Ansprüche aus der Staatshaftung können u.a. auf Realhandeln, Schadensersatz, Entschädigung oder Aufwendungsersatz gerichtet sein.
A. Ansprüche auf staatliches Handeln (Realhandeln)
1. Abwehr und Unterlassungsansprüche
Rechtsweg: Die Einordnung, ob ein Eingriff hoheitlich oder privatrechtlich vorgenommen wurde, erfolgt je nach Fallgestaltung. Grundsätzlich kann die modifizierte Subjektstheorie zur Bestimmung des Rechtswegs herangezogen werden. Bei Äußerungen sowie bei Ausübung des Hausrechts ist zu untersuchen, in welcher Funktion die betreffende Person gehandelt hat. Erfolgt das Handeln in Ausübung eines öffentlichen Amtes (a.A.: im Rahmen des Hausrechts ist Zweck des Besuchs entscheidend) ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben. Andernfalls ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet.
Bei rechtswidrigem staatlichem Handeln, egal ob schuldhaft oder schuldlos, bestehen Abwehr und Unterlassungsansprüche. Diese richten sich gegen Immissionen im weiteren Sinne, also gegen Geräusch- und Geruchsbelästigungen, aber auch gegen Äußerungen staatlicher Hoheitsträger. Abwehr- und Unterlassungsansprüche können auch schon im Vorfeld einer Maßnahme, also vorbeugend, geltend gemacht werden. Sie verdrängen als Primärrechtsschutz die Geldersatzansprüche.
Rechtsgrundlage ist Art. 20 III GG, die Abwehrfunktion der Grundrechte, § 1004 BGB analog sowie die gewohnheitsrechtliche Anerkennung.
Voraussetzungen sind:
– gegenwärtiger oder drohender Eingriff in subjektiv-öffentliches Recht
– Rechtswidrigkeit des Eingriffs (keine Duldungspflicht aus z.B. § 906 BGB analog)
– Andauern des Eingriffs (Abwehranspruch) bzw. Bestehen einer Wiederholungsgefahr (Unterlassungsanspruch) oder Erstbegehungsgefahr (vorbeugender Unterlassungsanspruch)
Bsp: Abwehr von Störungen gegen Immissionen, die von öff. Einrichtungen eines Hoheitsträgers ausgehen; Abwehr einer lärmenden Feuerwehrsirene; Abwehranspruch gegen Bolzplatz, Jahrmarkt, Grillplatz als öff. Einrichtung, Straßenlaterne, Kinderspielplatz (hier Funktionszusammenhang mit der bestimmungsgemäßen Nutzung).
Bsp: Bürgermeister äußert sich in einer Rede abwertend über eine bestimmte Einrichtung/Person.
Rechtsfolge: Bei Äußerung einer falschen Tatsachenbehauptung kann ausnahmsweise ein Widerruf verlangt werden. Bei reinen Werturteilen und nicht erwiesenen Tatsachenbehauptungen sind gleichartige Äußerungen in der Zukunft zu unterlassen.
2. Folgenbeseitigungsanspruch
Rechtsweg: § 40 I 1 VwGO, Klageart: allgemeine Leistungsklage oder Verpflichtungsklage
Hat staatliches Handeln zu einem rechtswidrigen Zustand geführt, besteht ein Folgenbeseitigungsanspruch. Dabei ist es unerheblich, ob das Handeln rechtmäßig oder rechtswidrig war. Allein entscheidend ist hier das Erfolgsunrecht. Im Gegensatz zum Abwehr- und Unterlassungsanspruch, der auf die Rechtwidrigkeit der Handlung abstellt, basiert der FBA auf der Rechtswidrigkeit der Folgen.
Der FBA ist gerichtet auf die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands.
Rechtsgrundlage ist Art. 20 III GG, gewohnheitsrechtliche Anerkennung (Grundrechte sind hier keine geeignete Anspruchsgrundlage, da es sich dabei um Abwehrrechte gegen den Staat handelt. Die Wiederherstellung eines Zustandes ist davon nicht erfasst).
Voraussetzungen sind:
– Rechtswidriger Zustand (Erfolgsunrecht)
– hoheitlicher Eingriff in subjektiv-öffentliches Recht
– Andauern des rechtswidrigen Zustandes
– Kein Anspruchsausschluss
– Mitverschulden § 254 BGB analog
Der Anspruch entfällt bei tatsächlicher oder rechtlicher Unmöglichkeit der Wiederherstellung. Bei Unzumutbarkeit der Herstellung kommt ein Folgenersatzanspruch in Betracht.
Bsp: Anspruch auf Rückgabe eines Grundstücks, das zu Unrecht in eine Straßenbaumaßnahme einbezogen wurde; Rückgabe einer beschlagnahmten Sache nach Aufhebung der Beschlagnahmeverfügung.
Zum Folgenersatzanspruch: Eine Ansicht will § 251 BGB analog anwenden und Geldausgleich gewähren. Nach anderer Ansicht kann auf die Entschädigungsansprüche aus enteignendem, enteignungsgleichem und aufopferungsgleichem Eingriff sowie aus Aufopferung zurückgegriffen werden. Es besteht damit keine planwidrige Regelungslücke. Letzterer Ansicht ist aus systematischen Gründen zu folgen. Ein Folgenersatzanspruch existiert daher nicht.
Besonderheit ist der Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch. Rechtsweg: § 40 I 1 VwGO Verwaltungsrechtsweg. Klageart: Leistungsklage
Hier besteht ein rechtswidriger Zustand infolge eines rechtswidrigen oder rechtmäßigen bereits vollzogenen VA. Voraussetzung ist damit, dass sich der VA bereits erledigt hat (§ 43 II VwVfG), da andernfalls ein Vorgehen mittels einer Anfechtungsklage statthaft wäre. Zur Beseitigung der Folgen des erledigten VA ist eine Leistungsklage zu erheben.
Bsp: Stadt S weist Obdachlose für zwei Wochen in Privatwohnung des P ein. Nach Ablauf der zwei Wochen sind Obdachlose aber immer noch in der Wohnung.
3. Konkurrenz
Abwehr und Unterlassungsansprüche dienen der Abwehr noch bevorstehender oder gegenwärtiger staatlicher Maßnahmen. Die Abwendung des Schadens ist zu diesem Zeitpunkt aber noch möglich, weshalb man von Primärmaßnahmen spricht. Der Folgenbeseitigungsanspruch ist hingegen darauf gerichtet Schäden die durch schon erfolgtes staatliches Handeln eingetreten sind zu beseitigen. Da es, wie man dem Nassauskiesungsbeschluss entnehmen kann, ein „dulde und liquidiere“ im Bereich des Staatshaftungsrechts nicht gibt, muss immer erst der Primärrechtsschutz ausgeschöpft werden.
B. Ansprüche auf Geldersatz
1. Schadensersatz
a) Amtshaftungsanspruch § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG
Ein Amtshaftungsanspruch setzt rechtswidriges, schuldhaftes Handeln voraus.
Voraussetzungen sind:
– Beamter im funktionalen Sinn bzw. „Jemand“
– in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes (hoheitlich)
P: Private, die nicht Beliehene sind, führen Aufgaben der öffentlichen Verwaltung aus.
Grundsätzlich wird die Rechtsnatur des Handelns mithilfe der Subjektstheorie ermittelt. In diesem Fall ist jedoch die Werkzeugtheorie zur Abgrenzung heranzuziehen. Je nach Grad und Intensität der Weisungsgebundenheit erfolgt die Zuordnung des Handelns zum Privatrecht oder öffentlichen Recht.
– Verletzung einer Amtspflicht (Pflicht der Verwaltung zu rechtmäßigem Verhalten aus Art. 20 III GG)
– Drittgerichtetheit der Amtspflicht (Die Norm, die die Amtspflicht begründet, muss gerade dem Schutz und Interesse des Anspruchsstellers dienen)
– Verschulden
– Kausaler Schaden
– Ausschlusstatbestände § 839 III BGB
– Mitverschulden § 254 BGB
Bsp: Beamter verursacht während einer Dienstfahrt schuldhaft einen Verkehrsunfall; Verkehrssicherungspflicht für eine Fußgängerunterführungstreppe. Radweg wird nicht ordnungsgemäß gereinigt, wodurch Schäden am Fahrrad des Dritten entstehen.
b) Öffentlich-rechtliches Schuldverhältnis § 280 I BGB analog
Unter einem öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnis versteht man eine besonders enge, öffentlich-rechtliche Beziehung zwischen einem Hoheitsträger und einem Privaten, die eine verschärfte Haftung rechtfertigen. § 280 I BGB setzt im Gegensatz zu § 839 BGB ein bereits bestehendes Schuldverhältnis voraus. Bei § 839 BGB wird gerade erst durch die Amtspflichtverletzung das Schuldverhältnis begründet. Schuldverhältnisse i.S.d. § 280 I BGB analog können durch öffentlich-rechtlichen Vertrag oder durch Gesetz begründet werden, wie z.B. GoA und BerR.
Bsp: Abschleppfälle (Pflichtverletzung innerhalb öffentlich-rechtlicher GoA)
Begründung der Analogie:
Planwidrige Regelungslücke: Das öffentliche Recht kennt keine dem § 280 I BGB vergleichbare Haftungsnorm für Pflichtverletzungen im Bereich öffentlich-rechtlicher Sonderbeziehungen. Der Amtshaftungsanspruch schließt § 280 I BGB nicht aus, da es sich dabei um einen deliktischen Anspruch handelt, der neben § 280 I BGB tritt.
Vergleichbarkeit der Fälle: Zwischen Bürger und Verwaltung muss ein gesetzliches Schuldverhältnis oder ein Vertrag bestehen. Auch im öffentlichen Recht kann es gesetzliche Schuldverhältnisse wie die GoA und das BerR oder vertragliche Schuldverhältnisse wie den öffentlich-rechtlichen Vertrag geben, die ein Bedürfnis nach einer Regelung entsprechend dem BGB begründen.
Voraussetzungen sind:
1. Anwendbarkeit
2. öffentlich-rechtliches Schuldverhältnis (GoA, BerR oder Vertrag)
3. Pflichtverletzung
4. Verschulden
5. Kein Haftungsausschluss durch Satzung, ör Vertrag, VA etc.
Verwaltungsrechtliche Schuldverhältnisse:
– öffentlich-rechtlicher Vertrag § 62 II VwVfG i.V.m. § 280 I BGB analog
Rechtsweg § 40 I 1 VwGO Verwaltungsrechtsweg
Bsp: Stadt schließt mit Privatem einen Vertrag, indem vereinbart wird, dass Privater weniger Erschließungsbeiträge zahlen muss, wenn er der Stadt dafür im Gegenzug einen Radweg errichtet. Radweg ist durchzogen von Schlaglöchern, ist also mangelhaft, wodurch die Stadt einen Schaden erleidet, da sie die Schlaglöcher zu beseitigen hat.
Bsp: Stadt einigt sich mit Privatem auf Erschließungskosten in Höhe von 5000 Euro. Stadt schickt grundlos Bescheid, in dem sie P auffordert 10.000 Euro zu zahlen. P muss dafür Kredit aufnehmen und Zinsen zahlen. Schaden sind die Zinsen.
– öffentlich-rechtliche Verwahrung §§ 688 ff. BGB analog i.V.m. § 280 I BGB analog
Rechtsweg § 40 II 1 VwGO ordentliche Gerichtsbarkeit
Bsp: Abgeschlepptes Auto wird auf dem Verwahrplatz umgeparkt und dabei beschädigt.
– öffentlich-rechtliche GoA §§ 677 ff. BGB analog i.V.m. § 280 I BGB analog
Rechtsweg § 40 II 1 VwGO ordentliche Gerichtsbarkeit
AGL Staat gegen Bürger auf Schadensersatz
§§ 677, 678 BGB analog i.V.m. § 280 I BGB analog
Bsp: Auf dem Gebiet der Daseinsvorsorge erledigt der Bürger staatliche Aufgaben, wie beispielsweise eine Kanalrohrreparatur, die er aber mangelhaft durchführt.
AGL Staat gegen Bürger auf Aufwendungsersatz
Bsp: Staat schleppt Auto des Bürgers ab und verlangt dafür Ersatz der Aufwendungen aus GoA.
Ein Anspruch auf Aufwendungsersatz scheidet hier aus, da eine öffentlich-rechtliche GoA seitens des Staates eine unzulässige Umgehung der einschlägigen Vorschriften wäre. Im Bereich der Eingriffsverwaltung muss stets der Gesetzesvorbehalt eingehalten werden. Geld kann nur verlangt werden, wenn es dafür eine spezielle gesetzliche Grundlage gibt.
AGL Bürger gegen Staat auf Schadensersatz
§§ 677, 678 BGB analog i.V.m. § 280 I BGB analog
Bsp: Staat beschädigt Fahrzeug des Bürgers beim Abschleppvorgang.
AGL Bürger gegen Staat auf Aufwendungsersatz aus § 683 S. 1, 670 BGB analog
Bsp: Bürger repariert Kanalrohr der Gemeinde und verlangt hierfür Ersatz seiner Aufwendungen.
AGL Bürger gegen Staat aus landesrechtlichen Entschädigungsansprüchen
Diese Ansprüche können zusätzlich geltend gemacht werden, da sie lediglich auf Entschädigung in Geld gerichtet sind.
– Haftung bei der Anbahnung von öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnissen §§ 280 I, 311 II, 241 II BGB analog (c.i.c.)
Rechtsweg: Grundsätzlich Verwaltungsrechtsweg (Sobald ein Vertragsteil dem öffentlichen Recht zugeordnet werden kann, muss der gesamte Vertrag, auch wenn er im Übrigem dem Zivilrecht entstammt, dem öffentlichen Recht zugeordnet werden –> Argumentation wie bei öffentlich-rechtlichem Vertrag.
Ausnahme: Abbruch der Vertragsverhandlungen erfüllt auch § 839 BGB, Art. 34 GG. (Amtspflichtverletzung ist grundloses Abbrechen der Vertragsverhandlungen, § 241 II BGB) = ordentliche Gerichtsbarkeit § 40 II 1 VwGO
Bsp: Stadt schließt Vertrag mit Privatem. Privater muss weniger Erschließungsbeiträge zahlen, dafür errichtet dieser für die Stadt Kinderspielplatz. Stadt weigert sich über die im Vorfeld getätigten Verhandlungen einen Vertrag zu schließen, da sie grundsätzlich nicht über Erschließungsbeiträge verhandelt. Privater hat aber bereits Baumaterial für Kinderspielplatz gekauft.
c) Konkurrenzen
Ansprüche aus einem öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnis gem. § 280 I BGB analog können neben dem deliktischen Amtshaftungsanspruch geltend gemacht werden. Es ergeben sich folgende Unterschiede:
– Gehaftet wird gem. § 280 I analog für bestehende oder angebahnte öffentlich-rechtliche Schuldverhältnisse
– Das Verschulden wird zugunsten des Bürgers vermutet, § 280 I 2 analog
– Bei Haftung für Erfüllungsgehilfen nach gilt § 278 analog
Vorrangig sind aber auch hier immer Ansprüche auf Folgenbeseitigung. Dem Schädiger muss wie im Zivilrecht immer erst die Möglichkeit gegeben werden, den verursachten Schaden selbst zu beseitigen (Grundsatz der Naturalrestitiution § 249 I BGB analog). Kann oder darf der ursprüngliche Zustand nicht vollständig wiederhergestellt werden oder kann dem Geschädigten eine Wiederherstellung durch den Schädiger nicht zugemutet werden bzw. ist eine Wiederherstellung grundsätzlich nicht möglich, so können Geldersatzansprüche geltend gemacht werden.
2. Entschädigung
a) Eingriff in wirtschaftliche Rechtsgüter
aa) Enteignung
Rechtsweg § 40 II 1 Hs. 2 VwGO Verwaltungsrechtsweg. Beachte: Höhe der Entschädigung Art. 14 III 4 GG ordentliche Gerichtsbarkeit.
AGL: Entspricht der jeweils einschlägigen gesetzlichen Vorschrift. Bsp: § 93 ff. BauGB
Eine gesetzliche Vorschrift ist bei einer rechtmäßigen Enteignung nach Art. 14 III GG aufgrund der Junktimklausel zwingend erforderlich. Nur bei Fehlen einer solchen Regelung ist die Enteignung rechtswidrig, was dazu führt, dass kein Geldausgleich stattfinden kann. Eine Entschädigung kann aber über den enteignungsgleichen Eingriff erfolgen.
bb) Ausgleichspflichtige Inhalts- und Schrankenbestimmung
Rechtsweg § 40 I 1 VwGO Verwaltungsrechtsweg
Bei einer ausgleichspflichtigen Inhalts- und Schrankenbestimmung kann Geldersatz gefordert werden. Es handelt sich um einen Eingriff in das Eigentum, der nicht als Enteignung gekennzeichnet ist.
Ermächtigungsgrundlage für den Eingriff ist Art. 14 I 2 GG i.V.m. dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. In manchen Fällen ist der Eingriff nämlich nur gegen Zahlung eines bestimmten Geldbetrages verhältnismäßig. Anhaltspunkt dafür, dass der Anspruch auf Geld gerichtet ist, ergibt sich aus § 39 BauGB. Die Anspruchsgrundlage für die Entschädigungszahlung kann im enteignungsgleichen Eingriff nach §§ 74, 75 Einl. ALR gesehen werden.
cc) Konkurrenzen
Entschädigung und ausgleichspflichtige Inhalts- und Schrankenbestimmungen schließen sich gegenseitig aus. Die Abgrenzung erfolgt nach neuester Rechtsprechung rein formal. Die Sonderopfertheorie, die Schweretheorie und die Theorie der Situationsgebundenheit finden bei der Abgrenzung heute keine Anwendung mehr. Der Grund dafür liegt darin, dass auf der Ebene der Verhältnismäßigkeit abgewogen wird, ob der Eingriff bzw. die Beschränkung angemessen und damit für den Betroffenen zumutbar ist. Ist das nicht der Fall, muss eine Entschädigung gezahlt werden. Die Theorien waren in der früheren Rechtsprechung maßgeblich, da die Einstufung als Enteignung oder Inhalts- und Schrankenbestimmung bereits festlegte, ob eine Geldentschädigung gezahlt werden musste oder nicht. Die Abwägung der Interessen wurde im Folgenden in die Verhältnismäßigkeitsprüfung verlagert, weshalb es nun nicht mehr entscheidend darauf ankommt, ob eine Enteignung oder Inhalts- und Schrankenbestimmung vorliegt. Schließlich kann in beiden Fällen eine Entschädigung erfolgen.
dd) Enteignender Eingriff
Rechtsweg: § 40 II 1 VwGO ordentliche Gerichtsbarkeit
Grundlage für Ansprüche aus enteignendem Eingriff sind §§ 74, 75 EinlPrALR.
Voraussetzungen sind:
– rechtmäßiger unmittelbarer Eingriff in das Eigentum
Die Unmittelbarkeit ergibt sich aus einer wertenden Betrachtung. Der Schaden muss kausal auf dem Handeln des Staates beruhen und innerhalb des Risikos liegen, das durch das staatliche Handeln geschaffen wurde.
– durch hoheitlichen Realakt
– unmittelbare nachteilige Wirkungen für den Betroffenen (rechtswidrige Folge)
– Sonderopfer
Wenn es sich um keine formale Enteignung handelt, aber dennoch ein Eingriff in Eigentumspositionen vorliegt, muss geprüft werden, ob der Eingriff ein Sonderopfer für den Betroffenen darstellt. Ein Sonderopfer ist die Ungleichbehandlung gleicher Sachverhalte ohne einen sachlichen Grund, bzw. ein Verstoß gegen Art. 3 GG.
Bsp: Bau einer U-Bahn. Infolgedessen stürzt ein darüberliegendes Haus ein.
ee) Enteignungsgleicher Eingriff
Rechtsweg § 40 II 1 VwGO ordentliche Gerichtsbarkeit
Grundlage für Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff ist §§ 74, 75 EinlPrALR.
Zuerst wurde enteignungsgleicher Eingriff in Analogie zu Art. 14 GG entwickelt. Nach dem Nassauskiesungsbeschluss des BVerfG war zunächst nicht klar, ob der enteignungsgleiche Eingriff überhaupt noch weiterbestehen kann. Der BGH hat an diesem Haftungsinstitut festgehalten, stellt jedoch nicht mehr auf Art. 14 GG analog als Anspruchsgrundlage ab, sondern auf §§ 74, 75 EinlPrALR.
In Tatbestand und Rechtsfolge sei es ein Anspruch aus dem einfachen Recht und nicht aus dem Verfassungsrecht. Vorrangig ist in jedem Fall der Primärrechtsschutz gem. § 254 BGB analog, so dass erst gegen die Enteignung selbst vorgegangen werden muss. Nur bei Ausschöpfung aller Rechtsmittel kann auf den enteignungsgleichen Eingriff zurückgegriffen werden.
Voraussetzungen sind:
– rechtswidriger unmittelbarer Eingriff in das Eigentum
– durch öffentlich-rechtliches Handeln
– unmittelbarer Schadenseintritt (kein Hinzutreten weiterer Umstände – Kausalität zwischen Handeln und Schaden)
– Sonderopfer (s.o.)
– Ausschöpfung des Primärrechtsschutzes
Bsp: Bei Enteignung fehlt Entschädigungsgesetz. Beispiel für den erweiterten Anwendungsbereich: Verkehrsunfall aufgrund einmaligem Versagen einer Verkehrsampel (Ampel zeigt grün statt rot)
P: Haftung aus enteignungsgleichem Eingriff für legislatives Unrecht
BGH vertritt, dass eine Haftung den Rahmen eines richterrechtlich entwickelten Haftungsinstituts sprengen würde. Dies wäre mit der Haushaltsprärogative des Gesetzgebers unvereinbar und würde damit einen Verstoß gegen das Gewaltenteilungsprinzip begründen. Nach Ansicht der Literatur kann der Rechtsgüterschutz nicht unter einen Haushaltsvorbehalt gestellt werden, zumal es für den Bürger gleichgültig ist, aus welchem Grund ein VA rechtswidrig ist. Letztlich ist aber dem BGH zu folgen, da eine unüberschaubare Flut von Klagen drohen würde und der Gesetzgeber eine entsprechende Regelung schaffen könnte, um auch das legislative Unrecht haftungsrechtlich abzudecken. Es fehlt auch generell das Bedürfnis nach einem Vorgehen gegen Gesetze, da unmittelbar gegen die darauf beruhenden Maßnahmen vorgegangen werden kann. Eine Haftung für legislatives Unrecht scheidet folglich aus.
ff) Konkurrenzen
Neben allen Ansprüchen die auf eine Entschädigungsleistung gerichtet sind, können Amtshaftungsansprüche geltend gemacht werden. Grund dafür ist, dass die Rechtsfolge der Amtshaftung Schadensersatz ist, die Enteignung, der enteignungsgleiche und enteignende Eingriff sowie die ausgleichspflichtige Inhalts- und Schrankenbestimmung hingegen auf eine Entschädigung gerichtet sind.
Wesentlicher Unterschied der beiden Haftungsnormen ist, dass im Rahmen der Schadensersatzansprüche ein Verschulden des Anspruchsgegners Voraussetzung ist. Im Gegensatz dazu ist die Entschädigung verschuldensunabhängig, weshalb dahingehende Ansprüche auch leichter geltend gemacht werden können. Schließlich umfasst der Schadensersatz auch den entgangenen Gewinn, wohingegen die Entschädigung lediglich auf Geldausgleich gerichtet ist.
Das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen mehrerer Entschädigungsansprüche führt aber nicht zu einer Erhöhung der Entschädigung.
b) Eingriff in höchstpersönliche Rechtsgüter (Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit, körperliche Bewegungsfreiheit, str. APR)
aa) Aufopferung
Rechtsweg: § 40 II 1 VwGO ordentliche Gerichtsbarkeit
Beachte spezialgesetzliche Regelungen wie §§ 51 ff. BSeuchG (Impfschäden)! Vorrangig ebenso die Entschädigungsregelungen des PAG für Nichtstörer. Anspruchskonkurrenz zum Amtshaftungsanspruch.
Grundlage für Anspruch aus Aufopferung ist §§ 74, 75 EinlPALR.
Voraussetzungen sind:
– unmittelbarer (wertungsmäßige Betrachtung, s.o.) hoheitlicher rechtmäßiger Eingriff
– in nichtvermögenswerte Rechte
– unmittelbarer Schadenseintritt
– Sonderopfer (gesonderte Prüfung erforderlich, s.o. Es darf sich also nicht um die Verwirklichung eines allgemeinen Lebensrisikos handeln, sondern um eine vom Staat geschaffene besondere Gefahr)
Bsp: Entschädigungsanspruch für rechtswidrige Beugehaft nach dem StrEG; Fürsorgepflicht der Gemeinde für Angehörige der freiwilligen Feuerwehr.
bb) Aufopferungsgleicher Eingriff
Rechtsweg: § 40 II 1 VwGO ordentliche Gerichtsbarkeit
Voraussetzungen sind:
– rechtswidriger unmittelbarer (wertend zu ermitteln, s.o.) Eingriff in nichtvermögenswerte Positionen (schuldhaft oder schuldlos)
– durch öffentlich-rechtliches Handeln
– unmittelbarer Schadenseintritt (kein Hinzutreten weiterer Umstände – Kausalität zwischen Handeln und Schaden)
– Sonderopfer
– Ausschöpfung des Primärrechtsschutzes
cc) Konkurrenzen
Vorrangig müssen spezialgesetzliche Anspruchsgrundlagen berücksichtigt werden, so auch Ansprüche aus den Polizeigesetzen der Länder. Im Übrigen können Ansprüche aus Aufopferung neben Ansprüchen aus Enteignung oder aus Inhalts- und Schrankenbestimmung geltend gemacht werden. Dies ergibt sich aus den unterschiedlichen Rechtsgüterverletzungen. Auch hier steht der Amtshaftungsanspruch in Idealkonkurrenz.
3. Aufwendungsersatz
a) Öffentlich-rechtliche GoA
Rechtsweg: § 40 I 1 VwGO Verwaltungsgerichtsbarkeit
GoA ist öffentlich-rechtlich, wenn Gegenstand der Geschäftsführung öffentlich-rechtlich ist. Zur Bestimmung kann wiederum die modifizierte Subjektstheorie herangezogen werden.
AGL: §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB analog (Aufwendungsersatz)
– Staat-Staat: Gemeinde A repariert beschädigte Rohrleitung im Gemeindegebiet B.
– Staat-Bürger: Unzulässigkeit aufgrund Gesetzesvorbehalt, Ausnahme im Bereich der Leistungsverwaltung –> Beispiel: Behörde hat für Bürger polizeiliches Führungszeugnis besorgt und will dafür Aufwendungsersatz. Führungszeugnis ist für die Bewilligung einer Subvention notwendig. Antragsteller hat aber vergessen, dieses dem Antrag beizulegen.
– Bürger-Staat: Voraussetzung ist aber das Vorliegen eines Dringlichkeitsfalls –> Beispiel: In der Justizbehörde J ereignet sich ein Wasserrohrbruch. Hausmeister H behebt das Problem; Neuanlage eines verfallenen Deiches bei drohendem Hochwasser.
– Privater-Privater: selten –> Beispiel: A hat die Pflicht einen Bundeswehranzug für den Einsatzfall bei sich zuhause zu verwahren. Das Haus des A brennt ab, B kann jedoch den Anzug noch rechtzeitig retten.
Im Verhältnis Bürger-Staat kann der Bürger vom Staat nur dann Aufwendungsersatz nach §§ 677 ff. BGB analog verlangen, wenn ein Nothilfe- oder Dringlichkeitsfall vorliegt bzw. individuelle Rechtsgüter wie Gesundheit oder Eigentum zwingend geschützt werden müssen.
Im Verhältnis Staat-Bürger gelten die Regeln über die GoA nicht im Bereich der Eingriffsverwaltung im Rahmen des Aufwendungsersatzes, weil insoweit die Kostengesetze die Voraussetzungen und Rechtsfolgen öff.-rechtl. Tätigwerdens abschließend regeln. Auch hier darf der Grundsatz des Gesetzesvorbehalts nicht durch die GoA umgangen werden. Schadensersatzansprüche können ungeachtet dessen nach den jeweils einschlägigen Vorschriften in Verbindung mit § 280 I BGB analog geltend gemacht werden (siehe oben). Im Übrigen ist daneben § 678 BGB analog anwendbar, der verschuldensunabhängig gewährt wird. Voraussetzung dafür ist, dass das Geschäft nicht dem Willen des Geschäftsherrn entspricht. Im Rahmen der Leistungsverwaltung sind die § 677 ff. BGB analog anwendbar.
Voraussetzungen sind:
1. Anwendbarkeit
2. Öffentlich-rechtliche Geschäftsbesorgung, § 677 BGB analog (siehe Rechtsweg)
3. fremdes Geschäft, § 677 BGB analog
4. Fremdgeschäftsführungswille
5. Ohne Auftrag oder sonstige Berechtigung
6. Handeln im Interesse und im Willen der Behörde („berechtigte GoA“), § 683 S. 1 BGB analog.
4. Erstattung
a) öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch
Rechtsweg: § 40 I 1 Verwaltungsgerichtsbarkeit
Der Erstattungsanspruch ist immer dann öffentlich-rechtlich, wenn das zugrundeliegende Rechtsverhältnis öffentlich-rechtlich ist (hier wieder modifizierte Subjektstheorie, Funktion des Handelnden, Grundlage VA). Rechtsverhältnisse können vertraglich begründet werden sowie durch VA.
AGL: §§ 812 ff. BGB analog, gewohnheitsrechtliche Anerkennung
Der öffentl.-rechtl. Erstattungsanspruch ist auf die Rückgewährung rechtsgrundloser Vermögensverschiebungen gerichtet. Kennzeichnend ist nicht ein hoheitlicher Eingriff oder eine Schädigung, sondern eine Vermögensverschiebung ohne Grund. Unterschied zu §§ 812 ff. BGB liegt darin, dass der Anspruchsgegenstand öffentlich-rechtlich ist.
Bsp: Rückforderung zu Unrecht gewährter Subventionen oder zu viel gezahlter Bezüge; Rückzahlung von zu Unrecht gezahlten Steuern oder Gebühren; §§ 103 ff. BSHG; Rückforderung zu Unrecht gezahlter Abschleppkosten.
Vorrangig aber spezielle gesetzliche Regelungen wie:
– § 37 II AO (Erstattungen im Rahmen eines Schuldverhältnisses)
– § 49a VwVfG (Erstattungen infolge Aufhebung eines VA)
– § 12 BbesG (Rückforderung von Beamtenbezügen- aus Beamtenrecht § 52 BeamVG, § 87 BBG, § 53 BRRG)
– § 50 SGB X
– § 20 BaföG
Voraussetzungen sind:
1. Rechtsgrundlage
2. Anwendbarkeit
3. Öffentlich-rechtliche Rechtsbeziehung (s. Rechtsweg)
4. Vermögensvorteil
5. Vermögensverschiebung durch Leistung/auf sonstige Weise
6. Ohne Rechtsgrund (Wegfall, wenn zugrundeliegendes RV nichtig oder wenn VA rechtswidrig ist)
7. Erstattungsumfang/Wegfall der Bereicherung (Behörden kann sich wegen des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung aus Art. 20 III GG nicht auf den Wegfall der Bereicherung berufen).
Merkhilfe für die Rechtswegbestimmung:
– Aufwendungsersatzansprüche à Verwaltungsgerichte
– Schadensersatzansprüche à ordentliche Gerichte (§ 40 II 1 VwGO)
– Entschädigungsansprüche mit Ausnahme der Inhalts- und Schrankenbestimmung = ordentliche Gerichte
Anmerkungen
Näheres zur verfassungsrechtlichen Bedeutung des Eigentums: Das Eigentum Art. 14 I 1 GG
siehe auch: „Klausur zur Berufsfreiheit„
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