulässigkeit aufgrund Gesetzesvorbehalt, Ausnahme im Bereich der Leistungsverwaltung –> Beispiel: Behörde hat für Bürger polizeiliches Führungszeugnis besorgt und will dafür Aufwendungsersatz. Führungszeugnis ist für die Bewilligung einer Subvention notwendig. Antragsteller hat aber vergessen, dieses dem Antrag beizulegen.

–          Bürger-Staat: Voraussetzung ist aber das Vorliegen eines Dringlichkeitsfalls –> Beispiel: In der Justizbehörde J ereignet sich ein Wasserrohrbruch. Hausmeister H behebt das Problem; Neuanlage eines verfallenen Deiches bei drohendem Hochwasser.

–          Privater-Privater: selten –> Beispiel: A hat die Pflicht einen Bundeswehranzug für den Einsatzfall bei sich zuhause zu verwahren. Das Haus des A brennt ab, B kann jedoch den Anzug noch rechtzeitig retten.

Im Verhältnis Bürger-Staat kann der Bürger vom Staat nur dann Aufwendungsersatz nach §§ 677 ff. BGB analog verlangen, wenn ein Nothilfe- oder Dringlichkeitsfall vorliegt bzw. individuelle Rechtsgüter wie Gesundheit oder Eigentum zwingend geschützt werden müssen.

Im Verhältnis Staat-Bürger gelten die Regeln über die GoA nicht im Bereich der Eingriffsverwaltung im Rahmen des Aufwendungsersatzes, weil insoweit die Kostengesetze die Voraussetzungen und Rechtsfolgen öff.-rechtl. Tätigwerdens abschließend regeln. Auch hier darf der Grundsatz des Gesetzesvorbehalts nicht durch die GoA umgangen werden. Schadensersatzansprüche können ungeachtet dessen nach den jeweils einschlägigen Vorschriften in Verbindung mit § 280 I BGB analog geltend gemacht werden (siehe oben). Im Übrigen ist daneben § 678 BGB analog anwendbar, der verschuldensunabhängig gewährt wird. Voraussetzung dafür ist, dass das Geschäft nicht dem Willen des Geschäftsherrn entspricht. Im Rahmen der Leistungsverwaltung sind die § 677 ff. BGB analog anwendbar.

Voraussetzungen sind:

1. Anwendbarkeit

2. Öffentlich-rechtliche Geschäftsbesorgung, § 677 BGB analog (siehe Rechtsweg)

3. fremdes Geschäft, § 677 BGB analog

4. Fremdgeschäftsführungswille

5. Ohne Auftrag oder sonstige Berechtigung

6. Handeln im Interesse und im Willen der Behörde („berechtigte GoA“), § 683 S. 1 BGB analog.

4. Erstattung

a) öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch

Rechtsweg: § 40 I 1 Verwaltungsgerichtsbarkeit

Der Erstattungsanspruch ist immer dann öffentlich-rechtlich, wenn das zugrundeliegende Rechtsverhältnis öffentlich-rechtlich ist (hier wieder modifizierte Subjektstheorie, Funktion des Handelnden, Grundlage VA). Rechtsverhältnisse können vertraglich begründet werden sowie durch VA.

AGL:  §§ 812 ff. BGB analog, gewohnheitsrechtliche Anerkennung

Der öffentl.-rechtl. Erstattungsanspruch ist auf die Rückgewährung rechtsgrundloser Vermögensverschiebungen gerichtet. Kennzeichnend ist nicht ein hoheitlicher Eingriff oder eine Schädigung, sondern eine Vermögensverschiebung ohne Grund. Unterschied zu §§ 812 ff. BGB liegt darin, dass der Anspruchsgegenstand öffentlich-rechtlich ist.

Bsp: Rückforderung zu Unrecht gewährter Subventionen oder zu viel gezahlter Bezüge; Rückzahlung von zu Unrecht gezahlten Steuern oder Gebühren; §§ 103 ff. BSHG; Rückforderung zu Unrecht gezahlter Abschleppkosten.

Vorrangig aber spezielle gesetzliche Regelungen wie:

– § 37 II AO (Erstattungen im Rahmen eines Schuldverhältnisses)

– § 49a VwVfG (Erstattungen infolge Aufhebung eines VA)

– § 12 BbesG (Rückforderung von Beamtenbezügen- aus Beamtenrecht § 52 BeamVG, § 87 BBG, § 53 BRRG)

– § 50 SGB X

– § 20 BaföG

Voraussetzungen sind:

1. Rechtsgrundlage

2. Anwendbarkeit

3. Öffentlich-rechtliche Rechtsbeziehung (s. Rechtsweg)

4. Vermögensvorteil

5. Vermögensverschiebung durch Leistung/auf sonstige Weise

6. Ohne Rechtsgrund (Wegfall, wenn zugrundeliegendes RV nichtig oder wenn VA rechtswidrig ist)

7. Erstattungsumfang/Wegfall der Bereicherung (Behörden kann sich wegen des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung aus Art. 20 III GG nicht auf den Wegfall der Bereicherung berufen).

Merkhilfe für die Rechtswegbestimmung:

–          Aufwendungsersatzansprüche à Verwaltungsgerichte

–          Schadensersatzansprüche à ordentliche Gerichte (§ 40 II 1 VwGO)

–          Entschädigungsansprüche mit Ausnahme der Inhalts- und Schrankenbestimmung = ordentliche Gerichte

Anmerkungen

Näheres zur verfassungsrechtlichen Bedeutung des Eigentums: Das Eigentum Art. 14 I 1 GG

siehe auch: „Klausur zur Berufsfreiheit

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Allgemeine Leistungsklage

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Die allgemeine Leistungsklage wird in der VwGO nicht explizit geregelt, jedoch in den §§ 43 II, 111, 113 IV VwGO erwähnt. In Klausuren kann eine Leistungsklage in der Art begegnen, dass ein Kläger Vornahme oder auf Unterlassung schlichten Verwaltungshandelns wünscht (häufiger Fall: Bürger begehrt Vornahme von Realakten).

A. Sachurteilsvoraussetzungen

I. Verwaltungsrechtswegseröffnung, § 40 I 1 VwGO

Der Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet, wenn es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art ohne Sonderzuweisung handelt, § 40 I 1 VwGO.

II. Zuständigkeit des Gerichts, §§ 45, 52 VwGO

Die sachliche Zuständigkeit richtet sich nach § 45 VwGO und die örtliche nach § 52 Nr. 1 bis 5 VwGO.

B. Zulässigkeit der Leistungsklage

I. Statthaftigkeit

Die  Leistungsklage ist statthaft, wenn der Kläger die Vornahme eines schlichten Verwaltungshandelns begehrt, welches nicht im Erlass eines Verwaltungsakts besteht, oder das Unterlassen einer Handlung.

II. Klagebefugnis, § 42 II VwGO analog

§ 42 II VwGO ist für die Klagebefugnis nach h.M. analog auf die Leistungsklage anzuwenden (siehe auch Kopp/Schenke, 21. Auflage 2015, § 42 Rn. 62). Begründet wird dies mit der Rechtsweggarantie des Art. 19 IV GG. Diese schützt allerdings nur dann, wenn ein Bürger durch die öffentliche Gewalt in seinen subjektiven Rechten verletzt ist. Dabei genügt die Behauptung einer Rechtsverletzung. Eine solche ist dann gegeben, wenn der Kläger möglicherweise einen Anspruch auf die begehrte Leistung (oder Unterlassung) hat.

III. Kein Vorverfahren

Bei der allgemeinen Leistungsklage ist kein Vorverfahren gem. §§ 68 ff. VwGO durchzuführen.

 IV. Keine Klagefrist

Eine Klagefrist ist nicht zu beachten. Das Recht zur Klageerhebung kann jedoch verwirkt sein.

Jura Individuell- Hinweis: Verwirkung ist dabei Ausdruck des allgemeinen Rechtsgedankens aus Treu und Glauben, wenn etwa längere Untätigkeit nach einer möglichen subjektiven Rechtsverletzung bestand. Verwirkung kann nicht vor der in der VwGO mehrfach erwähnten Jahresfrist (§§ 58 II, 60 III, 76 a.F. VwGO), vgl. Kopp/ Schenke, 21. Auflage 2015, § 74 Rn. 20.

V. Beteiligten- und Prozessfähigkeit, §§ 61, 62 VwGO

Die Beteiligten- und Prozessfähigkeit bestimmt nach §§ 61, 62 VwGO.

Jura Individuell-Tipp: Dieser Punkt ist in der Regel kurz anzusprechen und nur zu problematisieren, wenn sich im Sachverhalt Hinweise ergeben.

VI. Allgemeines Rechtschutzbedürfnis

Grundsätzlich ist erforderlich, dass der Kläger vor Klageerhebung einen entsprechenden Antrag bei der zuständigen Behörde stellt.

C. Begründetheit der Leistungsklage

Obersatz:

Die allgemeine Leistungsklage ist begründet, wenn sie sich gegen den richtigen Beklagten richtet und der Kläger einen Anspruch auf Leistung, Duldung oder Unterlassung hat.

I. Passivlegitimation, § 78 VwGO

Die Klage ist grundsätzlich gegen den Rechtsträger, nicht gegen die Behörde zu richten (sog. Rechtsträgerprinzip), § 78 I Nr. 1 VwGO. Ausnahmsweise können die Bundesländer durch Landesrecht (Verordnung genügt) nach § 78 I Nr. 2 VwGO bestimmen, dass die Klage gegen die zuständige Behörde selbst zu richten. (Kopp/Schenke, VwGO, 20. Auflage 2014, § 80 Rn. 3, 10)

II. Anspruch auf Handeln, Dulden oder Unterlassen

Es muss ein Anspruch des Klägers bestehen. Dieser kann sich aus Gesetz (Bundes- Landesgesetz, Rechtsverordnung oder Satzung), VA, Zusage oder aus einem öffentlich- rechtlichen Vertrag (§§ 54 ff. VwVfG) ergeben.

III. Spruchreife

Im Übrigen muss Spruchreife bestehen, das Gericht muss in der Lage sein eine abschließende Sachentscheidung zu treffen.

D. Tenorierung für das 2. Staatsexamen

„Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger [das begehrte Tun, Dulden oder Unterlassen] zu …“

 

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Fortsetzungsfeststellungsklage – FFK

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Die Fortsetzungsfeststellungsklage stellt die Standardklage vor allem im Polizei- und Sicherheitsrecht dar und spielt sowohl bei den großen Scheinen an der Universität bis hin zum 2. Staatsexamen eine wichtige Rolle.  Die FFK kommt dann in Frage, wenn eine Anfechtungsklage durch Erledigung nicht mehr statthaft ist.

 

A. Sachurteilsvoraussetzungen

I. Verwaltungsrechtswegseröffnung, § 40 I 1 VwGO

Der Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet, wenn es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art ohne Sonderzuweisung handelt, § 40 I 1 VwGO. In den meisten Klausuren ist die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges ein unproblematischer Prüfungspunkt. Jedoch bestehen insbesondere im Polizeirecht Ausnahmen. Sobald im Polizeirecht Ordnungswidrigkeiten im Sachverhalt angesprochen werden, ist die abdrängende Sonderzuweisung des § 23 I 1 EGGVG zu prüfen, denn der Verwaltungsrechtsweg ist nur bei präventiven Maßnahmen eröffnet. Wenn die Polizei auf dem Gebiet der repressiven Strafverfolgung tätig wird, ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet. Kurz auszuführen ist dabei folgender Meinungsstreit: Nach der Literaturmeinung (siehe hierzu Kopp/ Schenke VwGO, 21. Auflage 2015, § 179 Rn. 7) ist die Zielsetzung der Maßnahme der Polizei entscheidend, während die Rechtsprechung (vgl. BVerwGE 47, 255) auf den Schwerpunkt der Maßnahme abstellt.

Jura Indivuell-Tipp: In der Regel kommen in der Klausur beide Ansichten zum selben Ergebnis- präventives Handeln = Verwaltungsrechtsweg-und der Streit braucht nicht entschieden zu werden.

II. Zuständigkeit des Gerichts, §§ 45, 52 VwGO

Die sachliche Zuständigkeit richtet sich nach § 45 VwGO und die örtliche nach § 52 Nr. 3 oder Nr. 5 VwGO.

B. Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage

I. Statthaftigkeit, § 113 I 4 VwGO (analog)

Die FFK ist statthaft, wenn ein Verwaltungsakt bereits erledigt ist. Erledigung tritt dann ein, wenn die rechtliche oder sachliche Beschwer nachträglich weggefallen ist (Kopp/ Schenke VwGO, 21. Auflage 2015, § 113 Rn. 102).

1. Erledigung nach Klageerhebung, § 113 I 4 VwGO (direkt)

Seiner systematischen Stellung nach bezieht sich § 113 I 4 VwGO auf Anfechtungsklagen. Der Wortlaut des § 113 I 4 VwGO setzt weiterhin eine Erledigung eines Verwaltungsaktes nach Klageerhebung voraus. Eine Anfechtungsklage hiergegen kommt dann nicht mehr in Betracht, da bei Erledigung keine Rechtsverletzung – mehr- gegeben ist.
§ 113 I 4 VwGO ist in diesem Fall unmittelbar anzuwenden, da eine Fortsetzung der ursprünglichen Anfechtungsklage begehrt wird.

2. Erledigung vor Klageerhebung, § 113 I 4 VwGO analog

Bei der Erledigung vor Klageerhebung ist § 113 I 4 VwGO aufgrund des Wortlauts nicht direkt anwendbar. Eine analoge Anwendung ergibt sich daraus, dass ansonsten keine Klagemöglichkeit gegen Verwaltungsakte bestünde, die sich bereits vor Rechtshängigkeit erledigt haben. Begründet wird dies mit einem sonstigen Verstoß gegen Art. 19 IV GG (siehe hierzu BVerwGE 12, 87; 26, 161).

II. Klagebefugnis, § 42 II VwGO

Die Klagebefugnis ergibt sich aus § 42 II VwGO direkt bzw. analog.

III. Ordnungsgemäßes Widerspruchsverfahren, §§ 68 ff. VwGO

Grundsätzlich ist vor Klageerhebung ein Widerspruchsverfahren gemäß §§ 68 ff. VwGO durchzuführen. In einigen Bundesländern (u.a. Bayern, Niedersachsen) entfällt das Widerspruchsverfahren (z.B. Art. 15 I, II BayAGVwGO für Bayern, § 80 I NJG für Niedersachsen) jedoch und ist nur in wenigen fakultativen Fällen von Bedeutung.

IV. Klagefrist, §§ 74 I 2, 58 II VwGO

1. Erledigung nach Klageerhebung

Hat sich der Verwaltungsakt nach Klageerhebung erledigt, ist die Monatsfrist des § 74 I 2 VwGO anzuwenden, da die Klage sich (ursprünglich) auf die Anfechtung des VA bezogen hat.

2. Erledigung vor Klageerhebung

Umstritten ist das Erfordernis einer Fristwahrung bei Erledigung vor Klageerhebung. Nach überwiegender Rechtsprechung ist die Einhaltung einer Klagefrist hier nicht erforderlich, da Sinn und Zweck einer Frist ist, die Bestandskraft eines VA herbeizuführen. Bei einem bereits erledigten VA ist dies nicht mehr möglich (vgl. BVerwG JuS 2000, 720). Nach der Literatur, der sich Teile der Rechtsprechung angeschlossen haben, ist eine Klagefrist einzuhalten, da ansonsten dem Betroffenen ein unbegrenzter Rechtschutz gewährt werden würde ( Kopp/ Schenke, 21. Auflage 2015, § 113 Rn. 128) .
Letzten Endes kann dieser Streit (in der Klausuren)  jedoch meist offen bleiben, da in der Regel der VA keine Rechtsbehelfsbelehrung enthält und damit gem. § 58 II VwGO die Jahresfrist gilt, die in den Klausuren eingehalten werden kann.

V. Beteiligten- und Prozessfähigkeit, §§ 61, 62 VwGO

Die Beteiligten- und Prozessfähigkeit bestimmt nach §§ 61, 62 VwGO.

Jura Individuell-Tipp: Dieser Punkt ist in der Regel kurz anzusprechen und nur zu problematisieren, wenn sich im Sachverhalt Hinweise ergeben.

VI. Berechtigtes Interesse

Zulässig ist die statthafte Fortsetzungsfeststellungsklage allerdings nur, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des erledigten Verwaltungsakts hat. Im Regelfall möchte der Korrektor in der Klausur an dieser Stelle Ausführungen zu folgenden vier Prüfungspunkten lesen:

1. Konkrete Wiederholungsgefahr

Die Wiederholungsgefahr ist gegeben, wenn die hinreichend konkrete Wahrscheinlichkeit besteht, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen ein vergleichbarer VA ergehen wird. Dazu ist nach neuerer Rechtsprechung nicht nur eine konkrete Gefahr erforderlich, sondern muss darüber hinaus die für die Beurteilung maßgeblichen rechtlichen und tatsächlichen Umstände im Wesentlichen unverändert geblieben sein (siehe hierzu BVerwG 8 C 14/12).

2. Rehabilitationsinteresse

Ein Rehabilitationsinteresse ist gegeben, wenn der VA diskriminierenden Charakter hatte und sich aus ihm eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen ergab. Dies ist beispielsweise bei einer publikumswirksamen, polizeilichen Identitätsfeststellung der Fall (vgl. Kopp/ Schenke, 21. Auflage 2015, § 113 Rn. 142).

3. Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses

Die Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses (Art. 34 GG, § 839 BGB) stellt nur dann ein berechtigtes Interesse dar, wenn der VA nach Klageerhebung erledigt ist.
Wenn der VA sich vor Klageerhebung erledigt hat, stellt dies nach der Rechtsprechung jedoch kein berechtigtes Interesse dar. Begründet wird dies unter dem Gesichtspunkt der Prozessökonomie, der VA kann sinnvollerweise von den ordentlichen Gerichten im Rahmen ihrer Vorfragenkompetenz auf Rechtmäßigkeit geprüft werden (vgl. Kopp/ Schenke, 21. Auflage 2015, § 113 Rn. 136).

4. Tiefgreifender Grundrechtseingriff

Umstritten ist, wie tief ein Grundrechtseingriff wirken muss, um ein berechtigtes Interesse zu rechtfertigen. Ausreichend ist nicht jedes Interesse nach Genugtuung, da jeder belastende VA grundrechtsrelevant wäre. Eine bloße Bezugnahme auf Art. 2 I GG reicht daher nicht aus. Bejaht wurde z.B. ein tiefgreifender Grundrechtseingriff bei Freiheitsentziehung zur Durchsetzung eines Platzverweises durch die Polizei unter Hinweis auf Art. 19 IV GG (Kopp/ Schenke, 21. Auflage, § 113 Rn. 45). Im Versammlungsrecht besteht ein Feststellungsinteresse, wenn die Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) schwer beeinträchtigt wurde.

Im Übrigen wird eine typischerweise kurzfristige Erledigung des VA von der herrschenden Meinung als berechtigtes Interesse nicht anerkannt.

C. Begründetheit der Fortsetzungsfeststellungsklage

Wichtig ist stets, den Obersatz korrekt zu formulieren, da dieser die Begründetheit einleitet und die Prüfungsreihenfolge vorgibt.

Obersatz:
Die FFK ist begründet, soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen ist Rechten verletzt, §§ 113 I 1 VwGO, 113 I 4 VwGO (direkt oder analog, siehe oben).

1. Passivlegitimation, § 78 VwGO

Die Klage ist grundsätzlich gegen den Rechtsträger, nicht gegen die Behörde zu richten (sog. Rechtsträgerprinzip), § 78 I Nr. 1 VwGO. Ausnahmsweise können die Bundesländer durch Landesrecht (Verordnung genügt) nach § 78 I Nr. 2 VwGO bestimmen, dass die Klage gegen die zuständige Behörde selbst zu richten. (Kopp/Schenke, VwGO, 20. Auflage 2014, § 80 Rn. 3, 10)

2. Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes

Die Rechtsmäßigkeit wird dann nach gewohntem Schema geprüft, nähere Ausführungen hierzu im Artikel „Die Anfechtungsklage“.

3. Rechtsverletzung

D. Tenorierung für das 2. Staatsexamen

„Es wird festgestellt, dass der Bescheid … des LRA … rechtswidrig war.“

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Allgemeine Feststellungsklage

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Die allgemeine Feststellungsklage ist in § 43 VwGO geregelt. Dabei kann die Feststellungsklage in drei verschiedenen Varianten auftreten: Positive Feststellungsklage ( § 43 I Var. 1 VwGO), negative Feststellungsklage ( § 43 I Var. 2 VwGO) und Nichtigkeitsfestellungsklage ( § 43 I Var. 3 VwGO).

A. Sachurteilsvoraussetzungen

I. Verwaltungsrechtswegseröffnung, § 40 I 1 VwGO

Der Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet, wenn es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art ohne Sonderzuweisung handelt, § 40 I 1 VwGO.

II. Zuständigkeit des Gerichts, §§ 45, 52 VwGO

Die sachliche Zuständigkeit richtet sich nach § 45 VwGO und die örtliche nach § 52 Nr. 1 bis 5 VwGO.

B. Zulässigkeit der allgemeinen Feststellungsklage

I. Statthaftigkeit, § 43 I VwGO

Die Feststellungsklage ist statthaft, wenn der Kläger die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines VA (§ 35 S. 1 VwVfG) begehrt, § 43 I VwGO begehrt.

1. Allgemeines

a. Feststellungsklagen können grundsätzlich in allgemeine Feststellungsklagen, negative Feststellungsklagen und Nichtigkeitsklagen unterschieden werden. Ein Sonderfall ist die Fortsetzungsfeststellungsklage. Voraussetzung der Nichtigkeitsfeststellungsklage ist, dass objektiv ein VA vorliegt, § 43 I Alt. 2 VwGO ist dann für die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes einschlägig..

b. Die Feststellungsklage ist gegenüber Gestaltungs- und Leistungsklagen subsidiär, § 43 II 1 VwGO. Dies bedeutet, dass aus Gründen der Prozessökonomie ein Kläger nur dann den verfolgten Zweck mit einer Feststellungsklage erheben kann, wenn sein Klageziel nicht mit einer Gestaltungs- oder Leistungsklage erreicht werden kann. Eine Ausnahme besteht im jedoch im Falle einer Nichtigkeitsfeststellungsklage, § 43 II 2 VwGO.

2. Allgemeine Feststellungsklage

a. Rechtsverhältnis

Ein Rechtsverhältnis i.S.v. § 43 I VwGO liegt dann vor, wenn eine rechtliche Beziehung aufgrund einer öffentlich- rechtlichen Norm, eines öffentlich-rechtlichen Vertrages oder eines Verwaltungsaktes gegeben ist. Dabei muss sich diese rechtliche Beziehung aus einem hinreichend konkretem Sachverhalt für das Verhältnis einer Person zu einem Gegenstand oder mehreren Personen zueinender ergeben. Jedoch kann ein Rechtsverhältnis sich auch auf ein Vertragsverhältnis von Dritten beziehen, wenn aus diesem Rechtspositionen (z.B. Art. 14 GG) abgeleitet werden können.

b. Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses

II. Klagebefugnis, § 42 II VwGO analog

Eine Klagebefugnis ist nach der Rechtsprechung generell erforderlich, um Popularklagen auszuschließen. Demnach ist § 42 II VwGO analog anzuwenden. Die herrschende Literatur verneint hingegen eine analoge Anwendung mit Bezug auf das Erfordernis eines berechtigten Interesses des Klägers. Allerdings fordert auch die h.L. bei einer Nichtigkeitsfeststellungsklage und Kommunalverfassungsstreitigkeiten eine Klagebefugnis.

III. Kein Vorverfahren

Bei der Feststellungsklage ist kein Vorverfahren gem. §§ 68 ff. VwGO durchzuführen. Ausnahme: Klagen aus dem Beamtenverhältnis.

 IV. Keine Klagefrist

Eine Klagefrist ist nicht zu beachten. Ausnhame: Soweit durch Gesetz nicht ausnahmsweise etwas anderes bestimmt ist, z.B. sind Klagen aus dem Beamtenverhältnis fristgebunden (§§ 126 III BRRG, 172 BBG). Das Recht zur Klageerhebung kann jedoch verwirkt sein.

Jura Individuell- Hinweis: Verwirkung ist dabei Ausdruck des allgemeinen Rechtsgedankens aus Treu und Glauben, wenn etwa längere Untätigkeit nach einer möglichen subjektiven Rechtsverletzung bestand. Verwirkung kann nicht vor der in der VwGO mehrfach erwähnten Jahresfrist (§§ 58 II, 60 III, 76 a.F. VwGO) eintreten, vgl. Kopp/ Schenke, 21. Auflage 2015, § 74 Rn. 20.

V. Beteiligten- und Prozessfähigkeit, §§ 61, 62 VwGO

Die Beteiligten- und Prozessfähigkeit bestimmt nach §§ 61, 62 VwGO.

Jura Individuell-Tipp: Dieser Punkt ist in der Regel kurz anzusprechen und nur zu problematisieren, wenn sich im Sachverhalt Hinweise ergeben.

VI. Feststelllungsinteresse

Bei Feststellungsklagen ist die besondere Sachurteilsvoraussetzung des Feststellungsinteresses in Form eines berechtigten Interesses zu prüfen.

Ein berechtigtes Interesse ist insbesondere gegeben, wenn die Rechtslage unklar ist. Es muss zudem im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts gegeben sein. Im Gegensatz zu § 256 ZPO ist nicht ein rechtliches, sondern ein berechtigtes Interesse erforderlich. Der Begriff des berechtigten Interesses ist dabei weiter als der Begriff des rechtlichen Interesses und schließt diesen mit ein, Kopp/Schenke, VwGO, § 43  Rn. 8). Ein berechtigtes Interesse ist gegeben, wenn nach vernünftigen Erwägungen ein schutzwürdiges Interesse in Betracht kommt, dazu gehören auch rein wirtschaftliche Belange oder ideelle.

C. Begründetheit der Feststellungsklage

Obersatz:

Die Feststellungsklage ist begründet, wenn sie sich gegen den richtigten Beklagten richtet (§ 78 I Nr. 1 VwGO analog)

– und das behauptete Rechtverhältnis besteht (positive Feststellungsklage).

– und das streitige Rechtsverhältnis nicht besteht (negative Feststellungsklage).

– und der angegriffene VA nichtig ist (Nichtigkeitsfestellungsklage).

I. Passivlegitimation, § 78 VwGO analog

Die Klage ist grundsätzlich gegen den Rechtsträger, nicht gegen die Behörde zu richten (sog. Rechtsträgerprinzip), § 78 I Nr. 1 VwGO analog. Ausnahmsweise können die Bundesländer durch Landesrecht (Verordnung genügt) nach § 78 I Nr. 2 VwGO bestimmen, dass die Klage gegen die zuständige Behörde selbst zu richten. (Kopp/Schenke, VwGO, 20. Auflage 2014, § 80 Rn. 3, 10).

II. Bestehen/ Nichtbestehen des Rechtsverhältnisses, Nichtigkeit des VA

D. Tenorierung für das 2. Staatsexamen

„Es wird festgestellt, dass…..“

 

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Die Anfechtungsklage, § 42 I Alt. 1 VwGO

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Die Anfechtungsklage stellt die Standardklage im Verwaltungsprozessrecht dar und spielt sowohl in ersten verwaltungsrechtlichen Klausuren bis hin zu den beiden Staatsexamen eine wichtige Rolle. Sie ist eine Gestaltungsklage, was heißt, dass sie gemäß § 42 I Alt. 1 VwGO auf die Aufhebung eines Verwaltungsakts abzielt.

A. Sachurteilsvoraussetzungen

I. Verwaltungsrechtswegseröffnung, § 40 I 1 VwGO

Der Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet, wenn es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art ohne Sonderzuweisung handelt, § 40 I 1 VwGO.

Jura Individuell-Tipp: In aller Regel ist die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs unproblematisch gegeben und kann kurz mit den gängigen Theorien abgehandelt werden. Ausnahmen kann es v. a. im Polizeirecht bei der Abgrenzung von repressiven und präventiven Maßnahmen geben. Die wichtigsten Fälle der Abgrenzung zwischen den Verwaltungs- und Strafgerichten werden von § 23 EGGVG erfasst.

II. Zuständigkeit des Gerichts, §§ 45, 52 VwGO

Die sachliche Zuständigkeit richtet sich nach § 45 VwGO und die örtliche nach § 52 Nr. 1 bis 5 VwGO.

B. Zulässigkeit der Anfechtungsklage

I. Statthaftigkeit, § 42 I Alt. 1 VwGO

Die Anfechtungsklage ist statthaft, wenn der Kläger die Aufhebung (ganz oder teilweise) eines ihn belastenden Verwaltungsaktes (§ 35 S. 1 VwVfG) begehrt.

II. Klagebefugnis, § 42 II VwGO

Klagebefugt ist, wer möglicherweise (Möglichkeitstheorie) in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt ist. Speziell bei der Anfechtungsklage ergibt sich eine mögliche Rechtsverletzung zumindest aus Art. 2 I GG (Adressatentheorie).

Jura Individuell-Tipp: Adressatentheorie immer gemeinsam mit Art. 2 I GG nennen, da sich eine Rechtsverletzung nicht nach einer Theorie, sondern nur aus dem Gesetz ergibt.

III. Ordnungsgemäßes Widerspruchsverfahren, §§ 68 ff. VwGO

Grundsätzlich ist vor Klageerhebung ein Widerspruchsverfahren gemäß §§ 68 ff. VwGO durchzuführen. In einigen Bundesländern (u.a. Bayern) entfällt das Widerspruchsverfahren (z.B. Art. 15 I, II BayAGVwGO für Bayern) jedoch und ist nur in wenigen fakultativen Fällen von Bedeutung.

 IV. Klagefrist, §§ 74 I 2, 58 II VwGO

Die Anfechtungsklage gegen Verwaltungsakte beträgt nach § 74 I 2 VwGO bei ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung (vgl. § 58 I VwGO) einen Monat. Unterbleibt eine solche, gilt gemäß § 58 II VwGO die Jahresfrist.
Die Klagefrist berechnet sich nach § 57 II VwGO in Verbindung mit §§ 222 I ZPO, 187 I, 188 II BGB. Fällt das Fristende auf einen Samstag, Sonntag oder Feiertag, endet die Frist nach § 222 II ZPO am darauf folgenden Werktag.

Welche Tage allgemeine Feiertage sind, bestimmt sich nach Bundes- und dem Landesrecht, in dem das für die Klage zuständige Gericht seinen Sitz hat. (Achtung: In einem bayerischen Examenstermin wurde das Fristende auf den 8. August in Augsburg  gesetzt, welcher einzig und allein im bayerischen Augsburg ein Feiertag ist.)

V. Beteiligten- und Prozessfähigkeit, §§ 61, 62 VwGO

Die Beteiligten- und Prozessfähigkeit bestimmt nach §§ 61, 62 VwGO.

Jura Individuell-Tipp: Dieser Punkt ist in der Regel kurz anzusprechen und nur zu problematisieren, wenn sich im Sachverhalt Hinweise ergeben.

C. Begründetheit der Anfechtungsklage

Wichtig ist stets, den Obersatz korrekt zu formulieren, da dieser die Begründetheit einleitet und die Prüfungsreihenfolge vorgibt.

Obersatz:

Die Anfechtungsklage ist begründet, soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, § 113 I 1 VwGO.

Obersatz alternativ bei Widerspruchsbescheid:

Die Anfechtungsklage ist begründet, soweit der Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid erhalten hat (§ 79 I Nr. 1 VwGO), rechtswidrig ist und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, § 113 I 1 VwGO.

1. Passivlegitimation, § 78 VwGO

Die Klage ist grundsätzlich gegen den Rechtsträger, nicht gegen die Behörde zu richten (sog. Rechtsträgerprinzip), § 78 I Nr. 1 VwGO. Ausnahmsweise können die Bundesländer durch Landesrecht (Verordnung genügt) nach § 78 I Nr. 2 VwGO bestimmen, dass die Klage gegen die zuständige Behörde selbst zu richten. (Kopp/Schenke, VwGO, 20. Auflage 2014, § 80 Rn. 3, 10)

2. Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes

a) Rechtsgrundlage des VA

Zunächst wird eine Rechtsgrundlage/Befugnisnorm benötigt, auf die die Behörde ihr Handeln stützen kann. Diese kann entweder im Sachverhalt angegeben sein oder muss vom Bearbeiter dem entsprechenden Rechtsgebiet entnommen werden. Diese Norm muss dann im Folgenden konsequent anhand der untenstehenden Gliederungspunkte geprüft werden.

b) Formelle Rechtmäßigkeit

aa) Zuständigkeit

Die handelnde Behörde muss zuständig sein. Sofern eine Landesbehörde handelt, sind die spezifischen landesrechtlichen Vorschriften anzuwenden.

bb) Verfahren

Beim Verfahren ist in erster Linie die Anhörung nach § 28 I VwVfG zu prüfen. Zu beachten ist dabei, dass eine unterbliebene Anhörung bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz noch nachgeholt und damit geheilt werden kann, § 45 I Nr. 3 VwVfG.

cc) Form

Grundsätzlich bedarf nach § 39 I 1 VwVfG ein schriftlicher Verwaltungsakt einer Begründung. Ausnahmen hiervon können sich aus § 39 II Nr. 1 bis 5 VwVfG ergeben.

Achtung: Vorliegend wurden die Normen des BundesVwVfG herangezogen. Bei landesrechtlichen Sachverhalten sind jedoch stets die länderspezifischen Normen zu zitieren, die meist entsprechend der bundesgesetzlichen Regelung gestaltet sind.

c) Materielle Rechtmäßigkeit

aa) Subsumtion der Rechtsgrundlage

Der Sachverhalt muss unter die gesetzlichen Voraussetzungen der Rechtsgrundlage subsumiert werden, auf die sich der Verwaltungsakt stützt. Ist nur eine Voraussetzung nicht erfüllt, ist bereits deshalb der Verwaltungsakt materiell rechtswidrig.

bb) Fehlerfreie Rechtsfolgenentscheidung, § 114 VwGO

Über die Rechtsfolgen muss fehlerfrei entschieden werden. Es ist zwischen Ermessens– und gebundenen Entscheidungen zu differenzieren.

Welche Entscheidung zu ergehen hat, ist dem Gesetzeswortlaut zu entnehmen: „Soll-Vorschriften“ ziehen eine Ermessensentscheidung mit sich (sog. „intendiertes Ermessen“), während Vorschriften mit strikten Anweisungen an die Behörde, die durch „hat“ oder „ist“ gekennzeichnet sind, eine gebundene Entscheidung darstellen.

Bei Ermessensentscheidungen ist eine Ermessensprüfung durchzuführen. Eine Grenze stellt das verfassungsmäßig geschützte Prinzip der Verhältnismäßigkeit dar.

3. Rechtsverletzung

Bei einem belastenden Verwaltungsakt wird durch die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes (in der Regel) die Rechtsverletzung des Klägers indiziert.

D. Tenorierung für das 2. Staatsexamen

Im Folgenden werden Tenorierungskonstellationen dargestellt, wobei auf die Kostengrundentscheidung, die vorläufige Vollstreckbarkeit und die Entscheidung über die Zulassung der Berufung verzichtet wird.

1. Das Gericht hält den Bescheid für rechtmäßig.

Tenor: „Die Klage wird abgewiesen.“

 

2. Das Gericht hebt den Bescheid (vollständig) auf.

Tenor: „Der Bescheid des (…) vom (…) wird aufgehoben.“

 

3. Das Gericht hebt den Bescheid teilweise auf.

Tenor: „Der Bescheid des (…) vom (…) wird insoweit aufgehoben, als (…). Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Vielen Dank, dass Sie diesen Beitrag gelesen haben. Wir hoffen, dass er Ihnen weiterhelfen oder zumindest Ihr Interesse wecken konnte. Hier finden Sie den Beitrag Die Anfechtungsklage, § 42 I Alt. 1 VwGO auf unserer Website Jura Individuell.

Rechtswidrigkeit von Bebauungsplänen

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Soll in Baurechtsklausuren gegen einen Bebauungsplan ein Rechtsmittel erhoben werden, ist nach § 47 I Nr.1 VwGO, § 10 BauGB der Normenkontrollantrag die statthafte Klageart. Zum Aufbau und Fragen der Zulässigkeit kann auf das Schema der Normenkontrolle nach § 47 VwGO verwiesen werden. Vorliegend werden der Aufbau und die Prüfung der formellen und materiellen Rechtmäßigkeit von Bebauungsplänen innerhalb der Begründetheit einer Normenkontrolle besprochen.

Jura individuell- Hinweis: Meist soll in Klausuren gegen die Gemeinde vorgegangen werden, die den Bebauungsplan erlassen hat.

Begründetheit Obersatz:
Der Normenkontrollantrag ist begründet, wenn er sich gegen den richtigen Antragsgegner richtet und wenn die angegriffene Rechtsnorm gegen höherrangiges formelles oder materielles Recht verstößt.

1. Passivlegitimation
Die Gemeinde ist nach § 47 II S. 2 VwGO der richtige Antragsgegner, da sie die Rechtsvorschrift erlassen hat.

2. Nach § 10 I BauGB beschließt die Gemeinde den Bebauungsplan als Satzung. Fraglich ist, ob die Satzung gegen höherrangiges formelles oder materielles Recht verstößt.
a. Ermächtigungsgrundlage für den Bebauungsplan: §§ 1 II, II S. 1, 10 BauGB
b. Formelle Rechtmäßigkeit des Bebauungsplans
aa. Zuständigkeit
Nach § 2 I S. 1 BauGB ist die Gemeinde für den Erlass von Bebauungsplänen grundsätzlich zuständig (Verbandskompetenz).

bb. Verfahren

Das Verfahren wird unterteilt in (Plan)Aufstellungsbeschluss (§ 2 I S. 1 BauGB), Umweltprüfung (§ 2 IV BauGB), frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung, frühzeitige Behördenbeteiligung (§ 4), Ermittlung und Bewertung des Abwägungsmaterials (§ 2 III BauGB), ordnungsgemäßer Satzungsbeschluss (§ 10 BauGB), Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde (§ 10 II BauGB), Bekanntmachung.

aaa. Aufstellungsbeschluss der Gemeinde, § 2 I 2 BauGB
Das Verfahren beginnt mit dem Beschluss der Gemeinde einen Bebauungsplan aufzustellen. Nach § 2 I BauGB ist der Beschluss ortsüblich bekannt zu machen.
Der Aufstellungsbeschluss ist für den Bebauungsplan keine Wirksamkeitsvoraussetzung ( Jäde/ Dirnberger/ Weiss BauGB 7. Auflage § 2 Rn. 2), für die Gemeinde ist die Aufstellung fakultativ. Ist er aber gefasst, ist er ortsüblich bekannt zu machen.

bbb. Umweltprüfung, § 2 VI BauGB
Nach § 2 IV S. 1 HS 1 BauGB ist für die Belange des Umweltschutzes nach § 1 VI Nr. 7 und § 1a eine Umweltprüfung erforderlich, in der die voraussichtlich erheblichen Umweltauswirkungen ermittelt werden und ein Umweltbericht (s. hierzu § 2a BauGB) beschrieben und bewertet wird. Diese Vorgang ist zwingender Bestandteil des Bebauungsplanes (nach Jäde/ Dirnberger/ Weiss BauGB 7. Auflage § 2 Rn. 50 integraler Bestandteil des Bebauungsplans).

ccc. Frühzeitige Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung

Nach § 3 BauGB ist die Öffentlichkeit möglichst frühzeitig (Beurteilungsspielraum der Gemeinde) über die Planung zu unterrichten. Im zweiten Schritt hat die Gemeinde nach § 3 II BauGB die Entwürfe der Bauleitpläne für die Dauer eines Monats öffentlich auszulegen.

In Klausuren wird vom Klausurersteller oft mit dieser Frist gespielt und ein Fristproblem eingebaut. Wissen muss man: Es handelt sich bei der Monatsfrist nicht um eine Ereignisfrist, sondern um eine Ablauffrist i.S.d. § 187 II S. 1 BGB. Der erste Tag der Auslegung wird danach mitgezählt. Fällt der letzte Tag der Auslegung auf einen arbeitsfreien Tag, ist eine entsprechende Verlängerung der Auslegung erforderlich. Die Gemeinde darf die Monatsfrist verlängern, da es eine Mindestfrist ist. Sie muss sich aber an eine verlängerte Mindestfrist halten, wenn sie diese zuvor öffentlich bekannt gemacht hat. Den Gemeindebürger muss während des Monats auch in zumutbarer Weise Gelegenheit gegeben werden den Planungsentwurf einzusehen. Zu welchen Zeiten schreibt das Gesetz nicht vor. Siehe zu Vorstehendem auch Jäde/ Dirnberger/ Weiss BauGB 7. Auflage § 3 Rn. 14 ff.

Ist die Vorschrift des § 3 II BauGB verletzt worden, so ist der Bebauungsplan schwebend unwirksam. Er kann aber nach § 214 IV BauGB rückwirkend in Kraft gesetzt werden. Unbeachtlich nach § 214 I Nr. 2 BauGB ist es indes, wenn einzelne Personen nicht beteiligt wurden, deren Belange unerheblich waren oder wenn sie bei der Entscheidung berücksichtigt wurden.

Nach § 4 I BauGB sind die Behörden und sonstigen Träger öffentlicher Belange entsprechend § 3 I 1 HS 1 BauGB, also frühzeitig, zu unterrichten und zu einer Äußerung aufzufordern. Die Stellungnahmen sind nach § 4 II BauGB innerhalb eines Monats abzugeben. Nach § 4a II kann (fakultativ, nicht „muss“ – die Gemeinde hat die Wahl) die Unterrichtung der Öffentlichkeit gleichzeitig mit Unterrichtung der Behörden und die Auslegung gleichzeitig mit Einholung der Stellungnahmen durchgeführt werden.

Wurden Träger öffentlicher Belange nicht am Verfahren beteiligt, ist dies nach § 214 I Nr. 2 BauGB unbeachtlich, wenn bei der Anwendung der Vorschriften die Belange unerheblich waren oder in der Entscheidung berücksichtigt wurden.

ddd. Ermittlung und Bewertung des Abwägungsmaterials
Nach § 1 VII BauGB sind bei der Aufstellung der Bebauungspläne die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander abzuwägen. Diese Vorschrift ist eine materiell-rechtliche Vorschrift. Das Abwägungsgebot wird dann unten in der materiellen Rechtmäßigkeit geprüft.

Nach § 2 III BauGB sind die Belange, die für die Abwägung von Bedeutung sind (Abwägungsmaterial) zu ermitteln und zu bewerten (Ermittlungsgebot).
§ 2 III BauGB ist eine Verfahrensvorschrift, die Mängel bei der Ermittlung und Bewertung des Abwägungsmaterials erfasst. Die Vorschrift umfasst Mängel im Abwägungsvorgang, Abwägungsausfall und Abwägungsdefizit (Jäde/ Dirnberger/ Weiss BauGB 7. Auflage 2013 § 2 Rn. 17).

Abwägungsausfall – Eine Abwägung hat gar nicht stattgefunden.
Abwägungsdefizit – Nach Lage der Dinge wurden Belange nicht eingestellt, die eingestellt hätten werden müssen.

Nach § 214 I Nr. 1 BauGB ist es aber nur beachtlich, wenn die von der Planung berührten Belange, die der Gemeinde bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen, in wesentlichen Punkten nicht zutreffend ermittelt oder bewertet worden sind und wenn der Mangel offensichtlich und auf das Ergebnis des Verfahrens von Einfluss gewesen ist.
Gem. § 214 III S. 2 HS 1 BauGB können Mängel, die der Regelung nach § 214 I S. 1 Nr. 1 BauGB unterfallen, nicht mehr als Mängel der Abwägung geltend gemacht werden.
Gem. § 214 III S. 2 HS 2 BauGB sind die übrigen Mängel im Abwägungsvorgang nur erheblich, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind.

Jura Individuell- Hinweis: Die übrigen Mängel, Abwägungsfehleinschätzung und Abwägungsdisproportionalität werden dann im materiell-rechtlichen Teil geprüft.

eee. Ordnungsgemäßer Satzungsbeschluss, § 10 I BauGB
An dieser Stelle ist die kommunale Satzung nach dem landesrechtlichen Kommunalgesetz zu prüfen.

fff. Begründung des Beschlusses
Nach § 9 VIII BauGB ist dem Bebauungsplan eine Begründung mit den Angaben nach § 2a zuzufügen.

ggg. Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde
Nach § 10 II BauGB bedürfen Bebauungspläne nach § 8 II S. 2 (selbständiger Bebauungsplan), III S. 2 (parallel entwickelter Bebauungsplan) und IV (vorzeitiger Bebauungsplan) der Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde. Hier handelt es sich um Fälle, in denen nicht – wie im Regelfall – zunächst ein Flächennutzungsplan vor dem Bebauungsplan erstellt wurde. Denn hier bedarf bereits der Flächennutzungsplan nach § 6 I BauGB der Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde. In der Regel sind die Bebauungspläne (sodann) nicht genehmigungspflichtig. Gem. § 214 I S. 1 Nr. 4 BauGB ist der Bebauungsplan im Fall des § 10 II BauGB ohne Genehmigung unwirksam. Er kann aber nach § 214 IV BauGB durch ein ergänzendes Verfahren rückwirkend in Kraft gesetzt werden.

hhh. Bekanntmachung des Beschlusses
Gem. § 10 III BauGB ist der Beschluss des Bebauungsplanes durch die Gemeinde ortsüblich bekannt zu machen.

c. Materielle Rechtmäßigkeit

aa. Erforderlichkeit der Planung § 1 III BauGB
Nach § 1 III BauGB haben die Gemeinden Bauleitpläne aufzustellen, „sobald und soweit“ es für die städtebauliche Ordnung erforderlich ist. Die Gemeinden dürfen danach Bebauungspläne aufstellen, wenn es zur städtebaulichen Entwicklung vernünftigerweise geboten ist (keine Negativplanung).

bb. Zulässige Festsetzungen
Nach § 9 I – VII BauGB kann die Gemeinde im Bebauungsplan Festsetzungen treffen. Diese sind in § 9 BauGB abschließend genannt. Die planerische Gestaltungsfreiheit ist an das Erforderlichkeitsgebot nach § 1 II S. 1 BauGB gebunden (Jäde/ Dirnberger/ Weiss BauGB 7. Auflage 2013 § 9 Rn. 3).

cc. Anpassungsgebot
Nach § 1 IV BauGB sind die Bauleitpläne den Zielen der Raumordnung anzupassen.

dd. Entwicklungsgebot
Nach § 8 II 1 BauGB sind die Bebauungspläne aus dem Flächennutzungsplan zu entwickeln. Hat die Gemeinde noch keinen Flächennutzungsplan, so hat sie diesen grundsätzlich zunächst aufzustellen. Eine Ausnahme besteht nach § 8 II S. 2 BauGB. Danach ist ein Flächennutzungsplan nicht erforderlich, wenn der Bebauungsplan ausreicht, um die städtebauliche Entwicklung zu ordnen. Diese Ausnahme ist jedoch streng zu handhaben und ist nur gegeben, wenn der Flächennutzungsplan nach Lage der Dinge kein über das faktisch schon Vorhandene hinausgehendes städtebauliches Ordnungsziel setzen kann (Jäde, BauGB 7. Auflage 2013 § 8 Rn. 11 ). Eine weitere Ausnahme besteht sowohl bei § 8 III S. 2 BauGB bei einem Parallelverfahren und auch nach § 8 IV S. 1 BauGB, wenn dringende Gründe es erfordern und der Bebauungsplan der städtebaulichen Entwicklung des Gemeindegebiets nicht entgegenstehen wird (vorzeitiger Bebauungsplan). Dringende Gründe liegen nach dem BVerwG vor, wenn das Entwicklungsgebot mit dem Gebot nach § 1 III S. 1 BauGB in Konflikt steht und die städtebauliche Entwicklung durch das Entwicklungsgebot gefährdet ist.

ee. Abstimmungsgebot
Nach § 2 II BauGB müssen Bauleitpläne benachbarter Gemeinden aufeinander abgestimmt werden. Dabei besteht das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme.

ff. Kein Verstoß gegen das Abwägungsgebot
Nach § 1 VII BauGB sind bei der Aufstellung der Bebauungspläne die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander abzuwägen.

Jura Individuell- Hinweis: Verfahrensrechtliche Fehler beim Abwägungsvorgang sind in der formellen Rechtmäßigkeit zu prüfen, siehe oben.

Materiell-rechtlich werden Fehler des Abwägungsergebnisses überprüft:

Abwägungsfehleinschätzung – Die Bedeutung der betroffenen Belange wird verkannt.
Abwägungsdisproportionalität – Die objektive Gewichtung einzelner Belange steht außer Verhältnis.

Der Bebauungsplan ist unwirksam, wenn gegen das Gebot der gerechten Abwägung verstoßen wird, es sei denn, der Verstoß ist so gering, dass er als unbeachtlich eingestuft werden kann.
Fehler können zwar durch ein weiteres Verfahren nach § 214 IV BauGB geheilt werden, jedoch nur bei einer insgesamt intakten Gesamtplanung und wenn es sich nur um punktuelle Nachbesserungen handelt. Ist die gesamte Planung von einem Fehler betroffen, ist dieser nicht reparabel.
Bei einem Normenkontrollantrag nach § 47 VwGO hat daher eine Klage gegen den Bebauungsplan Aussicht auf Erfolg und das Gericht würde den Bebauungsplan nach § 47 V S. 2 VwGO für unwirksam erklären.

Jura Individuell- Hinweis: In Klausuren werden oftmals Stellungnahmen der einzelnen Behörden wie dem Landesamt für Denkmalpflege oder der Landesgewerbeanstalt (z.B. Immissionswerte) angegeben. Diese Gesichtspunkte sollten dann in die Abwägung miteinfließen aber nicht angezweifelt werden. Es gilt: gibt die Behörde einen Richtwert an (z.B.: „steht dem Denkmalschutz nicht entgegen“) ist das in der Klausur ein feststehender Fakt.

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Vollstreckung Polizeirecht Klausur

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Rheinland-Pfalz Spezial

Der folgende Artikel liefert einen Überblick über die Vollstreckung im Polizeirecht. Zu unterscheiden ist die Vollstreckung im gestreckten Verfahren einerseits und der sofortige Vollzug/ unmittelbare Ausführung andererseits. Wann welche Vorschrift zur Anwendung gelangt, wird nun erläutert.

A. Einleitung

Zunächst ist zu klären, wann das Vollstreckungsrecht überhaupt anwendbar ist. Im Polizeirecht kann die Behörde aufgrund der ihr eingeräumten Ermächtigungsgrundlagen gewisse Maßnahmen ergreifen. Hier sind die Standardmaßahmen wie beispielsweise die Ingewahrsamnahme (§ 14 POG RlP) oder die Sicherstellung ( § 22 POG RlP) sicherlich jedem bekannt.

Wird beispielsweise der angetrunkene B in Gewahrsam genommen, nachdem er mehrere Passanten angepöbelt hat und diese auch bedroht hat, so ist bereits fraglich, ob es sich hierbei um einen Verwaltungsakt handelt.

Jura Individuell Hinweis: Der Artikel „Der Verwaltungsakt im Polizeirecht“ beschäftigt sich ausführlich mit der Abgrenzung eines Verwaltungsakts zum Realakt und eignet sich an dieser Stelle gut, um diese Thematik zu repetieren. Daher wird die Problematik hier nur noch knapp dargestellt.

Es kommt in dem Beispielsfall darauf an, ob die Beamten dem B die Gewahrsamnahme vorher angeordnet haben- ein VA kann auch mündlich ergehen. Dann ist ein VA zu bejahen. Haben die Beamten dem B dies jedoch nicht angeordnet, so handelt es sich lediglich um einen Realakt.

Die Einordnung, ob es sich um einen VA oder um einen Realakt handelt spielt bei der Wahl des statthaften Rechtsschutzes eine Rolle.

Ebenso ist es aber auch für Konstellationen wichtig, die sich mit der Vollstreckung auseinandersetzen.

In unserem Beispiel soll dem B die Ingewahrsamnahme angeordnet worden sein. Es handelt sich daher um einen VA. Der B hat sich nun massiv der Ingewahrsamnahme widersetzt. Er spuckte die Beamten an, tritt und flucht. Den Beamten gelingt es nur mit erheblichem Einsatz von Gewalt, den sich sträubenden B zu fesseln. Nun ist in einem zweiten Schritt fraglich, ob § 14 POG RlP eigentlich auch die Befugnis umfasst, dass die Beamten Gewalt anwenden dürfen. Man könnte sich ja auch auf den Standpunkt stellen, dass § 14 POG RlP wirklich nur die Ermächtigungsgrundlage zur Ingewahrsamnahme darstellt. Es gibt Stimmen in der Rechtswissenschaft die vertreten, dass die Standardmaßnahmen immer das Recht enthalten, auch Gewalt anzuwenden. Allerdings ist dieser Auffassung entgegenzuhalten, dass die Regeln über die Vollstreckung ja nicht ohne Grund eingeführt worden sind. Würde man alles auf die Standardmaßahmen stützen, dann würden die Regeln über die Vollstreckung nahezu leer laufen. Dies kann allerdings nicht Wille des Gesetzgebers gewesen sein. Nach Vorzugswürdiger Ansicht ist daher wie folgt zu differenzieren:

Alle Zwangsmaßnahmen, die mit der Durchführung der Standardmaßahmen eng verbunden sind, sind von der Standardmaßahme umfasst.

In unserem Beispielsfall wäre dies das Festhalten der Arme des B, um diesen zu fesseln.

Alle darüber hinausgehenden Maßnahmen werden dagegen auf die Vorschriften der Vollstreckung gestützt.

Im obige Beispiel mussten die Beamten massive Gewalt einsetzen um den B zu fesseln. Dies war daher nicht mehr von der Standardmaßahme des § 14 POG RlP umfasst.

Es stellt sich nun die Frage, auf welche Ermächtigungsgrundlage diese Gewaltanwendung gestützt werden kann.

Hier kommen nun die Vorschriften der Vollstreckung zur Anwendung.

In Betracht kommt das gestreckte Verfahren sowie der sofortige Vollzug/ unmittelbare Ausführung.

I. Abgrenzung

Um die drei Vollstreckungsinstitute richtig anzuwenden, muss ersteinmal abgeklärt werden, wann diese einschlägig sind.

§ 61 Abs.1 LVwVG, also das sog. gestreckte Verfahren, ist immer dann einschlägig, wenn ein VA vollstreckt werden soll.

§ 61 Abs.2 LVwVG kommt zur Anwendung, wenn ohne vorausgehenden VA sofort Verwaltungszwang angewendet werden soll, und zwar bei einem mutmaßlich entgegenstehenden Willen des Adressaten.

§ 6 POG dagegen kommt zur Anwendung wenn der Adressat abwesend ist, allerdings ohne oder mit dem mutmaßlichen Willen des Adressaten.

Jura-Individuell Hinweis: Eine Abgrenzung zwischen sofortigem Vollzug und unmittelbarer Ausführung kann nur relevant werden, wenn die Behörde eine vertretbare Handlung vornimmt. Bei unvertretbaren Handlungen kommt nur der sofortige Vollzug in Betracht.

II. § 61 Abs.1 LVwVG- gestrecktes Verfahren

1. Ermächtigungsgrundlage

§ 61 Abs.1 LVwVG i.V.m. § 62 Abs.1 Nr. 1-2, § 63 ff. LVwVG

 2.  Formelle RM der Zwangsmaßnahme

Androhung, Festsetzung, Anwendung

 3.Materielle RM der Zwangsmaßnahme

a) Grund- VA:An dieser Stelle wird nun die Rechtmäßigkeit des Grund- VA geprüft. In unserem Bespiel war dies die Ingewahrsamnahme. Dies müsste dann geprüft werden (EGL, formelle- materielle Rechtmäßigkeit).

b) Vollstreckbarkeit

c) Fehlen von Vollstreckungshindernissen

d) TB- Voraussetzungen des Zwangsmittels

    4.Ermessen und Verhältnismäßigkeit

III .§ 61 Abs. 2 LVwVG- Sofortvollzug

Hat die Polizei oder die allgemeinen Ordnungsbehörde nicht die Möglichkeit einen vorausgehenden VA zu erlassen, muss diese trotzdem handlungsfähig sein.

Bei mußmaßlich entgegenstehenden Willen des Adressaten ist dann § 61 Abs.2 LVwVG einschlägig.

 1.Ermächtigungsgrundlage

§ 61 Abs.2 i.V.m. §§ 62 Abs.1 Nr. 1, 63 LVwVG

2.Formelle Rechtmäßigkeit

Zuständigkeit, Anwendung

3.Materielle Rechtmäßigkeit

a) hier: Prüfung eines fiktiven VA ( EGL, formelle und materielle Rechtmäßigkeit)

b) Notwendigkeit gegenwätiger Gefahrenabwehr

c) Fehlen von Vollstreckungshindernissen

d) TB- Voraussetzungen des Zwangsmittels

4.Ermessen und Verhältnismäßigkeit

 IV.§ 6 Abs. 1 POG- unmittelbare Ausführung

1.Ermächtigungsgrundlage

§ 6 Abs.1 POG

2. Formelle Rechtmäßigkeit

Zuständigkeit, besondere Verfahrensbestimmung des § 6 Abs.1 S.2 POG

  3. Materielle Rechtmäßigkeit

a) Rechtmäßigkeit einer fiktiven Maßnahme

b) vertretbare Handlung

c) Notwendig der unmittelbaren Ausführung

   4.Ermessen und Verhältnismäßigkeit

B. Fazit

Bei einer Vollstreckungsrechtlichen Klausur ist immer zu überlegen, ob der Normalvollzug nach § 61 Abs. 1 LVwVG oder der Sofortvollzug nach § 61 Abs. 2 LVwVG einschlägig ist. Der Sofortvollzug ist bei vertretbaren andlungen sodann von der unmittelbaren Ausführung nach dem POG  gemäß § 6 Abs.1  POG abzugrenzen.

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Glaubens- und Gewissensfreiheit – Art. 4 GG

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Das nachfolgende Schema soll eine Übersicht über den Aufbau sowie die wesentlichen Merkmale und Probleme des Grundrechts liefern. In einer Klausur ist im Zweifel nur auf diejenigen Aspekte einzugehen, die für den konkreten Fall relevant sind.

I. Schutzbereich

1. Persönlich

In persönlicher Hinsicht umfasst der Schutzbereich des Art. 4 GG zunächst jedermann, also alle Menschen im Geltungsbereich des Grundgesetzes und damit auch Kinder. Bei Kindern ist allerdings zu beachten, wann sie in der Lage sind die Religionsfreiheit selbst, also ohne oder gegen den Willen ihrer Eltern, geltend machen zu können. Orientiert man sich dabei am Gesetz über religiöse Kindererziehung, so ist die Grundrechtsmündigkeit von Kindern hinsichtlich der Glaubens- und Gewissensfreiheit mit 14 Jahren anzunehmen.

Darüber hinaus umfasst der persönliche Schutzbereich des Art. 4 GG auch Personenvereinigungen, da der Glaube nicht nur persönlich, sondern auch kollektiv ausgeübt werden kann. Unabhängig von der Rechtsfähigkeit oder der -form sind damit auch Kirchengemeinden vom Schutzbereich umfasst. Eine förmliche Anerkennung als Kirche ist damit nicht erforderlich. Da Handels- und Kapitalgesellschaften allerdings grundsätzlich keine dieser religiösen Motive verfolgen, scheiden sie aus dem persönlichen Schutzbereich des Art. 4 GG aus.

2. Sachlich

In sachlicher Hinsicht ist der Schutzbereich des Art 4 GG in einen allgemeinen und in einen konkreten Schutzbereich aufzugliedern. Allgemein betrachtet stellt Art. 4 GG ein einheitliches Grundrecht dar, das zwei Schutzbereiche besitzt: Zum einen dient es dem Schutz der inneren Überzeugungsbildung (forum internum) und zum anderen dem Schutz der Verwirklichung und Betätigung der Überzeugung nach außen (forum externum).

Zur Beurteilung des konkreten Schutzbereichs ist es notwendig, zwischen den einzelnen Absätzen des Art. 4 GG zu differenzieren. Allerdings fallen Art. 4 I GG und Art. 4 II GG mittlerweile zusammen und dienen dem Schutz von Glaube, Religion und Weltanschauung, während Art. 4 III GG die Gewissensfreiheit umfasst. Im Detail enthält der Schutzbereich folgendes:

  • Die Religions- und Weltanschauungsfreiheit (einschließlich der Bekenntnisfreiheit) aus Art. 4 I, II GG lässt sich in einen positiven und einen negativen Schutzbereich untergliedern. Danach wird positiv die Freiheit geschützt, einen Glauben, also eine religiöse Überzeugung oder aber eine Weltanschauung, also eine areligiöse Überzeugung, zu bilden, zu haben, zu äußern und danach zu handeln. In negativer Hinsicht hingegen wird die Freiheit geschützt, einen Glauben oder eine Weltanschauung gerade nicht bekennen zu müssen, diese verschweigen zu können und glaubensbegleitende Handlungen zu unterlassen. Zum Teil waren diese Negationen bereits in Art. 136, 137 der Weimarer Reichsverfassung enthalten und finden heute über Art. 140 GG weiterhin Anwendung.

Unter dem Begriff Glaube ist eine Auffassung über die Stellung des Menschen in der Welt und seine Beziehungen zu höheren Mächten und tieferen Seinsschichten zu verstehen. Die Glaubensfreiheit wird grundsätzlich unabhängig von der kulturellen Vorbestimmtheit der Gemeinschaft gewährleistet. Es kommt demnach auch nicht auf die zahlenmäßige Stärke und soziale Relevanz einer religiösen Vereinigung an. Problematisch an dieser sehr weiten Interpretation ist, dass der Schutzbereich konturlos werden würde. Deshalb ist eine Einschränkung des Schutzbereiches notwendig und schützt daher nur, was tatsächlich nach geistigem Gehalt und äußerem Erscheinungsbild als Religion zu qualifizieren ist. Nicht geschützt ist folglich ein Handeln, das der Glaube lediglich erlaubt, nicht aber gebietet.

  • Die Gewissensfreiheit aus Art. 4 III GG schützt Gewissensentscheidungen. Unter Gewissensentscheidung versteht man jede ernste und sittliche, an den Kategorien von „Gut“ und „Böse“ orientierte Entscheidung, die der Einzelne in einer bestimmten Lage als für sich bindend und unbedingt verpflichtend innerlich erfährt, sodass er gegen sie nicht ohne ernste Gewissensnot handeln kann. Insofern fällt unter die Gewissensfreiheit auch das Recht auf Kriegsdienstverweigerung, das als lex specialis zu Art. 4 I GG herangezogen werden musste, wenn man den Kriegsdienst nicht mit seinem Gewissen vereinbaren konnte.

II. Eingriff

Der Schutzbereich des Art. 4 GG ist betroffen, wenn der Staat Glaubensbetätigungen verbietet oder erheblich erschwert, selbst missioniert oder Handlungen gebietet, die in die negative Glaubensfreiheit oder in die Gewissensfreiheit eingreifen. Eingriffe sind damit generell möglich in das Denken (Beeinflussung von Wertvorstellungen), Reden (Zwang zum Offenbaren/Verschweigen) und Verhalten (Zwang zu bestimmten Handeln/Unterlassen, das gegen verbindliche Wertvorstellungen eines Glaubens, einer Weltanschauung oder eines Gewissens verstößt).

III. Rechtfertigung

1. Schranke

In Art. 4 I, II GG ist keine Schrankenregelung enthalten. Lediglich Art. 4 III GG enthält einen Regelungsvorbehalt durch ein Bundesgesetz, der allerdings nur auf die Kriegsdienstverweigerung Anwendung findet. Vereinzelte Grundrechtsschranken und vor allem ein Vorbehalt der allgemeinen Gesetze finden sich überdies in den Vorschriften der Weimarer Reichsverfassung, die grundsätzlich über Art. 140 GG Anwendung findet. Allerdings lehnt das BVerfG diese Konstruktion in ständiger Rechtsprechung ab und geht vielmehr davon aus, dass die Glaubens- und Gewissensfreiheit vorbehaltlos gewährleistet werden.

Die scheinbar vorbehaltlos gewährte Glaubensfreiheit darf aber nicht dazu führen, dass andere wichtige Verfassungsgüter oder Grundrechte Anderer unangemessen beschränkt oder beeinträchtigt werden. Deshalb unterliegt auch die Glaubensfreiheit einer verfassungsimmanenten Schranke, wobei man wegen des Grundsatzes vom Vorbehalt des Gesetzes eine gesetzliche Grundlage verlangen muss.

2. Schranken-Schranke

Auch wenn Art. 4 GG im Einzelfall durch kollidierendes Verfassungsrecht eingeschränkt werden kann, bedeutet dies nicht, dass Art. 4 GG ganz zurücktreten muss. Vielmehr ist eine ausführliche Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen, wobei unter dem Prüfungspunkt der Angemessenheit insbesondere der Aspekt der praktischen Konkordanz der betroffenen Verfassungswerte eine herausragende Rolle einnimmt. Demnach ist ein schonender Ausgleich zwischen den Grundrechten oder sonstigen Verfassungswerten zu suchen, sodass möglichst kein Grundrecht oder Verfassungswert gänzlich zurücktreten muss.

Wie eine ordentliche Verhältnismäßigkeitsprüfung zu erfolgen hat, kann man in unserem Artikel „Ermessen und Verhältnismäßigkeit“ nachlesen.

Eine Zitierpflicht gem. Art. 19 I 2 GG besteht hinsichtlich von Art. 4 GG, wegen des fehlenden Gesetzesvorbehalts, gerade nicht.

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Abschleppfälle Polizeirecht Examen

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 Rheinland-Pfalz Spezial

Im Folgenden werden die gängigen Klausurvarianten der examensrelevanten „Abschleppfälle“ dargestellt und unter Nennung der wichtigsten Normen des POG Rheinland-Pfalz schematisch aufbereitet.

Da hier je nach Konstellation verschiedene gesetzliche Regelungen greifen, sollen die Abgrenzungsmerkmale hier vorgestellt werden. Danach steht einer erfolgreichen Klausur nichts mehr im Wege!

Jura-Individuell-Hinweis: Im Folgenden werden die Normen des POG RlP genannt. Auf die Nennung der einschlägigen Normen der übrigen Bundesländer wird verzichtet.

A. Vorüberlegung: Auswahl der passenden Ermächtigungsgrundlage

Fraglich ist, auf welche Ermächtigungsgrundlage die Polizei ihr Handeln stützt. In Betracht kommen grundsätzlich:

a) § 44 Abs. 2 S. 2 StVO

b) § 22 Nr. 2 StVO

c) Ersatzvornahme

aa) Wenn VA (+) dann gestrecktes Verfahren, § 61 Abs. 1 LVwVG

bb) wenn VA (-) dann unmittelbare Ausführung/sofortiger Vollzug, § 61 Abs. 2 LVwVGbzw. § 6 Abs. 1 S. 1 POG

I. Abschleppen eines Kfz wegen Gefahr für das Kfz

Polizeibeamte der Stadt T entdecken bei der Streife im Problembezirk, in dem es auch häufig zu Diebstählen aus Fahrzeugen kommt, dass der PKW des A mit offenem Fenster auf der Fahrerseite abgestellt wurde. A ist nicht anzutreffen. Die Beamten beauftragen den Unternehmer G mit dem Abschleppvorgang. Der PKW wird auf das Betriebsgelände des Unternehmers verbracht.

Vorüberlegung: Fraglich ist, auf welche Ermächtigungsgrundlage die Polizei ihr Handeln stützt. In Betracht kommen grundsätzlich alle oben Genannten.

1. § 44 Abs. 2 StVO

Zuerst anzuprüfen ist diese Norm immer bei den Abschleppfällen. Gemäß § 44 Abs. 2 StVO kann die Polizei bei Gefahr im Verzuge VORLÄUFIGE Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung treffen.

Bei dem Abschleppen müsste es sich dann also um eine „vorläufige“ Maßnahme handeln, damit diese Norm als Ermächtigungsgrundlage herangezogen werden kann. Allerdings wird durch den Abschleppvorgang ja keine vorläufige Maßnahme getroffen, sondern das KFZ wird endgültig an einen anderen Ort verbracht. Diese Norm scheidet also aus.

2. § 22 Nr. 2 POG RlP

Hat man § 44 Abs. 2 StVO abgelehnt, prüft man weiter. In Betracht kommt als Nächstes § 22 Nr. 2 POG RlP als Ermächtigungsgrundlage.

Demnach können die allgemeinen Ordnungsbehörden und die Polizei eine Sache sicherstellen, um den Eigentümer oder den rechtmäßigen Inhaber der tatsächlichen Gewalt vor Verlust oder Beschädigung einer Sache zu schützen.

Unter Sicherstellung versteht man hierbei die Beendigung des Gewahrsams des Eigentümers oder sonstigen Berechtigten einer Sache unter Begründung neuen Gewahrsams durch die Polizei oder die von ihr beauftragten Personen zum Zwecke der Gefahrenabwehr.

Im Beispielsfall wurde der PKW des A zum Schutz vor fremden Zugriff zum Betriebsgelände des Abschleppunternehmers verbracht. Insofern muss hier der Streit, ob eine Sicherstellung gemäß § 22 Nr. 2 POG RlP vorliegt, nicht geführt werden, da dies in der Rechtsprechung und Literatur in dieser Fallkonstellation einstimmig bejaht wird.

Jura-Individuell-Tipp: § 22 Nr. 2 POG RlP  ist daher immer einschlägig, wenn von der sichergestellten Sache eine Gefahr abzuwenden ist.

II. Abschleppen bei bestehendem Verkehrszeichen

A parkt seinen PKW auf einem Behindertenparkplatz. Ein Verkehrszeichen weist darauf hin, dass es sich hierbei um einen Parkplatz nur für behinderte Autofahrer handelt.

Vorüberlegung: Bei dem Verkehrszeichen handelt es sich um einen Verwaltungsakt in Gestalt einer Allgemeinverfügung gemäß § 35 S. 2 VwVfG.

1. § 44 Abs. 2 StVO

Zuerst anzuprüfen ist diese Norm immer bei den Abschleppfällen. Gemäß § 44 Abs. 2 StVO kann die Polizei bei Gefahr im Verzuge VORLÄUFIGE Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung treffen.

Bei dem Abschleppen müsste es sich dann also um eine „vorläufige“ Maßnahme handeln, damit diese Norm als Ermächtigungsgrundlage herangezogen werden kann. Allerdings wird durch den Abschleppvorgang ja keine vorläufige Maßnahme getroffen, sondern das KFZ wird endgültig an einen anderen Ort verbracht. Diese Norm scheidet also aus.

2. § 22 Nr. 1 POG RlP

Es könnte eine Sicherstellung gemäß § 22 Nr. 1 POG RlP in Betracht kommen. Diese Norm ermächtigt eine Sicherstellung, um eine gegenwärtige Gefahr abzuwehren.

Hier wurde der PKW des A zur Polizeidienststelle verbracht.

Ob dies für eine Sicherstellung ausreicht, ist umstritten.

Nach einer Ansicht reicht ein bloßes Verbringen eines PKW zur Polizeidienstelle bzw. zum Betriebsgelände des Abschleppunternehmers nicht für eine Sicherstellung gemäß § 22 Nr. 1 POG RlP aus. Als Argument wird angeführt, es fehle hierbei an der Begründung alleiniger hoheitlicher Sachherrschaft, es liege nur eine Begründung von Mitgewahrsam vor. Alleiniger hoheitlicher Gewahrsam sei jedoch gerade Voraussetzung für eine Sicherstellung.

Nach anderer Ansicht liegt bei dem Verbringen des PKW auf das Betriebsgelände bzw. auf die Polizeidienstelle eine Sicherstellung vor. Bei dem Abschleppvorgang wird gerade der Gewahrsam des Eigentümers aufgehoben und neuer, behördlicher Gewahrsam begründet.

Anmerkung: Vorliegend wird die Ansicht vertreten, dass der Abschleppvorgang in diesem Fall keine Sicherstellung i.S.d. § 22 Nr. 1 POG RlP darstellt. Für die Anwendung des § 61 Abs. 1 LVwVG spricht, dass es der Behörde – im Gegensatz zum Abschleppen zum Schutz des Kfz – an einem Verwahrungswillen fehlt. Denn die Behörde handelt hier primär zur Gefahrenabwehr mit Entfernungswillen.

Somit scheidet § 22 Nr. 1 POG RlP vorliegend als Ermächtigungsgrundlage aus.

In Betracht kommt somit eine Vollstreckung des „Wegfahrgebotes“ im Wege der Ersatzvornahme gemäß §§ 61 Abs. 1, 63 Abs. 1 LVwVG.

III. Abschleppvorgang ohne Verkehrszeichen

Der PKW des A steht vor der Krankenwagenausfahrt und hindert den Fahrer beim Rausfahren.

Ein Abschleppen aufgrund von § 44 Abs. 2 2 StVO sowie § 22 POG RlP scheidet aus, vgl. oben.

Mangels Verkehrszeichen und somit Verwaltungsakt liegt keine Vollstreckung im Wege der Ersatzvornahme vor.

In Betracht kommt lediglich der sofortige Vollzug/die unmittelbare Ausführung.

Zur Abgrenzung ist hierbei darauf abzustellen, ob die Maßnahme ohne oder mit dem mutmaßlichen Willen des A geschieht (dann § 6 POG) oder ob der Wille des A mutmaßlich entgegensteht (dann § 61 Abs. 2 LvwVG).

IV. Abschleppvorgang mit nachträglich aufgestelltem Verkehrszeichen

A parkt seinen PKW an der Straße. 20 Minuten später wird an der Stelle, an der A parkt, ein absolutes Halteverbotsschild errichtet. Die Polizei lässt den PKW abschleppen.

Ein Abschleppen aufgrund von § 44 Abs. 2 2 StVO sowie § 22 POG RlP scheidet aus, vgl. oben.

Fraglich ist, ob der Abschleppvorgang im Wege der Ersatzvornahme vorgenommen werden konnte. Hierfür ist allerdings Voraussetzung, dass ein wirksamer VA vorliegt. Ein solcher ist erst dann wirksam, wenn er gemäß § 43 Abs. 1 VwVfG bekannt gegeben wurde. Die Bekanntgabe eines Verkehrzeichens erfolgt nach den Vorschriften der StVO durch das Aufstellen des Schildes. Für die Wirksamkeit eines Verkehrszeichens ist nicht erforderlich, dass der Verkehrsteilnehmer dieses tatsächlich wahrgenommen hat. Die Verkehrszeichen müssen lediglich durch einen „raschen und beiläufigen Blick“ wahrnehmbar sein. Beim Aufstellen eines Verkehrsschildes nach Abstellen des PKW kann der Fahrer dieses nicht zur Kenntnis nehmen. Allerdings argumentiert das BVerwG, dass Verkehrszeichen durch Aufstellen wirksam werden. Denn die Vorschriften der StVO (§§ 39 Abs. 1, 45 Abs. 4 StVO) verdrängen die allgemeinen Vorschriften zur Bekanntgabe von Verwaltungsakten. Auf die tatsächliche oder mögliche Kenntnisnahme kommt es daher nicht an.

Folgt man dieser Ansicht, so ist Ermächtigungsgrundlage die Ersatzvornahme.

Lehnt man diese Ansicht ab, so ist Ermächtigungsgrundlage unmittelbare Ausführung/sofortiger Vollzug.

Anmerkung: Es muss somit wie folgt differenziert werden: Das nachträglich aufgestellte Verkehrsschild wird gemäß §§ 39 Abs. 1, 45 Abs. 4 StVO durch AUFSTELLEN wirksam, denn die Vorschriften der StVO verdrängen hier die allgemeinen Vorschriften des VwVfG zur Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes in Gestalt einer Allgemeinverfügung. Auf zweiter Stufe schließt sich dann die Verhältnismäßigkeitsprüfung an. Hier hat das Bundesverwaltungsgericht in dem zu beurteilenden Einzelfall entschieden, dass es nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstößt, wenn ein zunächst erlaubtermaßen geparkter PKW vier Tage nach Aufstellung eines Haltverbotszeichens auf Kosten des Halters abgeschleppt wird. Der Zeitraum (hier: vier Tage) spielt allerdings erst auf der Ebene der Verhältnismäßigkeit eine Rolle, er berüht die Wirksamkeit eines Verkehrsschildes mit Aufstellen nicht.

B. Fazit

Ein Abschleppvorgang nach § 22 Nr. 2 POG RlP kommt also – nach der hier vertretenen Auffassung – nur in Betracht zum Schutz des Kfz selbst. Bei allen anderen Konstellationen greifen die Vorschriften des gestreckten Verfahrens, der unmittelbaren Ausführung oder des sofortigen Vollzugs.

Vielen Dank, dass Sie diesen Beitrag gelesen haben. Wir hoffen, dass er Ihnen weiterhelfen oder zumindest Ihr Interesse wecken konnte. Hier finden Sie den Beitrag Abschleppfälle Polizeirecht Examen auf unserer Website Jura Individuell.

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